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Reading Reed

von Jimaine

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Spoiler: Silent Enemy & Shuttlepod One
"Trip. Was dagegen, wenn ich dich Trip nenne?" Fast zu laut tönt die Frage durch die leere Krankenstation, nachdem alle besorgten Besucher uns verlassen haben. Du denkst vermutlich, ich sei immer noch bewußtlos, doch ich wollte einfach nur nicht mit Jon oder sonst jemandem reden. Erschöpft und müde wie ich bin, schlafen kann ich nicht, zu vieles geht mir durch den Kopf. Die Bewußtlosigkeit war angenehmer. Wir haben überlebt, unsere Körper werden langsam wieder auf Normaltemperatur erwärmt...und das einzige, woran ich denken kann, ist deine Stimme, Malcolm Reed.

Natürlich hab' ich nichts dagegen, wenn du mich Trip nennst. Tut doch schon fast jeder hier. Nenn' mich Trip.

Und was für ein toller Trip war das...

Unser kleiner Ausflug hat mehr als deutlich gezeigt, daß wir verschiedener nicht sein könnten. James Joyce kontra Comics - damit ist alles gesagt.

Malcolm Reed...zu komplex für mein Vokabular, ich versuche gar nicht erst, mir einen Reim auf dieses Verhalten zu machen. Warum kann er nicht ein bißchen verständlicher sein? Etwas weniger "Ulysses" und etwas mehr "Unglaublicher Hulk", das würde helfen. Doch, hey, wann bekommt man schon das, was man will?

Während der letzten Monate hat sich niemand die Zeit genommen, dich kennenzulernen, Malcolm, oder? Du warst einfach nur da. Anwesend. Die stille, unaufdringliche Präsenz im Hintergrund, und solange unsichtbar, bis du gefragt wurdest. Kann nicht behaupten, selbst groß interessiert gewesen zu sein, was du so denkst... immerhin streiten wir uns öfter, als daß wir gleicher Meinung sind. Stets war der Grund dieser himmelweite Unterschied zwischen dem, was du für vertretbar hieltest und ich für machbar - leider setzte ich mich meist durch. Da sind wir allein im Nirgendwo, die Chancen für eine Rettung ziemlich gering... und meine einzige Gesellschaft ist stumm wie ein Fisch. Ich könnte in solchen Situationen nicht genug reden - ich würde sogar mit einer Topfpflanze reden, wenn du's wissen mußt - doch du schweigst. Und wenn nicht, dann ist jedes zweite Wort ein Nachruf auf die zwei unglücklichen Überlebenden der Enterprise.

Was zum Henker ist los mit dir, Malcolm? Nie gibst du dir eine Blöße, auch nicht, wenn du dem Tod ins Auge siehst. Wow, wahrer Heldenmut! Oder einfaches Aufgeben? Du meidest uns alle, beim Essen, außerhalb der Arbeitszeit, gehst deine eigenen Wege und weichst allen Unterhaltungen aus. Interessant. Gibt es einen Grund für diese Geheimnistuerei? Gewiß nicht die oft in Verruf gebrachte britische Erziehung. Ein Mann muß mit seinen Problemen allein fertigwerden, die eigenen Bedürfnisse zurückstellen und klaglos sein Schicksal hinnehmen. Mit Fassung, der berühmten "stiff upper lip", und sich nichts vormachen, keinen Illusionen hingeben. Wenn die Situation hoffnungslos erscheint, akzeptierst du das mit dieser unnatürlichen Ruhe, etwas das ich niemals fertigbrächte. Mann, was bin ich glücklich, auf der richtigen Seite des Teiches geboren worden zu sein...

Lieutenant Malcolm Reed macht sich sogar Gedanken um sein Aussehen als Leiche und greift vorsorglich zum Rasierer. Bei soviel ungeschöntem, zynischem Realismus würde wohl jeder losschreien. Und erst die Logbucheinträge... und die Briefe... diese elenden Briefe!

