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If I may ask you

von Jimaine

Kapitel 1

«The winter here's cold and bitter
It's chilled us to the bone.
We haven't seen the sun for weeks
Too long too far from home.

I feel just like I'm sinking
And I claw for solid ground.
I'm pulled down by the undertow
Never thought I could feel so low
Oh darkness I feel like letting go...»

Graue Wolken am Himmel, seit Monaten der Normalzustand. Ich bin dankbar für den gutgemeinten Rat eines Kollegen, diese Jacke mitzunehmen, die Temperatur ist ungewöhnlich niedrig für diese Jahreszeit. Tendenz fallend.
Unsere Wissenschaftler und das Expertenteam der Föderation sind sich einig, daß wir einer massiven Klimaveränderung entgegensehen, hervorgerufen durch den hohen Staubanteil in der Atmosphäre und die andauernde seismische Aktivität. Was nicht durch das Dominion zerstört wurde, wird nun früher oder später einem Erdbeben zum Opfer fallen oder einem der vielen durch das Bombardement wieder aktiv gewordenen Vulkane.
Einer der menschlichen Geologen verglich Cardassia mit Armageddon nach dem Tag des Jüngsten Gerichts, ein Bezug auf eine religiöse Schrift von der Erde, glaube ich mich zu erinnern, ein größtenteils ziemlich deprimierendes literarisches Werk und gespickt mit Widersprüchen. Doch habe ich der unterliegenden Wahrheit seiner Bemerkung nichts entgegenzuhalten. Wie könnte ich auch? Ich würde mich nur selbst belügen und ich habe weder die erforderliche Kraft noch die Ambition, diese Lüge weiterzuspinnen. Am Ende steht sowieso die Wahrheit. Eine andere historische Referenz wäre terra exusta. Verbrannte Erde.

Müde von meinem stundenlangen Wandern lasse ich mich auf dem Rest einer geborstenen Hausmauer nieder, unter meinen Füßen und um mich herum Leblosigkeit, wo einst Leben war. Geschwärzte Skelette von Bäumen ragen in den sich weiter verdunkelnden Himmel wie die verkohlten Hände riesiger Leichen, die noch über den Tod hinaus stumm um Hilfe flehten. Das Dominion war gründlich gewesen; selbst Romulus dürfte im Vergleich hierzu eine schillernde Farbpalette sein. Aber es war mir ein Bedürfnis, hierher zu kommen, seit dem Tag an dem ich mich entschied, auf Cardassia zu bleiben. Zuletzt hatte ich vor zehn Jahren hier gestanden, die Stille genossen, in der ich meine Gedanken sammeln und mir Klarheit über einige Dinge in meinem Leben verschaffen konnte.
Lose Fäden waren in keinem meiner bisherigen Betätigungsfelder besonders wünschenswert und ich hatte es mir zum Prinzip gemacht, mich stets daran zu halten.
Mit wechselndem Erfolg.

Ich versuche, die Anspannung und den Streß des vergangenen halben Jahres beiseitezuschieben, mich zu entspannen, und für einen Moment sehne ich mich nach meinem Implantat. Es hätte mir die Arbeit im medizinischen Zentrum von Lakarian City maßgeblich erleichtert, hätte dem Elend um mich herum die gnadenlose Schärfe genommen. Doch an der fraglichen Stelle in meinem Gehirn ist seit fünf Jahren nur noch ein bißchen vernarbtes Gewebe und ich muß auf meine Weise mit dem Schmerz fertigwerden. Zuerst mit der Bergung von Leichen, der Versorgung der Verwundeten, der Verteilung von Medikamenten und Suche nach Vermißten. Dann mit der Bestattung der Toten, oft eine unpersönliche Massenangelegenheit, denn es waren einfach zu viele und die Zeit zu knapp.

