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Asche 11 - Tag der Wahrheit

von Gabi

Kapitel 1

Abermals fand sich Lieutenant 2nd grade Sito Jaxa im Büro der Kommandatin von DS9 wieder. Dieses Mal hielt sich zu ihrer großen Erleichterung jedoch kein Premierminister darin auf. So sehr sie den Mann schätzen gelernt hatte, so froh war sie, wenn seine und ihre Probleme möglichst Lichtjahre auseinander lagen.

Kaum dass sich die Tür zu OPS hinter ihr geschlossen hatte, wedelte Colonel Kira bereits mit dem cardassianischen Datenpadd, welches Sito als dasjenige erkannte, das sie ihr von Garak nach ihrer Rückführungsmission ausgehändigt worden war. Der Cardassianer hatte darauf eine offizielle Rüge in Richtung Bajor formuliert dafür, dass Katalya Tirek nicht bei ihren Großeltern sondern wieder bei ihrer ausgewanderten Mutter weilte. Die Worte waren so harmlos gewählt, dass sie niemanden in der bajoranischen Regierung vor den Kopf stoßen konnten.

„Setzen Sie sich, Lieutenant“, Kira fuchtelte mit dem Padd in Richtung eines der Drehstühle auf der Besucherseite ihres großen Schreibtischs. Die Laune der Kommandantin war unübersehbar gut, was in letzter Zeit eher eine Seltenheit darstellte. Noch während Sito ihrer Aufforderung nach kam, fuhr sie fort: „Garak hat Ihren Einsatz in den wärmsten Worten beschrieben. Sie haben ihn ganz offensichtlich beeindruckt. Und aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass es nicht viel gibt, was diesen Cardassianer beeindruckt.“ Kiras Lächeln wurde noch eine Spur wärmer. „Sie haben ausgezeichnete Arbeit geleistet, Lieutenant. Wenn dies ein offizieller Auftrag gewesen wäre, hätte ich sie für eine Auszeichnung vorgeschlagen. Doch leider steht uns dieser Weg nicht offen. Ich habe jedoch mit General Ontkean gesprochen und sie hat mit mir übereingestimmt, dass eine Beförderung zum Lieutenant 1st grade durchaus im Rahmen des Machbaren ist.“ Kira legte das Padd auf den Tisch, entnahm einer daneben liegenden Schachtel den kleinen Kragenpin, der dem bajoranischen Glaubenszeichen nachempfunden war. „Herzlichen Glückwünsch, Lieutentant.“ Sie schüttelte Sito die Hand und überreichte ihr die Insignie.

Die junge Bajoranerin nahm den Pin, der hinter dem goldenen Kreis ein halbes Oval gezeigt hatte, von ihrem Uniformkragen ab und steckte denjenigen mit dem nun vollständigen Oval an. Auch auf ihren Zügen breitete sich nun ein Lächeln aus. Es tat gut, wenn die eigenen Anstrengungen gewürdigt wurden. „Vielen Dank, Colonel.“

„Wenn Sie sich weiterhin so gut machen, müssen wir über eine Versetzung nachdenken …“ Kira entging nicht der erschrockene Blick, der sich nun im Gesicht der jungen Frau zeigte, „… oder ich muss Commander Benteen um eine Beförderung von Lieutenant Nog ersuchen. Es kann ja nicht angehen, dass Sie einen höheren Rang als Ihr Vorgesetzter bekleiden.“ In nebensächlichem Ton fügte sie hinzu: „Garak hat in seinem Schreiben übrigens auch erwähnt, dass er Sie gerne rekrutieren würde, falls Sie sich beim Sicherheitsdienst unterfordert fühlten …“
„Bloß nicht!“ Sito starrte ihre Kommandantin entsetzt an und war erleichtert in deren Zügen zu erkennen, dass diese nicht wirklich über eine solche Versetzung nachdachte. „Wenn ich Cardassia nie wieder sehe, ist das immer noch nicht früh genug!“

* * *


Er hatte sich an die Heimsuchungen gewöhnt. Auch daran, dass es dem Kost Amojan gleichgültig war, wobei er ihn gerade störte. Doch an die Begleiterscheinungen dieser Besuche würde er sich wohl nie gewöhnen.

Mit einem unterdrückten Aufschrei sprang Vedek Gawen aus der Dusche, als die Temperatur des Wassers um etliche Grad fiel.

„War das nötig?!“ Verärgert griff er nach einem Handtuch, um sowohl seine Blöße als auch sein Zittern zu verbergen. Erst dann bemerkte er mit leichter Überraschung, dass immerhin der Handtuchhalter real gewesen war, während der Rest seines Badezimmers in den mittlerweile gewohnten Dimensionsschwaden versank.

