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Tödliche Gedanken

von Martina Strobelt

Kapitel 1

Captain Jean-Luc Picard stand im Transporterraum der Enterprise und zupfte verstohlen an seiner Galauniform. Er hätte es vorgezogen, auf der Brücke zu sein, aber es gehörte zu den Pflichten eines Kommandanten, hochrangige Gäste persönlich an Bord zu begrüßen. Im Prinzip war gegen diese Aufgabe auch nichts einzuwenden. Wenn es sich bei dem betreffenden Gast jedoch um Lwaxana Troi handelte, dann war sie alles andere als angenehm. Die betazoidische Botschafterin hatte ihre eigenen Vorstellungen von Diplomatie, und der Captain der Enterprise dachte mit Schaudern an ihren letzten Besuch, den sie dazu genutzt hatte, ihn mit ihren amourösen Avancen regelrecht zu verfolgen. Er bezweifelte, ob es ihm diesmal gelingen würde, höflich zu bleiben, wenn sie ihm erneut vor der gesamten Besatzung Komplimente wegen seiner Beine machen oder ihm irgendwelche unanständigen Gedanken in Bezug auf ihre Person unterstellen sollte. Hätte er geahnt, dass Lwaxana sich gerade in einer diplomatischen Mission auf Risa befand, wäre er niemals dem Vorschlag Commander Rikers gefolgt, diesen Planeten zwecks dringend benötigten Landurlaubs der Besatzung anzufliegen. Aber jetzt war es zu spät für Selbstvorwürfe.
Picard bemerkte, wie Counselor Troi, die neben ihm im Transporterraum stand, ihm einen mitleidigen Blick zuwarf und beeilte sich, seine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.
Also gut, dachte er ergeben. Bringen wir es hinter uns. Er atmete tief durch und wandte sich dann an den Transporterchief. »Mister O’Brien, Energie!«
Wenig später begann es auf der Plattform bläulich zu schimmern. Doch wider Erwarten, erfolgte keine Rematerialisierung der Partikel. Stattdessen leuchteten plötzlich zahlreiche rote Lichter an der Schalttafel der Transporterkonsole auf, begleitet von einem lautem Heulsignal. »Warnung«, erklang eine elektronische Stimme. »Gefahr einer Kontamination. Warnung.«
Picards Hand flog zum Kommunikator. »Bodenkontrolle Risa, hier Enterprise. Es gelingt uns nicht, die Botschafterin an Bord zu beamen. Sie müssen sie zurückholen. Ich wiederhole, Sie müssen Sie zurückholen!«
»Hier Bodenkontrolle Risa«, kam die betroffene Antwort. »Tut uns sehr leid Enterprise, aber es gelingt uns nicht, überhaupt irgendetwas zu erfassen.«
»Oh mein Gott!«, stieß O’Brien hervor. »Wir verlieren ihr Muster.«
Vor den entsetzten Augen Picards und Counselor Trois, begann der Chief damit, hektisch diverse Schalter zu betätigen.
Dann plötzlich brach das ohrenbetäubende Heulen ab. Ein letztes Flimmern und Lwaxana Troi rematerialisierte auf der Transporterplattform. Einen Moment stand sie schwankend da, dann stürzte sie bewusstlos zu Boden.

* * *

Captain Picard runzelte die Stirn und tauschte einen besorgten Blick mit dem neben ihm im Transporterraum stehenden Commander Riker, ehe er sich erneut dem Chefingenieur der Enterprise zuwandte. »Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Mr. LaForge, dann handelte es sich hier überhaupt nicht um einen Unfall?«
»So ist es, Sir«, antwortete der Angesprochene langsam. »Es war eindeutig Sabotage. Lieutenant Barclay«, er deute auf den jungen technischen Offizier, der gerade dabei war, die Klappe der Transporterkonsole zu schließen, »hat herausgefunden, dass jemand sich am Transporter zu schaffen gemacht hat. Der oder die Unbekannte hat den Zugangscode geknackt, sämtliche Sicherheitssperren umgangen und dann das System neu programmiert. Als unmittelbare Folge dieser Manipulation registrierte der interne Filter das genetische Muster von Mrs. Troi als gefährliche Substanz und reagierte automatisch mit den entsprechenden Abwehrmaßnahmen.«
Bei diesen anerkennenden Worten seines unmittelbaren Vorgesetzten war verlegene Röte in die blassen Wangen des so Gelobten getreten.
Ein fähiger Mann, dachte Picard insgeheim. Er hätte das Zeug zu einem guten Offizier, wenn er nur ein wenig mehr Selbstvertrauen hätte. Er atmete tief durch. »Demnach hat jemand also offenbar versucht, Lwaxana zu ermorden?«
LaForge nickte. »Kein Zweifel möglich, Sir. Die Manipulation betraf ausschließlich ihren genetischen Code. Und da laut Transporterprotokoll seit der unberechtigten Umprogrammierung niemand mehr das Schiff verlassen hat, muss der Täter noch an Bord der Enterprise sein.«

