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Zwischen den Welten

von Martina Strobelt

Kapitel 1

Wo das Wissen endet,
fängt der Glaube an
(Terranische Weisheit)



Jadzia Dax wusste nicht, was sie geweckt hatte. Kein Laut durchbrach die Stille, die sie umgab. Die Trill lauschte angestrengt, aber sie hörte nichts, was erstaunlich war. Denn die Defiant war nicht nach Maßstäben der Bequemlichkeit gebaut worden. An Bord eines kleinen Schiffes wie diesem, wo die Quartiere sich so nahe an der Brücke und dem Maschinenraum befanden, vernahm man stets Geräusche. Schritte, Gesprächsfetzen und natürlich das leise, konstante Brummen des Antriebs.

Doch so sehr Dax sich auch anstrengte, sie hörte nichts, außer ihrem eigenen Atem. Es war seltsam, sie fühlte auch keinen Kopfschmerz, obwohl sie gestern so viel Alkohol zu sich genommen hatte, dass die Menge ausgereicht hätte, mehr als einem Klingonen zu einem Brummschädel zu verhelfen. Normalerweise trank die Trill an Bord der Defiant nur Synthehol. So wie alle anderen. Während eines Einsatzes waren alle hier ständig im Dienst. Der Genuss alkoholischer Getränke war verboten. Aber sie, Jadzia, war so verzweifelt gewesen, dass sie sich darüber hinweggesetzt hatte. Gestern Abend hatte sie sich so elend gefühlt wie seit vielen Jahren nicht mehr. Alles war ihr gleich gewesen. Sie hatte ihren Schmerz über den Verlust, den sie mit dem Verschwinden Meridians erlitten hatte, nur noch ertränken wollen, sich nur noch gewünscht, sich irgendwo verkriechen und einfach sterben zu können ...

Bei dem Gedanken an Meridian spürte Dax, wie ihre Augen sich erneut mit Tränen füllten. Ihr Blick richtete sich auf die funkelnden Sterne. Dort draußen in den Schwärzen des Alls, unerreichbar für sie in einer anderen Dimension, war Meridian. So nah und doch so fern.

Sie fragte sich, ob der Mann, den sie liebte, jetzt gerade vielleicht auch hinaus durch das Fenster in den dunklen Nachthimmel sah und sich genauso brennend wie sie nach dem sehnte, was ihnen beiden für immer verwehrt bleiben würde. Ob der Anblick der Sterne ihn genauso traurig machte, wie sie ...

Mit einem Ruck setzte die Trill sich im Bett auf.

Ihre Kabine auf der Defiant hatte gar kein Fenster ...

„Computer“, befahl sie heiser. „Licht!“

Helligkeit durchflutete den Raum. Geblendet kniff Dax die Augen zusammen.

„Lichtstärke auf 30, nein auf 25 % reduzieren!“

Jadzia blinzelte ein paar Mal, dann hatten ihre Augen sich von dem Gleißen erholt und an das nunmehr herrschende Halbdunkel gewöhnt. Obwohl die Trill bereits überzeugt war, sich nicht mehr in ihrem Quartier auf der Defiant zu befinden, versetzte ihr die endgültige Bestätigung einen kleinen Schock. Julian Bashir hätte ihr jetzt sicher erklärt, dass es sich dabei um eine völlig normale Reaktion handeln würde ...

Der Raum, in dem sie sich befand, war klein. Außer der schmalen Liege, auf der sie saß, gab es keinerlei Einrichtung. Ein dunkelblauer Teppich bedeckte den Boden. Die Wände waren in der gleichen Farbe lackiert. Das Zimmer wurde von einem großen Fenster beherrscht, das fast die gesamte Längsseite einnahm.

Unbewusst registrierte Dax, dass sie immer noch ihre Uniform trug. Auch ihr Kommunikator war noch da, was sowohl ein gutes, wie ein schlechtes Zeichen sein konnte. Jadzia tippte auf Letzteres. Wer immer sie auch hierhergebracht hatte, es war wohl nicht anzunehmen, dass er dumm oder leichtsinnig genug war, ihr den Kommunikator zu lassen, wenn er nicht absolut sicher war, dass er ihr nichts nutzen würde. Und das bedeutete, dass es hier entweder ein starkes Kraftfeld gab, das jegliche Art der Kommunikation unmöglich machte - oder, was wahrscheinlicher war, dass dieser Ort hier weit außerhalb der Reichweite der Defiant und DS9 lag.

Aber wo ...

Kein Planet, soviel stand fest. Dieser Ort befand sich mitten im All. Eine Raumstation oder ein Schiff. Dax fixierte einen der Sterne dort draußen. Ja, auch wenn sie keine Maschinengeräusche hörte, sie bewegten sich. Nur langsam zwar, aber doch stetig. Also musste es sich hier um ein Raumschiff handeln. Aber wer könnte ein Interesse daran haben, sie zu entführen?