In dem, was in Gawens Realität der Türrahmen war, lehnte die Gestalt des Cardassianers. „Ist es meine Schuld, wenn du immer noch nicht für unsere Macht offen bist?“

Der Vedek spürte die Warnung und neigte seinen Kopf. „Ich bin bereit.“

„Warum empfindest du dann immer noch Eis, wenn ich in Flammen komme?“

„Ich weiß es nicht ...“ Der Vedek versuchte, sein Zittern so gut es ging zu unterdrücken. Es fröstelte ihn immer noch in der Gegenwart seines Meisters. Er konnte sich nicht vorstellen, dass das jemals anders werden würde.

Mit einem allzu irdischen Seufzen schob die Gestalt das Thema beiseite. „Du wirst mich anerkennen, wenn meine Kraft erst vollständig zurückgekehrt ist.“

„Aber ich anerkenne ...“

Die glühenden Augen des Cardassianers geboten ihm zu schweigen.

„Deine bisherigen Versuche waren nicht unbedingt von Erfolg gekrönt“, bemerkte die Gestalt. „Shakaar war ein großer Fehlschlag. Ich will das nächste Mal meine Königin nicht wieder verlieren. Solange du das Buch nicht hast, brauche ich eine irdische Gestalt, in der ich meine Kräfte kanalisieren kann.“

Gawen neigte seinen Kopf noch ein wenig mehr. „Nimm mich, Meister.“

Ein leises, unangenehmes Lachen erfüllte die Luft. „Wir brauchen jemanden, der nicht nur den Willen besitzt, sondern auch die Fähigkeit.“

* * *


Mit einem Lächeln schüttelte sie den Kopf. Ihrem Sohn hätte wohl nichts Besseres passieren können als das Auftauchen des Manns aus jenem anderen Universum. Die schwarzen Augen des Jungen strahlten vor Vergnügen, wann immer Bareil ihn besuchte. Und auch der Bajoraner schien in diesen Momenten einen Platz zu haben, an den er gehörte.

Yates beobachtete den Mann, wie er dem Jungen in dessen Schlafanzug half. Die Prozedur dauerte eine kleine Ewigkeit, weil beide immer wieder in Lachen ausbrachen. Schließlich war Jeremiah verpackt. Bareil nahm ihn auf und wirbelte ihn solange in der Luft herum, bis es dem Bajoraner selbst übel wurde.

„So, das reicht, sonst kippe ich um“, erklärte er grinsend. „Gib deiner Mutter noch einen Gute-Nacht-Kuss, dann geht es ins Bett.“ Er kam ein wenig schwankend auf Yates zu und präsentierte ihr ihren Sohn.

Der Junge streckte die Hände aus, um ihre Umarmung zu empfangen. „Gute Nacht, mein kleiner Prinz.“ Sie küsste ihn sanft.

„G’nacht, Mama.“

Als sich die Tür zum Schlafzimmer geschlossen hatte, ging Yates zum Replikator. „Kann ich Ihnen noch etwas anbieten?“

„Danke, ja.“ Bareil ließ sich auf das Sofa fallen. „Etwas zum Knabbern wäre nicht schlecht. Ich habe noch nicht zu Abend gegessen.“

Er beobachtete ihren Rücken, während sie dem Replikator die Anweisungen gab.

„Haben Sie schon etwas Neues von Dr. Bashir gehört?“

Sie wandte sich mit zwei Schalen in der Hand um. Ein Schatten legte sich über ihren klaren Blick, als sie den Kopf schüttelte.

„Er ist genauso ratlos wie der Rest von uns. Jerry wächst in einer Geschwindigkeit, die für einen Angehörigen unserer Rasse noch nie beobachtet worden ist. Er ist jetzt vier Monate alt und zeigt alle Anzeichen eines zwei- bis drei-Jährigen.“ Sie setzte sich neben ihn und platzierte die Schalen auf dem Wohnzimmertisch. Nachdenklich griff sie nach einem der Häppchen und führte es zum Mund. „Julian versichert mir zwar immer wieder, dass Jerry absolut nichts fehlt, aber ich habe Angst.“ Sie sah zu Bareil hinüber. Er betrachtete sie kauend. „Was soll aus ihm werden, wenn er so rasch weiterwächst? Ich will nicht miterleben müssen, wie mein Sohn vor meinen Augen zum Greis wird und stirbt - das stehe ich nicht durch!“

Der Bajoraner legte das Gebäckstück, das er soeben ergriffen hatte, wieder ab und drehte sich zu ihr. Zögernd legte er seine Arme auf die ihren. Sie ließ sich bereitwillig an seine Schulter ziehen. Etwas mutiger geworden streichelte er über ihr dickes Haar. „Das wird nicht passieren. Dr. Bashir wird herausfinden, was los ist, und ihm helfen.“ Es waren reichlich leere Worte, das war ihm bewusst, aber was hätte er sonst sagen können? „Vielleicht geht es nur bis zu einem bestimmten Alter und ab da entwickelt sich Jerry wie jeder andere Mensch auch?“ Seine andere Hand streichelte nun ihren Rücken, während er nach weiteren beruhigenden Zukunftsaussichten suchte. „Und ich bin ja auch noch da“, erklärte er schließlich. „Ich werde nicht zulassen, dass ihm etwas passiert.“

Diese letzte Erklärung hatte er mit einem solchen Brustton der Überzeugung hervorgebracht, dass es Yates ein leises Glucksen entlockte. Sie schmiegte sich an seine Schulter.