* * *

Lwaxana saß in einem der bequemen Sessel ihres Gästequartiers und musterte ihren Besucher durchdringend. Ein sicheres Zeichen dafür, dass sie versuchte, seine Gedanken zu erforschen. Commander Riker seufzte und begann sich darauf zu konzentrieren, sämtliche Überlegungen, sein gesamtes Denken, in den hintersten Winkel seines Kopfes zu verbannen. Dabei kamen ihm die geistigen Meditationsübungen, die Deanna seit Jahren mehr oder weniger regelmäßig mit ihm durchführte sehr zugute, wie er an dem enttäuschten Gesichtsausdruck der betazoidischen Botschafterin bemerkte. Es erfüllte ihn mit tiefer Befriedigung, dass es Lwaxana offenbar trotz all ihrer Anstrengungen nicht gelang, die von ihm aufgebaute mentale Barriere zu überwinden.
Dieses gegenseitige Kräftemessen dauerte weniger als eine Minute, dann gab Deannas Mutter auf. »Ich sehe, meine Tochter war eine gute Lehrmeisterin«, stellte sie mit einem bitteren Lächeln fest.
Bei diesen Worten verspürte Riker ein leises Gefühl von Schuld. Lwaxana war eine exzentrische Persönlichkeit, die jedem normalenm Lebewesen bereits nach kürzester Zeit schrecklich auf die Nerven ging. Doch sie liebte ihre einzige Tochter von ganzem Herzen und er war derjenige gewesen, der Deannas Interesse am Weltall und der Sternenflotte geweckt hatte. Wäre er nicht gewesen, wäre sie wahrscheinlich auf Betazed geblieben, hätte einen netten Mann aus der Gesellschaft geheiratet und Lwaxana längst die ersehnten Enkel geschenkt. Als er die betazoidische Botschafterin jetzt ansah, wie sie da vor ihm stand, wie immer viel zu auffällig gekleidet und viel zu stark geschminkt, da wurde ihm zum ersten Mal bewusst, dass sich hinter ihrem extravaganten Verhalten, all dem Glitzer und Glimmer, mit dem sie sich umgab, eine alternde und einsame Frau verbarg. Er dachte daran, wie oft er sich schon heimlich mit den Junioroffizieren über sie lustig gemacht hatte und zu dem Schuldgefühl gesellte sich ein Hauch von Scham. Er spürte, wie die von ihm so mühsam aufgebaute mentale Barriere unter dem Druck dieser Emotionen langsam zu bröckeln begann. Wohlwissend, wie gedemütigt sie sich fühlen würde, wenn sie seine Gedanken jetzt lesen könnte, zwang er sich, alle diese Überlegungen zu beenden und sich ausschließlich auf den eigentlichen Zweck seines Hierseins zu konzentrieren.
»Mrs. Troi, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass wir herausgefunden haben, dass es sich bei dem Ereignis vor zwei Tagen keineswegs um einen Unfall gehandelt hat. Vielmehr wurde der Transporter von einem bislang unbekannten Täter manipuliert.«
Er sah, wie sie unter ihrem Make-Up blass wurde.
»Beim heiligen Kelch von Riix«, hauchte sie. »Wollen Sie damit etwa sagen, jemand habe versucht, mich zu ermorden?! Aber wer um alles in der Welt könnte denn so etwas Schreckliches tun, und warum?
»Genau, um das herauszufinden bin ich hier«, erwiderte Riker. »Nach unseren Informationen befindet sich der Täter noch an Bord der Enterprise. Derzeit werden die Personaldateien sämtlicher Crewmitglieder überprüft, aber es würde die Suche erheblich vereinfachen, wenn wir wüssten, wonach wir zu suchen haben. Bitte überlegen Sie. Wer könnte einen Grund haben, Ihnen nach dem Leben trachten?«
Die betazoidische Botschafterin legte die Fingerspitzen an ihre Schläfen, schloss die Augen und verharrte so für einige Minuten, während sie offensichtlich angestrengt nachdachte. Plötzlich riss sie die Augen wieder auf und sah den Ersten Offizier der Enterprise groß an. »Die Ferengi«, erklärte sie aufgeregt. »Natürlich, diese widerlichen Kerle haben jemand dafür bezahlt, dass er mich tötet.«
»Die Ferengi«, echote Riker zweifelnd. »Welches Interesse könnten die Ferengi denn an der Ermordung einer betazoidischen Botschafterin haben?«
