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Traumschatten

von Martina Bernsdorf

Kapitel 1

Das Geräusch von Regen tobte durch Kira Nerys Traumwelten, sie bewegte sich unruhig im Schlaf und kämpfte mit ihrer Decke bis sie schließlich am Bettende zu einem unordentlichen Bündel hinab geschoben war.

Doch auch das beruhigte ihren Schlaf nicht, ihre Träume waren voller Schatten. Schatten jener Art, die sie am meisten fürchtete, die Schatten der Vergangenheit, denen sie in ihren Träumen nie entgehen konnte.

Im Wachzustand gab es die Schranken logischer Betrachtung, die tausend Ausreden wieso und warum man dies und jenes getan hatte, Entschuldigungen für Taten deren Konsequenz weitreichend waren.

Rechtfertigungen für das Blut, das an ihren Händen klebte, aber in den Träumen gab es diese Fluchten nicht, in diesen Welten wurde jede Erklärung, jeder Versuch sich selbst zu vergeben und anderen, vernichtet - hier herrschten die Dämonen.

Hier wurde mit einem Schlag die Vergangenheit lebendig, unabänderlich wie im realen Leben, doch mit dem Schrecken der bewussten Konsequenz des eigenen Handelns.

Hier konnte man tausendmal die Flucht aus dem Singha-Flüchtlingslager erleben, tausendmal den Verrat, tausendmal den Tod ihres Freundes Tender, tausendmal den angsterfüllten Ausdruck in Renons Augen als die Cardassianer ihn fortschleppten, zurück zum Lager, zurück zu seinen Peinigern, zu seinem Vergewaltiger.

Nicht einmal der relative Frieden eines Traumgespinstes war ihr gegönnt, in dem sie sich nicht im Unterholz verkroch, nicht die Ohren zuhielt, nicht schwieg.

In diesem Träumen war es grausam real, ihr Schweigen, ihre Angst und ihr Verrat, in diesem winzigen Sekunden, die sich im Traum immer und immer wieder wiederholten, hätte sie Tender und Renon durch einen Schrei warnen können.

Doch selbst ein Traum in dem sie durch eine heldenhafte Tat ihre Freunde rettete war ihr nicht vergönnt.

Kiras Hände bewegten sich unruhig auf dem Bettlaken, selbst im Schlaf kämpfte sie.

***

Regen, die Tropfen waren so dicht, dass es fast wie ein Vorhang aus Wasser wirkte, eine Welt tief unter dem Meeresspiegel.

Nerys wünschte sich dorthin, hinab ins Meer, wo kein Cardassianer sie finden konnte.

Sie schauderte im kalten Regen und kauerte sich enger zusammen, ihre Finger strichen im monotonen Rhythmus über die kleine Holzfigur in ihren Händen. Ihr ältester Bruder hatte die Figur geschnitzt, grob aber mit der Kunstfertigkeit, die er von seiner Mutter geerbt hatte.

Die Holzkatze war aller Trost der Nerys geblieben war, als ihre Brüder im Sommer geflohen waren, um sich dem Widerstand anzuschließen. In ihren Träumen floh sie auch, um in die Berge zu gehen, dort würde sie ihre Brüder wiedersehen und zusammen würden sie kämpfen bis die Cardassianer vertrieben waren.

Tränen perlten über ihre Wangen, sie bemerkte es nicht, sie vermischten sich mit dem kalten Regen, abertausende von Tränen waren in Singha-Lager geweint worden und genauso wie der Regen versickerten sie im Boden.

Nerys war erst zwölf Jahre alt, aber sie war in diesem Lager aufgewachsen und wusste deshalb genau, dass der Traum nur ein Gespinst war, fein und vage wie der Herbstnebel und genauso durchsichtig und leicht zu vertreiben.

Ihre Finger rieben über die glatte Oberfläche der Katze, über das prasseln des Regens konnte man in der Ferne die unterdrückten Schreie eines Kindes hören. Nerys umklammerte die Figur fester und legte die Arme um ihre spitzen Knie, um sich dann langsam vor und zurück zu wiegen.

Es lag eine Spur von Trost in dieser Bewegung, sie konnte die Augen schließen und sich vorstellen ihre Mutter würde sie halten und wiegen, sie in den Schlaf singen.

Sie konnte sich an Yarell nicht mehr erinnern, das einzig klare Bild, das sie vor Augen hatte, waren die cardassianischen Soldaten, die eine schmale, stille Gestalt grob wegschleppten.

Eine Ansammlung von zerlumpten Kleidungsstücken, ein paar Strähnen braunen Haares, das war alles was in Nerys‘ Erinnerung noch vorhanden war und die Stimme ihrer Mutter.