„Antos, darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?“ murmelte sie in den Stoff seiner Jacke.

„Hm?“

„Versuchen Sie immer noch, die Liebe von Colonel Kira zu erringen?“

Sie brauchte nicht aufzusehen, um die Veränderung zu erkennen, die in ihm vorging. Sein gesamter Körper strahlte eine gewisse Traurigkeit aus, die sie mit ihren Fingerspitzen erfassen konnte.

„Ja ...“ Er hielt im Streicheln inne, als von ihr keine weitere Reaktion erfolgte. „Warum fragen Sie?“

Yates wusste, dass auch er eine Aufmunterung gebrauchen konnte. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das er nicht sehen konnte. „Nun ja, ich wollte nur wissen, ob es einen Sinn hat, dass ich mich in Sie verliebe.“

Zufrieden spürte sie, wie sich ein Lachen in seiner Brust bildete und den Weg hinauf bahnte.

* * *


Eine blöde Idee! Vash schob das Glas vor sich auf dem Tisch herum. Diese Woche trugen alle Gläser freundliche blaue bolianische Gesichter. Sie erwiderte halbherzig das Grinsen, welches ihr von dem billigen Aufdruck entgegen strahlte. Was mache ich eigentlich noch hier?

„Was machen Sie eigentlich noch hier?“ Der Ferengi, der an ihrem Tisch aufgetaucht war, nahm ihr das leere Glas aus der Hand. „Noch mal dasselbe?“

„Quark.“ Vash lehnte sich verärgert vor und griff nach dem Ohrläppchen des Barkeepers. „Wenn ich einen Papagei brauche, bestelle ich einen.“

„Ist ja schon gut, ist ja schon gut!“ Er drehte den Kopf hastig, um sich aus ihrem Griff zu befreien. „Sie wollen also nichts mehr.“

Die Archäologin ließ ihn los. „Nein ... oder doch“, überlegte sie es sich anders. „Doch, bringen Sie mir dasselbe noch mal – aber wenn es geht in einem weniger penetrant freundlichen Glas.“

Quark richtete sich in rechtschaffener Empörung auf. „Was haben Sie gegen die bolianische Woche? Diese Aktion kommt bei den anderen Gästen sehr gut an.“

„Schön für sie.“ Vash wedelte ungeduldig mit der Hand. „Gehen Sie schon. Ich möchte allein sein.“

Der Ferengi brummte etwas wenig Schmeichelhaftes vor sich hin, während er sich in Richtung des Tresens davon machte.

Die Archäologin lehnte sich seufzend mit ihrem Stuhl zurück. Sie konnte nicht genau sagen, warum sie so schlechte Laune hatte. Der Ferengi hatte sicherlich nichts damit zu tun, aber er war einfach die ideale Gestalt für einen Sündenbock. Die Terranerin hätte schon längst wieder auf dem Weg zurück ins rigelianische System sein sollen, wo ihr Geschäftspartner immer noch ungeduldig auf ihr Eintreffen wartete. Sito hatte sich ja unbedingt in die Stationssicherheit versetzen lassen müssen. Stationssicherheit! Etwas Blöderes hätte ihrer ehemaligen Partnerin nicht einfallen können. Und das nur, weil sie sich erhoffte, so irgendwie an die unterkühlte Terranerin heranzukommen, die hier den Posten des Ersten Offiziers versah. Wenigstens hatte Jaxa ihr versichert, dass sie mit keinem Sterbenswörtchen erwähnen würde, was Vash so alles in B’hala getrieben hatte. Doch ab jetzt würde die Archäologin sich vorsehen. Wer wusste schon, welche Anfälle von Regeltreue die Bajoranerin heimsuchen mochten, wenn es darum ging, Commander Benteen zu beeindrucken. Es gab nichts, was Vash hier noch hielt. Und dennoch verspürte sie diese Lustlosigkeit, wann immer sie sich ans Packen machen wollte. Sie hatte sogar schon Dr. Bashir aufgesucht, weil sie befürchtete, sich irgendetwas eingefangen zu haben. Doch ihre Gesundheit war wie stets perfekt.

