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Nobody's perfect

von Iska

Kapitel 1

„Wie geht es Ihnen heute, Reginald?“ Lieutenant Barclay schluckte. Eigentlich eine einfache Frage, aber gar nicht so einfach zu beantworten. Counselor Troi sah ihn erwartungsvoll an, und er räusperte sich und antwortete: „Ganz gut, glaube ich.“ Obwohl er seit fünf Monaten regelmäßig Beratungsgespräche bei Counselor Troi wahrnahm, fiel es ihm immer noch schwer, über sich zu sprechen. Sein Stottern hatte sich zwar ein wenig gebessert, doch er fühlte sich in dieser Situation immer noch äußerst unwohl.
„Läuft es bei der Arbeit jetzt besser?“, wollte Troi wissen. Barclay hatte ihr erzählt, dass er immer noch Probleme hatte, seine Meinung zu vertreten und sich oft nicht respektiert fühlte. Mittlerweile wusste er zwar, dass Geordie La Forge ihn und seine Fähigkeiten schätzte, doch es gab nach wie vor Kollegen, die sich über ihn lustig machten und ihn „Brokkoli“ nannten. Es war ihm aber unangenehm, dies Troi gegenüber immer wieder zu thematisieren und zuzugeben, dass er sich noch immer keinen Respekt verschaffen konnte, also antwortete er: „Ja, es läuft richtig gut mittlerweile“, und zwang sich zu einem Lächeln.
Counselor Troi wirkte nicht überzeugt, beschloss aber, die Sache erst mal auf sich beruhen zu lassen und nicht weiter in Barclay zu dringen, da die Beratungsstunde vorbei war und er offensichtlich nicht mehr darüber reden wollte. „Wenn es Probleme gibt, bin ich jederzeit für Sie da“, sagte sie noch, bevor sie sich verabschiedete. Reginald bedankte sich, verabschiedete sich ebenfalls und verließ ihr Quartier.
Er seufzte, während er sich auf den Weg zu seinem eigenen Quartier machte. Warum musste Deanna Troi nur so gut aussehen? Er war sich sicher, dass die Gespräche ihm bei einem weniger attraktiven – oder am besten gleich bei einem männlichen - Counselor leichter fallen würden. Außerdem musste er ständig an sein Holodeckprogramm denken, bei dem Deanna eine nicht ganz unwichtige und nicht jugendfreie Rolle gespielt hatte. Und das Allerpeinlichste war, dass sie von diesem Programm wusste – auch wenn sie nur einen kleinen Teil gesehen hatte, besaß sie sicher genug Menschenkenntnis und Fantasie, um sich die weniger harmlosen Passagen des Programms ausmalen zu können.
Er hatte schon oft mit dem Gedanken gespielt, sich auf ein anderes Schiff versetzen zu lassen, wo niemand von dieser peinlichen Geschichte wusste. Zum einen waren ihm jedoch die Enterprise und auch einige Crewmitglieder mittlerweile ans Herz gewachsen, und er liebte seine Arbeit, die ihn jeden Tag forderte und vor neue Herausforderungen stellte. Zum anderen war er sich auch sicher, dass eine Versetzung nichts bringen und ihm auch auf dem neuen Schiff der Ruf als „Brokkoli, der Holodecksüchtige“ vorauseilen würde.
Seit genau fünf Monaten, drei Tagen und zwei Stunden hatte er das Holodeck nicht mehr betreten. Deanna betonte immer wieder, was das für eine Leistung und wie stolz sie auf ihn sei. Wie bei allen Süchten, hatte sie ihm erklärt, sei das Holodeck für ihn zu einem Ersatz geworden, um sich positive Gefühle zu verschaffen, die er in seinem Alltag vermisste. Und genau wie bei anderen Süchten auch sei es daher wichtig, seinen Alltag positiver zu gestalten, damit er diesen Ersatz nicht mehr brauchte, und sich vom Holodeck fernzuhalten. Auf lange Sicht sollte er wieder einen kontrollierten Umgang mit dem Holodeck lernen, da laut Deanna totale Holodeckabstinenz Barclay auf Dauer zu sehr sozial isolieren würde, was bei einem schüchternen Menschen wie ihm kontroproduktiv sei. Doch dieser Zeitpunkt sei noch längst nicht gekommen.