Jadzia verglich ihre Umgebung mit DS9 und kam zu dem Schluss, dass dieser Raum keine Ähnlichkeit mit einem cardassianischen Quartier aufwies. Für klingonische Verhältnisse war die Kabine zu luxuriös. Die Böden klingonischer Schiffe waren nicht mit Teppichen bedeckt. Außerdem konnte sie sich keinen Grund denken, aus dem Klingonen sich ihrer bemächtigt haben sollten. Der Maquis besaß bestimmt kein Schiff dieser Größe. Ferengi-Schiffe sahen anders aus. Blieben also nur noch die Romulaner oder das Dominion.

Nun, ganz gleich, wer dafür verantwortlich war, er irrte sich gewaltig, sollte er glauben, dass sie hier tatenlos sitzen und darauf warten würde, dass jemand kam und sich mit ihr befasste.

Jadzia erhob sich und näherte sich vorsichtig der Wand zu ihrer Linken, an der sie eine Tür entdeckt hatte. Noch während sie überlegte, wie sie den Öffnungs-Mechanismus kurzschließen konnte, glitten die beiden Türhälften lautlos auseinander und gaben den Blick auf einen langen - und offenbar leeren - Gang frei.

Nach einem kurzen Zögern trat die Trill hinaus. Hinter ihr schloss die Tür sich ebenso lautlos wieder. Nachdenklich schweifte Jadzias Blick über die großen Fenster, die den Gang zu beiden Seiten säumten. Herrliche Ziele für Phaserfeuer. Entweder verfügte dieses Schiff über Schutzschilde, die denen aller ihr bekannten Rassen haushoch überlegen waren, oder es diente entgegen ihrer ersten Annahme keinem kriegerischen Zweck.

Plötzlich vernahm sie entfernte Geräusche, die sie von der Betrachtung der Fenster ablenkten. Jadzia runzelte leicht die Stirn. Was sie da vernahm klang alles andere als feindlich ...

Leise Musik, Gesprächsfetzen, Gelächter, das Klingen von Gläsern ...

Am Ende des Ganges befand sich eine Tür. Die Geräusche schienen aus dem Bereich dahinter zu kommen. Entschlossen machte die Trill sich auf den Weg. Auch diese zweite Tür öffnete sich lautlos, noch bevor Dax sie erreicht hatte.

Abrupt blieb Jadzia stehen. Sie wusste nicht genau, was sie eigentlich erwartet hatte, aber bestimmt keine ... Bar!

Die Einrichtung war schlicht. Eine lange polierte Theke, riesige Panorama-Fenster, ein rundes Podium, auf dem eine Drei-Mann-Band spielte. Davor eine kleine Tanzfläche, darum gruppiert einige Tische, an denen einige Gäste saßen. Und dieses Publikum war es, das Dax am meisten verwirrte. Sie sah ein junges terranisches Pärchen, das versunken die Aussicht genoss, einen älteren bajoranischen Vedek, der sich mit einem Vulkanier unterhielt, einen Rigelianer, der mit einem Bolianer und einer Nausikaanerin Karten spielte, zwei stark alkoholisierte Klingonen, die offenbar seit einiger Zeit versuchten, sich gegenseitig unter den Tisch zu trinken, einen grauhaariger Terraner, der ungeniert mit einer hinreißend schönen Betazoidin flirtete, einen Ferengi, der etwas abseits den Inhalt einer kleinen Schatulle zählte, während ein anderer Ferengi den Gesten nach gerade seiner Tischnachbarin, einer alten würdevollen Vulkaniern, die Vorzüge irgendeiner Ware anpries, die er ihr zu einem günstigen Preis zu verkaufen gedachte - und schließlich noch zwei cardassianische Offiziere, die sichtlich amüsiert einen Streit beobachteten, der am Nachbartisch zwischen einer Klingonin und zwei Romulanern ausgebrochen war.

Gerade sprang die Klingonin mit einem wilden Fluch auf, wobei sie ihren Stuhl umriss. Sie holte aus und versetzte dem einen Romulaner einen Hieb, der ihn quer durch den Raum bis vor Jadzias Füße schleuderte, wo er benommen liegenblieb. Ehe der andere Romulaner reagieren konnte, hatte die Klingonin bereits ein Bat’leth gepackt, das auf dem Tisch vor ihr gelegen hatte, und machte Anstalten, ihrem Gegner unter dem Gelächter der Cardassianer damit den Schädel zu spalten.

Zu Jadzias Erstaunen schienen die anderen Gäste, mit Ausnahme der Cardassianer, sich nicht im Geringsten für das Geschehen zu interessieren.