Die sanfte Stimme, die dennoch so stark schien, niemand konnte ihr die Erinnerung an diesen Klang nehmen.

Ein spitzer Schmerzensschrei drang an ihr Ohr, Nerys riss die Augen wieder auf und starrte in das aufziehende Dunkel.

Es war nicht ungewöhnlich, das im Singha-Lager Schreie die Nacht zerrissen, Schreie gehörten zu dem Lager, so wie der Tod, der sich nachts an einen schleichen konnte, wenn man ohne Decke im Winter erfror, oder an Unterernährung starb.

Oder man konnte ihm auch ins Gesicht sehen und dieses Gesicht war immer gleich, die reptilienartigen Auswüchse und Knorpelvorsprünge, der Tod hatte ein Gesicht in den Flüchtlingslagern und es war ein Cardassianisches.

Nerys starrte ins Dunkel, in den Regen, sie war froh, dass sie die Baracken nicht sehen konnte. Dort hatte jemand ihren Platz eingenommen, eines der Kinder des Lagers, nachdem der Cardassianer von der Tatsache enttäuscht war, dass sie kein Junge war, sondern ein Mädchen.

Man hatte sie gehenlassen, sie hatte noch immer den Geschmack der Süßigkeiten auf der Zunge, die ihr der Cardassianer gegeben hatte, bevor ihr bewusst wurde, was er wollte.

Bevor man ihr die Hose herunter gezerrt hatte und der Cardassianer auf seinen Irrtum aufmerksam wurde.

Sie hatte sich im Regen wiedergefunden, von einem wütenden Wachposten der bei seinem Beutefang versagt hatte, in eine Pfütze gestoßen.

Man hatte Ersatz gefunden, ein weiterer Schrei übertönte das Geräusch des Regens, Nerys schloss die Augen und versuchte sich an die Stimme ihrer Mutter zu erinnern.


***

Kiras Augen bewegten sich hektisch unter den Lidern, eine Träne quoll zwischen den Wimpern hervor und rollte über ihre Wange, doch sie erwachte nicht, die Traumschatten waren noch nicht mit ihr fertig.

***

Es war der erste Tag der Freiheit, der erste Tag nach der Flucht aus dem Singha-Lager. Der Geruch der ganzen Welt schien sich verändert zu haben. Nerys zog den Duft von frischem Holz, Kiefernnadel und selbst den kalten Wind, der den nahen Winter verriet, in ihre Lungen.

Tender und sein kleiner Bruder Renon waren noch in der Scheune, die ihnen Mecan, der freundliche, bajoranische Bauer zum Übernachten angeboten hatte. Dies war die Freiheit, sie streckte die Arme aus, so als wolle sie den Wald, ganz Bajor umarmen.

Sie würden in die Berge gehen und vielleicht waren ihre Träume doch keine flüchtigen Schatten, keine Nebel die im Sonnenlicht schwanden.

Renon würde sich in den Bergen wieder erholen, Tenders Bruder hatte Schreckliches erlebt und hatte noch nicht aus der Welt gefunden, in die ihn der Cardassianer geworfen hatte, als sich an ihm verging.

Nerys fühlte sich ein wenig schuldig, Renon war es gewesen, den der übellaunige Wachposten gefunden hatte, nachdem sie sich als Fehlgriff für die sexuellen Gelüste des cardassianischen Offiziers erwiesen hatte.

Sie schauderte im kalten Wind und ging wieder in Richtung der Scheune, als sie Mecan mit einem Trupp Cardassianer erblickte. Ehe man sie entdecken konnte, sprang sie mit einem verzweifelten Satz ins Unterholz und drückte sich so flach es ging auf den Boden.

Sie sah wie Mecan für seinen Verrat mit einem Beutel voll Latinum belohnt wurde, all ihre Träume, all ihre Illusionen über die Freiheit, über die Bajoraner wurden in diesem Sekundenbruchteil vernichtet.

Sie öffnete den Mund um Tender zu warnen, er hatte den Phaser des Wachpostens, den sie bei ihrer Flucht getötet hatte.

Aber kein Ton drang aus ihrer Kehle, sie konnte nur stumm zusehen wie man schließlich den toten Tender aus der Scheune zog, in seinen Augen war Erschrecken und Unglaube, doch der Tod hatte schon einen milchigen Schleier darübergelegt.

Renons Schreie drangen an ihr Ohr, als man ihn in das Transportfahrzeug der Cardassianer schleppte, zurück zum Lager, zurück zu den Cardassianern die sich an ihm vergingen.

Nerys presste die Hände gegen die Ohren, aber die Schreie hörte sie dennoch, hörte sie in den Träumen, immer und immer wieder.


***

Kira schreckte endlich aus dem Schlaf, sie saß kerzengerade im Bett und starrte in die Dunkelheit.