Ständige Arbeit stumpft den Schmerz ab und ich bin darauf bedacht, mir nur die nötigsten Pausen zu gönnen.
Aber ich kann nicht mehr. Mein Blick wandert prüfend durch die Ruinen hinter mir, entlang zersplitterter Holzbalken und eingestürzter Mauern. Es ist eine automatische Reaktion auf den Anblick eines zerstörten Gebäudes, die ich mir während der Zeit in den Suchmannschaften angewöhnt hatte. Doch hier liegt niemand begraben. Die Bewohner dieser Häuser waren bei Ausbruch der Kämpfe in die Stadt geflohen...und starben dort. Vielleicht leben sie auch noch, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall ist es sinnlos, hier ein neues Heim zu bauen.
Der Fußmarsch war anstrengend, also greife ich nach der Wasserflasche in meiner Umhängetasche und dabei fällt mein Blick auf die Geröllfläche zu meiner Rechten, ehemals ein Pfeiler des Vordaches. Ich schaue genauer hin und plötzlich macht die Kühle des Windes einer inneren Wärme Platz, nur für einen Moment, doch ein Moment ist ausreichend. Ein winziger Farbtupfer inmitten von schmutzigem Grau.

«If all of the strength and all of the courage
Come and lift me from this place...
I know I can love you much better
Than this
Full of grace.
Full of grace, my love.»

Diese Blume, klein und unscheinbar zwischen den Steinen, die Farbe ihrer Blüte fast unkenntlich unter dem Staub so zerbrechlich und dennoch eine zähe Kämpfernatur. Ganz wie Julian.
Wir sind als Freunde auseinandergegangen, mit den üblichen Floskeln, den Versprechen, den Kontakt zu halten. Doch die Realität sieht anders aus. Wir haben unsere Entscheidungen getroffen. Julian entschied sich für das Leben, für Ezri...und ich entschied mich für Cardassia..., beziehungsweise das, was davon übrig ist. Eine Ruine, ein Leichenhaus voller Erinnerungen.
De facto entschied ich mich für den Tod.
Verglichen mit Julian war ich schwach, ich hatte einfach nicht seine Kraft, seinen Mut in vielerlei Hinsicht. Nicht die Kraft oder den Mut, den letzten Schritt zu machen, eine Entscheidung für uns beide zu treffen.

In der Ferne rollt der Donner, das Gewitter kommt näher. Mir ist es egal, ob ich naß werde, sauren Regen und Chemiebelastung außer Acht gelassen. Die Gifte, die sich noch in der Atmosphäre befinden, werden erst in spätestens drei Monaten herausgefiltert worden sein und bis dahin werden sie vermutlich die letzten Reste von Vegetation getötet haben. Vielleicht, mit etwas Glück, auch mich.
Nach sechs Monaten in dieser trostlosen Wüste aus Stein und Staub, einer grauen Öde voller geschwärzter Krater, stehe ich kurz vor dem Aufgeben. Cardassia, getauft mit Feuer... Unsere Anführer, sinnlos noch Namen zu nennen, der Schuldige ist hinlänglich bekannt und ich mache mir den Vorwurf, ihn nicht schon vor Jahren eliminiert zu haben, hatten den Pakt mit dem Bösen geschlossen und am Ende zahlte ganz Cardassia den Preis. Das Ausmaß der Katastrophe ist immer noch nicht vollständig zu überschauen.
Diese Gegend, zwanzig Meilen nördlich von La'shana, wies einst die vielfältigste Fauna und Flora auf dem Hauptkontinent auf, und jetzt klebt an meinen Stiefeln die Asche, die davon übrig ist. Jedes Leben hier kommt einer Ironie gleich, das der Blume genauso wie das Meinige.