Diese Lethargie verstörte sie. Sie kannte sich selbst nicht so und sie wusste nicht genau, wie sie mit dieser Vash umgehen sollte. Konnte es sein, dass sie zu alt für ihre Art zu leben wurde? Dass sie sich nach einem ruhigen Zuhause sehnte? Nach einer Familie?

Mit energischem Poltern berührten die Stuhlbeine wieder den Boden, als sie sich aufsetzte – bloß das nicht! Sie hatte nicht vor, sich von ihrem freien Leben zu verabschieden. Entschlossen erhob sie sich: Sie würde sofort aufbrechen, keine weitere Verzögerung mehr.

Als sie zur Bar hinaus stürmte, blickte ihr Quark überrascht nach. In einer fruchtlosen Geste hob er das frischgefüllte, aufdruckfreie Glas in die Höhe. „Was ist mit Ihrem Drink ...?“

Die Energie, die sie verspürte, hielt genau so lange an, bis sich die Quartiertür hinter ihr geschlossen hatte. Dann fiel ihr Blick auf die halbgepackte Reisetasche, die schon seit Tagen auf dem Stuhl in der Ecke des Raums stand.

„Sehr weit bin ich nicht gekommen“, flüsterte sie. „Vash, was ist mit dir los?“ Sie schlug sich leicht gegen die Schläfe. Mit zwei Schritten war sie in jener Ecke und packte die Ränder der Tasche. „Auf irgendeine Weise bist du daran schuld.“ Sie griff hinein und beförderte das Buch zutage. Das einzige, was bisher seinen Weg in die Tasche gefunden hatte. „Ich sollte dich fortgeben.“

Sie trug das Buch zum Bett hinüber. Bäuchlings legte sie sich vor das schwere Artefakt und begann einmal mehr, in den leeren Seiten zu blättern. Die schwache Hoffnung starb nie, dass sich ihr eines Tages das Geheimnis offenbaren würde.

* * *


Colonel Kira drehte ihre morgendliche Runde auf der Promenade. Seit Odo nicht mehr da war, hatte sie es sich zur Gewohnheit gemacht, zu unterschiedlichen Zeiten ihre Präsenz spürbar zu machen. Sie wollte damit nicht Nogs Autorität untergraben, doch sie wusste sehr gut, dass es auf potentielle Tunichtgute weitaus mehr wirkte, wenn sie Odos Vermächtnis übernahm. Und ihr selbst schenkte es ein Gefühl der Nähe zu ihrem Freund. Sie fragte sich, wann sie ihn wiedersehen würde. Das im dominischen Krieg zerstörte Kommunikationsrelais auf Seiten des Gamma-Quadranten war zwar wieder aufgebaut, doch außer ein paar belanglosen Worten zu Weyoun und dessen Integration auf der Station hatten sie noch nicht viel gesprochen. Es war, als ob das Band, das zwischen ihnen das letzte Jahr existiert hatte, mit Eintauchen in die große Verbindung zerrissen war. Ein Jahr. Das schien die magische Formel für Kiras Liebesleben zu sein. Mit jedem ihrer Liebhaber seit Ende der Cardassianischen Besatzung hatte sie mehr oder weniger ein Jahr verbracht. Sie vergönnte sich ein tiefes Seufzen. Es sollte wohl nicht sein, dass sie eine feste Beziehung einging. Wahrscheinlich war dies einfach nicht der Weg der Propheten.

Mit einem automatischen Nicken und Lächeln erwiderte sie die verschiedenen Formen von ‚Guten Morgen‘, die ihr von rechts und links zugerufen wurden. Manchmal blieb sie sogar stehen und tauschte ein paar Worte mit Ladenbesitzern und Passanten aus.

Ihre Position gefiel ihr, das musste sie gestehen. Sie war so weit gekommen, wie sie es sich niemals hätte erträumen lassen. Sie hatte als eine unter vielen für Bajors Befreiung gekämpft, und acht Jahre später kommandierte sie eine der wichtigsten Raumstationen des gesamten Alpha-Quadranten und war die Vertraute des bajoranischen Regierungsoberhaupts. Außer eine geistliche Laufbahn einzuschlagen und eines Tages zur Kai gewählt zu werden, gab es nicht sehr viel mehr, das sie hätte erreichen können. Mit dem näher rückenden Beitritt zur Föderation eröffneten sich ihr noch die Möglichkeiten einer Karriere in der Sternenflotte. Doch Kira hatte nicht vor, ihre Heimat zu verlassen. Was immer sie erreichen konnte, wollte sie hier tun. Hier im Angesicht ihres Planeten und ihrer Götter.