Im Gegensatz zu einem kleinen schmächtigen Terraner in einer blauen Uniform, der plötzlich hinter der Theke auftauchte und sich behände zwischen die Kontrahenten drängte.

„Aber nicht doch!“, rief er laut. „Keine Gewalt, nicht an Bord dieses Schiffes!“

Unwillkürlich hielt Dax den Atem an. Der Mann in der blauen Uniform war schon älter. Er war ohnehin nicht sonderlich kräftig gebaut, aber neben der muskulösen Klingonin und dem großen Romulaner, der die Ablenkung genutzt hatte, um seinerseits ein langes Messer zu ziehen, wirkte er wie ein Zwerg, der es mit zwei Riesen aufnehmen wollte.

Während Jadzia noch überlegte, wie sie dem Mann am besten zu Hilfe kommen konnte, senkte die Klingonin zur Überraschung der Trill ihre Waffe. „Er hat es gewagt, mich zu beleidigen“, fauchte sie dabei allerdings zornig „Dieser Paktar!“

„Immer mit der Ruhe“, kam der ältere Terraner der wütenden Erwiderung des Romulaners zuvor, wobei er in einer beschwichtigenden Geste beide Hände hob. „Dieses Schiff ist groß genug, um sich aus dem Weg zu gehen, also bitte!“

„Lasse sie doch, Alter!“, mischte sich einer der Cardassianer ein. „Jeder von uns hier vertreibt sich die Langeweile eben auf seine Weise. Ich für meinen Teil habe auch langsam genug davon, hier nur herumzusitzen, Warten ist nämlich nicht gerade eine meiner Stärken!“

„Eine meiner auch nicht“, pflichtete der andere Cardassianer ihm bei.

Die anderen Gäste richteten ihre Aufmerksamkeit nun ebenfalls auf die Gruppe rund um den älteren Terraner. Hier und da wurde zustimmendes Gemurmel laut, das jedoch verstummte, als der Mann in der blauen Uniform sich nun straffte und mit mildem aber deutlichem Tadel in der Stimme sagte: „Ich habe keinen von Ihnen gebeten, an Bord zu kommen. Trotzdem versuche ich alles, Ihnen diese Fahrt so angenehm wie nur möglich zu machen. Anstatt Ihre Zeit mit Sinnlosigkeiten zu vergeuden, sollten Sie sich lieber auf das Treffen vorbereiten - auf die Fragen, die man Ihnen allen stellen wird ...“

Die Klingonin legte wortlos ihr Bat’leth wieder auf den Tisch und setzte sich hin. Auch der Romulaner steckte seine Waffe weg und nahm wieder Platz. Die anderen Gäste schwiegen einige Sekunden, bevor sie sich wieder ihren Gläsern und Gesprächen zuwandten.

„Es ist jedes Mal dasselbe“, seufzte der ältere Terraner, als er nun zu dem zweiten Romulaner ging, der immer noch neben Dax auf dem Boden lag. „Immer wieder bitte ich darum, Klingonen und Romulaner getrennt reisen zu lassen. Aber wer hört schon auf mich? Ich bin ja nur der Stewart.“ Er bückte sich, packte den rechten Arm des Romulaners. „Ach bitte seien Sie doch so nett und fassen Sie mit an, Jadzia“, sagte er, während er Anstalten machte, dem Benommenen aufzuhelfen. „Ich darf Sie doch Jadzia nennen?“

„Woher kennen Sie meinen Namen?“ Die Trill griff zu und gemeinsam gelang es ihnen, den Romulaner hochzuziehen. Einen Moment schwankte er noch, dann torkelte er in Richtung der Tische davon. Der Terraner sah ihm nach, offenbar besorgt, ob er es schaffen würde, auf den Füßen zu bleiben. Als der Romulaner sich in einen der Stühle sinken ließ, erlaubte der ältere Terraner sich ein erleichtertes Lächeln. „Woher kennen Sie meinen Namen?“, wiederholte Dax ihre Frage.

Der alte Mann sah sie erstaunt an. „Von der Passagierliste natürlich, woher sonst?“

„Passagierliste ...?“, echote Jadzia verständnislos.

„Aber ja doch.“ Aus den Tiefen seiner Jackentasche holte er ein Datenpad hervor. „Hier steht es ganz deutlich: Jadzia Dax vom Planeten Trill ...“ Er hielt ihr das Padd hin. Tatsächlich, dort stand ihr Name als Letzter auf einer längeren Liste.