Trotzdem... im Shuttle, da wollte ich einfach nur schlafen und er nimmt einen Brief nach dem anderen auf - an Deborah, Roshelle, seine Eltern... egal was er behauptete, ich bleibe bei meiner Meinung: sie klangen alle gleich! Und eigentlich habe ich es sogar genossen, ihm zuzuhören. Hätte nichts dagegen gehabt, auf diese Weise meine letzten Stunden zu verbringen. Einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen, diese Stimme die letzte Erinnerung, die ich mitnehme - sanft, geschliffene Perfektion verglichen mit meinem schleppenden Mississippi-Jargon, Markenzeichen auf Ewigkeit. Läßt sich halt nicht ändern. Irgendwie klingt er immer traurig, selbst wenn er lächelt, oder lacht. Warum fällt mir das erst jetzt auf?

Besser gesagt: was hat Dr. Phlox mir für ein Zeug verabreicht? Bin ich das, der hier denkt? Jesus...wenn ich morgen aufstehe und glaube, mein Name sei Marilyn, werd' ich mich nicht wundern! Auf jeden Fall will ich so schnell wie möglich wieder an meine Arbeit.

Ich mag meine Arbeit. Ein Warpantrieb verwickelt mich wenigstens nicht in tiefschürfende Diskussionen, zu denen ich nur Schweigen beisteuern könnte, weil ich von den Themen nicht die leiseste Ahnung habe. Malcolm könnte das sicher, ich will's gar nicht erst. Lieber eine Doppelschicht samt Reinigung des Materierecyclingsystems.

Ich wette, Malcolm ist durch die Akademie gesegelt, ohne daß sein Blutdruck über Normal anstieg, einer, dem alles zuflog. Die Lehrer mögen solche Schüler wie ihn. *Sorgfältig ausgearbeiteter Lehrplan für eine ausgewogene Allgemeinbildung* - wohl höfliches europäisches Englisch für *der Rest der Welt ist unterbelichtet*? Hey, auch Superman, obwohl vom Planeten Krypton, war letztendlich ein einfaches Landei aus Smallville! Aber *das* interessiert den Nachfahren eroberungssüchtiger Kolonisten ja nicht. Seine englische Reedschaft liest "Ulysses"! Glücklicherweise war er nicht in meinem Jahrgang, ich hätte ihn ewig als Streber gehaßt! Jungs wie er waren ganz oben auf meiner Abschußliste und Topkandidaten für eine Schulhofprügelei. Wahrscheinlich ordnet er seine Bücher im Regal alphabetisch und paßt auf, daß auf dem Schreibtisch alle Stifte parallel liegen. Ich bin schon froh, wenn ich überhaupt einen Stift finde. Ich könnte nie seine Art von Disziplin aufbringen, damit hatte ich schon zu Akademiezeiten meine lieben Probleme. Wird jeder bestätigen können, nicht zuletzt der Captain. Arbeit ist Arbeit und Pflicht ist Pflicht, aber nebenbei muß es doch noch ein Leben geben!

Das sieht Malcolm Reed offenbar anders.

Das einzige Mal, wo sein Lachen nicht erzwungen wirkte, war an seinem Geburtstag vor ein paar Wochen, für einen kurzen Moment zeigte er sich wie ein Mensch mit normaler Gefühlsbandbreite. Hatte schon Angst, einen weiteren Vulkanier an Bord entdeckt zu haben, anspruchslos wie er ist, fast bis an den Rand der Selbstverleugnung. Nun zeigt sich, daß auch er geheime Wünsche hat, Erwartungen, doch sie nicht äußern will.

Der Geburtstagskuchen, diese banale Geste, ein Entgegenkommen aus Freundschaft und nicht bloß kollegialem Respekt, brachte ihn völlig aus der Fassung, wenn man dieses Entgleisen der Gesichtszüge - bei wem nimmt er eigentlich Unterricht, bei T'Pol? - als solches bezeichnen darf. Fast als wär' ihm das völlig neu. Halte ich für extrem unwahrscheinlich. Mann, was für Überraschungsparties durfte ich schon über mich ergehen lassen! Nun, vielleicht ist das in England nicht üblich. Was weiß ich denn, Europa ist schließlich Ausland. Und wen außerhalb von England interessiert's, wie die Engländer Geburtstage feiern? Bestimmt noch mit einer Extradosis Formalität. Gläserklingeln, steifen Verbeugungen und jeder Menge hochgestochener Reden. Seltsames Volk.

Und ausgerechnet ich hatte die zweifelhafte Ehre, mit einem Vertreter dieses Inselvolkes eingepfercht in einem Shuttle dem Ende als Tiefkühlkost entgegenzudriften.