Sie sollte sich wunderbar fühlen. Doch bei all ihrem beruflichen Erfolg fühlte sie doch eine gewisse Leere in sich. Sie war es gewohnt, allein zu sein. Doch je älter sie wurde, desto öfter ertappte sie sich dabei, wie sie in Gedanken die kostbaren Zeiten Revue passieren ließ, in denen sie es nicht gewesen war.

Ihr Blick fiel auf eine kleine Gruppe bekannter Personen, die vor einem Geschäft standen und sich unterhielten: Keiko O’Brien und Kasidy Yates mit ihren Kindern. Ein leises Seufzen stahl sich über Kiras Lippen. Sie erinnerte sich ebenfalls oft an die Zeit, in welcher sie Kirayoshi in sich getragen hatte. Sie verlangsamte ihren Schritt und hielt auf die kleine Gruppe zu. Als sie näher kam, konnte sie erkennen, dass sich auch Bareil Antos bei ihnen befand. Er saß auf den Treppenstufen, die zum Laden hinauf führten, und beschäftigte sich mit Jeremiah. Von Zeit zu Zeit war das unwillige Gesicht des Ladenbesitzers zu sehen, der sich versicherte, dass der Bajoraner nicht die Kundschaft abhielt, indem er den Zugang blockierte.

Doch Kiras Blick weilte nur kurz auf dem dunkelhaarigen Mann, stattdessen musterte sie im Näherkommen den Sohn ihres ehemaligen Kommandanten. Noch vor ein paar Wochen hatte er nicht einmal alleine stehen können und jetzt kostete es Bareil sichtlich Mühe, ihn daran zu hindern, auf eigene Faust auf die Promenade hinauszustürmen. Es kam dem Bajoraner nun zugute, dass er so lange Beine hatte. Mit ihnen bildete er einen natürlichen Laufstall um den quirligen Jeremiah. Es war erstaunlich, wie rasch der Junge gewachsen war. Kira hatte Bashir darüber reden hören, auch davon, dass er vor einem medizinischen Rätsel stand. Sie selbst war natürlich ebenfalls von dieser Entwicklung überrascht, doch in ihrer Vorstellung war es irgendwie nur rechtens, dass der Sohn des Abgesandten sich nicht wie andere Sterbliche verhielt. Sie war sich sicher, dass die Propheten wussten, was sie mit ihm vorhatten. Er würde sich zu einem stattlichen Mann entwickeln. Seine Energie sprach jetzt schon für sich.

„Guten Morgen.“ Kira blieb neben der kleinen Gruppe stehen.

„Nerys!“ Keiko wandte sich erfreut um. „Schön, Sie zu sehen. Lässt Ihr Job Ihnen Zeit, sich unter das Fußvolk zu mischen?“

Kira grinste. „Ich nehme sie mir einfach. Ein weiteres Vorrecht der Kommandantin.“ Sie beugte sich hinunter. „Hallo Molly, hallo Yoshi.“ Sie nahm den Jungen, den sie immer noch zu einem kleinen Teil auch als ihr Kind ansah, auf den Arm und wuschelte ihm durch die Haare.

„In ein paar Jahren wird er das überhaupt nicht mehr ausstehen können“, bemerkte Keiko lächelnd.

„Aber jetzt gefällt es dir noch, nicht wahr?“ Sie zerzauste zur Bekräftigung noch einmal seine Frisur, dann setzte sie den erstaunt blickenden Jungen wieder ab.

„Hallo Jeremiah.“

Seine Augen waren erstaunlich. In dem Moment, in welchem Kira begonnen hatte, die O’Brien Kinder zu begrüßen, hatte sich der Junge umgedreht und sie ruhig angesehen. Es lag etwas Abwägendes in seinem Blick, etwas ganz und gar Unkindliches. So als wolle er Kira die Chance geben, ihm die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken, oder ein entsprechendes Urteil über sie verhängen. Die Bajoranerin stockte kurz, als sie diesen Blick sah, dann jedoch verschwand der Ausdruck in den Augen des Jungen und er wirkte wieder wie ein gewöhnliches Kind.

„Hallo.“

Sie ging vor ihm in die Hocke. „Und, gefällt es dir hier auf der Promenade?“

Er nickte ernsthaft. „Ja, Ma’am.“

Kira blickte überrascht auf, ihr Blick traf denjenigen Bareils. Der Bajoraner lächelte entwaffnend und erklärte dann leise: „Von mir lernt er nur respektvolles Verhalten dir gegenüber.“

Sie wollte eben etwas Entsprechendes erwidern, als Yates bemerkte: „Ist es nicht verrückt? Jeremiah entwickelt sich nicht nur körperlich, sondern auch geistig in dieser Geschwindigkeit.“

„Es ist nur angemessen“, bemerkte Kira, während sie sich wieder erhob. Sie begegnete Yates‘ Blick, der sie warnte, wieder mit den Propheten anzufangen. Sie hob stumm ihre Schultern in einer ‚es ist aber so‘ Geste.