„Nach diesen Informationen“, fuhr er fort. „Haben Sie sich spontan und kurzfristig um eine Passage auf diesem Schiff bemüht. Viele unserer Gäste kommen ohne längere Vorbereitung ganz ungeplant an Bord. Aber das macht nichts. Wie Sie sehen können, ist dieses Schiff recht geräumig. Es stammt noch aus einer Zeit, in der es von allen Seiten einen sehr großen Andrang auf eine Überfahrt gab. Damals herrschte hier vielleicht ein Trubel. Da wäre es schon ein wenig schwieriger gewesen, einen unerwarteten weiteren Gast unterzubringen. Aber zum Glück für Sie, für uns alle“, er steckte das Datenpad weg und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Sind wir schon seit einigen Jahren auf keiner Fahrt mehr ausgebucht ...“

***

Jadzia Dax lehnte an einer schmalen Säule und beobachtete wie der schmächtige Terraner in der blauen Uniform begütigend auf die Betazoidin einredete, die sich haltlos schluchzend an seine Schulter schmiegte. Die Trill konnte nicht verstehen, was der ältere Mann, der sich ihr als Clavius vorgestellt hatte, der Frau sagte. Offenbar waren es die richtigen Worte. Sie beruhigte sich und hörte auf zu weinen.

Dax fragte sich, was es wohl gewesen war, das die Betazoidin derart aus der Fassung gebracht hatte. Sie war sehr gut gelaunt gewesen als sie, Jadzia, vor ungefähr einer Stunde die Bar verlassen hatte, um sich auf diesem seltsamen Schiff umzusehen, wenn möglich einen Weg zu finden, von hier zu verschwinden - und auch, um Clavius’ Gesellschaft zu entkommen. Der alte Mann hatte etwas an sich, was ihr unheimlich war. Er hatte verhindert, dass sie sich zu den anderen Gästen setzte. Auch ihren Fragen war er geschickt ausgewichen. Statt sie zu beantworten, hatte er ihr einen schier endlosen Vortrag über all die Tätigkeiten gehalten, die ihm an Bord oblagen.

Schließlich war es ihr zu viel geworden und sie hatte sich unter dem Vorwand zurückgezogen, sich in ihrem Quartier ein wenig frisch machen zu wollen. Clavius hatte keine Einwände erhoben - und die anderen Gäste schien nicht zu interessieren, was sie tat. Ja, Dax konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die bunt gewürfelte Gruppe nicht einmal zur Kenntnis genommen hatte, dass sie überhaupt anwesend war. Sie alle waren ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Keiner hatte auch nur den Kopf gehoben, als Jadzia hinausgegangen war.

Wenn es hier eine Sensoren-Überwachung gab, so hatte sie davon nichts bemerkt - oder es hatte niemanden gestört, dass sie entgegen ihrer eigenen Worte ihr Quartier gar nicht betreten hatte, sondern durch das Schiff gewandert - oder besser geirrt war ...
Clavius’ Auskunft, dass dieses Schiff geräumig sei, war stark untertrieben gewesen. Es war einfach riesig. Zahllose Gänge, die einander alle glichen. Türen über Türen - und jede hatte sich lautlos geöffnet, sobald Jadzia sich ihr genähert hatte, und hinter jeder hatte entweder ein weiterer Flur oder eine Kabine gelegen, die genauso aussah wie diejenige, in der sie vorhin zu sich gekommen war. Die Leere war es, welche die Trill am meisten irritierte. So viele Gänge, so viele Quartiere - aber mit Ausnahme der Leute in der Bar war ihr auf ihrem ganzen Weg nicht ein einziges weiteres Lebewesen begegnet.

Und dazu diese geisterhafte Stille, die über allem lag...

Sofern dieses Schiff einen Antrieb hatte, war davon nirgends etwas zu hören. So sehr Jadzia auch gesucht hatte, sie hatte auch keine Brücke gefunden. Das ganze Schiff schien nur aus Gängen und Kabinen zu bestehen - und aus der Bar, in welche die Trill schließlich frustriert zurückgekehrt war. Sofort nach ihrem Eintreten hatte sie gespürt, dass die Stimmung im Raum sich während ihrer Abwesenheit verändert hatte. Die Drei-Mann-Band spielte immer noch, aber das Gelächter, die Gespräche waren verstummt. Die Karten waren in einem unordentlichen Häufchen auf dem Tisch zusammengeschoben worden, die Klingonen starrten schweigend in ihre Gläser ...

Ein Hauch des Unwirklichen schien über der Szene zu schweben, dann hatte die Betazoidin angefangen, zu weinen ...

