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Asche 06 - Unter Erde und Sand

von Gabi

Kapitel 3

Vash sah ungeduldig zum Lager hinüber. Die Hebungen hatten immer noch nicht begonnen, weil Vedek Mahlo nach seiner Ankunft erst einmal eine Andacht hielt. Nichts gegen die Religiosität anderer Völker, doch im Augenblick interessierte die Archäologin lediglich das Entfernen der Bodenplatten. Leider befanden sich unter den wenigen Bajoranern, die nicht dem Vedek lauschten, keine von denjenigen, welche die Maschinen bedienten.

Mit eingeschlagenen Beinen saß sie in der Halle vor den Steinplatten. Während sie die Inschriften anstarrte und auf den Fortgang der Arbeiten wartete, hatte sie Zeit zum Nachdenken. Sito war gestern Nacht sehr überstürzt und außerordentlich unfreiwillig mit der Sternenflotten-Offizierin zur Raumstation zurückgekehrt. Sie hatte nicht viel mit ihr reden können – und das auch gar nicht gewollt, um nicht die Aufmerksamkeit der Sternenflotte auf sich selbst zu lenken. Sie war sich sicher, dass Sito sie nicht verraten würde. Ironischerweise war sie sich der Loyalität der Bajoranerin ihr gegenüber weitaus sicherer als sie das im umgekehrten Fall war. Vielleicht lag es ja wirklich an den Moralvorstellungen, welche die Sternenflotten-Akademie ihren Schülern vorbetete.

Wenn die Sternenflotte Sito zu Gefängnis verurteilte, gab es nichts, das Vash würde ausrichten können – oder wollen. Gegen diesen mächtigen Apparat vorzugehen lag nicht in ihrem Interesse. So hoffte sie für Sito und sich selbst, dass die Bajoranerin davon kam.

Sie betrachtete wieder die Steinplatten, um auf andere Gedanken zu kommen. Sie wusste nicht genau, woher das Wissen stammte, doch es war ihr vollständig klar, welche der Platten als erste gehoben werden musste. Sie fühlte sich von einer von ihnen fast magisch angezogen. Vash hatte schon immer einen guten sechsten Sinn besessen, er würde sie auch dieses Mal nicht enttäuschen. Etwas wartete hier unten darauf, von ihr entdeckt zu werden.

Sie lachte leise über ihre eigene Aufregung. Sie hatte das Gefühl, vor viel Geld zu stehen.

Hinter sich hörte sie nun Stimmen und Geräusche. Die Andacht war endlich vorbei und die Bajoraner füllten die Halle. Im Aufstehen strich Vash Sand von ihrer kurzen Hose.

„Dr. Cuan, schön, dass Sie bereit sind.“ Sie lächelte dem Bajoraner entwaffnend entgegen. „Ich habe beschlossen, dass wir mit dieser Platte hier anfangen. Sie sieht vielversprechend aus.“

Der Archäologe blickte sie verwundert an. Als er den Ausdruck auf ihrem Gesicht sah, zuckte er jedoch lediglich lächelnd mit den Schultern und orderte den Antigrav-Hebekran zu ihr herüber.

„Dann lassen Sie uns beginnen.“

* * *


Der Schatten war beinahe fühlbar. Kasidy Yates hob erschrocken ihren Kopf. Es war kein Geräusch gewesen, das sie alarmiert hatte, eher das vollständige Fehlen davon.

Sie blickte in Augen so schwarz wie das Universum selbst – und so traurig.

Mit lautem Scheppern fiel das Padd zu Boden, als sie beide Hände vor den Mund schlug.

„Benjamin ...!“ Alles, was sie herausbrachte, war ein tonloses Krächzen.

Er war nicht vollständig real, Teile des Raums schienen durch ihn hindurch, so als könne er sich nicht entscheiden, in welcher Dimension er existieren wolle. Als er einen Arm ausstreckte, konnte sie ihn nicht wirklich physisch spüren, doch die Ahnung der Wärme auf ihrer Haut war beinahe mehr als sie glaubte, ertragen zu können.

Ihn umgab ein Strahlen, wie sie es auch beim Öffnen des Schreins im Tempel erlebt hatte. Sisko selbst wirkte dagegen dunkler als sie ihn in Erinnerung hatte.