Keiko trat zwischen die beiden. „Wie wäre es, wenn Sie uns beim Frühstück Gesellschaft leisten, Nerys? Wir wollten zum Replimat.“

Die Bajoranerin sah sich in der Runde der Kinder um und ein kleines gemeines Grinsen erschien kurzzeitig auf ihrem Gesicht. Drei Kinder, die wahrscheinlich laufend etwas anderes wollten, versprachen ein nerviges Frühstück. Das wollte sie sich nicht entgehen lassen. „Einverstanden. Ich habe noch nicht gefrühstückt.“

Sie bemerkte Bareils ehrlich erfreuten Blick, und diesmal lächelte sie auch ihm zu.

Als sie gehen wollten, blieb Jeremiah stehen. „Krieg ich jetzt den Elefant?“

Yates und Bareil drehten sich zu ihm um. In beider Blick lag der gleiche Ansatz von Frustration.

„Hey, ich dachte, das Thema hätten wir hinter uns gebracht“, bemerkte der Bajoraner.

Neben der Treppe stand eine Statue in doppelter Jeremiah-Größe. Sie stellte einen aus einem edlen Stein gehauenen Elefanten dar, dessen Rückendecke durch Goldauflagen gebildet wurde. Sie sah sehr teuer aus.

„Das Ding hat keinen Platz in eurem Quartier, und deine Mutter kann es nicht bezahlen.“

„Und du?“

Bareil lachte auf. „Guter Scherz, Kleiner. Ich besitze so gut wie gar nichts.“

Der Blick des Jungen begann sich wieder zu verändern. Die Möglichkeit, ohne diese Trophäe von hier fortzugehen, schien in seinem privaten Universum nicht zu existieren. Trotzig stapfte er zum Laden zurück und schlang seine Arme um den Elefanten.

Das brachte den Besitzer auf den Plan. Hatte er die Belagerung seiner Treppe gerade noch geduldet, war die Misshandlung seines Eigentums zu viel des Guten. „Nehmen Sie Ihren Jungen da fort“, rief er Yates zu, während er selbst die kurze Treppe hinunterlief.

„Jerry, komm da weg.“ Yates setzte sich in Bewegung, um hinter ihrem Sohn herzulaufen.

Der Junge starrte den Ladenbesitzer an, wie dieser immer näher kam. Er war es nicht gewohnt, dass die Leute ihn anders als liebevoll oder mit Respekt, wenn es sich um Bajoraner handelte, ansprachen. Bisher war er noch von niemandem angefahren worden. Er fühlte sich bedroht und reagierte instinktiv.

Kasidy Yates war zu nah hinter ihm, um zu sehen, wohin ihr Sohn seinen Blick richtete, doch Bareil bemerkte die Veränderung in dem kleinen Gesicht. Seine Augen folgten denjenigen Jeremiahs.

„WEG DA!“ Sein erschrockener Ruf kam für alle unvorbereitet. Er lenkte die Aufmerksamkeit des Jungen für ein paar kostbare Sekunden ab, in denen der Bajoraner den Ladenbesitzer packen und zur Seite reißen konnte.

„Was ...!?“ Dann brach das Vordach seines Geschäfts zusammen. Mit lautem Krachen stürzten Metallstreben auf die Treppe, auf der er eben noch gestanden hatte.

Yates gelang es gerade noch, ihren Sohn in den Schutz ihrer Umarmung zu ziehen, sonst hätten ihn Splitter getroffen. Sie kauerte sich über ihm zusammen und wartete ab, bis das Nachlassen der Schmerzen in ihrem Rücken das Ende des Zusammenbruchs verkündete.

Als wieder Ruhe auf der Promenade einkehrte, fiel auch der Schock von Jeremiah ab. Entsetzt begann er zu heulen und klammerte sich an seiner Mutter fest.

„Shhh ... es ist alles gut. Es ist keinem etwas passiert. Alles in Ordnung“, versuchte sie das verstörte Kind zu trösten.

Der Ladenbesitzer rappelte sich benommen auf. „Wie konnte das passieren?“ Seine Frage galt Colonel Kira, die das Geschehen immer noch mit Überraschung betrachtete. Als Hausherrin dieser Station war sie auch für die Sicherheit auf der Promenade verantwortlich. Sie hatte noch nie zuvor davon gehört, dass Teile der Station einfach so abgebrochen waren.

Entgeistert berührte sie ihren Kommunikator. „Kira an Wartung, wir brauchen auf der Promenade ein paar Leute, die sich um eine Fassade kümmern können. Hier ist gerade ein Vorbau zusammengebrochen.“

Sie wartete ab, dass ihrer Order Folge geleistet wurde, dann ging sie zu den anderen hinüber, die sich gerade wieder vom Boden erhoben.