»Ganz einfach«, erwiderte Lwaxana würdevoll. »Vielleicht erinnern Sie sich noch daran, wie dieser widerliche Ferengi-Daimon Tog uns und Deanna vor zwei Jahren direkt nach Beendigung der Handelsmesse auf sein Schiff entführt hat. Nach diesem entsetzlichen Erlebnis habe ich mir geschworen, dass solange auch nur ein Blutstropfen in meinen Adern fließt, nie wieder einer dieser widerlichen kleinen Trolle seinen Fuß auf Betazed setzen sollte und habe dafür gesorgt, dass die Ferengi für alle Zeiten von der Teilnehmerliste der Messe gestrichen wurden.«
»Ein schwerer Schlag für Leute, deren ganzer Lebensinhalt ausschließlich im Abschluss gewinnbringender Geschäfte besteht«, stimmte Riker ihr zu. »Doch was würde Ihr Tod an dieser Streichung ändern?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Vermutlich nichts. Doch dann hätten sie sich wenigstens an mir gerächt.«
»Also ich weiß nicht«, wandte der Erste Offizier immer noch nicht überzeugt ein. »Ein derart unprofitables Unternehmen wie Rache gilt in der Ferengi-Gesellschaft als verpönt. Naheliegender wäre es, wenn sie stattdessen alles versucht hätten, wieder auf die Teilnehmerliste zu kommen. Durch Betrug, Bestechung oder ...«
»Roffa«, wurde er da von der Botschafterin unterbrochen. »Keren Roffa, warum habe ich nicht gleich an ihn gedacht?«
»Roffa? Wer ist das?« Riker sah sie fragend an. »Irgendwie kommt mir dieser Name bekannt vor.«
Erneut umspielte ein bitteres Lächeln Lwaxanas Lippen. »Das ist gut möglich, Commander. Keren Roffa war einer der zahlreichen Verehrer meiner Tochter. Sein Vater gehörte dem dritten Haus von Betazed an und Keren hatte allen Grund sich bei Deanna Hoffnungen zu machen, bis Sie kamen.«
Vor Rikers geistigem Auge entstand das Bild eines introvertierten jungen Mannes mit dunklen Locken, weichen Gesichtszügen und verträumten Blick, der immer in weite Fernen gerichtet zu sein schien. »Ich glaube, ich erinnere mich an ihn«, sagte er langsam. »Als ich ihn kennenlernte stand er kurz vor seinem Abschluss in, warten Sie, Philosophie, nicht wahr?«
»Sie haben ein gutes Gedächtnis. Ja, es war sein Traum, eines Tages zu den größten Gelehrten unsere Heimat zu gehören, doch dazu ist es dann nicht mehr gekommen.«
»So, warum denn?«, fragte Riker erstaunt. »Soweit ich weiß, gehörte er doch zu den Besten seines Jahrganges.«
»Das stimmt. Aber nachdem Deanna Ihretwegen seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte, veränderte er sich. Er brach das Studium ab und nahm eine Stellung beim betazoidischen Handels- und Wirtschaftsinstitut an. Alle Energie, seinen gesamten Ehrgeiz widmete er von da an seiner beruflichen Karriere. Und er schaffte es. Nach Jahren harter Arbeit wurde er zum stellvertretenden Leiter des Instituts ernannt. Doch das war ihm leider nicht genug. Vor ungefähr einem Jahr setzte er sich plötzlich dafür ein, den Ferengis die Teilnahme an der Messe wieder zu gestatten. Er behauptete die Wiederaufnahme von Handelsbeziehungen läge im wirtschaftlichem Interesse von Betazed. Fast hätte er mit seinen Bemühungen Erfolg gehabt, doch dann stellte sich heraus, dass die Ferengi-Regierung ihm eine hohe Belohnung in Aussicht gestellt hatte, wenn er es schaffen sollte, ihre Wiederzulassung zu erreichen.«
»Ich nehme an, dass Sie an der Aufdeckung dieser Bestechung nicht ganz unbeteiligt waren, oder?!« Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage.
Lwaxana nickte. »Aus bereits bekannten Gründen hatte ich keinerlei Interesse daran, dass die Ferengi wieder an der Messe teilnehmen sollten. Außerdem kam es mir irgendwie seltsam vor, dass Roffa sich so hartnäckig für diese schmierigen Betrüger einsetzte. Ich teilte dem Leiter des Instituts meinen Verdacht mit und gemeinsam suchten und fanden wir die nötigen Beweise, die meine Vermutung bestätigten. Keren Roffa wurde natürlich sofort unehrenhaft aus dem Staatsdienst entlassen. Man stellte ihn vor ein Gericht, das ihn zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilte. Sein armer Vater wurde mit dieser Schande nicht fertig und nahm sich am Tag der Urteilsverkündung das Leben. Wenige Wochen später gelang es Roffa, aus dem Gefängnis zu fliehen und seitdem ist er verschwunden.«
Commander Riker hatte genug gehört. Keren Roffa war ihr Mann.