„Kas.“ Seine Stimme schien von überall her zu kommen. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich vermisse.“

„Komm zurück.“ Sie hatte nicht flehen wollen, doch es brach ohne nachzudenken über ihre Lippen. „Ich weiß nicht, wie ich mit allem hier allein zu Recht kommen soll.“

Sein Blick verdunkelte sich noch weiter, auch wenn sie zuvor gesagt hätte, dass dies nicht mehr möglich war. „Ich bin immer bei dir. Ich lasse dich nicht allein – du musst nur daran glauben.“

Er näherte sich ihr und Yates benötigte alle Kraft, um den Impuls zu unterdrücken, sich ihm entgegen zu werfen. Wie erstarrt blieb sie stehen, als eine nicht körperliche Hand sich auf ihren gewölbten Bauch legte.

„Führe ihn ans Licht.“

Die Ahnung von Händen strich an ihrem Körper hinauf, bis sie schließlich ihr Gesicht umfasste. Yates schloss die Augen, versuchte alles andere aus ihrem Bewusstsein zu verbannen, bis nur noch die Gegenwart ihres geliebten Mannes blieb.

„Es ist soweit.“

Die Wärme zog sich zurück und hinterließ fühlbare Schmerzen. Sie brauchte ihre Augen nicht zu öffnen, um zu sehen, dass sie nun wieder alleine in ihrem Quartier stand.

„Ich hasse euch!“ schrie sie den namenlosen Propheten entgegen, während sie mit den aufsteigenden Tränen kämpfte.

* * *


Mit entnervender Langsamkeit wurde die Abdeckplatte über den Boden gezogen. Wie ihre bajoranischen Kollegen auch starrte Vash die allmählich frei werdende Öffnung an, so als ob sie erwarteten, dass ihnen daraus etwas entgegenspringen würde.

Allerdings hatte niemand wirklich damit gerechnet, dass sich tatsächlich etwas aus dem Jahrtausende alten Verließ erheben mochte.

Als das Licht die Öffnung erfüllte und Form anzunehmen schien, mischte sich Entsetzen in die Erwartungshaltung der Archäologen.

„Was ist das?“ Dr. Cuan brachte ein paar Schritte Sicherheitsabstand zwischen sich und den Zugang.

Automatisch richteten sich die Augen der meisten Bajoraner auf den anwesenden Vedek, von dem sie eine Erklärung erhofften. Einzig Vash betrachtete weiter interessiert das Phänomen.

„Ich schätze, durch die sauerstofffreie Verrottung hat sich da unten alles Mögliche an Stoffen gebildet“, bemerkte sie unberührt durch die Haltung der anderen. „Irgendwas Phosphoreszierendes. Durch den schlagartigen Eintritt von Sauerstoff hat sich wohl eine chemische Reaktion in Gang gesetzt. Wir sollten auf jeden Fall gut belüften, bevor wir da runter gehen.“

Die Augenpaare schwenkten vom Vedek zu Vash hinüber. Die Blicke in ihrem Rücken veranlassten sie zum Umdrehen. „Was ist denn los? Haben Sie noch nie Irrlichter gesehen?“

„Ich denke, Sie haben das auch noch nicht gesehen“, bemerkte Vedek Mahlo.

„Ich ...“ Vash wandte sich wieder zu der Öffnung um. Das ausströmende Licht hatte sich nun in einer beinahe perfekten Kugel über der Abdeckplatte gesammelt. Es schien dort so lange zu verharren, bis der Zugang wieder gänzlich im Dunkeln lag, dann ballte sich das Gebilde zusammen, nahm Anlauf und schoss als physikalisch nicht erklärbare Sternschnuppe in die Atmosphäre Bajors hinaus.

„ ... denke, Sie könnten recht haben ...“

* * *


Die Krämpfe kamen augenblicklich. Kasidy Yates sank auf die Knie und umklammerte ihren Bauch. Es war so weit.

Wie war das noch einmal? Langsam und tief atmen? Sie musste sich lange genug konzentrieren, um zum Kommunikationsterminal zu kommen. Es schoss ihr durch den Kopf, dass Sternenflotten-Angehörige es leichter hatten, wenn die Wehen einsetzten. Sie mussten sich nur auf die Brust schlagen, ein paar unzusammenhängende Worte in den Kommunikator krächzen, und mittels Bordcomputer war sofort klar, was los war.