„Alles in Ordnung?“

Ein noch leicht betäubtes Nicken antwortete ihr von den drei Erwachsenen und schockiertes Heulen von Jeremiah.

Yates drückte ihn beschützend an sich, während sie Kira den Rücken zudrehte. „Habe ich irgendwelche Verletzungen da?“

Kira fuhr mit der Hand über ihre Bluse. Als sie ein paar kleinere Splitter abgewischt hatte, konnte sie sehen, dass der Stoff unversehrt war. „Nein, sieht nicht so aus.“

„Gut.“ Yates wandte sich wieder um. „Wir können von Glück sagen, dass Sie das haben kommen sehen, Antos.“

„Dem kann ich nur zustimmen“, erklärte der gebeutelte Ladenbesitzer. „Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn Sie mich nicht von der Treppe gerissen hätten.“

Bareil nickte nur. Seine gesamte Aufmerksamkeit galt dem weinenden Jungen, der den Elefanten nun gänzlich vergessen hatte.

* * *


So gerne er sonst zu den Gläubigen sprach, war Kai Sarius dieses Mal erleichtert, als die Andacht beendet war und die Letzten den Tempel verließen. Er blickte den Bajoranern nach, welche rechts und links der massiven Wand verschwanden, die den Gebetsraum visuell von den vorgelagerten Bereichen und dem Eingang trennte. Kein weltlicher Einfluss sollte die Möglichkeit erhalten seinen Weg durch die geöffneten Tore in den meditativen Innenraum zu finden. Die schwere, mit Reliefarbeiten verzierte Wand war zu beiden Seiten mit bodenlangen Vorhängen verhangen, so dass der Gebetsraum auf den ersten Blick eingangslos wirkte. Als der samtene Stoff sich hinter dem letzten Gläubigen schloss und die trägen Bewegungen des Materials zum Stillstand kamen, wandte der Kai sich zu seinem Assistenten um.

Vedek Gawen verrichtete seine Pflichten tadellos, darüber konnte Sarius sich nicht beschweren. Er beobachtete, wie sein Berater die zeremoniellen Gegenstände ordnete und in die Tücher zur Aufbewahrung einschlug. Die Bewegung der Hände wirkte dabei jedoch ungewohnt fahrig.

„Kannst du mir bitte erklären, was los ist?“ verlangte er schließlich zu wissen. Der Vedek hatte ihn während der Andacht regelrecht nervös gemacht. Ab einem bestimmten Zeitpunkt hatte er eine solche Unruhe ausgestrahlt, dass es dem Kai beinahe unmöglich geworden war, sich zu konzentrieren.

Gawen blickte von seiner Arbeit auf und verneigte sich dann ein wenig. „Ich kann es nicht erklären, Eure Eminenz. Ich hatte das Gefühl, etwas ist geschehen.“

Der Kai betrachtete ihn nachdenklich. „Das ist nicht gerade eine erschöpfende Antwort, Gawen.“

Der angesprochene Geistliche stapelte die nun ordentlich verschlossenen Stoffrollen in einem geflochtenen Korb, hob ihn an und wandte sich dann wieder an den Kai. „Es tut mir leid. Ich kann das Gefühl nicht in Worte fassen. Wenn Ihr gestattet, werde ich mich zurückziehen und versuchen, in der Meditation auf den Grund meiner Unruhe zu kommen. Vielleicht ist es gar nichts.“

Sarius nickte. „Tu das und lass mich wissen, was du herausfindest.“ Er blickte seinem Berater nach. Es kam in letzter Zeit so oft vor, dass der Vedek Dinge spürte, die dem Kai verborgen blieben. Entweder hatte Gawen eine lebhafte Fantasie entwickelt, oder er war weit empfänglicher für die sie umgebenden Energien als es der Kai war. Sarius fürchtete, dass letzteres der Fall war, was ihn beunruhigte. Es war nicht gut, wenn Gawen ihm stets einen Schritt voraus war.

Nachdenklich schritt er die mannshohen Kerzen im Gebetsraum ab, um jede einzelne mit einem langen Stab zu löschen, dann begab er sich in den hinteren Teil des Tempels, in welchem eine der Tränen aufbewahrt wurde.

* * *


Nach dem Frühstück, welches in Folge des erlebten Schreckens sehr viel ruhiger als erwartet ausgefallen war, hielt Bareil Kira zurück. Er berührte ihren Arm, während sein Blick den beiden Müttern mit deren Kindern folgte, die sich zum Ausgang bewegten. Kasidy Yates blickte sich nach ihm um. Als sie seine Handbewegung bemerkte, stahl sich ein verschwörerisches Lächeln auf ihre leicht besorgten Züge. Bareil war es nur recht, dass sie die Situation fehlinterpretierte. Hätte sie geahnt, was der Bajoraner wirklich besprechen wollte, hätte sie sicherlich nicht so bereitwillig Keiko O’Brien und die Kinder auf die Promenade hinaus gescheucht, um ihm seine Privatsphäre zu lassen.