* * *

»Das ist er!« Counselor Troi deutete auf das im Display des Personalcomputers angezeigte Bild.
»Sind Sie ganz sicher?« Picard musterte sie aufmerksam. »Bedenken Sie, es ist schon lange her, seit Sie Keren Roffa das letzte Mal gesehen haben.«
»Ich bin sicher, Sir«, wiederholte sie fest. »Er nennt sich jetzt zwar Janno Ramirez, aber das dort ist ohne jeden Zweifel der gleiche Mann, der mich vor vielen Jahren auf Betazed um meine Hand gebeten hat.«
»Nummer Eins?« wandte der Captain sich nun fragend an seinen Ersten Offizier.
Dieser zögerte. »Also ich weiß nicht genau, Sir. Eine gewisse Ähnlichkeit ist vorhanden.« Er warf Deanna einen säuerlichen Blick zu. »Aber wenn die Counselor es sagt, dann wird es wohl auch Roffa sein. Sie kennt ihn schließlich viel besser als ich.«
Imzadi, erklang es vorwurfsvoll hinter seinen Schläfen. Dieser Hinweis wäre nicht nötig gewesen! Riker lächelte unwillkürlich. »Oh, ich denke doch«, sagte er laut. »Äh, dass es sich bei diesem Mann um Keren Roffa handelt, Sir«, beeilte er sich hinzuzufügen, als er den verwunderten Blick seines kommandierenden Offiziers bemerkte. »Natürlich können wir vorsichtshalber auch noch Mrs. Troi um eine Identifizierung bitten. Sie ist bestimmt gern bereit, sich unsere Personaldatei anzusehen.«
»Das wird nicht nötig sein, Nummer Eins«, wehrte Picard hastig ab. »Computer, Zugriff auf die Personalakte von Janno Ramirez.«
»Janno Ramirez«, ertönte augenblicklich eine sonore elektronische Stimme. »Geboren Sternzeit 457.10.55.1 auf Rigel IV, Eltern unbekannt, diente fünf Jahre lang auf einem rigelianischen Frachter, seit Sternzeit 483.19.26.5 an Bord der Enterprise als Techniker, Aufgabenbereiche Wartung, Programmierung und ... «
»Das genügt.« Mit diesen Worten beendete der Captain die Abspielung der Datei.
»Die Rigelianer pflegen seit längerem äußerst regen Handelsverkehr mit den Ferengi«, sagte Commander Riker. »Bei seinen guten Beziehungen zu letzteren war es für Roffa offenbar nicht weiter schwer, sich diese neue Identität zu verschaffen.«
Picard nickte zustimmend. »Computer, gegenwärtigen Aufenthaltsort von Janno Ramirez feststellen.«
»Janno Ramirez befindet sich zurzeit im Zehn Vorne. «
Der Captain tauschte einen besorgten Blick mit seinem Ersten Offizier, der laut aussprach was beide dachten. »Um diese Zeit ist das Zehn Vorne für gewöhnlich sehr gut besucht. Roffa hat bereits bewiesen, dass er zu allem fähig ist. Nicht auszudenken, was passieren könnte, wenn der Sicherheitsdienst versuchen sollte, ihn dort inmitten all der Leute festzunehmen.«
Picard atmete tief durch. »Irgendwelche Vorschläge?«
»Wir könnten einige Männer an den Zugängen postieren«, ließ sich da erstmals Lieutenant Worf vernehmen. »Sobald Roffa das Zehn Vorne verlässt, schlagen wir zu.« Wie immer klang die Stimme des klingonischen Sicherheitschefs völlig gelassen, doch seine dunklen Augen leuchteten in Erwartung eines möglichen Kampfes. Obwohl unter Menschen aufgewachsen, war Worf in seinem Herzen ein wilder Krieger, der sich nach körperlichen Auseinandersetzungen sehnte.
Counselor Troi spürte seine freudige Erregung und runzelte die Stirn. »Ich halte das für keine besonders gute Idee«, erklärte sie. »Dank seiner betazoidischen Abstammung ist Keren sowohl empathisch, als auch voll telepathisch. Auf eine derart geringe räumliche Distanz würde er die ihm drohende Gefahr sofort bemerken und entsprechend reagieren.«
Bei ihren Worten war eine tiefe Falte auf der Stirn des Klingonen entstanden, die seine Gesichtszüge noch furchterregender erscheinen ließen, als sie es ohnehin schon waren. Er holte tief Luft, um zu einer Erwiderung anzusetzen, wurde jedoch durch eine knappe Handbewegung seines kommandierenden Offiziers daran gehindert.
»Die Counselor hat recht, Mr. Worf«, stellte Picard ruhig fest. »Und das bedeutet, dass wir Ihren Plan nicht in die Tat umsetzen können. Zehn Vorne hat drei verschiedene Eingänge und Mr. Data ist die einzige Person an Bord, deren Gedanken Roffa nicht lesen kann.«
»Das stimmt nicht ganz, Sir«, widersprach ihm Troi. »Ich bin dazu in der Lage, mein Innerstes gegenüber jeglicher telepathischen Sondierung zu verschließen. Auf Betazed trainieren wir diese Technik der mentalen Abschirmung schon von frühester Kindheit an. Ohne diese Fähigkeit wäre es den Angehörigen meines Volkes unmöglich, sich ein gewisses Maß an Privatsphäre zu bewahren.«
Besonders nicht, wenn man eine Mutter wie Lwaxana hat, dachte der Captain der Enterprise. Laut sagte er: »Die Festnahme von Kriminellen gehört für gewöhnlich nicht zu den Pflichten einer Schiffsberaterin. Sind Sie sicher, dass Sie das übernehmen wollen? Es könnte riskant werden.«
»Bei allem Respekt, Sir, diese Aufgabe ist viel zu gefährlich für Counselor Troi«, grollte Lieutenant Worf mit deutlicher Missbilligung. »Sie hat so gut wie keinerlei Kampferfahrung.«
»Ich verstehe es durchaus, mit einem Phaser umzugehen.«, versetzte Troi mit ungewohnter Schärfe. »Dazu muss man kein ausgebildeter Sicherheitsoffizier sein.«
Picard musterte sie unentschlossen. »Selbst wenn ich Ihren Vorschlag in Betracht ziehe, Counselor, bleibt immer noch eine Tür übrig, durch welche Roffa Zehn Vorne unentdeckt verlassen könnte.«
»Nicht solange ich es verhindern kann, Sir«, ließ sich da unerwartet Commander Riker vernehmen.
»Will«, entgegnete sein Vorgesetzter, »Sie haben doch gehört, was Counselor Troi über Roffas telepathischen Kräfte gesagt hat.«
»Jedes Wort«, bestätigte der Erste Offizier. »Und das ist genau der Punkt. Seit einiger Zeit schon übe ich mich nämlich unter Deannas Anleitung in der von ihr erwähnten meditativen Technik, Gedanken und Gefühle durch den Aufbau einer geistigen Barriere nach außen abzuschirmen.«
»Und Sie glauben, dass das funktionieren könnte, Nummer Eins?«
Riker grinste breit. »Bei Mrs. Troi hat es das jedenfalls und ich sehe keinen Grund, warum es bei Roffa anders sein sollte.«
»Counselor?« Der Captain der Enterprise sah die dunkelhaarige Betazoidin fragend an.
»Will ist was mentale Konzentration angeht sehr begabt, Sir«, antwortete sie langsam. »Ich denke, dass er es mit meiner Unterstützung schaffen könnte.«
»Ich wusste gar nicht, dass Sie über mentale Fähigkeiten dieser Art verfügen«, sagte Picard erstaunt.
»Für gewöhnlich ist das auch nicht der Fall«, erklärte sie lächelnd. »Derartige geistige Verbindungen sind selbst für Volltelepathen nicht so ohne weiteres möglich. Sie erfordern eine ganz besondere«, sie zögerte kurz, »emotionale Verbundenheit zwischen den betreffenden Personen.«
Ihr kommandierender Offizier erwiderte das Lächeln. »Ich verstehe. Also gut, da wir offenbar keine andere Wahl haben, machen Sie es so.«

