TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Ein fast vergessener Sommer

von MariaMagdalena

1/1

Trip Tucker lag auf dem Bett in seinem Quartier, die Augen zur Decke gerichtet. Er musste nachdenken. Ein Gespräch mit seinem Freund Malcolm hatte ihn an Dinge erinnert, die er ganz tief in seinem Unterbewusstsein vergraben geglaubt hatte. Dinge, die so weit zurücklagen, dass sie fast schon nicht mehr wahr waren. Er dachte nicht gern daran. Es war ihm unangenehm, irgendwie. Andererseits – zur Hölle, er war 15 gewesen! 15! So jung und so unschuldig gewesen. Die ganze Sache war so unschuldig. Und selbst, wenn sie es nicht geblieben wäre, was wäre schlimm daran gewesen? Er hatte zu Malcolm gesagt: „Wir leben im 22. Jahrhundert! Es ist doch keine Schande, auf Männer zu stehen!“ Männer. Trip musste unwillkürlich lachen, als Tim vor seinem inneren Auge auftauchte. Zu schnell in die Höhe geschossen, schlaksig, kurze, wuschelige braune Haare, die nach allen Seiten von seinem Kopf abstanden. Ein knappes Jahr älter als er - weit davon entfernt, ein Mann zu sein.



Sie hatten eine Menge Spaß gehabt. Damals, in dem Sommer, als seine Eltern beschlossen hatten, den Familienurlaub in den langweiligen Rockies zu verbringen. Nun erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht. Was hatte er getobt! Er hatte nach New York gewollt, doch seine Eltern hatten sich nicht erweichen lassen. Eine brodelnde Metropole hatte er sich gewünscht, und in diesen einsamen Wald waren sie gefahren, weit ab von jeder Zivilisation. Brian und Lizzy waren noch so jung, dass man mit ihnen eigentlich gar nichts anfangen konnte. Zum Glück war er gleich am ersten Tag auf die kleine Holzhütte in der näheren Umgebung gestoßen, in der Tim mit seinen Eltern das gleiche undankbare Urlaubsschicksal erdulden musste.



Von dem Augenblick an waren die beiden Jungen unzertrennlich gewesen. Den ganzen Tag trieben sie sich im Wald herum, weigerten sich, auf Trips jüngere Geschwister Acht zu geben und bauten sich eine Festung aus trockenem Holz, das sie gegen jeden Eindringling verteidigt hätten, wenn sich denn jemals einer gezeigt hätte.



Die Festung war ihr geschützter Rückzugsort gewesen. Hinter der Wand aus aufgeschichteten Ästen, in die Flanke eines Hangs gekuschelt, hatten sie nebeneinander auf dem Rücken gelegen und in den Himmel geguckt. Der Weltraum war ihr gemeinsames Interesse. Sie gaben sich Fantasienamen und malten sich ihre Zukunft an Bord der schnellsten Raumschiffe aus.



„Ich bin der Captain an Bord der USS Bedford, und wir fliegen mit Warp 7“, hatte Trip behauptet.



„Aber das geht nicht! Ich bin älter als du, also bin ich der Captain!“ hatte Tim widersprochen.



„Nimm dir doch dein eigenes Raumschiff!“ hatte er verständnislos zurück geschossen. „Die USS Bedford ist *mein* Schiff!“



„Ich will aber, dass wir beide auf einem Schiff sind!“ hatte der andere trotzig gesagt.



„Warum?“ hatte Trip gefragt, noch immer etwas verständnislos, doch schon wieder halbwegs versöhnt.



Tim hatte ihn nicht angesehen. Er hatte weiter auf dem Rücken gelegen und in den Himmel geguckt. „Ich möchte halt gern mit dir zusammen sein. Ich dachte, das würde dir vielleicht auch etwas bedeuten.“ Seine Stimme hatte einen halb verletzten, halb vorwurfsvollen Ton gehabt.