„Nerys, ich muss mit dir sprechen.“

Die Kommandantin von DS9 schenkte ihm einen Blick, der nicht von übergroßer Geduld zeugte. „Ich habe keine Zeit, für private Besprechungen, ich muss auf die Ops“, versuchte sie sich dem, was sie befürchtete, dass es bevorstand, zu entziehen.

Bareil schüttelte den Kopf. Er wirkte ernster als sie es von ihm gewohnt war. In seiner Ernsthaftigkeit glich er noch mehr ....

„Es geht ausnahmsweise mal nicht um meine unsterbliche Liebe zu dir ...“, Kira verzog den Mund, „sondern um das, was vorhin auf der Promenade passiert ist.“

Sie hob die Augenbrauen. Bareil über ernsthafte Dinge sprechen zu hören, war ungewohnt. Es rüttelte an dem gesicherten, verächtlichen Bild, das sie aus Selbstschutz von ihm haben wollte. „Der Unfall mit dem Vorbau? Was ist damit? Wenn du mir sagen möchtest, dass ich in der Inspektion der Einrichtungen der Station zu nachlässig war ... Danke, diese Lektion habe ich vorhin gelernt.“

„Nein.“ Er setzte sich wieder, und sie folgte schließlich seinem Beispiel. „Das war kein Unfall, das war Jeremiah.“

Sie blickte ihn nachdenklich an, konnte aber keines der Zeichen erkennen, das sonst auf seine seltsamen Scherze hinwies.

„Ist das dein Ernst?!“ vergewisserte sie sich.

„Ja, das ist es. Er hat dort hinauf geschaut, kurz bevor alles zusammengebrochen ist.“

„Und?“ Sie wartete auf eine tiefere Erkenntnis.

„Er hat es ausgelöst.“

„Antos, übertreibst du es jetzt nicht? Du hast ebenfalls hinauf geschaut, deswegen konntest du den Ladenbesitzer rechtzeitig beiseite stoßen – und hast du deswegen auch den Abbruch ausgelöst?“

Er schüttelte den Kopf in Frustration. Es war so schwierig, dieses Gefühl in Worte zu fassen. In seinem Geist war alles klar, doch wenn er es aussprach, dann klang es irgendwie … lächerlich. „Aber ich habe es nur bemerkt, weil ich Jeremiahs Gesicht gesehen habe – verstehst du das denn nicht?“

Kira hob ihre Handflächen in einer hilflosen Geste an. „Erleuchte mich.“

Bareil seufzte. Sie machte es ihm nicht gerade einfach. „Er besitzt ganz offensichtlich Kräfte, die wir noch überhaupt nicht erfassen können.“

Sie sah ihn nachdenklich an, wie er versuchte, seine vagen Gedanken mit ausholenden Gesten seiner Arme in eine bessere Ordnung zu bringen.

„Hast du dir noch nie darüber Gedanken gemacht, wie es möglich ist, dass er die anderen Kinder so schwer verletzt hat? Oder hast du mal versucht, ihm etwas wegzunehmen, was er partout nicht hergeben möchte?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Seine körperlichen Kräfte sind enorm. Und ich fürchte, seine geistigen sind es ebenfalls.“

Sie schüttelte erneut den Kopf, dieses Mal war es nicht als Verneinung gedacht. „Das ist alles ein bisschen viel ... willst du damit andeuten, dass der Junge eine Art von Überwesen ist?“

Bareil zuckte mit den Schultern. „Das ist er aufgrund seines raschen Wachstums ohnehin schon.“

„Was sagt Kasidy dazu?“

„Ich habe mit ihr nicht darüber gesprochen. Sie macht sich schon genügend Sorgen um ihren Sohn. Ich möchte ihr nicht noch weitere aufbürden. Deswegen bin ich zu dir gekommen und nicht zu ihr.“

Kira nickte bedächtig. Sie konnte sich den Gemütszustand der Terranerin sehr gut vorstellen, wenn diese damit konfrontiert wurde, dass ihr Sohn zu allem anderen auch noch über telekinetische Fähigkeiten verfügen sollte.

„Weißt du“, Bareil legte die Hände vor sich auf den Tisch, einen Augenblick betrachtete er seine Fingernägel. Dann schenkte er ihr ein unsicheres Lächeln, „mir ist von diesen kryptischen Visionen gesagt worden, dass ich ihn beschützen soll. Ich glaube allmählich zu verstehen wovor.“
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