Enthusiastisch wie ich anfangs war, mich am Aufbau eines neuen Cardassia zu beteiligen, so desillusioniert bin ich jetzt. Und wenn die Illusionen verblassen, kommt das Bedauern. Versäumnisse. Reue. Für jemanden in meinem Alter normal, doch unter den gegebenen Umständen doppelt erdrückend. Der Boden unter meinen Füßen erscheint unwirklich, nicht real genug mich zu tragen, oder auch nur *irgendetwas* zu tragen. Es ist nicht länger der feste, stabile Boden meiner Heimat, ein unerschütterliches Fundament für ein Volk am Rande des Abgrunds, sondern eine dünne, unsichere Oberfläche, ständig in Bewegung. Der Wind malt seine Muster in die Asche und ich fühle mich hineingezogen in die Wirbel, verliere den Boden unter den Füßen wie ein Ertrinkender.

Und wehre mich nicht.

*************


Er ist kalt, der Wind in meinem Gesicht. Normalerweise würde er um diese Jahreszeit den Geruch der blühenden Jantarra von den Hochebenen der Sekani-Berge heruntertragen, ein süßes, warmes Aroma, das ich so gerne noch einmal wahrgenommen hätte. Nun habe ich nur noch die Erinnerungen.
Erinnerungen...
Soll mein restliches Leben nur aus Erinnerungen bestehen?
Ein Leben, ausgelebt in dem bunten Holosuite-Programm meiner Erinnerungen.

Wenn ich die Augen schließe, kann ich sie fast riechen...
Zu gerne hätte ich Julian diese kleinen Wunder meiner Heimat gezeigt, all die Dinge, die ich in den Jahren im Exil vermißt habe und die ein Teil von mir sind. Waren. Ich wollte ihn, nach all den Spekulationen, Lügen und Fragen teilhaben lassen an der Person, die Elim Garak wirklich ist. Wollte ihn wissen lassen, daß er in meinen Augen und in meinem Herzen mehr als ein guter Freund war. Ist. Was auch immer. Julian ist ein Mann, der Geheimnisse liebt, und es tut mir leid, daß ich ihn dieses Geheimnis nicht habe lösen lassen. Mich.

Die volle Wahrheit hat er nie erfahren; es ergab sich nie die passende Gelegenheit für ein abschließendes klärendes Gespräch zwischen uns.
Es war meine Entscheidung.

Nun ist es dafür zu spät.
Für alles scheint es zu spät.
Cardassia, selbst ein zerstörtes Cardassia, war mir wichtiger als das, was ich mir in den Jahren, in denen Cardassia mich nicht wollte, geschaffen hatte. Auf DS9. Hier gibt es niemanden mehr für mich. Keinen meiner früheren Kollegen, keinen von denen, die auch nur entfernt als "Freunde" bezeichnen würde. Tain ist tot...Mila ebenfalls...und bald auch Cardassia selbst. Es ist nur eine Frage der Zeit. Endstadium, um Julians Worte zu gebrauchen.
Julian.
Nur ein weiterer Fehler in meinem weniger als erfolgreichen Leben.

«It's better this way, I said,
Having seen this place before
Where everything we say and do
Hurts us all the more...»

Seine Briefe machen mich nachdenklich und irgendwo in dieser kalten Leere in mir regt sich Bedauern. Wenn ich etwas gesagt hätte...was wäre anders verlaufen?
Nein, ich werde nicht darüber nachdenken. Später vielleicht, wenn ich nichts anders mehr zu tun habe, als meinen Gedanken nachzuhängen.