* * *

»Hallo Will, warum stehen Sie denn hier vor der Tür? Sollten Sie sich etwa nicht hineintrauen? Sie sind doch sonst alles andere als schüchtern.«
Verlegene Röte trat in die Wangen des Ersten Offiziers, als er die attraktive Blondine musterte, die ihn bei diesen neckenden Worten kokett zuzwinkerte. Lieutenant Dimity Monroe gehörte zum wissenschaftlichen Personal und er hatte mit einem der Junioroffiziere um eine Flasche cardassianischen Tarrak-Wein gewettet, dass es keine Woche dauern würde, bis sie seinem Charme erliegen würde. Unter dem Blick ihrer großen grünen Augen spürte er, wie seine Konzentration nachzulassen begann. Krampfhaft versuchte er, die mentale Barriere aufrechtzuerhalten. Da durchflutete ihn auf einmal eine Welle von Stärke. Deanna hatte seine Schwäche gefühlt und sofort reagiert, indem sie ihm einen Teil ihrer Kraft gab.
Insgeheim musste Riker sich eingestehen, dass er die unsichtbare Verbindung zwischen ihnen trotz des unerfreulichen Anlasses sehr genoss. Es war schon lange her, dass sie sich so nahe gewesen waren. Keine der vielen Frauen in seinem Leben hatte ihm je mehr bedeutet als Deanna. Auch wenn sie jetzt nur noch gute Freunde waren, so wusste er doch tief in seinem Herzen, dass er sie liebte und immer lieben würde. Sie war für ihn der ruhende Pol, immer da, wenn er sie brauchte, ohne zu fragen, ohne zu fordern. So war es immer gewesen und er hatte sich daran gewöhnt. Doch manchmal in einsamen Nächten lag er wach und wünschte, sie wären wieder wie damals zusammen auf Betazed, über sich die Sterne und aus der Ferne das leise Rauschen des Trigan. In diesen Momenten sehnte er sich danach, ihr seidiges Haar zu berühren, ihre vollen Lippen zärtlich zu küssen und wusste doch, dass er vor die Wahl gestellt die gleiche Entscheidung wieder treffen würde. Trotzdem war sie immer noch ein Teil von ihm.
»Imzadi ...«, flüsterte er weich.
»Bitte?« Die Stimme von Lieutenant Monroe holte ihn aus seinen Erinnerungen zurück in die Gegenwart.
»Äh, entschuldigen Sie, Dimity«, begann er, während die von ihm aufgebaute mentale Barriere erneut zu bröckeln begann. Doch diesmal war da nichts, was ihm dabei half, sie aufrechtzuerhalten. Stattdessen nahm er plötzlich eine unbekannte geistige Präsenz wahr, die sich unerbittlich zwischen ihn und Deanna drängte. Als das mentale Band zerriss, verspürte der Erste Offizier der Enterprise einen fast körperlichen Schmerz. Ohne auf die überraschte Dimity zu achten, drehte er sich um und rannte durch die sich öffnende Tür ins Zehn Vorne. Im Laufen betätigte er seinen Kommunikator. »Riker an Data. Beeilen Sie sich, Deanna ist in Gefahr! Sicherheitsdienst sofort nach Zehn Vorne, Zugang Drei!« Sein Herz raste, als hinter seinen Schläfen jetzt ein angstvolles Imzadi, hilf mir! erklang. Aus den Augenwinkeln sah er Data mit großen Schritten das Kasino durchqueren. Fast gleichzeitig erreichten sie die Tür, hinter der die Counselor auf das Erscheinen Roffas gewartet hatte und die nun mit leisem Zischen aufsprang. Abrupt blieb der Erste Offizier stehen. Der vor ihm liegende Gang war leer.
»Commander, sehen Sie«, hörte er den Androiden sagen und folgte dessen Blick. Dort auf dem Fußboden lagen zwei funkelnde Kommunikatoren.
Imzadi, hilf mir!, rief die Stimme hinter seinen Schläfen. Immer und immer wieder, bis sie schließlich in einen verzweifelten Schrei überging, abbrach und verstummte.

* * *

»Was zum Teufel ist da passiert, Nummer Eins?« Die Tatsache, dass der Captain der Enterprise entgegen seiner Gewohnheit einen Kraftausdruck verwendete, machte deutlich wie erregt er war.
»Ich wünschte, ich wüsste es, Sir«, erwiderte Commander Riker in einer Mischung aus Kummer und Zorn. »Eben noch spürte ich allein Deannas Präsenz in meinen Gedanken und dann ... Es war, als ob das unsichtbare Band zwischen uns von einer unbekannten Kraft gewaltsam durchtrennt wurde.«
»Schon irgendeine Spur von Counselor Troi?«, wandte sich sein kommandierender Offizier jetzt an den Sicherheitschef.
»Nein, Sir«, antwortete der Klingone finster. »Es ist allein meine Schuld«, fügte er nach einem kurzen Zögern hinzu. »Hätte ich diesen Plan nicht vorgeschlagen, wäre das nicht passiert.«
Picard machte eine abwehrende Handbewegung. »Mr. Worf, wenn hier jemanden ein Vorwurf trifft, dann mich, weil ich es zugelassen habe, dass Deanna sich in Gefahr begab.«
»Was haben Sie unternommen, um Deanna zu retten?«, fragte Riker schnell, um weiteren schmerzliche Selbstanklagen seines Vorgesetzten zuvorzukommen.
»Sämtliches Sicherheitspersonal ist dabei, jeden Winkel des Schiffes zu durchsuchen«, erklärte der Klingone. »Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir sie finden.«
Oder ihre Leiche, dachte der Captain der Enterprise schaudernd. Rikers Bericht ließ ihn mit dem Schlimmsten rechnen. Er holte tief Luft, um Lieutenant Worf anzuweisen, auch Personal von anderen Abteilungen bei der Suche einzusetzen, wurde jedoch durch das Piepen seines Kommunikators daran gehindert. Nachdem er sich gemeldet hatte, erklang die aufgeregte Stimme des Chefingenieurs Geordi LaForge: »Captain, kommen Sie bitte in den Maschinenraum - schnell. Wir haben Counselor Troi gefunden.«