„Verdammt!“ keuchte sie laut, als der nächste Krampf durch ihren Körper lief. „Kannst du nicht noch warten?“

Hitze und Kälte begannen sich abzulösen, während sie mit Unterbrechungen auf das Terminal zu stolperte. Bashir hatte nichts von solchen Wallungen gesagt. Die sorgsam unterdrückte Panik begann sich wieder in ihr an die Oberfläche zu schieben. Etwas stimmte nicht. Sie glaubte, durch einen dichten Nebel hindurch zu gehen, Augen verfolgten sie – schwarze traurige Augen, rote abwartende Augen.

Die nächsten Schmerzen brachten sie wieder auf die Knie. Sie hatte die Orientierung verloren, wohin sie sich in ihrem Zimmer bewegen sollte. So war eine Schwangerschaft nicht gedacht, dessen war sie sich sicher. „Ben! Hilf mir!“ Die leisen Worte gingen in einem Schluchzen unter.

Sie glaubte, den Türsummer zu hören, doch sie war sich nicht mehr sicher, welche Geräusche und Bilder zur Realität gehörten und welche zu dem Nebel, der sie immer dichter umgab.

Dann berührte eine Hand sie und die Augen wichen zurück.

„Kasidy? Kasidy, können Sie mich hören?“

Sie griff zu, ein Rettungsanker im Chaos, das sie umgab. Die Verwirrung und der Schmerz schienen von ihr abzufallen. Bareil kniete vor ihr auf dem Boden. Für einen Augenblick schien er in Flammen zu stehen, dann klärte sich Yates‘ Blick vollständig, und es blieb nichts zurück als die ausgesprochen reale Einrichtung ihres Zimmers, der besorgte Bajoraner und die nächste Welle an Krämpfen.

„Sie kommen genau zur richtigen Zeit!“ Sie stützte sich auf seine Arme, als er ihr vom Boden half. „Ich hatte versucht, dort hinüber ...“ sie blickte in die Richtung, in welcher sie gefallen war, sah, dass sie falsch gelaufen war, und zeigte dann entgegengesetzt, wo das Kommunikationsterminal auf einem Tisch an der Wand stand. „ ... zu gehen.“

Bareil wirkte immer noch verstört. „Ich wusste, dass Sie mich brauchen. Ich weiß nicht, warum ...“ Er konnte sich das Gefühl nicht mehr in Erinnerung rufen, welches ihn veranlasst hatte, sein Quartier zu verlassen, hierher zu rennen und den Türmechanismus zu knacken. Seit er auf dieser Seite des Spiegels angekommen war, hatte er versucht, seine Fähigkeiten nicht einzusetzen. Aber etwas hatte ihn vorhin dazu getrieben. Er hatte gewusst, dass sie Hilfe brauchte.

„Sie haben eine sehr gute Intuition.“ Mit ihm an ihrer Seite war es nicht so schwer, den Weg zur Tür zurückzulegen.

„Vielleicht ...“ Der dunkelhaarige Bajoraner hob die Schultern. Als sie an der Tür angekommen waren, warf er dem Quartier noch einmal einen irritierten Blick zu. „Haben Sie nicht auch das Gefühl, dass es ziemlich kalt hier drin ist?“

* * *


Ein gutes Drittel der Ausgrabungshelfer hatte sich geweigert, den freigelegten Zugang zu betreten. Der Vedek hatte ihnen nicht mit Bestimmtheit versichern können, dass es sich bei dem befreiten Licht um ein positives Zeichen der Propheten handelte, so hatten sie ihre Grabungsinstrumente niedergelegt und warteten ab, ob der Geistliche mehr in Erfahrung bringen konnte. Er war in das Hauptzelt zurückgekehrt und sprach dort derzeit mit Vertretern der Versammlung.

Vash hatte gerade so lange abgewartet, bis das seltsame Licht die Ausgrabungshalle verlassen hatte, dann hatte sie ihren Tricorder gezückt und war an die Öffnung herangegangen, um die Veränderung des Sauerstoffgehalts zu verfolgen.