In diesem Augenblick hatte Tim Trips jugendliches Herz erobert. Er hatte in ihm – noch – nichts anderes als einen Freund gesehen, doch das Geständnis des Jungen hatte ihn auf Platz eins seiner Buddylist befördert. Ohne weitere Diskussionen hatte er ihm die Stelle des Captains überlassen und sich mit der Rolle des Ersten Offiziers begnügt.



Trip lächelte, als er an den jungen und unfertigen Menschen dachte, der er damals gewesen war. Die Welt war so unberechenbar gewesen, er für seine Umwelt freilich nicht minder. Jeder Tag eine neue Herausforderung, ein neuer Kampf mit den Autoritäten. Er war nur zu glücklich gewesen, Tim als einen echten Freund an seiner Seite zu haben. Sie hatten sich nur ein paar Wochen gekannt, aber die gemeinsame Zeit hatte ihn geprägt. Trip schloss die Augen und ließ zu, dass seine Erinnerung ihn hinwegspülte…





Es war wenige Tage nach der Auseinandersetzung über zukünftige Personalfragen. Er und Tim lagen in ihre Schlafsäcke eingemummelt in der Festung und starrten in den nächtlichen Sternenhimmel. Schon eine ganze Weile unterhielten sie sich gegenseitig mit Geschichten über die Abenteuer, die sie als Captain Robertson und Commander Tucker erleben würden. Trip konnte besser erzählen als Tim, und so kam es, dass der Erste Offizier häufig eine sehr viel bessere Figur machte als der Captain, was ihn für den entgangenen Posten mehr als entschädigte. Er berichtete gerade von der spektakulären Befreiungsaktion des Befehlshabers durch den furchtlosen Commander.



„Und dann geht die Bombe hoch, aber ich reiße dich zu Boden, so dass die Schockwelle über uns hinweggeht. Danach ist der Weg frei, und wir befreien auch noch die ganzen anderen Sklaven, und vor allem die Sklavinnen. Die sind uns so dankbar, dass sie uns auf die Bedford folgen und uns Tag und Nacht willig zur Verfügung stehen…“ Trip warf seinem Freund ein anzügliches Grinsen zu. Seine jugendliche Fantasie war beflügelt. Vielleicht würde er sich die nachfolgenden Dialoge und Interaktionen zu einem anderen Zeitpunkt detaillierter ausmalen… Mit Sicherheit würde er.



„Meinst du, du kriegst die Frauen nur aus Dankbarkeit ins Bett?“ fragte Tim mit einem milden Ton der Verachtung in der Stimme.



Sofort wurde Trip ärgerlich. „Natürlich nicht! Aber wenn sie es schon mal anbieten, lehne ich es bestimmt nicht ab!“



„Was hast du denn schon für eine Ahnung von Frauen?“ Die Verachtung in Tims Stimme wurde deutlicher, wenn sie auch – wie der ältere Trip jetzt erkannte – hauptsächlich die eigene Unsicherheit kaschieren sollte.



„Was hast *du* denn für eine Ahnung?“ schoss Trip auch gleich zurück. Er war sich recht sicher, dass die Erfahrung seines Freundes auch nicht allzu weit reichen konnte. Er kannte es nur zu gut von anderen Jungs seines Alters, dass sie ihm, sobald vorhanden, die Erfahrung ihres „ersten Mals“ innerhalb der ersten zwölf Stunden ihrer Bekanntschaft auf die Nase banden. Tim hatte bisher nicht damit angegeben, also war es wohl auch noch nicht passiert.



Tims Haltung war dementsprechend defensiv: „Du hast ja noch nicht einmal ein Mädchen *geküsst*!“



„Woher willst du das denn wissen?“ fragte er aufgebracht.



„Hast du?“ Die Stimme des Älteren klang herausfordernd. Er setzte sich auf.



Trip seufzte ärgerlich. Nein, er hatte nicht. Ganz harmlos, auf die Wange, ja, aber das konnte man wirklich nicht zählen. Einige Male hätte er sicher die Chance gehabt, aber er hatte zu lange überlegt und der Moment war vorübergegangen, weil er sich nicht getraut hatte.



„Also nicht“, schloss sein Freund.



Er schwieg, verärgert, dass er nicht einfach gelogen hatte.