* * *

»Wo ist sie, Geordi?« Commander Riker musste sich zusammenreißen, um diese Worte nicht laut herauszuschreien.
Statt einer Antwort deutete der Chefingenieur stumm nach oben.
Die Augen des Ersten Offiziers folgten dem ausgestreckten Arm, und dann sah er sie ...
Deanna befand sich in einer Höhe von ungefähr 15 Metern auf der obersten der sechs Reperaturgalerien, die um den Energiehilfsgenerator der Enterprise herumführten. Klein und verloren stand sie am kniehohen Geländer.
Nein, korrigierte Riker sich in Gedanken, während er fühlte, wie sich eine eisige Klammer um sein Herz legte. Sie stand nicht hinter, sondern vor der Brüstung auf einem winzigen Vorsprung. Noch hielt sie sich zwar am Geländer in ihrem Rücken fest, doch sobald sie losließ, würde sie unweigerlich abstürzen. Neben sich hörte er die beschleunigten Atemzüge des Captains und der anderen Offiziere.
»Imzadi!«, rief Riker, wobei er sich verzweifelt bemühte, seine Stimme unter Kontrolle zu bekommen.
Sie reagierte nicht, schien ihn nicht einmal wahrzunehmen. Ihre Augen waren starr und blicklos in irgendwelche Fernen gerichtet.
Langsam begann der Commander sich in Bewegung zu setzen. »Deanna«, sagte er in beschwörendem Tonfall. »Bitte beweg dich nicht, bleib ganz ruhig und halt dich fest! Ich komme jetzt zu dir rauf.« Gerade als er seinen Fuß auf die unterste Sprosse der Leiter setzen wollte, löste sich aus dem Halbdunkel hinter der Counselor eine weitere Gestalt.
»Na, wenn das nicht der gute alte Will Riker ist. An Ihrer Stelle würde ich das nicht tun, es sei denn, Sie wollen Ihre heißgeliebte Imzadi sterben sehen.«
Beim Klang dieser hasserfüllten Stimme zuckte der Erste Offizier unwillkürlich zusammen. Er ließ die Leiter los, als habe er sich verbrannt und wich hastig einige Schritte zurück. »Keren!«, entfuhr es ihm. »Was haben Sie mit ihr gemacht?!«
»Oh nichts weiter«, erwiderte der Angesprochene leichthin. »Wir Betazoiden nennen es mentales Trauma, eine Art Trance-Zustand. Ich habe die vollständige Kontrolle über Deannas Geist übernommen. Sie wird ausschließlich den Befehlen meiner Gedanken gehorchen. Es war nicht einmal besonders schwer«, fuhr er fort, während sein Gesicht sich zu einem abfälligen Lächeln verzog. »Ihr menschliches Erbe machte es mir leicht, ihren mentalen Widerstand zu überwinden. Um die Frage zu beantworten, die Ihnen gerade durch den Kopf gegangen ist«, wandte Roffa sich jetzt an Lieutenant Worf, der ihn grimmig musterte. »Ihr kleiner Plan war gar nicht mal so schlecht. Nur vergaßen Sie leider zu bedenken, dass mir die Überraschung all derer nicht verborgen bleiben konnte, die drei hohe Offiziere scheinbar grundlos vor den Eingängen nach Zehn Vorne Wache stehen sahen. Irgendwann wurde ich neugierig und konzentrierte mich auf die Gedanken jener, die die Türen passierten. Was ich dabei erfuhr war äußerst aufschlussreich.« Er richtete seine volle Aufmerksamkeit wieder auf den Ersten Offizier. »Wussten Sie eigentlich, Will, dass diese hübsche Blondine von der wissenschaftlichen Abteilung nicht die einzige Frau ist, die nach Ihnen verrückt ist?« Er lachte bitter. »Natürlich wissen Sie das. Sie haben es ja schon immer verstanden, Ihren Charme spielen zu lassen. Sonst wäre es Ihnen nie gelungen, mir die einzige Frau wegzunehmen, die ich je geliebt habe.«
»Wenn Sie Deanna wirklich lieben«, sagte Riker langsam, »dann geben Sie ihren Geist wieder frei und lassen sie nach unten gehen.«
Roffas Gesicht verzerrte sich vor Wut. »Damit Sie Ihnen wieder in die Arme fallen kann? Oh nein, Will, im Gegensatz zu damals werde ich das diesmal verhindern.«
»Was haben Sie vor, Roffa?«, ließ sich da die ruhige Stimme von Captain Picard vernehmen. »Geben Sie auf, Sie haben keine Chance. Wir wissen, dass Sie für den Anschlag auf Mrs. Troi verantwortlich sind. Was wollen Sie jetzt noch erreichen?«
»Was wissen Sie denn schon davon«, erwiderte der junge Betazoide mit bebender Stimme. »Deanna war alles für mich, ich hätte sie auf Händen getragen. Doch sie zog es vor, sich für einen daher gelaufenen Kerl wegzuwerfen, der ihrer nicht würdig war. Einen Mann, dem die Karriere wichtiger war als sie und der die erste Gelegenheit nutzte, um sie wieder zu verlassen. Hätte sie damals meinen Heiratsantrag nicht abgelehnt, wäre mein ganzes Leben anders verlaufen. Und was die Tochter einst begonnen hatte, wurde von der Mutter dann beendet, die das Wenige, das mir geblieben war auch noch ruinierte. Dafür hat Lwaxana Troi den Tod tausendfach verdient. Ich hätte es zwar vorgezogen, sie auf Betazed zu töten, aber bedauerlicherweise ist mir eine unentdeckte Rückkehr in meine Heimat durch eine Speicherung meines genetischen Codes in sämtlichen betazoidischen Überwachungssystemen versperrt. Aber da war ja schließlich noch die Enterprise. Ich wusste, dass sie eines Tages wieder hier an Bord auftauchen würde, es war nur eine Frage der Zeit. Und so habe ich gewartet, gewartet und Pläne geschmiedet. Das Ergebnis kennen Sie ja bereits. Eine beachtliche Leistung für jemanden, der nur wenige Monate Zeit hatte, sich mit der Technik Ihres Transportersystems vertraut zu machen, finden Sie nicht? Nun ja, mein erster Versuch ist zwar fehlgeschlagen, doch das ist nicht weiter tragisch. Denn mittlerweile habe ich einen viel besseren Weg gefunden, Lwaxana für alles zu bestrafen, was sie mir angetan hat. Leiden soll sie wie ich gelitten habe, als Deanna mir sagte, dass sie mich niemals lieben kann. Sie soll die gleiche Qual verspüren, die auch ich verspürte, als man mir den Tod meines Vaters im Gefängnis mitteilte. Diesmal wird sie es sein, deren Herzen der Schmerz zerreißen soll, bis sie glaubt, vor Verzweiflung den Verstand zu verlieren. Deannas Tod wird meine Rache vollenden.«
»Sie müssen verrückt geworden sein, Keren!« rief Riker entsetzt. »Sie können Deanna doch nicht für etwas umbringen, dass Sie ihrer Mutter vorwerfen!«
»Warum nicht? Es ist mein gutes Recht. Sie hat den Tod ebenso verdient, weil sie mich damals zurückgewiesen hat.«
»Wenn Sie Counselor Troi töten, werden Sie noch im gleichen Augenblick von meiner Hand sterben«, erklärte Lieutenant Worf drohend. »Das schwöre ich bei meiner Ehre als Klingone.«
»Und wenn schon«, erwiderte Roffa kalt. »Mein Leben ist schon lange beendet. Seit dem Tag als ich die Frau verloren habe, die meine Imzadi hätte werden sollen.« Mit diesen Worten trat er zurück in den Schatten.
Mit wachsendem Grauen verfolgten die Offiziere der Enterprise, wie Counselor Troi erst den einen und dann den anderen Arm vom Geländer löste. Einen Moment lang verharrte sie schwankend, dann ließ sie sich einfach fallen ...