Dr. Cuan war schließlich neben sie getreten. „Gibt es etwas, das Sie aus der Ruhe bringen kann?“

Sie sah mit einem ehrlichen Lächeln auf. „Ich glaube, Sie können sich nicht vorstellen, was ich schon alles erlebt habe. Ein paar eingesperrte Energiewesen, die das Weite suchen, wenn man den Deckel von ihrem Topf hebt, werden mich sicherlich nicht davon abhalten, dort hinunter zu gehen.“

Der Bajoraner blickte zur Hallendecke hinauf. „Auf Bajor haben Energiewesen manchmal allerdings eine andere Bedeutung ...“

„Hier unten ist jedenfalls alles soweit in Ordnung“, ignorierte die Terranerin den letzten Kommentar. „Die Luft ist atembar, ich kann keine bekannten giftigen Gase oder Aerosole messen, und außer einer vernachlässigbar schwachen Verteron-Hintergrundstrahlung gibt es nichts auf den Anzeigen zu vermelden.“

„Verteron ...“ Cuan warf einen Blick auf ihren Tricorder. „Die Berichte von Sternenflotten-Wissenschaftlern haben im Zusammenhang mit dem himmlischen Tempel etwas davon geschrieben. Doch ich weiß zu wenig über Physik, um diese Begriffe zu kennen.“

Vash lachte auf und steckte den Tricorder in ihren Gürtel zurück. „Fragen Sie nicht mich. Ich lese lediglich die Angaben auf dem Display ab.“ Sie aktivierte eine Stablampe. „Es ist nicht tief, reichen Sie mir mal die Hand.“

Kopfschüttelnd tat der Archäologe wie ihm geheißen. Vash packte seinen Arm und ließ sich in die Öffnung hinab. „Alles in Ordnung!“ rief sie, nachdem sie einen Kreis ausgeleuchtet hatte. „Der Boden ist stabil, Sie können runterspringen.“

Als Dr. Cuan neben ihr landete, hatte sie schon ihren Grabungslaser gezückt und klopfte damit im ausgeschalteten Zustand die Wände ab. „Sehen Sie es von der positiven Seite, Ihre Götter waren hier, das kann doch nur Gutes heißen.“

Er sah sich in der kleinen Kammer um, die mit rituellen Gegenständen wie Obelisken, Schalen und anderem, das sich der ersten Betrachtung entzog, ausgestattet war.

„Ich kann es nur hoffen.“

* * *


Bashir hatte jeden anderen Termin für heute abgesagt, um sich um die unberechenbare Geburt von Kasidys Kind zu kümmern. Er hatte nicht zweimal fragen müssen, ob die Terranerin etwas gegen die Schmerzen verabreicht haben wollte. Manche Frauen bestanden darauf, jeden Aspekt der Geburt bei vollem Empfinden zu erleben. Captain Yates gehörte eindeutig nicht zu dieser Kategorie.

„Es sieht gut aus“, erklärte er, während er auf den Monitor zeigte. „Das Baby hat sich beinahe vollständig gedreht.“

„Irgendwas muss ja normal verlaufen“, keuchte die werdende Mutter.

Bashir legte ihr eine beruhigende Hand auf die Schulter. „Sie haben es bald hinter sich. Für diese gehetzten Umstände Ihrer Schwangerschaft haben Sie sich hervorragend geschlagen.“ Er sah zu Bareil hinüber, welcher ein wenig linkisch an der Wand lehnte. Er hatte die Terranerin sicher zur Krankenstation gebracht, nun wusste er nicht, wie er sich weiter verhalten sollte. Alles, was er sich erhofft hatte, als er Hals über Kopf mit Hilfe von Ezri Tigans Transportermodul von der anderen Seite geflüchtet war, war ein warmer Platz in Kiras Bett gewesen. Doch in was er hier hineingeraten war, übersah er noch nicht im Geringsten. Er wusste nur, dass er von seinem ursprünglichen Ziel noch so weit entfernt war wie zu Beginn dieser unausgegorenen Idee.

„Bareil, kommen Sie hier herüber“, instruierte der Arzt. „Wenn Sie hier an Kasidys Seite stehen und ihre Hand halten können, wäre das sehr hilfreich.“

Der Bajoraner nickte. Er war froh, wenn ihm jemand sagte, was er tun sollte.

Yates lächelte, als sie ihm die Hand reichte. „Ich hoffe, ich zerquetsche sie Ihnen nicht“, bemerkte sie.