In den Briefen schreibt er von dem Alltag auf der Station, wie seltsam anders alles ist und dennoch wie aufregend neu. Odo ist zurück zu seinem Volk, Kira hat das Kommando und Sisko ist bei den Propheten, ein Konzept, das zu akzeptieren mir immer leichter fällt, was wohl daran liegt, daß es für mich nichts mehr gibt, woran ich sonst noch glauben kann. Ob Sisko ein gutes Wort für Cardassia einlegen könnte, wenn er schon mal an der Quelle des übernatürlichen und zeitlosen Wirkens sitzt?
Gut, das ist bestimmt zu viel verlangt.
Julian und Ezri sind Taufpaten für Kasidys Tochter, Jennifer. Den Namen hat Jake ausgewählt; die Abwesenheit seines Vaters belastet ihn sehr. Armer Junge, ich kann ihn gut verstehen. Doch das Leben geht weiter, zumindest auf DS9 und überall sonst außer auf Cardassia. Hier laufen die Uhren unaufhaltsam auf Null zu wie Sand in einer Sanduhr.
Letzten Monat kam Chief O'Brien zu Besuch, eine Tatsache, wie sie mich nicht weniger hätte interessieren können. Der Chief und ich...nun, ich will es höflich formulieren...wir hatten immer unsere Differenzen und sein Transfer zurück zur Erde ändert daran gar nichts. Glücklicherweise blieb er wohl auch nur eine Woche.

Der neue Sicherheitschef ist Bajoraner und der neue Chefingenieur Betazoide, letzteres eine klassische Fehlbesetzung und Fehlallokation von verfügbaren Ressourcen, meiner Meinung nach. Einen Empathen zum Ingenieur zu machen ist genauso wenig durchdacht, wie einen Klingonen als Oberarzt einzustellen...um einen drastischen Vergleich zu ziehen. Oder einen Klingonen als Föderationsbotschafter nach Qo'NoS zu schicken...viel Glück, Mr. Worf!
Ich finde, nach einer solchen Entscheidung hat die Föderation selbst das Glück viel nötiger!

Neulich mußte ich lächeln, als er mir in seinem letzten Brief mitteilte, daß der Bajoraner, der meinen Laden samt Lagerbeständen und Gerät für eine akzeptable Summe übernommen hat (dank der Vermittlung von Colonel Kira), sich zwar über einen Mangel an Kundschaft nicht beklagen könne, aber doch viele Leute und zum Großteil auch bajoranisches Stationspersonal Bedauern über den Wechsel der Geschäftsleitung äußerten. Sie würden meine Talente vermissen. Es hatte etwas von einer posthumen Lobrede und ich zog es vor, nicht darauf einzugehen, erging mich stattdessen in Erklärungen, daß der Preis für cardassianische Seide wohl ins Unermeßliche steigen und mein Nachfolger ein Vermögen machen werde, da nicht nur der Lebensraum des cardassianischen Seidenspinners komplett vernichtet sei, sondern auch die Spezies selbst. Was Julian zweifellos bemerkte, mir aber keinen Vorwurf machte.

Aus meiner Jackentasche ziehe ich die gefalteten Bögen Papier, Julians letzten Brief, den ich gestern erhalten habe. Ich habe ihn noch nicht gelesen. Er bevorzugt Papier und Tinte, sagt es sei persönlicher als elektronische Nachrichten auf einem PADD zu verschicken, und ich gebe ihm Recht. Den Brief in Händen zu halten und die Worte zu lesen, die er in seiner klaren, geschwungenen Hand geschrieben hat, nur für mich, ist als wäre ein kleiner Teil von ihm hier bei mir. Seine Handschrift ist wie er selbst, elegant, präzise, eine Freude für das ästhetisch geschulte Auge und ich kann mir nicht helfen, daß meine Hände etwas zittern, als ich die Seiten auseinanderfalte.

*Mein lieber Garak...*

Mein lieber Julian...

Er schreibt von den Bemühungen, den Friedensvertrag mit dem Dominion umzusetzen, Zerstörtes wieder aufzubauen, diplomatische Beziehungen mit Romulus und den Breen zu festigen und die Sternenflotte wieder zu einer relevanten Streitmacht zu machen. Konjunktur und Arbeitsmarkt in der Föderation seien im Aufschwung. Mit dem Fatalismus meiner Jahre darf ich anmerken, daß Cardassia jenseits aller Hoffnung ist, meine rein subjektive Meinung und sicherlich würde mir Julian widersprechen. So wie immer. In vielen Dingen. Er entwickelte mehr und mehr Talent, trotz seiner eigenen Meinung andere Standpunkte intuitiv zu erfassen und zu verstehen, sich in den Gegner hineinzuversetzen.
Sieben Jahre lang war ich der "Gegner", auch wenn ich mich längst nicht mehr als solchen sah.
Ich kann mit gutem Recht behaupten, daß er genauso dachte.