* * *

Commander Riker hörte seinen eigenen Aufschrei, der sich mit dem der anderen Offiziere vermischte. Fast gleichzeitig sprangen alle vor, obwohl es sich dabei genaugenommen um ein ziemlich sinnloses Unterfangen handelte. Bei einer Höhe von 15 Metern war es praktisch unmöglich, einen Sturz erfolgreich abzufangen. Stattdessen riskierte der Rettungswillige sogar, vom Aufprall des Opfers erschlagen zu werden. Trotzdem zögerte keiner von ihnen auch nur eine Sekunde.
Data könnte es schaffen, schoss es dem Ersten Offizier durch den Kopf, als unerwartet etwas geschah, was einem Wunder gleichkam.
Ungefähr sechs Meter über dem Boden wurde Deannas Körper mitten im freien Fall plötzlich mit einem heftigen Ruck aufgehalten. Riker kniff die Augen zusammen und erkannte die Gestalt von Lieutenant Barclay. Der Himmel allein wusste, wie es ihm gelungen war, unbemerkt auf die dritte Reparaturgalerie zu gelangen. Offenbar hatte Roffa sich so stark auf den Ersten Offizier und die Counselor konzentriert, dass ihm die drohende Gefahr entgangen war. Der junge technische Offizier ragte mit seinem Oberkörper über die Brüstung. Während er mit der rechten Hand krampfhaft das Geländer umklammerte, hatte er den linken Arm blitzschnell um die Taille der jungen Betazoidin geschlungen und sie mitten im Flug einfach festgehalten. Nachdem er vergeblich versucht hatte, die offenbar bewusstlose Deanna auf die Plattform zu ziehen, hingen sie nun beide hilflos in der Luft und konnten jeden Augenblick den Halt verlieren.
Auf der obersten Galerie heulte Roffa vor enttäuschter Wut auf und machte Anstalten, zu ihnen hinunterzusteigen.
Nun kam Leben in Commander Riker. »Halten Sie durch, Barclay!«, rief er dem jungen Lieutenant zu. »Ich komme Ihnen zu Hilfe.« Mit diesen Worten begann er so schnell wie möglich, die Sprossen der nach oben führenden Leiter zu erklimmen.
Doch sein Widersacher war schneller. Mit einem triumphierenden Lachen erreichte er als erster die dritte Galerie und näherte sich den beiden Wehrlosen. »Du dummer Narr!«, stieß er höhnisch hervor. »Da du unbedingt den Helden spielen wolltest, wirst du nun gemeinsam mit ihr sterben.« Damit holte er aus und schlug mit der geballten Faust auf Barlays rechte Hand. Dieser schrie vor Schmerz auf, schaffte es aber, das Geländer nicht loszulassen. Mittlerweile hatte der Erste Offizier ebenfalls die dritte Galerie erreicht, aber es trennten ihn noch einige Meter vom Ort des Geschehens. Derweil holte Roffa mit einem grausamen Lächeln auf den Zügen ein zweites Mal weit aus. Ehe er jedoch erneut zuschlagen konnte, gleißte ein roter Blitz durch den Maschinenraum und traf ihn mitten in der Brust. Mit einem gurgelnden Laut kippte er über die Brüstung und fiel an Barclay und Deanna vorbei wie ein Stein in die Tiefe.
Niemand rührte sich. Mit unbewegter Miene steckte Lieutenant Worf den Phaser weg und beobachtete, wie Roffas Körper mit einem dumpfen Knall auf dem Boden aufschlug und dort in seltsam verrenkter Haltung liegenblieb. Oben auf der dritten Galerie beugte sich Riker nun soweit wie möglich vor und zog erst Deanna und dann Barclay zurück auf die Sicherheit der Plattform. Unten wandte sich jetzt Lieutenant Commander Data an Picard.
»Sir, Roffa ist aus einer Höhe von lediglich sechs Metern abgestürzt. Es wäre theoretisch möglich gewesen, ihn rechtzeitig mit Erfolg abzufangen.«
Der Captain der Enterprise ließ seinen Blick kurz über die Gesichter von Geordi LaForge und dem klingonischen Sicherheitschef gleiten, ehe er zu einer Erwiderung ansetzte. »Und jetzt wollen Sie wahrscheinlich von mir wissen, wieso es keiner von uns versucht hat?« Aus den Augenwinkeln sah er wie Commander Riker mit Deanna im Arm, gefolgt von Lieutenant Barclay langsam mit dem Abstieg begann. »Nun Mr. Data, darauf kann ich Ihnen leider nur die unbefriedigende Antwort geben, dass ich es nicht weiß«, sagte er zögernd. »Derartige Reaktionen erfolgen spontan, ohne große Überlegung.«
»Data«, mischte sich nun der Chefingenieur in das Gespräch. »Warum fragen Sie eigentlich UNS das. Ich meine, von allen hier haben Sie doch wohl die besten Reflexe. Warum sind Sie denn nicht vorgesprungen und haben Roffa aufgefangen?«
Die gelben Augen des Androiden musterten ihn ausdruckslos. »Weil es mir niemand befohlen hat.«