Barclay seufzte erneut. Den Alltag positiver gestalten – das war leichter gesagt als getan. La Forge hatte ihn eingeladen, mit Data, Dr. Crusher und Worf heute Poker zu spielen, und obwohl er mit dem Spiel nicht viel anfangen konnte, hatte er die Einladung angenommen, um nicht wieder allein in seinem Quartier zu sitzen. Aber noch viel lieber hätte er mit Deanna... plötzlich riss ihn ein leises Kichern aus seinen Gedanken. Er zuckte zusammen. „Wer ist da?“ Erneut ein Kichern. „Ich bin's, Reg...deine Göttin der Empathie.“
Er fuhr herum. Da stand sie, Deanna. Nicht die echte, sondern „seine“, die er auf dem Holodeck erschaffen und „die Göttin der Empathie“ getauft hatte. Er erkannte sie an dem spitzbübischen Lächeln und an dem Funkeln in den Augen, das sie nur für ihn reserviert hatte, weil er sie so programmiert hatte.
Er fing an zu stottern. „W-Wie- was- was machst du hier? Wie ist das möglich?“ Sie lachte. „Mehr fällt dir nicht ein!? Ich dachte, du würdest dich freuen, mich wiederzusehen.“
„Wer oder was bist du? Du bist nicht „meine“ Deanna, denn die kann das Holodeck nicht verlassen haben, das ist unmöglich!“ Reginalds Stimme zitterte. Sie sah ihn aus ihren schwarzen Augen vorwurfsvoll an. „Natürlich bin ich deine Deanna oder deine Göttin oder wie auch immer du mich nennen willst. Freust du dich denn nicht?“ Er sah, dass Tränen in ihren Augen schimmerten, und plötzlich bekam er ein schlechtes Gewissen. Sie wirkte wirklich genau wie seine Deanna, vielleicht war irgendeine Anomalie aufgetreten und hatte es ihr ermöglicht, das Holodeck zu verlassen? Er hatte keine Ahnung, wie das geschehen sein sollte, aber es waren schon verrücktere Dinge auf der Enterprise passiert. Er würde das morgen mit La Forge und Worf besprechen. Aber für heute Abend schien es eine bessere Alternative zu geben als ein Pokerspiel. "Seine Deanna" stand vor ihm, an der Tür seines Quartiers, in einem engen weißen Kleid, das er auf dem Holodeck für sie entworfen hatte und das ihre weiblichen Formen perfekt zur Geltung brachte. Sie streckte die Hand nach ihm aus und er ergriff sie nach kurzem Zögern und betrat mit ihr sein Quartier.

Als Reginald am nächsten Morgen erwachte, war er sich nicht sicher, ob er geträumt hatte. Was letzte Nacht passiert war, war einfach zu schön gewesen, um wahr zu sein. Aber die zerwühlten Bettlaken, die Kratz- und Beißspuren auf seiner Haut und ein heftiger Muskelkater überzeugten ihn, dass er nicht geträumt hatte. Nur von „seiner Deanna“ fehlte jede Spur. Barclay schämte sich. Er war rückfällig geworden und hatte sich wieder mit einem Holodeckcharakter eingelassen. Auch wenn es außerhalb des Holodecks passiert war, änderte das nichts an den Tatsachen. Egal, was diese Anomalie verursacht hatte, er konnte auf keinen Fall mit La Forge, Worf oder sonst jemandem darüber reden, sonst müsste er seinen Rückfall eingestehen. Wie hatte er sich nur dazu hinreißen lassen können? Sie war einfach zu verführerisch gewesen, und die Nacht mit ihr war atemberaubend, viel besser, als er die Erlebnisse auf dem Holodeck mit ihr in Erinnerung hatte.