Jackpot für Trip Tucker.

Ausgerechnet Malcolm Reed, der mir vom ersten Tag an etwas spanisch vorkam. Beziehungsweise englisch.

Und was passiert? Ich ende abermals als Schulter zum Ausweinen. Mit mir kann man's ja machen. Warum eigentlich immer ich? Was ist es an mir, daß alle Welt meint, mit ihren Problemen zu mir kommen zu müssen? Trip, der Kummerkasten, zur falschen Zeit am falschen Ort.

Oder war es dieses Mal genau der richtige Ort?

Das heißt nicht, daß ich daran denke, mich gleich als Seelsorger für Malcolm anzubieten, Himmel, nein danke, es reichte mir ja schon, diese Rolle für T'Pol zu spielen, und jetzt bei meinem inoffiziellen Patienten Nr.2 mache ich mir ernsthaft Gedanken über eine Zweitkarriere als Schiffscounselor! Dennoch tut er mir leid. Da waren wir mit weniger als zwei Tagen verbleibender Atemluft... Er hatte niemanden zum Reden und als einziger Mit*überlebender* ging selbiger Kelch natürlich nicht an mir vorüber...halleluja...

So manche Freundschaft hat unter weitaus schlechteren Bedingungen begonnen. Mein erster Kontakt mit Jon fällt zweifellos in diese Kategorie... genau genommen bestand der erste Kontakt zwischen meiner Faust und seiner Nase, in einer Bar auf Luna, so lange, bis jemand uns auseinander zerrte - der Rest ergab sich mit den letzten acht Jahren. Wenigstens haben Malcolm und ich uns nicht geprügelt. Viel hätte aber nicht mehr gefehlt.

Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß er nie für jemanden wichtig genug war, um wirklich Freund genannt zu werden, die Art von Freund, wie Jon einer ist. Gott, ohne Jon wäre ich mehr als einmal in der Hölle gelandet und wieder zurückgekommen, durchgebraten und einem Hufabdruck auf meinem Hintern, weil selbst der Teufel mich nicht hätte haben wollen! Mindestens einen solchen Freund braucht jeder im Leben, einer der sagt, was andere nicht sagen können. Ich wäre heute nicht hier ohne Jons guten Einfluß.

Wahrscheinlich würd' ich in einem verschlafenen Sumpfnest in St. Mary County kurz hinter Franklin Radios reparieren, einen schlechtgehenden Laden für Angelbedarf führen oder Bootstouren für gelangweilte Touristen organisieren...oder so was... Is' schon komisch, was andere Menschen bewirken können, ohne daß man sie darum bittet... Einfach so...

*Es gab mir zu denken...wir wissen nicht gerade viel über Malcolm, nicht wahr?* merkte Jon kürzlich nachdenklich an. Der Captain war nach seinem Gespräch mit Malcolms Eltern sehr sparsam mit seiner Meinung, doch ich kenne ihn gut genug, um das Nötige aus dem wenigen Gesagten herauszuhören. Auch jemandem wie mir braucht man nicht alles in Großbuchstaben aufzuschreiben: Im Hause Reed hängt der Haussegen schief und Malcolm vermeidet den direkten Kontakt zu seiner Familie. Jon erzählte mir nicht viel, erwähnte aber Mr. Reed Seniors offene Kritik an Malcolms Entscheidung, Starfleet beizutreten, anstatt im Einklang mit der Familientradition auf der Erde zu bleiben. Seit langem habe sich Malcolms Kontakt mit seinen Verwandten auf kurze Briefe beschränkt, nur ab und an eine Nachricht über seinen derzeitigen Aufenthaltsort.

Meine Familie würde die Wände hochgehen vor Sorge, allen voran Ma! Ma würde sogar persönlich und zu Fuß herkommen, wenn ihr Charlie es wagen sollte, länger als einen Monat nichts von sich hören zu lassen. Dagegen war Mrs. Reed laut Jon zwar beunruhigt, doch ging ihre mütterliche Sorge in der kühlen, herablassenden Mißbilligung ihres Mannes unter und wurde in den Hintergrund gedrängt. Mr. Reed Senior verzog angeblich keine Miene. Mit solchen Eltern würde ich auch nicht feiern wollen..