* * *

Das Zehn Vorne war voller gutgelaunter Gäste. Lwaxana hatte darauf bestanden, zu Ehren von Lieutenant Barclay an Bord der Enterprise eine große Party zu veranstalten.
Counselor Troi genoss die gelöste Stimmung und ganz besonders die gesteigerte Aufmerksamkeit des Ersten Offizier. Seit dem Vorfall im Maschinenraum, der sie fast das Leben gekostet hatte, war in Wills Verhalten ihr gegenüber eine deutliche Veränderung eingetreten. Es hatte fast den Anschein, als wollte er ihre frühere romantische Beziehung wieder aufleben lassen. Nichts weiter als eine vorrübergehende Nachwirkung der Angst, dich zu verlieren, flüsterte die Psychologin in ihr. Und doch, als sie ihn jetzt beobachtete, wie er gemeinsam mit den Musikern des Kasinos zum bestimmt vierten oder fünften Mal an diesem Abend »True Love« intonierte, überkamen sie Gefühle, die sie längst zu überwunden geglaubt hatte. Sie unterdrückte den Impuls, zu ihm zu gehen und bemühte sich stattdessen, die Unterhaltung mit Lieutenant Barclay in Gang zu halten. Bei seiner Schüchternheit, wahrlich kein leichtes Unterfangen.
Ich weiß gar nicht, was du hast, Kleines. Dieser Lieutenant ist doch ein ganz reizender junger Mann. Außerdem ist er vollkommen verrückt nach dir.
Deanna fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Lwaxana war mehrere Meter entfernt in ein Gespräch mit Captain Picard vertieft, dem anzusehen war, wie unbehaglich er sich fühlte. Dies hielt sie jedoch keineswegs von einer gleichzeitigen telepathischen Kommunikation mit ihrer Tochter ab.
»Du kannst mir glauben, Kleines«, fuhr sie jetzt in Gedanken fort. »Seine Gefühle für dich sind ganz eindeutig. Er ist in dich verliebt.«
Die Counselor runzelte unwillkürlich die Stirn »Mutter, es ist nicht richtig, jemand anderen ohne sein Wissen mental zu sondieren.«
»Aber warum denn nicht? Wie soll man denn sonst wissen, woran man bei einem Mann ist?«
Ehe ihre Tochter Gelegenheit hatte, zu einer telepathischen Erwiderung anzusetzen, entschuldigte sich Lwaxana bei ihrem sichtlich erleichterten Gesprächspartner und wandte sich dem Ehrengast ihrer Party zu. »Ich glaube, ich habe Ihnen noch gar nicht richtig gedankt, Lieutenant?« Sie zögerte kurz.
»Barclay«, kam ihr Deanna unhörbar zu Hilfe.
Die betazoidische Botschafterin lächelte. »Ach ja richtig. Barclay. Ein seltsamer Name, Kleines. Er erinnert mich dem Klang nach an dieses unscheinbare grüne Gemüse von der Erde, das dein Vater immer so gerne gegessen hat.«
»Barclay«, wiederholte Lwaxana laut und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
Die Wangen des Offiziers nahmen eine rötliche Färbung an. »Das, das war doch ganz, äh ganz selbstverständlich«, stotterte er verlegen.
»Ist er nicht einfach süß, Kleines. Und er sieht doch genaugenommen auch ganz attraktiv aus. Ein wenig blass vielleicht, doch das steht ihm. Gut, er ist nur ein kleiner Lieutenant, aber das kann sich ja ändern. Wahrscheinlich fehlt ihm nur eine Frau, die es versteht, sein Leben in die richtigen Bahnen zu lenken. Du solltest es dir wirklich überlegen, ob du nicht ...«
»Mutter, bitte!«
»Wie du willst, Kleines, dann eben nicht. Ich habe nur dein Glück im Auge gehabt.«
Die betazoidische Botschafterin musterte Barclay nachdenklich. »Sagen Sie, Lieutenant, haben Sie eigentlich schon von dem köstlichen Punsch probiert?«
»Nein, ich, ich hatte bisher leider noch keine, äh Gelegenheit.«
»Tatsächlich? Nun, dann sollten wir das umgehend nachholen. Deanna, du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich deinen Retter entführe, oder?« Mit diesen Worten hakte sich Lwaxana kurzerhand bei dem verdutzten Sternenflottenoffizier ein und dirigierte ihn mit sanfter Gewalt durch die Schar der gutgelaunten Gäste hindurch zu einem etwas abseits stehenden Tisch, auf dem sich eine riesige, mit rosafarbenden Punsch gefüllte Kristallschale befand. Die Botschafterin schöpfte zwei Gläser voll. »Lassen Sie uns auf Ihre Tapferkeit anstoßen, Lieutenant. Sagen Sie, haben Sie auch einen Vornamen?«
»Reg … Reginald.«
»Reginald. Ein hübscher Name. Er gefällt mir und er passt sehr gut zu Ihnen.«
»Danke, Mrs. Troi. Sie sind zu, äh, liebenswürdig.«
»Bitte, nennen Sie mich doch Lwaxana. Mrs. Troi klingt viel zu förmlich.«
»Natürlich, Mrs. Troi, äh, Lwaxana. Es ist mir eine Ehre, ich meine, ein äh Vergnügen.«
Die Botschafterin lächelte kokett. »Sagen Sie, Reginald«, gurrte sie und warf ihm unter langen gebogenen Wimpern einen schmachtenden Blick zu. »Hat Ihnen eigentlich schon mal jemand gesagt, was für attraktive Beine Sie haben?«

Ende
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