„Ah, da sind Sie ja wieder, Jadzia.“ Clavius nickte der Betazoidin noch einmal aufmunternd zu, bevor er mit energischen Schritten zu Dax eilte. „Sie waren lange weg“, sagte er tadelnd. „Ich hätte hier Ihre Hilfe gebrauchen können. So kurz vor Erreichen unseres Zielortes dürfen Sie die Bar nicht verlassen, niemals! Aber Sie sind ja noch neu, Sie werden es schon lernen.“

„Lernen?“ Dax starrte ihn mit großen Augen an. „Was meinen Sie mit lernen?“

Clavius ignorierte ihre Frage. Er beugte sich an ihr vorbei über die Theke und zog aus einem Fach unter dem Tresen ein Stoffbündel, das die Trill bei näherem Hinsehen als eine blaue Uniform identifizierte, ähnlich derjenigen, die der alte Terraner trug.

„Hier ...“ Clavius hielt ihr das Kleidungsstück hin. „Wir sind fast da. Sie sollten sich ein wenig beeilen. Ich hoffe, dass sie passt. So kurzfristig habe ich es nicht geschafft, mich über Ihre Größe zu informieren, ich habe nur geschätzt, und meine Augen sind leider nicht mehr ganz so gut wie früher. Aber keine Sorge, wenn erst die Passagiere von Bord sind, haben wir genug Zeit, um hier und da was zu ändern, sofern es nötig sein sollte und ...“

„Einen Moment“, wurde er von Dax unterbrochen, nachdem sie einige Sekunden gebraucht hatte, um zu begreifen, wovon er sprach. „Verstehe ich das richtig, Sie erwarten von mir, dass ich diese Kleidung hier anziehe?“

„Ja, ja, nun machen Sie schon, wir haben nicht mehr viel Zeit bis ...“

„Ich denke nicht daran!“, fiel sie ihm erneut ins Wort. „Ich weiß, nicht wer Sie sind, oder was das hier für ein seltsamer Ort ist. Ich weiß nicht, was ich hier soll, geschweige denn, wie ich hierher gekommen bin. Ich habe genug von Ihren Ausflüchten! Ich will diese Kleidung da nicht tragen! Ich will Ihnen nicht behilflich sein! Das Einzige, das ich will, sind Antworten! Wo bin ich? Wer hat mich hierher gebracht? Was wollen Sie oder diejenigen, denen Sie dienen, von mir?“

Clavius musterte sie so intensiv als wolle er bis auf den Grund ihrer Seele blicken, dann legte er das Kleiderbündel mit einem leisen Seufzen beiseite. „Sie wissen es wirklich nicht, oder?“

„Was? - Was weiß ich nicht?!“

„Erinnern Sie sich noch an die letzte Nacht?“

„Wieso?“, fragte sie, von seinem unerwarteten Themawechsel überrascht. „Nun, ich war in meinem Quartier an Bord der Defiant ...“

„Und was haben Sie dort getan?“

„Ich glaube kaum, dass Sie das etwas angeht!“, sagte Jadzia schärfer als beabsichtigt.

Sein Blick hielt den ihren unverwandt fest. „Mag sein, darüber können wir später noch sprechen. Aber was ist mit Dax?“

„Dax ...?!“

„Ihren Symbionten, Dax! Geht es ihn etwa auch nichts an, was Sie getan haben, Jadzia?“

„Ich ...“ Ihre Gedanken rasten, wie konnte er von Dax wissen ... „Ich ... ich habe nichts getan ...“

„Sie haben getrunken ...“

„Ja, aber...“

„Sehr viel getrunken ...“

„Na und“, verteidigte sie sich schwach, ohne darüber nachzudenken, wieso er das alles wusste, es schien auf seltsame Weise ganz natürlich ... „Ich war so verzweifelt, ich ... ich habe auch Gefühle ... ich wollte ...“, sie brach ab.

„Was wollten Sie, Jadzia?“, fragte er sanft.

... hier, Jadzia, nehmen Sie eine Tablette davon, dann können Sie schlafen, aber nur eine ...

„Julian hat es gut gemeint ...“, flüsterte die Trill.

„Natürlich hat er das. Er konnte ja nicht wissen, dass Sie sich vergessen würden. Dass Sie Dax vergessen würden ...“

... Schmerz ... Trauer ... Verzweiflung ... Schlaf ... nur noch schlafen ... vergessen ... Vergessen finden im Schlaf ... wofür aufwachen ... wofür leben ...

Jadzias Lippen zitterten. „Es war mir nicht bewusst.“

... Alkohol schenkt Vergessen ... zu wenig Vergessen ... wenn die Seele stirbt, warum den Rest nicht auch sterben zu lassen ... es ist so leicht ... keine Verzweiflung mehr ... kein Schmerz ...

Jadzias Stimme war nur noch ein Hauch. „Ich war betrunken, ich wusste nicht was ich tat ...“

„Sie haben die Tabletten geschluckt, eine nach der anderen, bis das Röhrchen leer war ...“

„Ich, ich bin ... tot ...?!“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

„Sie haben Ihr Leben fortgeworfen, Jadzia, und das von Dax ...“ Clavius’ Tonfall war frei von Anklage, voller Traurigkeit.