Die Traumschatten umwogten noch ihr Bewusstsein, es war fast als könne sie Renons Schreie noch immer hören.

Sie fuhr sich mit einer energischen Geste durch ihr kurzgeschnittenes Haar und schüttelte den Kopf. Selbst nach all den Jahren ließen diese Träume sie noch immer nicht in Ruhe.

Sie waren seit der Befreiung, seit den Jahren auf DS9 als Erster Offizier, seltener geworden, doch noch immer waren sie so real, so erschütternd, so schmerzlich wie einst.

Kira blickte ins Dunkel, sie wünschte neben ihr würde Bareil liegen, er hatte immer gewusst wie man die Dämonen ihrer Traumschatten vertreiben konnte, in seinen Armen hatte sie Ruhe gefunden und die Träume dorthin bannen können, wo sie hingehörten, in die Vergangenheit.

Doch Bareil war tot und es gab ganz spezielle Alpträume, die sich mit diesem Verlust beschäftigten, aber es gab auch sehr viele schöne Träume über Bareil und das war ein Trost der ihr bei den anderen Träumen versagt blieb.

Sie dachte an Shakaar, sie waren erst seit wenigen Wochen ein Liebespaar, aber er befand sich auf Bajor und die Chance in seinen Armen noch ein wenig unbeschwerten Schlaf zu finden, damit dahin.

Kira dachte an Renon, mit ihm verband sie eine Menge Traumschatten der schlimmsten Art.

An Schlaf war ohnehin nicht mehr zu denken, sie stand auf und suchte im Dunkel nach ihrer Kleidung, die Jahre im Untergrund hatten sie gelehrt, sich auch ohne Licht anzukleiden und diese Fähigkeit nützte sie heutzutage unbewusst.

In wenigen Stunden würde die Sonne über Bajor aufgehen und sie wusste wo sie zu diesem Zeitpunkt sein wollte.

***

Kira kauerte auf der Steinmauer und überlegte warum sie das eigentlich tat, es brachte schlechte Erinnerungen mit sich.

Sie schüttelte den Kopf und sprang geschmeidig von der Mauer, sie federte beim Aufkommen ab und bahnte sich im Zwielicht der Morgendämmerung einen Weg durch den wilden Garten.

Heckenrosen verbreiteten ihren durchdringenden Duft, noch waren die Blüten, der rosafarbenen und weißen Rosen geschlossen.

Bodennebel, feucht, klamm und den nahen Herbst verratend umwogten ihre Stiefel und wallte auf wenn sie durch sie hindurch schritt.

Sie blieb beim ersten Grab stehen und versuchte den Grabstein zu lesen, doch blühendes Unkraut hatte den Stein umschlungen und barg seinen Namen wohl. Doch ihre Erinnerung war gut genug, dies war nicht das Grab nachdem sie suchte. Sie schritt weiter und blieb vor der Stätte stehen, die sie gesucht hatte. Jemand hatte hier mit viel Geduld die Unkräuter soweit kultiviert, dass sie einen blühenden Teppich auf dem Grab bildeten.

Tau funkelte in den zarten Blüten der Wicken und ein kleiner Rosenbusch wuchs an einer Seite des Grabsteines und rankte sich bereits um einen Teil davon. Kira blieb hier stehen und ihre Fingerspitzen strichen über die Buchstaben, als sie das erste Mal an diesem Ort gewesen war, hatte es noch keine Gräber im wilden Garten gegeben.

***

Nerys kauerte auf dem verwitterten Stein der Mauer, die das Waisenhaus umschloss.

Die Cardassianer hatten ein altes Landhaus zu diesen Zwecken geräumt und unter ihre Verwaltung gestellt. Nerys bezweifelte nicht, dass sie es hier nur mit einer perfideren Form eines Flüchtlingslagers zu tun hatte, mit all den Schrecken die das Lager kannte.

Welche Cardassianer boten sich schon an, ein Waisenhaus auf Bajor zu leiten? Solche die leichte Beute für ihre Gelüste suchten!

Nerys Hände umklammerten den feuchten Stein, wie gerne würde sie ein Stück herausbrechen um damit einen Cardassianer den Schädel einzuschlagen!

Sie blickte sich aufmerksam um, nirgendwo war ein Cardassianer auszumachen, vorsichtig sprang sie herab und nützte den wilden Garten zur Deckung.

Es hatte einige Jahre gedauert, ehe sie Renons Aufenthaltsort ausfindig gemacht hatte. Nerys hatte nie gedacht ihn je lebend zu finden, sie hatte befürchtet er wäre einer der vielen Bajoraner die man Namenlos in einem Massengrab verscharrt hatte.