„Wenn du willst, bringe ich es dir bei“, bot Tim an.



Trip fuhr in die Höhe. „WAS?“



„Jetzt erschreck dich nicht so!“ beschwichtigte der andere ihn. „Ist doch nichts dabei. Mädchen machen das ständig.“



„Ich bin aber kein Mädchen!“ protestierte er.



„Nein? Siehst aber fast wie eins aus.“ Tim griff nach seinem blonden Haar, das ihm fast bis auf die Schultern reichte.



Trip drehte sich weg. „Ich bin doch nicht schwul“, sagte er beleidigt.



„Ich auch nicht“, stellte der andere klar. „Es wäre rein zu Übungszwecken. Versprochen.“



Unsicher sah er auf und betrachtete den Freund mit einem zweifelnden Blick.



„Quasi Trockenübungen für den Ernstfall“, ergänzte der. „Damit du Bescheid weißt, wenn es soweit ist.“



Das überzeugte ihn. „Okaaay“, sagte er gedehnt, weit davon entfernt, sich okay zu fühlen.



Sie saßen sich gegenüber, und eine peinliche Stille entstand. Dann streckte Tim kurzerhand eine Hand aus, zog seinen Kopf zu sich heran und küsste ihn. Trip fühlte eine mittelgroße Explosion in seinen Eingeweiden, als ihre Lippen sich berührten. Einen Augenblick genoss er einfach nur das weiche Gefühl und verfluchte seine Unentschlossenheit, dass er nicht viel früher in diesen Genuss gekommen war. Plötzlich öffnete Tim seine Lippen, und Trip reagierte automatisch. Eine weitere, stärkere Explosion nahm ihn mit sich. Sein Atem stockte, und er konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob er den Kuss genoss, oder ob er mehr Panik fühlte. Sein Körper benahm sich besorgniserregend. Keuchend wich er vor dem anderen Jungen zurück.



„Gefällt es dir nicht?“ fragte Tim beunruhigt.



„Ich bin mir nicht sicher“, antwortete Trip wahrheitsgemäß.



„Am besten machen wir jetzt fünf Minuten Pause und versuchen es dann noch einmal“, ordnete sein Lehrmeister an.



Er nickte dankbar. Sie streckten sich wieder aus, sahen in die Sterne.



„Wie war das jetzt mit den Sklavinnen?“ fragte Tim. „Dürfen die einfach so bleiben? Wir haben doch gar nicht so viele freie Quartiere.“



„Wir könnten sie zu Ingenieurinnen ausbilden“, schlug Trip vor, während sein Herz immer noch heftig klopfte. „Dann hätten sie eine Doppelqualifikation.“



Eine Hand seines Freundes tastete nach seinem Haar, fand es und spielte damit. „Ich mag deine Haare“, sagte er. „Wollen wir es noch mal probieren?“



„Das waren noch keine fünf Minuten“, sagte Trip defensiv. Das vorfreudige Hüpfen in seinem Magen beunruhigte ihn. Doch dann war Tims Gesicht schon wieder bei ihm, seine Lippen auf seinen.



„Stell dir einfach vor, ich wär’ ein Mädchen“, flüsterte der Junge an seinem Mund. „Eine von den Sklavinnen vielleicht.“



Trip schloss die Augen, dachte an lange blonde Haare und große Brüste. Das brachte seinen Körper noch mehr in Wallung, und er schämte sich dafür. Tim intensivierte den Kuss, drängte sich an ihn, und was er dabei spürte, ließ seine Verlegenheit in den Hintergrund treten.





Trip rutschte auf dem Laken hin und her und justierte seine Trainingshose. Es gefiel ihm nicht, dass sein Körper noch heute auf die Erinnerung an den Teenager und das, was sie getan hatten, reagierte. Anscheinend war es schon wieder nötig, einen gewissen Überdruck abzubauen. Er seufzte. Nicht jetzt. Er würde an den schlanken, fast dürren Jungen denken müssen, die kaum vorhandenen Bartstoppeln, die eigentlich viel zu weich waren, um schon als solche zu gelten. Er musste seinem Unterbewusstsein Zeit geben, die Erinnerung wieder sicher zu verstauen, bevor er ein Unheil anrichtete, das er möglicherweise nicht ohne weiteres beheben konnte.