Sonst würde er mir nicht mit dieser Regelmäßigkeit schreiben. Ich wünschte, ich könnte mit ähnlich optimistischen Zeilen antworten, doch um ehrlich zu sein, weiß ich nicht wie. Was soll ich schreiben? Zum ersten Mal in seinem Leben fehlen mir, dem Meister der Rede, dem Rhetorikexperten und konversationskünstler, die Worte und es ist eine lähmende Erkenntnis.
Wovon soll ich berichten, außer von verlorener Hoffnung und gähnender Leere, von steigenden Opferzahlen und der Bedrohung durch Krankheit und ein fortschreitendes ökologisches Endzeitdrama? Es wäre eine zu brutale Wahrheit und ich möchte sein Leben mit Ezri nicht unnötig beeinflussen. Er hat es schließlich verdient und wenigstens einer von uns sollte glücklich sein.
Stattdessen schicke ich ihm meinen Glückwunsch zu seiner Beförderung zum Lieutenant-Commander und kommentiere mit einer Spur meines alten Charmes, daß wenn er in dem Tempo weitermache, Starfleet in Bälde neue Ränge erfinden müsse, um ihm gerecht zu werden.

Ich hatte vor langem die Wahl getroffen, meine Gefühle für mich zu behalten. Es war besser so.
Denn am Ende hätte nur Zerstörung gestanden und Schmerz.
Und ich könnte ihm nie etwas derartiges antun...denn außer meinen Erinnerungen bleibt mir nur noch er. Als Freund, das war die Entscheidung.
Wir entschieden uns. Nur nicht füreinander.

«It's just that we stayed too long
In this same old sickly skin.
I'm pulled down by the undertow
Never thought I could feel so low
Oh darkness, I feel like letting go...»

Bei all meinen Bemühungen, ihm ein Lehrer zu sein, ihn vorzubereiten auf die unzähligen Grauschatten des Lebens und seine Gefahren, war ich dennoch der Schüler. Es war so leicht, sich auf ihn einzulassen, seine natürliche Wärme und Lebensfreude zu genießen, anfangs sah ich darin eine jugendliche Naivität, hielt ihm vor, daß eine gesunde Dosis Zynismus und Mißtrauen überlebenswichtig seien, nur um später herauszufinden, daß dem ganz und gar nicht so war. Daß, wie ich mit Respekt hatte feststellen müssen, Julian Bashir dunklere Geheimnisse mit sich herumschleppte als es ein Obsidian Order Agent im Exil für möglich halten konnte, meine Lektion praktisch lebte. Und das schon sein ganzes Leben lang, ohne daß er etwas dagegen tun konnte. In seinem Inneren verbirgt er eine Härte, die er niemanden sehen läßt, doch mir kann er nichts vormachen. Ach, Julian, ich hatte nie erwartet, daß du mir vertraust...
Aber wünschen darf ich doch, oder?

Im schwefelgelben Zwielicht am Horizont zucken Blitze, blauweißes Lichterflackern über von Jem'Hadar-Truppen zerbombten Siedlungen und niedergebrannten Wäldern.
Zumindest hatte ich eine gewisse Wahl.

Ohne es wirklich zu merken, kam Licht in meine Dunkelheit. Und ich ließ es zu, verabschiedete mich von so manchen Praktiken und Überzeugungen. Nicht hundertprozentig, aber weit genug, um Neues zuzulassen.