Er erwiderte ihr Lächeln. „Ich bin härter im Nehmen als ich aussehe.“

Bashir kehrte an das Fußende des Bettes zurück, um erneut die Anzeigen abzulesen.

„Jetzt heißt es abwarten.“

* * *


„Es sieht aus als ob hier Zeremonien abgehalten worden sind.“ Dr. Cuan hob vorsichtig eine der Schalen an. „Es ist fantastisch, wie gut erhalten diese Gegenstände noch sind. Das hier sieht aus, als würde noch das Blut eines Opfertiers daran kleben.“

„Das liegt sicherlich an der luftdichten Abgeschlossenheit ... Blut? Ich wusste gar nicht, dass auf Bajor Blutriten existiert haben.“

Er drehte die Schale nachdenklich in den Händen. „Das war nur selten der Fall. Wir haben eine relativ unblutige Geschichte hinter uns. In der offiziellen Religionsausübung war das meines Wissens nach nie der Fall.“

„Was ist das hier dann? Eine Alternativveranstaltung?“

„Es gab immer wieder Splittergruppen, die glaubten, kriegerische Götter verehren zu müssen ...“ Er legte die Schale zurück und rieb sich den Arm. „Kommt es nur mir so vor, oder ist es hier kälter geworden?“

„Ich spüre es auch.“ Vash war vor einer Wand stehen geblieben. „Hier hinter befindet sich ein Hohlraum, von dort zieht die Kälte herein.“

Sie schaltete den Grabungslaser ein. „Mal sehen, was wir hier finden.“ Mit einer leichten Drehung des Handgelenks brachte sie das Gerät in Stellung.

* * *


Kasidy Yates bäumte sich mit einem Schrei auf. Bareil hatte Mühe nicht selbst aufzuschreien, so fest hatten sich die Finger der Frau um seine Hand geschlossen.

Bashir justierte alarmiert seine Instrumente. „Was ist los?“ Sein Blick huschte über die Anzeigen.

Ein weiterer Schrei ertönte von der werdenden Mutter. Dieses Mal war Bareil darauf vorbereitet. Er hatte seine freie Hand auf ihre Schulter gelegt und presste sie sanft auf das Bett zurück. Leise redete er auf sie ein. „Ich bin hier. Es kann nichts passieren, solange ich hier bin.“

„Julian!“ Yates presste den Namen hervor. „Was?“

Bashirs Kopf tauchte über den Anzeigen auf. „Die Geburt wird jetzt eingeleitet. Medizinisch gesehen ist alles in bester Ordnung.“

„Fühlt sich aber nicht so an ...“ Sie brach in einem erneuten leisen Schrei ab.

Bashir schüttelte den Kopf. Er vermutete, dass Yates trotz der Schmerzmittel extrem empfindlich war. Nichts auf seinen Anzeigen sprach für irgendwelche Komplikationen. Im Gegenteil. Er wünschte sich, jede Geburt würde so perfekt ablaufen. „Konzentrieren Sie sich jetzt einfach auf das Pressen, Kas. Der Rest geht ganz von alleine.“

Sich an Bareils Hand haltend versuchte sie, die Schmerzen zu ignorieren, die wie einzelne Stiche in ihre Bauchdecke einzudringen schienen.

Auf dem Monitor hinter den drei Personen umhüllte für einen Moment ein Lichtschein das noch ungeborene Kind.

* * *


Sie hatte keine Zeit zurückzuspringen, als die Decke einbrach. Mit der Kälte kam eine Lawine von Stein. Instinktiv schlug sie die Hände über den Kopf und warf sich in Foetus-Stellung auf den Boden. Schmerz flammte auf, wo Kanten ihre Hände und Arme verletzten. Sie hielt die Luft an, um keinen Steinstaub einzuatmen. Mit leisem Wimmern quittierte sie jede neue Verletzung und versuchte, nicht das Bewusstsein zu verlieren, um nicht im Geröll zu ersticken.