Muß schon hart sein, für die eigene Familie praktisch nicht zu existieren. Könnte ich mir nicht vorstellen. Meine Ma hätte sich das nie bieten lassen, hätte Dad mit der Bratpfanne hinter seinem Sohn und Stammhalter hergejagt, um ein fünfgängiges Menü, den selbstgebackenen Kuchen mit Kerzen, Glückwunschkarten und eine Tonne Geschenke abzuliefern.

Nun, es ist nichts Neues, daß Eltern was gegen die Berufswünsche ihrer Kinder haben, mein alter Herr war auch nicht gerade Feuer und Flamme, als ich ihm eröffnete, daß ich nicht nur die Stadt oder gar das Land, nein, sondern gleich den Planeten verlassen wolle. Starfleet...für ihn ein Wolkenkuckucksheim. Heute singt er Loblieder auf seinen Sohn, *den Ingenieur*. Eltern halt.

Soviel zu mir. Malcolm scheint weniger gute Erfahrungen gemacht zu haben und bislang hat er uns noch keinerlei Hinweise gegeben, was diese sein mögen. Er hält weiterhin argwöhnisch Sicherheitsabstand, lebt für seine Arbeit und wahrt seine Grenzen, ganz der überordentliche Sicherheitschef. Nichts dringt ein, nichts entkommt nach außen. Bin ja wirklich nicht gerade der Experte für Gefühlsangelegenheiten, das können leider zu viele Geschädigte bezeugen, und mit Worten tue ich mich mehr als schwer, aber selbst ich kann mit Sicherheit sagen, daß dieser Mann ein Problem hat. Und Probleme haben die Angewohnheit, größer zu werden, wenn sie ignoriert werden. Glück für mich, ich habe meinen besten Freund an Bord, der genau weiß, wann ich mehr meine als ich sage und ungefragt Kommentare und Ratschläge abgibt - so lästig sie auch sein mögen. Das macht einen Freund aus.

Stop!

Auszeit.

Wieso habe ich eigentlich angefangen mit dieser sentimentalen Amateurpsychoanalyse? Ingenieure sollten bei ihrem Handwerk bleiben und bislang war ich damit auch vollauf zufrieden. Maschinen und Technik sind weniger komplex als Personen, erleiden nicht so leicht dauerhaften Schaden, und ich kenne mich mit Technik aus. Nicht mit Personen. Mag unter anderem der Grund sein, daß es mit mir und Natalie nicht geklappt hat. Ach, Natalie aus Pensacola, Florida-Strandschönheit, blonde Haare, blaue Augen, bezauberndes Lachen...und dann schickt sie mir diesen simplen Brief und macht Schluß mit einer Beziehung, für die ich Hoffnung hatte. Es hätte was werden können mit uns, nur leider teilte sie diese Ansicht nicht. Ein schriftliches Aus, ohne mir die Gelegenheit zu einer Antwort zu geben.

Briefe.

Er raubte mir den Schlaf mit dieser Unmenge Briefe, gerichtet an die halbe weibliche Bevölkerung von San Francisco, und dennoch war seine Wortwahl... komisch. Er drückt sich ja für gewöhnlich schon immer so gewählt aus als schreibe er nebenberuflich die Reden für die Admiralität, doch dieser Briefe klangen merkwürdig... distanziert. Sagen wir's mal so: ich würde Natalie niemals einen solchen Brief als einzige Erinnerung hinterlassen! Dafür müßte ich mich im nächsten Leben auf ewig schämen! In der fraglichen Situation hat es mich einfach nur aufgeregt, ja sogar furchtbar genervt. Verdammt, ich war müde und wollte lieber schlafen als mich eventuell noch von dieser Das-Glas-ist-halb-leer-Einstellung anstecken zu lassen - ich schrie ihn regelrecht an. Liegt bestimmt an meiner angeborenen Frohnatur oder an Ma Tuckers Erziehung, immer den berühmten Silberstreifen am Horizont zu sehen. War aber wohl die falsche Reaktion. Malcolm ist ein Perfektionist, genauso frustriert wie ich durch seine Unfähigkeit, die Lage zum Besseren zu wenden, doch ich akzeptiere zumindest die Grenzen meiner eigenen Fähigkeiten. Ein abgebrühter Realist zudem, härter zu sich selbst als nötig. Ist das irgendwie genetisch bedingt? Vermutlich bekommt man ohne diese negative Weltansicht nicht mal die englische Staatsbürgerschaft. Daß es dieses Volk je geschafft hat, jahrhundertelang die führende See- und Handelsmacht zu bleiben, grenzt an ein Wunder....nebenbei produzieren sie dann noch solche wortgewichtigen Monster wie "Ulysses". Glücklicherweise habe ich diesen Schinken nie gelesen, den er auf den Flug mitgeschleppt hat, nur mal im Vorbeigehen den Klappentext und das hat mir schon gereicht. Meines Wissens nach hat der Romanheld ein ziemlich bedauernswertes Leben. Dann doch lieber Comics. Da bleibt wenigstens die Hoffnung auf Besserung im nächsten Heft, in der nächsten Folge. Schon sehr optimistisch, Comics, und in Comics ist immer alles möglich. Dieser Brite hat offenbar nie von Captain Britain gehört!