Shakaar war mit ihrem Ausflug hierher sicher alles andere als einverstanden, doch sie würde ihm auch nichts davon erzählen. Er musste nicht wissen, dass sie ihre kleine Diebestour um Energiespeicherzellen zu stehlen, für diese privaten Angelegenheiten nützte.

Zwar kämpfte sie seit ihrer Flucht vor 6 Jahren an seiner Seite, aber sie war sich nicht sicher ob er es verstehen würde und er würde Fragen stellen, die Nerys nicht beantworten wollte.

Warum sie das Schicksal dieses einen Bajoraners so interessierte, warum sie sich schuldig fühlte.

Aus dem Landhaus strömten jetzt Kinder verschiedenen Altes, etliche von ihnen wiesen Verkrüppelungen auf und ein paar halb cardassianische, halb bajoranische Mischlinge waren darunter.

Nerys verspürte Abscheu vor diesen Mischlingen, sie waren zu sehr Cardassianer um sie nicht zu hassen.

Eine hochgewachsene Cardassianerin bedachte eines der Halbblutmädchen mit einem Lächeln und schickte die Kinder zum Spielen, ehe sie mit einem wachsamen Rundblick, der Nerys dazu veranlasste in den Schatten der Büsche zu verschwinden, den Garten überblickte.

Das letzte Mal als Nerys Renon gesehen hatte, war er ein kleiner Junge gewesen, nun war er fast ein Mann.

Sie beobachtete ihn forschend, etwas an ihm irritierte sie, in seinen Augen war eine Leere, die erschreckend wirkte.

Er war ein ausgesprochen hübscher junger Mann geworden, sein schwarzes Haar fiel ihm etwas in die Stirn und sein Gesicht erinnerte Nerys an Tender.

Sie verbrachte den Vormittag damit ihn zu beobachten und um eine Möglichkeit abzupassen ihn allein anzutreffen.

Er schien keine Verletzungen der Art zu haben, die Nerys das letztemal an ihm gesehen hatte, keine blauen Flecken in Form eines Daumenabdruckes an seinem Kiefer, kein Ausdruck von Schmerz in seinen Augen, überhaupt kein Ausdruck und das schien viel schlimmer zu sein.

Gegen Mittag bekam sie die Chance auf die sie gewartet hatte, Renon saß abgesondert von den anderen im Gras.

»Renon.« Nerys Stimme zitterte, so viele Jahre hatte sie mit der Schuld gelebt, mit dem Traum, indem sie Tender sterben sah und Renon von den Cardassianern verschleppt, zurück zu seinen Vergewaltigern.

Der junge Mann sah auf, in seinen hellblauen Augen war ein Funke zu erkennen, der zuvor nicht dagewesen war. Er sprang gewandt auf die Füße und trat zu der Stimme die ihn rief.

Nerys überlegte später ob ihre Stimme eine Erinnerung in ihm wachgerufen hatte, oder ob er auf jeden Ruf so reagiert hätte. Eine Frage, die sie nie beantwortet fand.

»Renon.« Nerys suchte in seinen Augen nach einem Erkennen, doch sie hatte sich schließlich in den sechs Jahren verändert, vielleicht erkannte er sie nicht.

»Ich bin es, Nerys!« In den hellblauen Augen blitzte nichts auf, sie musterten sie neugierig, unbefangen und ohne Geist.

Das war es, Nerys schauderte und begriff was mit ihm geschehen war. »Renon!« Ihre Stimme brach unter dem Aufschwall von Gefühl, von Schuld, von Wut, von unbändigem Hass gegenüber den Cardassianern.

Er streckte die Hand aus, ein kleiner roter Ball lag darin, die Farbe blätterte bereits ab.

»Willst du mit mir spielen?« Seine Stimme war sanft, langsam und vielleicht war es das einzige was er seit Jahren sprach.

Nerys spürte kaum die Tränen, die ihr an den Wangen herabrannen. Was war mit ihm geschehen? Sie versuchte nicht daran zu denken, was man ihm angetan hatte, das sich seine Seele, sein Geist soweit zurückgezogen hatten, das ihn nichts mehr verletzen konnte.

Er war in seine eigene Welt geflohen, in eine Welt wo es nur einen roten Ball und das Spiel damit gab.

Nerys wich zurück und rannte zur Mauer, sie schwang sich geschickt hinauf und rannte, sie rannte bis ihre Lungen brannten, doch sie wusste genau, ihren Träumen würde sie nie davonrennen können.

***

Kira lächelte bitter, darin davonzurennen, war sie gut gewesen, sie war Jahrelang vor diesem Ort davongerannt.

Es wurde Zeit, dass sie sich diesem Platz und den Geschehnissen stellte, die sich hier zugetragen hatten. Zeit für ihre Fehler, für ihr Versagen geradezustehen.

***
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