So rasch wie er über sie hereingebrochen war, ließ der Steinschlag wieder nach. Vash verharrte noch eine Weile in ihrer zusammengekauerten Stellung, bevor sie es wagte, die Arme zu bewegen. Das Gewicht der Bruchstücke drückte sie nieder, doch es befand sich keine undurchdringliche Decke über ihr. Wenn sie die Zähne zusammenbiss und den Schmerz ignorierte, war sie imstande, ihre Unterarme nach oben zu drücken. Ganz vorsichtig schob sie Gestein von sich, immer bedacht, den Kopf eingezogen zu halten und ihn vor zurückstürzenden Brocken zu schützen. Stück für Stück schob sie ihren Körper vorwärts. Schließlich begrüßte Kälte ihre Handrücken. Mit einer letzten Anstrengung grub sie sich aus der Lawine heraus. Blut lief ihre Unterarme entlang, ihr linkes Bein fühlte sich an, als wäre ein Knochen in Mitleidenschaft gezogen worden, doch sie achtete nicht darauf. Die Eiseskälte unterband jedes Gefühl von Schmerz.

Der Einsturz hatte den Zugang zu der Kammer verschlossen, in welche sie hinabgestiegen waren. Dafür hatte sich ein anderer Raum geöffnet. Die Luft hier war stickig, doch atembar, sie war angefüllt mit feinem Gesteinsstaub, der sich wie der Schleier einer verlassenen Braut um einen Altar legte. Der Steintisch war mit den Überresten eines schweren Stoffs bedeckt, an der Wand dahinter hing ein über zwei Meter großes Zeichen des bajoranischen Glaubens – der Kreis, welcher den wirbelnden Himmelstempel symbolisierte, zeigte zur Decke. Auf dem Altar selbst lag ein Buch. Sein schwerer, verzierter Einband war von einem Metallschloss umgeben. Selbst für eine Atmosphäre die so viele Jahrhunderte konservierend gewirkt hatte, war das Buch ungewöhnlich gut erhalten. Vash stolperte über die Steine zum Altar und legte ihre Hände darauf. Vom ersten Augenblick an war ihr klar, dass dies hier das Wertvollste war, was sie in B’hala finden würden. Fast ehrfurchtsvoll strich sie über die raue Oberfläche. Dies würde ihr gehören. Weder die bajoranischen Museen noch Quark sollten ihre Finger darauf legen. Sie selbst würde einen Käufer dafür finden, jemanden, der ganz genau wusste, was es wert war. Eine bajoranische spirituelle Überlieferung, die vielleicht 20.000 Jahre alt war ... Vash spürte, wie ihre Augen brannten. Gedankenverloren wischte sie sich mit dem blutigen Handrücken darüber. Wenn sie das hier richtig anstellte, hatte sie die Chance reich zu werden.

Geräusche waren in der Steinlawine hinter ihr zu hören. Beinahe panisch griff sie nach dem Buch. Es wog noch schwerer als es aussah, doch auch das ignorierte sie. Einzig der Gedanke, dass niemand außer ihr diesen Fund sehen durfte, trieb sie an. Ihrem Bein zum Trotz lief sie zur Wand hinüber, neben welcher die Steinlawine heruntergekommen war. Sie kniete sich nieder und begann zu graben. Mit Glück würde es ihr gelingen, heute Nacht wieder zu kommen und das Buch zu holen. Sie hoffte, dass vorher dieser Raum nicht zu genau untersucht wurde.

Sie packte einen schweren Gesteinsbrocken und platzierte ihn über ihren Grabspuren im Geröll.

* * *


„Sie haben es gleich geschafft. Nur weiter so. Jetzt nicht nachlassen!“ Bashir feuerte Yates mit Enthusiasmus an.

Immer noch hielt Bareil ihre Hand. Er wischte ihr feuchte Strähnen aus der Stirn. „Sie machen das wunderbar“, flüsterte er atemlos. Automatisch hatte er begonnen, ihr intensives Atmen nachzuahmen, und fühlte sich nun ebenfalls wie nach einer Gewaltanstrengung.

„Noch ein wenig, noch ... ja!“

Kasidy Yates spürte, wie der Druck nachließ. Sie gönnte sich einen kurzen Augenblick, in welchem ihr Kopf in das Kissen zurücksank, dann hob sie ihren Oberkörper an. Bareil legte den Arm hinter ihre Schulter und stützte sie dabei.

„Und?“ Sie hatte beinahe Angst vor der Antwort.

Bashir hatte die Nabelschnur durchtrennt und war nun dabei, das Neugeborene abzureiben. Schließlich richtete er sich mit einem Bündel im Arm auf. Sein Gesicht verriet äußerste Zufriedenheit, als er das Baby zu seiner Mutter brachte.