„Dieses Schiff hier ...?“

„Seit Anbeginn der Zeit ist es unsere Aufgabe, die Gestorbenen aller Rassen auf ihrer letzten Reise zu begleiten, sie während dieser Überfahrt zwischen den Welten auf das vorzubereiten, was sie am Zielort erwartet.“
„Unsere ...? Dann gibt es noch mehr von Ihnen?“

„Ja, viele. Zum Glück werden die meisten von uns nicht mehr oft gebraucht. Früher in den Jahrhunderten der großen Kriege, da waren unsere Schiffe überfüllt, aber heute ...“

Jadzias wissenschaftlicher Verstand forderte sie auf, die Erklärungen des alten Mannes nicht einfach so als wahr zu akzeptieren. Sie konnte doch nicht wirklich tot sein ...

Aber etwas in ihr sagte ihr, dass Clavius nicht log. Sie hatte getrunken, zu viel getrunken, und irgendwann im Verlauf der letzten Nacht hatte sie alle Tabletten genommen, die Julian ihr gegeben hatte. Wäre sie nicht betrunken gewesen, hätte sie das niemals getan. Niemals hätte sie ihr Leben auf diese Weise beendet - und das von Dax ...

„Was ...“ Sie zögerte. „... was erwartet mich an unserem ... Zielort ...?“

Ein Schatten flog über sein Gesicht. „Nichts ...“

„Nichts ...? Aber vorhin sagten Sie doch, dass es Ihre Aufgabe sei, die ... Passagiere auf das vorzubereiten, was sie erwarten würde ...“

„Das ist richtig. Es hängt von vielen Faktoren ab. Der Rasse, dem Glauben, dem Saldo der guten und schlechten Taten, die der Betreffende zu Lebzeiten begangen hat. Aber all das gilt nur für die anderen, nicht für Sie ...“

„Weshalb?“, fragte sie von einer unbestimmten Furcht ergriffen. „Wohin werde ich gehen, wenn ich das Schiff verlasse ...?“

„Sie werden es nicht verlassen.“ Die ruhige Endgültigkeit, mit der er dies sagte, erschreckte Jadzia mehr als sie jemals etwas im Verlauf ihrer acht Leben erschreckt hatte.

„Sie meinen, ich werde an Bord bleiben? Für wie lange ...?“

„Solange, bis Sie in der Lage sind, Ihr eigenes Schiff zu führen. - Es tut mir leid, Jadzia“, ergänzte Clavius als er ihr Entsetzen bemerkte. „Ich weiß, wie Sie sich fühlen. Mir ging es damals genauso. Glauben Sie mir, mit den Jahren gewöhnt man sich daran.“

„Wie... wie sind Sie gestorben?“

„Genau wie Sie, Jadzia. Ich habe Selbstmord begangen.“

„Und nun büßen Sie dafür, genau wie ich büßen soll. So ist es doch, nicht wahr?“

„Es gibt Schlimmeres, als anderen zu helfen, das Unvermeidliche zu akzeptieren, Jadzia. Gewiss, manche der Passagiere sind schwierig. Die meisten erfahren erst hier an Bord, was mit ihnen geschehen ist. Es ist nicht immer einfach, es ihnen zu erklären. Aber alles in allem verschafft es doch eine gewisse Befriedigung, dafür zu sorgen, dass alles seinen geregelten Gang geht, dass es nicht zu Tumulten kommt, wenn die Leute begreifen, dass sie ihre frühere Welt endgültig verlassen haben, um in eine neue zu wechseln. Sie sollten dankbar sein, dass Ihre Schuld darauf beschränkt wurde, sich das Leben zu nehmen. Man hätte Ihr Verhalten auch wesentlich strenger beurteilen können ...“

„Strenger ...?“, fragte Jadzia, dann begriff sie. „Sie meinen, man hätte mich genauso gut auch für einen Mord büßen lassen können? Einen Mord an Dax ...“

Clavius hob abwehrend die Hände. „Sie wahren betrunken, Jadzia ...“

„Ignorieren die anderen meine Anwesenheit deswegen?“, fragte die Trill mit einem leichten Nicken in Richtung der anderen Gäste. „Weil ich im Gegensatz zu ihnen keines natürlichen Todes gestorben bin? Weil ich eine Selbstmörderin bin?“

... und eine Mörderin, setzte sie in Gedanken hinzu.