Damals hatte sich alles von selbst erledigt. Eine Woche noch waren sie unzertrennlich gewesen. Hatten weiterhin die meiste Zeit in ihrer selbstgebauten Festung verbracht, ihre Geschichten weitergesponnen. Und alle paar Minuten hatten sie ihr Training wieder aufgenommen. Er war regelrecht süchtig gewesen nach den Küssen. Seine Lippen waren jeden Abend geschwollen, und das schlechte Gewissen begleitete ihn jedes Mal auf dem Heimweg. Er fragte sich, ob seine Eltern wohl etwas geahnt hatten. Von seinem heutigen Standpunkt aus schien es ihm unwahrscheinlich, dass ihnen die Art der Kameradschaft zwischen ihnen komplett entgangen sein sollte. Anmerken lassen aber hatten sie sich nie etwas.



Irgendwann hatte er aufgehört, sich dabei Frauenkörper vorzustellen. Tim hatte ihm gereicht. Sie hatten nicht darüber gesprochen. Meist hatten sie es einfach getan, oder Tim hatte in einem neutralen Tonfall gefragt: „So, wollen wir noch mal Üben?“



Es war beim Küssen geblieben. Sie hatten sich dabei in den Armen gehalten, sicher, ab und zu ein wenig an unverfänglichen Stellen gestreichelt. Mehr hatten sie nicht tun können, ohne ihre Tarngeschichte aufzugeben. Dass wesentlich mehr dahinter gesteckt hatte, als für den Ernstfall zu üben, war für Trip jetzt klar ersichtlich. Tim war seine erste große Liebe gewesen.



Auf der Heimfahrt hatte er sich verboten zu Weinen, obwohl ihm hundeelend war. Abends im Bett hatte er es nachgeholt, nächtelang. Dann waren es seine Augen gewesen, die geschwollen waren, und wieder hatten sich seine Eltern nichts anmerken lassen. Er verspürte ein verspätetes Gefühl tiefer Dankbarkeit ihnen gegenüber.



Sie hatten sich versprochen zu schreiben und zu telefonieren. Doch nach einer Weile hatte sich herausgestellt, dass sie sich eigentlich, wenn sie sich nicht küssen oder von ihrer gemeinsamen Zukunft als Weltraumfahrer träumen konnten, nicht viel zu sagen hatten. Fast unmerklich war der Kontakt eingeschlafen. Trip fragte sich, was Tim heute wohl tat. Raumschiffcaptain war er sicher nicht geworden. Früher oder später wären sie sich dann an der Akademie begegnet. Vermutlich führte er ein grundsolides Leben, hatte einen guten, langweiligen Job, eine gute, langweilige Familie, und hatte die Erinnerung an diesen Sommer mindestens ebenso tief vergraben wie Trip.



Er lächelte. Vielleicht sollte er versuchen, ihn zu kontaktieren. Viele Grüße von Commander Tucker – dem *echten* Commander Tucker. Eine Welle der Euphorie durchfuhr ihn. Er hatte seine Jugendträume tatsächlich erfüllt! Nun ja, zumindest war er nahe dran. Er stellte sich Tims Gesicht vor, wenn er eine Videobotschaft von ihm erhielt, und lachte in sich hinein. Vielleicht würde er es wirklich tun.



Dann wurde er wieder ernst. Er dachte darüber nach, was diese Episode in seinem Leben tatsächlich bedeutete. Eigentlich nichts. Seine erste große Liebe war ein Junge gewesen. Na und? Seine zweite Liebe hieß Anna, hatte lange blonde Haare und große Brüste. Und die Übungsstunden mit Tim hatten sich bezahlt gemacht. Er hatte seitdem nie wieder etwas für einen anderen Mann empfunden. Und er würde auch nicht noch einmal damit anfangen, sagte er sich.


ENDE
Rezensionen