„Ein völlig gesunder Junge. Kasidy, herzlichen Glückwunsch.“

Er legte ihr das Kind in den Arm. „Oh mein Gott.“ Die ängstliche Erwartung und die Anspannung fielen von ihr ab. Während sie das Baby wiegte, brach sie in Tränen aus. „Danke.“ Sie blickte von dem Bündel auf. „Danke, Julian, danke, Antos. Sie waren wundervoll.“

Bashir ging neben dem Bett in die Knie. Er zwinkerte ihr zu. „Es war uns ein Vergnügen.“ Er strich mit dem Zeigefinger über die Wange des Babys. „Wie soll er heißen?“

„Jeremiah ... Jeremiah Sisko.“

Der Arzt hob die Augenbrauen. „Nicht Yates?“

„Nein.“ Sie lächelte schwermütig. „Ich habe Bens Namen nicht angenommen, aber sein Sohn soll ihn tragen. Du wirst ihn mit Stolz tragen, Jeremiah.“

Bareil stand auf der anderen Seite des Bettes und betrachtete Mutter und Kind mit gemischten Gefühlen. Das war nun also das Leben, welches er nach Interpretation Kai Sarius‘ schützen sollte. Er hatte nur noch immer nicht die geringste Ahnung, wovor.

Yates wandte sich um und reichte ihm stolz das Baby.

* * *


Als die den Durchgang weit genug geöffnet hatten, saß Vash in der Kammer auf dem Boden und hielt sich mit blutenden Armen ein verletztes Bein.

„Den Propheten sei Dank, Sie leben noch!“ Dr. Cuan kletterte als erster über den Schutthaufen nach unten. Hinter ihm waren diejenigen Mitglieder seines Ausgrabungsteams zu sehen, die sich nicht geweigert hatten, in die Öffnung hinunter zu steigen. Als er unten angekommen war, und sich zu Vash beugen wollte, fiel sein Blick auf den Altar. Die Augen des Bajoraners weiteten sich, als er das umgedrehte Glaubenssymbol an der Wand prangen sah.

„Das ist kein guter Ort“, flüsterte er. „Kommen Sie, ich helfe Ihnen hinaus.“

Vash hatte beschlossen, die verletzte Hilfsbedürftige zu spielen, um die Aufmerksamkeit von eventuellen Funden abzulenken, so stützte sie sich so schwer wie möglich auf die Schulter des Archäologen und seufzte hingebungsvoll, als er sie vorsichtig die Geröllsteige zur Öffnung hinauf geleitete. Auf der anderen Seite wurde sie von hilfreichen Händen empfangen, die sie sicher in der äußeren Kammer absetzten.

„Lassen Sie sehen.“ Cuan war ebenfalls durch die Öffnung geklettert. Er kniete sich nun vor Vash nieder und betastete ihr Bein. „Das fühlt sich an, als wäre es gebrochen. Wir bringen Sie in Ihr Zelt, damit sich ein Arzt das ansieht.“

Vash nickte nur. Als sie mit vereinten Kräften durch den Zugang hinaufgehoben wurde, blickte sie noch einmal zur Einsturzstelle zurück. Sie glaubte, die Gegenwart des Buches dort beinahe spüren zu können. Es wartete auf sie.

* * *


„Er sieht mich an.“ Bareil blickte überrascht zu Kasidy hinunter. „Ich wusste nicht, dass terranische Babys gleich nach der Geburt sehen können ...“

„Das können sie auch nicht.“ Bashir umrundete das Bett, um neben den Bajoraner zu treten. „Das ist ja fantastisch! Kasidy, sehen Sie sich das an. Er fokussiert tatsächlich.“

Bareil reichte ihr den Sohn zurück. Die dunklen Augen des Kindes waren weit geöffnet. Noch hielt es den Blick auf den Bajoraner gerichtet, doch als Yates es zu wiegen begann, wanderte der Blick zu seiner Mutter empor.

„Das ist unglaublich.“ Sie winkte mit ihrem Finger versuchsweise vor dem kleinen Gesicht. Problemlos folgten die Augen der Bewegung.

Bashir schüttelte lächelnd den Kopf. „Jeremiah scheint in allem ein Frühentwickler zu sein.“
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