Hoffnung hin, Hoffnung her, ich habe trotz allem zur Schau gestellten Optimismus eine Heidenangst vor dem Tod - wer hat die nicht? - und diese gewann schließlich die Oberhand. Ich warf ihm einige Dinge an den Kopf, die ich schon Sekunden später bereute, doch was gesagt war, war gesagt und ließ sich nicht zurücknehmen. Sensenmann. Schwarzseher. Miesmacher. Was sein verdammtes Problem sei, ein klein wenig Hoffnung zu haben... Für diesen Mann sollte es eine leichtbegreifliche Gebrauchsanleitung geben!

Was dann folgte... Wie ich hier liege und spüre, wie die Wärme langsam in meinen Körper sickert, spielt sich die Szene in meiner Erinnerung ab, immer und immer wieder, in kristallklarer Schärfe.

Verflucht, ich war so wütend über soviel Passivität, diese...englische Arroganz, sich oh-so-nobel dem Tod zu ergeben! So wütend, daß ich die Kälte kaum spürte, die unaufhaltsam in meine Knochen kroch.

*Leben Sie etwas...das ist ein Befehl!*

Ob es am Alkohol lag oder ganz einfach daran, daß der Druck zu groß wurde, ich weiß es nicht, die emotionale Entladung war plötzlich wie heftig. Zum allerersten Mal seit ich ihn kannte, redete er, ließ seinen Worten freien Lauf. Gestand Gefühle, für die ich nicht einmal Namen gefunden hätte, Ängste und Sorgen sprudelten aus ihm heraus, vermutlich zum ersten Mal in Worte gefaßt. Etwas, das ich schon mal gar nicht könnte, selbst nicht mit dem Tod vor Augen oder wenn mein Leben davon abhinge. Ich würde schon über das zweite Wort stolpern. Alle Achtung, Mr. Reed...

*Ich will nicht sterben! Wie kommen Sie darauf, daß ich sterben will? Ist das wirklich wie Sie mich sehen?*

Wie denn sonst, Malcolm? Ich habe kein Talent für unterschwellige Botschaften, die 90% deiner Person auszumachen scheinen, du mußt schon auf das gesprochene Wort zurückgreifen!

*Ich habe fast jeden verloren, der mir etwas bedeutete.*

Tja, und mal wieder hatte ich mich mit einem beherzten Satz ins sprichwörtliche Fettnäpfchen begeben, und in diesem Fall war's sogar einÖlfaß!

Selbst schuld, Trip, weshalb nahmst du dir das Recht heraus, ihm sein Verhalten vorzuwerfen und nicht mit der Stichelei aufzuhören, bloß weil du der Meinung warst, ihm abnormale Gefühlskälte und fehlenden Überlebenswillen unterstellen zu dürfen? Dabei hatte er genauso Angst vor dem Sterben wie du, wenn nicht sogar mehr. Trip Tucker hat wenigstens etwas, wofür es sich zu leben lohnt...

Wirf' mir einer noch einmal vor, daß Comics zu einfach gestrickt seien - und ihre Leser erst recht! - ich werde demjenigen was erzählen! Spiderman, Batman, Daredevil...einsame Helden, jeder mit seinem eigenen Schicksal. Jeder geht mit Verlust und verletzten Gefühlen anders um. Die einen suchen menschliche Nähe, teilen ihren Schmerz mit Tränen und Worten mit, andere dagegen reagieren mit Stille, kapseln sich ab und verlegen sich darauf, mechanisch mit dem Tagesablauf fortzufahren.