Clavius warf einen kurzen Blick auf die Gruppe der anderen Passagiere. „Sie werden nicht beachtet? Nun, das ist mir bisher noch gar nicht aufgefallen. Ich war wohl zu beschäftigt, um es zu bemerken. Aber jetzt, wo Sie es sagen ... Nun, das ist ungewöhnlich. Wissen Sie, als ich damals an Bord des Schiffes kam, auf dem ich ausgebildet wurde, hatte ich nicht Gefühl, dass die anderen Passagiere mich ignorieren würden. Ich erinnere mich noch gut daran. Da war ein Ferengi, der mir unbedingt einen Teil seiner Asche verkaufen wollte, und dann war da noch ein alter Klingone, der eine Menge Legenden erzählen konnte, und ...“ An dieser Stelle nahm sein Gesicht einen wehmütigen Ausdruck an. „... diese wunderschöne Elysianerin. Wäre ich dieser Frau früher begegnet, wer weiß, wie alles dann gekommen wäre ...“

„Dann wurden Sie also beachtet?“, fragte Dax nachdenklich.

„Ja, ja, das wurde ich. Wirklich seltsam, nicht wahr?“

„Vorhin, da wollten Sie nicht, dass ich mich zu den anderen setze. Wissen Sie das noch?“

Clavius runzelte die Stirn. „Ja, ich entsinne mich. Ich weiß nicht, warum. Es kam mir in dem Moment einfach richtig vor. Ich meine, ich hatte irgendwie das Gefühl, dass Sie nicht dazugehören ...“

„Weil ich mir das Leben genommen habe?“

Clavius schüttelte den Kopf. „Nein, und selbst wenn, dann erklärt das nicht, weshalb die anderen Sie nicht zur Kenntnis nehmen. Mit mir sprechen sie ja auch und ich bin schließlich auch ein Selbstmörder. Das ergibt alles keinen rechten Sinn, es sei denn ... warten Sie, lassen Sie mich auf den Fahrplan schauen ...“ Er griff in die Tasche und zog sein Datenpad hervor. „Ja, da haben wir es. Unser Aufenthalt auf Rigel-III hätte eigentlich länger dauern müssen. Aber die Passagierin, die wir dort an Bord nehmen sollten, hat die Reise unerwartet storniert. Früher ist so etwas kaum vorgekommen. Das ist der medizinische Fortschritt. Doch ich beklage mich nicht. Ich freue mich über jeden, der seine Überfahrt auf einen späteren Termin umbuchen kann ... Aber ich habe mich ablenken lassen, entschuldigen Sie, wo waren wir gerade? Ach ja richtig, beim Fahrplan. Nun, da wir von Rigel-III etwas vor der Zeit abgeflogen sind, waren wir offenbar ein wenig zu früh da. Dabei sind wir bekannt für unsere Pünktlichkeit. Da können Sie einmal sehen, was so eine unerwartete Stornierung ausmachen kann ...“

Clavius redete immer weiter, aber Dax hörte ihm schon längst nicht mehr zu.

... zu früh, hämmerte es hinter ihrer Stirn.

... zu früh ...

Sie hatte Tabletten geschluckt. Aber es war nur ein Schlafmittel gewesen. Natürlich, wenn man zu viel davon nahm, dann ... aber es dauerte doch ein wenig ...

... zu früh ...

Erst schlief man ein, und dann, irgendwann einige Stunden später starb man ...

... zu früh ...

Jadzia achtete nicht auf das, was Clavius ihr nachrief, als sie sich umdrehte und aus der Bar rannte.

Hinter ihren Schläfen pulsierte es unaufhörlich...

... zu früh ... zu früh ...

Clavius hatte recht. Sie gehörte nicht zu den anderen. Noch nicht ...

... zu früh ... zu früh ...

Die anderen Gäste hatten es auch gespürt. Sie war anders. Sie war keine von ihnen...

... zu früh ... zu früh ...

Ja, sie gehörte nicht hierher, nicht auf dieses Schiff. Es war zu früh gekommen. Genau wie das Schiff, so pendelte sie selbst, Jadzia Dax, hier und jetzt zwischen den Welten, befand sich in einem Dämmerzustand zwischen Leben und Tod, und solange er nicht endete, war noch Hoffnung ...

... Hoffnung ...

... es gab immer noch Hoffnung ...

„Helft mir!“, rief die Trill laut, ohne genau zu wissen, wen sie da eigentlich um Hilfe bat.

... Das Schiff, das Schiff war der Schlüssel ... sie musste herunter von diesem Schiff des Todes ehe es sein Ziel erreichte ... aber wie ... wie ...

Verzweifelt warf Dax sich gegen die Wände des Ganges.

... Flure, Türen, Kabinen, wo war der Ausgang, es musste doch einen Ausgang geben ...

Mit einem Klagelaut rutschte sie an der glatten Wand hinunter und blieb auf dem Boden auf den Knien liegen.