„Dienstbeginn in 15 Minuten“, ertönte da plötzlich die Stimme des Computers. Reginald sprang auf. Er hatte verschlafen, das war ihm noch nie passiert. Er ging ins Bad – und blieb wie vom Donner gerührt in der Tür stehen. An seinem Waschbecken stand ein Wesen, nackt, vielleicht 1,50 groß, nach seiner Behaarung und Anatomie zu urteilen eindeutig männlich, mit einem Wust grüner, verfilzter Haare, und putzte sich die Zähne. Als es Reginald hörte, sah es auf, spuckte die Zahnpasta aus und lächelte ihn an. Reginald sah, dass das Wesen auf der Stirn ein drittes Auge hatte.
„Hallo, Reg“, sagte das Wesen mit tiefer, melodischer Stimme, und Barclay hatte das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen.
„W- wer sind Sie und was haben Sie in meinem Badezimmer zu suchen?“ stieß er hervor, doch er ahnte bereits die Antwort. Das Wesen lächelte. „Ich bin deine Deanna, aber eigentlich heiße ich M'tok. Ihr habt mich auf einer eurer Außenmissionen ohne es zu wissen als blinden Passagier aufgelesen. Auf meinem Heimatplaneten habe ich mich zu Tode gelangweilt, dort gibt es nichts außer Steine, Wüste und ein paar langweilige Wüstenbewohner. Ich wollte schon immer etwas anderes sehen. Früher gab es dort auch große Raubtiere, die sind längst ausgestorben, aber aus dieser Zeit haben wir die Fähigkeit bewahrt, für eine gewisse Zeit unsere Gestalt verändern zu können, um uns zu tarnen. Das habe ich mir auf eurem Schiff zunutze gemacht, zuerst im Frachtraum und später auf dem ganzen Schiff. Am Spannensten fand ich aber das Holodeck. Dort gab es alles, Kämpfe, Krieg, Liebe, Natur, Spiele...einfach alles, was das Herz begehrt, und am Allerspannensten waren deine Programme, Reg.“ M'tok sah ihn an, und obwohl das natürlich unmöglich war, glaubte Barclay, das Funkeln in den Augen und das spitzbübische Lächeln „seiner Deanna“ in ihm wiederzuerkennen. „Ich war begeistert von deiner Fantasie, und irgendwann war ich nur noch in deinen Programmen. Nicht als Deanna oder irgendeine andere Person, das war gestern das erste Mal. Ich war ein Baum, ein Felsen, ein Stuhl...ich war immer in deiner Nähe, aber du hast mich nie bemerkt.“ Er lächelte. „Und da merkte ich, dass ich mich in dich verliebt hatte.“
Reginald fuhr zurück. Dieser kleine, hässliche, Gnom...allein die Vorstellung..M'tok schien seine Gedanken zu lesen. Sein Blick wurde traurig. „Ich kann gern wieder für dich Deanna sein, wenn dir das besser gefällt. Aber ich möchte, dass du mich so liebst, wie ich bin. Ich weiß, ich bin nicht das, was du erwartet hast, aber niemand ist vollkommen.“
Er streckte seine kräftige, behaarte Hand nach Reginald aus, und Reginald zögerte. M'toks Worte und seine Traurigkeit rührten ihn. Er dachte daran, wie schön die letzte Nacht gewesen war und wie froh er sein konnte, jemanden gefunden zu haben, der ihn liebte und sogar seine Holodeckprogramme zu schätzen wusste. Da würde er wohl über ein drittes Auge und ein paar andere Kleinigkeiten hinwegsehen können. Er nahm M'toks Hand und erwiderte: „Du hast recht...niemand ist vollkommen. Du kannst gern M'tok bleiben, und wenn du möchtest, darfst du mich auch Brokkoli nennen.“ M'tok lachte, und seine drei Augen funkelten.
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