Fremdartig zuerst.
Terra incognita.

Doch das Licht war Schutz genug. Julians Licht.
Was hatte ich denn zu verlieren? Ein armseliger Schneider, der einzige Cardassianer auf einer bajoranischen Raumstation, der die Leute, die ihn auch nur halbwegs tolerieren, an zehn Fingern abzählen konnte. Weswegen sollte ich nicht das nehmen, was ich kriegen konnte?

Gelegenheiten gab es genügend.

Doch etwas hielt mich zurück. Angst? Zweifel, daß er mich überhaupt ausreden lassen würde, wenn ich in Worte faßte, was mir durch den Kopf ging? Furcht, daß er es nur wieder für eine weitere Lüge hält, eine leichtfertige Unwahrheit, die ich mit einem Lächeln und einer tieferen und keinesfalls ehrenhaften Absicht erzählte? Wie der Junge, der "Wolf!" schrie...

Warum ist es dann, daß ich immer noch glaube, in seinen Augen eine ähnliche Frage gesehen zu haben?

Mein Blick fällt auf den Brief in meinen Händen, sucht zwischen den Zeilen nach einer Antwort.
Es ist als könnte ich seine Stimme hören.

Sinnlose Träumereien eines Mannes, der seine Zukunft in diesem kahlen grauen Nichts sieht, das einst seine geliebte Heimat war. Die Erinnerung an die Zeit im Licht kann die Dunkelheit der Zukunft nicht fernhalten, die sich wieder um mich legt wie ein schwerer grauer Mantel, grau und tot wie die Welt, auf die ich zurückgekehrt bin.

Liebe war nie leicht für mich. Nur selten war mir etwas oder jemand teuer genug, um wirkliche Gefühle zu entwickeln. Noch seltener wurde mir ein Grund gegeben, überhaupt Gefühle zu haben, doch ganz abschalten ließen sie sich nicht.

Die Blitze werden häufiger, ebenso der Donner. Vielleicht sollte ich versuchen, in einer dieser Ruinen Schutz vor dem Regen zu suchen, aber mein müder Körper will nicht. Wenn der Himmel Tränen vergießen will, so soll mir das Recht sein. Er kann für mich mitweinen, denn ich kann es nicht mehr. Oder noch nicht.

Ich denke, ich habe meinen Vater geliebt, bis zu seinem Tod. Auch wenn er nie einen Funken von Gegenliebe zeigte und nie zu mir stehen konnte, was ich schließlich verstand und einsah, denn ich war ja illegitim, ein Waise vor dem Gesetz, war da diese unerklärliche Verbindung, die weit über die Loyalität unserer späteren Berufsbeziehung hinausging. Manchmal haßte ich mich dafür, fragte mich, wieso ich mir das gefallen ließ.
Enabran Tain, der mir nie ein Vater sein wollte...und Mila Pa'Kess, die mir nie die Mutter sein konnte, die sie war.

Ich sollte es Julian sagen. Daß Mila in der Tat meine Mutter war. Es würde eine weitere Frage beantworten, die er nie aufhörte mir zu stellen seit dem Tag in dem Dominion-Gefängnis, als er Tains Tod beiwohnte und die Wahrheit erfuhr, die Wahrheit über die Jahre meines verzweifelten Strebens, in Tain mehr als nur einen Vorgesetzten und Mentor zu finden.
Oft fragte ich mich hinterher, weshalb ich Tain belog...weshalb ich ihm sagte, wir seien allein. Julian bekam alles mit.

Erst Wochen später sollte mir klarwerden, wie gut er meine Situation verstehen konnte, viel besser als irgend jemand sonst, nämlich als seine Eltern auf die Station kamen.