„Helft mir!“, wiederholte sie. „Ich will nicht sterben! Ich habe es doch nie gewollt! Ich war betrunken, ich wusste nicht was ich mir antat! - was ich Dax antat! - Helft mir doch!“

„Jadzia“, wisperte es in ihrem Bewusstsein, leise, aber gebieterisch.

„Dax ...? Verzeih mir, Dax, ich habe es nicht gewollt, ich war nicht bei Sinnen, ich ...“

„Der Kommunikator, Jadzia!“

„Der Kommunikator ...? Aber wie sollen Sie mich hören, Dax, wie kann der Kommunikator die andere Welt erreichen, wie ...“

„Du musst dein Wissen vergessen und einfach nur glauben, glaube, Jadzia!“


Die Hand der Trill verkrampfte sich um den goldenen Kommunikator an ihrer Brust. Wenn Dax meinte, dass Glaube das war, was sie retten würde, dann wollte sie glauben ...

„Defiant ...“ Nein, nicht die Defiant, „Julian ... Julian, hilf mir!“

Jadzias Umgebung begann sich zu drehen.

Bevor ihr Bewusstsein in wabernden Nebeln versank, formte es den letzten klaren Gedanken der Trill zu einem Schrei, der hinaus in die Schwärze des Alls gellte ...

„Julian, hilf mir ...!“

***

Feurige Schleier ... Gelächter ... haltloses Schluchzen ... es gibt Schlimmeres, Jadzia ... man hätte Ihr Verhalten strenger beurteilen können ... seit Anbeginn der Zeit pendeln wir zwischen den Welten ... Sie werden dieses Schiff nicht verlassen ... es gibt Schlimmeres ... Sie werden sich schon daran gewöhnen ... tot, Sie sind tot, Jadzia ... Sie haben sich selbst umgebracht ... Sie haben Dax ermordet ... nein ... Sie sind tot ... nein ... eine Selbstmörderin ... nein ... eine Mörderin ... nein ...

„Nein ... nein ... nein!“

„Beruhigen Sie sich doch, Jadzia.“

Die sanfte Stimme holte die Trill aus den Klauen ihres Alptraumes. Sie schlug die Augen auf.

„Julian ...? Sind Sie es wirklich, Julian ...?!“

Unbewusst registrierte Dax, dass sie sich auf der Krankenstation der Defiant befand. Doktor Bashir beugte sich über sie, seine dunklen Augen musterten sie besorgt.

„Wie fühlen Sie sich, Jadzia?“

„Wie jemand, der eine lange Reise hinter sich hat. Was ist passiert?“

Bashir zögerte. „Sie hatten einen ... Unfall ...“

„Eine taktvolle Bezeichnung für einen Selbstmordversuch ...“

Der Arzt senkte den Blick. „Sie hatten getrunken, Sie wussten nicht, was Sie taten. Ich hätte Ihnen niemals diese Tabletten geben dürfen, nicht in Ihrem Zustand. Es war meine Schuld, ich ...“

„Nein, bitte, Julian.“ Die Trill hob ihre Hand und legte sie auf seinen Arm. „Wenn Sie hier jemandem Vorwürfe machen wollen, dann müssen Sie sie mir machen ... Himmel, wie konnte ich mich nur so vergessen ...“

„Sie waren verzweifelt ...“

„Das ist keine Entschuldigung, Julian, nicht wenn man die Verantwortung für ein anderes Lebewesen trägt ...“

„Sie sollten jetzt nicht mehr daran denken“, sagte er schnell. „Außerdem wollten Sie sich nicht umbringen. Hätten Sie sonst Ihren Kommunikator benutzt, um Hilfe zu rufen?“

„Habe ich das ...?“

Er nickte. „Ja, und es war keine Sekunde zu früh. Nur ein wenig später und ... aber wie ich bereits sagte, Sie sollten nicht mehr darüber nachdenken. Sie sollten einfach nur dankbar sein. Sie haben heute Nacht sehr viel Glück gehabt ...“
„Ja, Julian“, lächelnd legte die Trill ihre rechte Hand flach auf ihren Bauch. „Ich denke, da bin ich nicht der Einzige.“

Unter ihren Fingern glaubte Jadzia, zu spüren, wie der Symbiont in ihrem Leib ebenfalls lächelte. Aber das war natürlich nur Einbildung.

Genau wie diese bizarre Reise auf diesem seltsamen Schiff vielleicht auch lediglich Einbildung gewesen war ...

... nun, eines Tages würde sie es wissen - und wenn es soweit war, würde sie erfahren, was sie am Ziel der Reise erwartete.

Und ganz gleich, was es auch sein mochte, hier und jetzt war Jadzia Dax einfach nur dankbar, dass niemand sie dann daran hindern würde, von Bord zu gehen ...


Ende
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