Stille ist Malcolms Art.

Reed. Zufälligerweise sogar mein Lieblingscharakter bei den Fantastischen Vier, Reed Richards, ein genialer Bastler, wie ich's immer sein wollte. Bleib' beim Thema, Trip!

Und ich Idiot mußte natürlich weiterbohren, bis ich diesen Selbstschutz durchbrochen, ihn weichgekocht hatte, und statt des Berufsoffiziers plötzlich nur noch der Mann vor mir saß, dessen Gesicht ich so schnell nicht vergessen werde. Seine Tränen...

Schon enorm förderlich fürs Ego, jemandem in den letzten Stunden seines Lebens - des gemeinsamen Lebens, Trip, es hieß gemeinsam leben oder gemeinsam sterben, alles nur noch zusammen, die Stundenzahl war für euch beide die selbe! - noch dermaßen wehgetan zu haben!

Nicht viel in deinem Leben, Commander Charles Tucker III, auf das du stolz sein könntest, aber zumindest *das*!

*Ich habe fast jeden verloren, der mir etwas bedeutete und der einzige, der mir geblieben ist, denkt ich sei der verfluchte Todesengel!*

Mein größter Verlust wäre Jon gewesen. Hauptsächlich Jon. Mayweather, Hoshi und die anderen hätte ich vermißt, doch kannte ich sie noch nicht allzu lange. Glücklicherweise ist Trip Tucker jemand, der schnell überall Anschluß findet und zu Hause Familie und Freunde hat, mehr als er zählen kann. Auch nach dem Verlust der Enterprise. Trip Tucker brauchte keine Ersatzfamilie, das Leben meinte es gut mit ihm.

Keiner dieser Punkte trifft auf Malcolm zu. Verdammt, sogar Travis, grüner Fähnrich der er ist, fügt sich leichter in die Crew ein als Malcolm Reed. Haben sollte. Sogar T'Pol übertrifft ihn an sozialer Aktivität - hier spricht der Mann, dem sie mal genug vertraute, um über etwas sehr Privates zu sprechen. Ich würde nicht allzu viel darauf geben! Wahre Nähe ist für ihn genauso fremd wie Shakespeares Sonette für mich - kann auch sein, daß ich total falsch liege, vielleicht bedarf es einer in komplexeren Bahnen denkenden Person, um Umstände zu beschreiben, die ein einfacher Junge aus dem tiefsten Bayou wie ich unmöglich begreifen könnte. Keinerlei wahre Nähe zu seiner Familie wie auch zu den zahlreichen Empfängerinnen seiner schmerzhaft konformen Abschiedsnachrichten. Roshelle, Deborah, Caitlin... und so weiter.... Seine leise Stimme stockte mehrmals, als er mir erzählte, daß er sich zum ersten Mal auf der Enterprise wirklich zu Hause gefühlt habe. Dort hatte er gehofft, in der Gemeinschaft der Crew vielleicht sogar die eine oder andere Freundschaft schließen zu können, irgendwann, wenn er sich sicher genug fühlte, sein Einzelgängerdasein aufzugeben. Etwas, daß ihm nach eigener Aussage schwerfällt und nie ganz gelingt. Selbst zu seiner Familie. Gründe nannte er keine.

Für mich ist Familie das gewisse Unantastbare. Etwas, das eigentlich sein *muß*...und ich verstehe - ja, *verstehe* - nicht ganz, wie es jemandem anders gehen kann als mir. Malcolm, dessen Familie vorgibt, nie etwas von seiner Postierung auf der Enterprise gewußt zu haben. Malcolm hat keine Erinnerungen an lange Barbecue-Abende mit Onkeln, Tanten und der gesamten Nachbarschaft auf der Veranda, die Sommerluft schwer mit dem Geruch von Essen, von blühenden Magnolien, Rauch und dem Salz des nahen Ozeans. *Bin selbst meiner Familie niemals besonders nahegekommen...nicht, daß es Sie irgend etwas anginge, Sir...*

Autsch! All das ist fast schon zuviel, Jon, bitte, rette mich vor dem unausweichlichen Missionsbericht! Dem, in welchem ich alle Stimmaufzeichnungen belegen und bestätigen muß, inklusive unser betrunkenes Gelalle...