Nun, wir redeten nie wirklich über die Affäre bezüglich der Entdeckung seiner verbesserten DNS, der genetischen Behandlung eines siebenjährigen Julian Bashir. Wir brauchten es auch gar nicht. Ich verstand und er wußte darum, ohne mich zu fragen. Es war unsere eigene Art von Kommunikation, ein Blick, ein Schweigen, ein unmerkliches Nicken, wie sie sonst nur zwischen Leuten entsteht, die sich ein Leben lang kennen. Wir hatten einige kurze Jahre und unseres ist ein Verstehen zwischen zwei Leuten, deren Leben von Geheimnissen geprägt sind. Es entstanden emotionale Bande, die ich bewußt ignorierte, sobald ich ihrer gewahr wurde. Verleugnen konnte ich sie aber nie.

Sanft streichen meine Finger über die geschriebenen Worte, folgen den Linien wie einem magischen Muster, als ob in ihnen die Lösung zur Rettung von Cardassia liege. Oder mir selbst.

Ich beginne mit der nächsten, der letzten, Seite.

Ich hatte etwas unbeschreiblich Kostbares in meiner Hand und es zerrann zwischen meinen Fingern wie der Staub auf den Steinen, auf den blaßblauen Blütenblättern, puderfeine Körner, die der Wind zerstreute. Unwiederbringlich.

*Es bieten sich hier so viele neue Chancen für mich, doch ich zögere. Ich komme einfach nicht zur Ruhe. Es ist eine seltsame Unruhe in mir und ich weiß nicht, was die Ursache ist. Als ob etwas nicht richtig ist, etwas fehlt...etwas Wichtiges. Als ob man in Urlaub fährt und sich pausenlos fragt, ob man die Haustür abgeschlossen und den Herd ausgeschaltet hat. Du kennst das Gefühl sicher.*

Etwas in meinem Inneren krampft sich zusammen. Ich kenne das Gefühl nur zu gut. Bloß weiß ich mit Sicherheit, *daß* etwas Wichtiges fehlt und weiß auch genau, was!

*Ich denke, was ich suche, sind Antworten auf verbleibende Fragen. An Dich, Elim.*

Damit habe ich gerechnet, Julian.

*Natürlich bin ich mir vollauf im Klaren, daß ich nicht auf alles eine Antwort bekommen kann, das erwarte ich auch gar nicht, denn dafür kenne ich Dich zu lange. Deshalb beschränke ich mich auf das Nötigste.*

Es gibt nur eine Frage, die du mir hoffentlich niemals stellst.

*Und ich muß Dich fragen, Elim, denn ich kann nicht länger mit der Ungewißheit leben. Ich könnte mit meiner Vermutung richtig liegen. Sollte Deine Antwort Nein lauten, werde ich das akzeptieren und nie wieder fragen, denn ich vertraue Dir, daß Du mir ehrlich antworten wirst.*

Du wirst auf alles eine ehrliche Antwort bekommen, Julian, verspreche ich ihm leise, mit einer einzigen Ausnahme.

«If all of the strength and all of the courage
Come and lift me from this place
I know I can love you much better than this...
Full of grace...»

*Ich muß die Frage stellen, die seit Jahren darauf wartet, ausgesprochen zu werden. Seit dem Tag, an dem Du im Replimat an meinen Tisch kamst. Die Frage, die ich immer stellen wollte, wenn Du mich ansahst und ich in dem Blau Deiner Augen etwas erblickte, das sich nicht in Worte fassen ließ. Jetzt bist Du fort und wenn ich weitermachen will, wenn ich eine Entscheidung treffen will, brauche ich diese eine Antwort von Dir, Elim Garak. Und ich will die Wahrheit: Liebst Du mich?*

«I know I can love you much better than this...»

Ich könnte...doch steht es mir nicht zu. Mein Platz ist hier

«It's better this way.»

Die Antwort ist Nein.
Glaub' mir, Julian, es ist besser so.
Es beginnt zu regnen.

Erst lange Zeit später merke ich, daß es nicht der Regen ist, der die Tinte verlaufen läßt.

Ende
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