Ich weiß jetzt nur, daß der Anblick der zerstörten Enterprise bzw. des Trümmerfeldes auf der Oberfläche des Asteroiden, das wir für die Überreste der Enterprise hielten, für ihn ebenso endgültig und niederschmetternd war als wenn er selbst gestorben wäre.

War durchaus noch ein mögliches Ende.

Mir war nicht klar, was die letzten acht Monate auf diesem Schiff für dich bedeuteten, Malcolm, und es tut mir leid, ich hoffe du weißt das, auch wenn mir die Worte fehlten. Worte und ich sind nun mal verfeindet, daran ändert ein Malcolm Reed auch nichts. Du dachtest, deine 'Familie' sei tot...und ich benahm mich wie ein totaler Kotzbrocken.

Blies' ich also die verfluchte Kerze aus. Ein paar zusätzliche Minuten schienen plötzlich erstrebenswert.

Da waren wir beide, in Decken gewickelt und zitternd, und leerten in unserem neugefundenen Gemeinschaftsgefühl die Flasche Bourbon in einem Toast auf Subcommander T'Pols Hintern. Zwei Freunde kurz vor dem Ende. Und ich...ich fühlte mich seltsam, plötzlich Dinge über ihn zu wissen, die sonst niemand weiß, weder seine Eltern noch seine Schwester oder irgendeine geliebte Person - wenn es für ihn eine solche überhaupt gibt. Hat es je eine gegeben?

Ich konnte nur zu gut die überschäumende Freude nachempfinden, die er zeigte, als der Funkspruch von der Enterprise - der *Enterprise*, die wir für zerstört hielten! - einging. Yaaa-hooo!!! Rendezvous, das schönste Wort...doch nicht, wenn es erst in zwei Tagen stattfinden sollte...und wir weniger als 24 Stunden Sauerstoff zur Verfügung hatten.

Jeh, danke trotzdem für dieses Vertrauen, Malcolm, das nur dein zähneklappernder Mitinsasse der kleinen Kapsel auf dem Weg ins Jenseits genießen durfte, und das nicht nur, weil wir mit großer Wahrscheinlichkeit sterben würden, du bloß jemanden zum Reden brauchtest und ich als einziger zur Verfügung stand. Eine unbedeutende Geste unter anderen Umständen, doch für mich, in jenem Moment, bedeutete sie viel mehr. Ich konnte nicht in Worte fassen, was ich empfand. Es ist es mir nach wie vor unmöglich. Bin halt doch wohl eher das unbeholfene "Thing" der Fantastischen Vier. Danke, Reed. Tschüß. Mehr nicht.

Wie sollten wir uns, den kleinen, unbedeutenden Sensorenkontakt, bemerkbarer machen?

Das Innere des Shuttles war schon eiskalt, Rauhreif überzog alle Kontrollen, und so sehr ich selbst zitterte, so sehr ich Malcolm neben mir zittern sah, ich wollte mir nicht ausmalen, wieviel kälter es in seinem Inneren sein mochte.Als Südstaatenkind kann ich zumindest jederzeit an Wärme denken; Briten haben da einen entscheidenden Nachteil!

Selbst inmitten eines ganzen Schiffs voller Leute, kann eine einzelne Person dennoch so einsam sein?

Ausgerechnet er. So wie er aussieht, müßte er sich vor Angeboten nicht retten können - falls ihm Starfleet zu langweilig wird, würde meine Schwester ihn als Model groß rausbringen - und seine Stimme... Jetzt bin ich schon wieder bei seiner Stimme angekommen. Was ist es bloß an dieser Stimme? Zugegeben, sie ist angenehm, typisch britisch, doch habe ich noch nie auf anderer Leute Stimmen geachtet. Bei Malcolm war seine Stimme das Erste, was mir auffiel. Etwas an dieser Stimme war anders. Wirkte anders auf mich. Und ich werde noch verrückt, wenn ich nicht bald herausfinde, was es ist! Oder ist es vielleicht gar nicht seine Stimme? Vielleicht etwas ganz anderes. Hm. Zu hoch für mich. Vielleicht *noch* etwas anderes... Seiner Umwelt gegenüber gibt er sich als undurchdringliches Mysterium, doch dann und wann deuten seine Lippen dieses flüchtige Halblächeln an. Fast so dreideutig wie T'Pols Mimik und, Jesus, hasse ich ihr nichtvorhandenes Mienenspiel! Fünf Mann könnten zehn verschiedene Antworten in einem einzigen Satz finden! Genauso bei Malcolm manchmal. Besser wir wissen es nicht, denke ich.

Letztendlich, in unserem speziellen Fall, ließ er es mich allerdings wissen. Er war derjenige mit dem heldenhaften Einfall, überzeugte mich, entgegen meines besseren Wissens den Impulsantrieb abzuwerfen und zu sprengen. Er rettete uns. Ich entschied mich aus dem Bauch heraus, ihm zu vertrauen und er hat mich nicht enttäuscht. Ganz im Gegenteil....*ganz* im Gegenteil. Vielleicht ist da ja was dran an dem Spruch mit den sich anziehenden Gegensätzen...oder mein Gehirn ist schlicht und ergreifend noch zu kalt zum klaren Denken. Was war das? Anziehung?! Mein Gehirn hat noch lange nicht seine optimale Arbeitstemperatur erreicht. Wie käme ich sonst auf solchen Blödsinn? Anziehung. Was soll denn bitte was anziehen? Oder wen?

Der Rest Bourbon... wir beide total betrunken... die Luftschleuse die letzte Chance für einen von uns, doch noch zu überleben... und vielleicht ist Trip Tucker doch mehr als "The Thing", denn trotz meiner taktlosen Bemerkungen hast du mich mit aller Macht zurückgehalten und meinen Anflug von Heldenmut mit gezogener Waffe verhindert, wolltest sogar selber in die Luftschleuse steigen. Etwas, das ich unmöglich zulassen konnte. Hey, als ranghöherer Offizier stand mir das Privileg des Sich-Aufopferns zu, ich war für *dich* verantwortlich, nicht umgekehrt. Oder wolltest du bloß nicht alleine zurückbleiben, alleine sterben? Wie ich sagte...ein Held zu sein, es steht dir nicht. Oder doch? Wollte ich die Rolle nur für mich selbst, Mr. Charles "Trip Clark Kent" Tucker, Superman von Shuttlepod One?

Befehlverweigerung, Lieutenant, hah...sorry dafür. Du hast natürlich richtig gehandelt. Ich war selbstsüchtig, auf eine Weise...und du nanntest mich zu Recht einen Feigling. Bin ich wohl auch...auf eine Weise. Auf meine Drohungen reagiertest du überhaupt nicht.

*Für wen, zum Teufel, halten Sie sich eigentlich?*

*Für Ihren Waffenoffizier..und vielleicht Ihren Freund.*

*Freunde erschießen einander nicht!*

Die brutale Wahrheit. Auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt - zum ersten Mal wirklich...und hart - hielt ich inne. Was sollte ich dem noch entgegensetzen?

Besser wir beide zusammen...als einer von uns alleine.

Was sagte er da? *Ich habe viel zu viel Zeit investiert, mir über Sie klarzuwerden, Mr. Tucker, und ich werde nicht akzeptieren, daß es alles umsonst gewesen sein soll!*

Und so landeten wir hier bei Dr. Phlox in der Krankenstation. Trautes Heim...

Ruhig atme ich weiter, konzentriere mich auf das stärker werdende Kribbeln in meinen unterkühlten Gliedmaßen, lasse mir immer noch nicht anmerken, dass ich wach bin. Wenn ich genau hinhöre, kann ich ihn atmen hören. Ein. Aus. Ein...eine Unterbrechung, ein Zögern. Dann...aus. Der gleichmäßige Rhythmus schläfert mich ein und ich lasse es geschehen, lasse mich fallen. Unendlich langsam aber stetig komme ich dem Ziel näher, eingesogen vom Schwarzen Loch von Schlaf und Traum.

Mitgefühl. Sympathie. Dankbarkeit. Verständnis. Freundschaft. Zuneigung...

"Trip. Was dagegen, wenn ich dich Trip nenne?"

Warum sollte ich, Malcolm? Nenn' mich wie du willst.

Die Anziehung wird stärker...ich falle...

"Schlaf' gut, mein Freund."

Gleichfalls.

"Träum' was Schönes."

Tue ich bereits. Mein bester Traum seit langem...und mit etwas Glück dauert es noch eine Ewigkeit, bis ich wieder aufwache.

Ende
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