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STD 03 - Hinter des Maske (2)

von Adriana

Kapitel 11 - Das Ende

Das Schiff war noch nie so schnell geflogen. Mit Warp 8,5 raste die USS CASABLANCA durch ein Meer von Sternen, die wie Silberstreifen an den Fenstern vorbeiflogen.
Sie kamen trotzdem zu spät. Phaserblitze durchschnitten die Dunkelheit des Alls. Ein gleißen-der Energiestrahl aus der Waffenphalanx der LAKOTA streifte die rechte Warpgondel der DEFIANT. Das kleine Schiff überschlug sich zweimal, spuckte dabei kleine gelbe Energieblitze aus, die als Feuerregen auf die LAKOTA nieder prasselten.
Lairis beobachtet das Gefecht mit angehaltenem Atem. Vielleicht konnte sie das schlimmste noch verhindern. Sie gab die Hoffnung nicht auf.
„Fähnrich Vixpan – rufen Sie die LAKOTA und die DEFIANT. Sie sollen das Feuer einstellen.“
Vixpan nickte und führte den Befehl aus.
„Die DEFIANT hat aufgehört zu feuern“, berichtete Prescott nach einer Minute und mit gedämpf-ter Stimme fügte er hinzu. „Es gibt zwei Tote auf dem Schiff.“
Lairis blickte betroffen auf. „Und die LAKOTA?“
„Die reagieren nicht mal auf uns!“ Eine Phasersalve löste sich aus dem Rumpf des Excelsior-Class-Schiffes. „Verdammt, sie feuern weiter!“
„Rufen Sie sie noch mal!“
„Was wollen Sie, Lairis? Wir befinden uns hier mitten in einem Gefecht“, antwortete Benteen schließlich ungehalten.
„Es liegt an Ihnen, dieses Gefecht zu beenden“, erwiderte Lairis ruhig. „Die DEFIANT hat das Feuer eingestellt. Gute Gelegenheit, Ihre Schilde runterzulassen, damit wir Ihnen beweisen, dass sich kein einziger Wechselbalg an Bord befindet.“
Doch Benteen schüttelte den Kopf. „Ihnen macht es vielleicht nichts aus, Befehle zu verwei-gern, aber ich …“
„Wenn es mir nichts ausmachen würde, hätte ich einen anderen Beruf gewählt“, unterbrach Lairis sie trocken. „Sie haben bereits das Leben von zwei Sternenflottenoffizieren auf dem Ge-wissen. Sie möchten ganz bestimmt nicht, dass es noch mehr werden!“
„Auf meinen Schiff gibt es schon über zwanzig Opfer“, entgegnete Benteen gepresst.
Dann brach die Verbindung ab.
Auf der Brücke der CASABLANCA herrschte betretenes Schweigen. Über zwanzig Tote … und jeder von Ihnen war einer zu viel. Ein schwarzer Tag in der Geschichte der Föderation. Ein Fluch, der nun auf der gesamten Sternenflotte lastete.
„Was machen wir jetzt, Captain?“ fragte Prescott.
„Genau das, was wir vereinbart haben“, antwortete Lairis prompt. „Sie begeben sich alle in den Thunderbird und starten auf mein Signal.“
Prescott schluckte heftig. „Captain …“
„Tun Sie, was ich sage, verdammt!“ fuhr sie ihn ungehalten an.
Ihr brachialer Gefühlsausbruch wirkte. Prescott zuckte sichtbar zusammen, murmelte „Aye, Captain“ und leitete die Evakuierung ein.
Die LAKOTA und die DEFIANT belauerten sich derweil wie zwei kampflustige Wölfe, doch keines der beiden Schiffe machte seine Waffen scharf. Offenbar tauschte die LAKOTA chiffrierte Sub-raumnachrichten mit der Erde aus, nur leider war Lairis mit dem veralteten Com-System der CASABLANCA nicht in der Lage, die Funksprüche zu entschlüsseln.
Es war noch lange nicht vorbei, so viel stand fest. Lairis erlebte nur gerade die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm.
***

„Captain, die CASABLANCA ruft uns!“
Benteen zögerte einen Moment. „Auf den Schirm!“ befahl sie schließlich. „Ja, Lairis?“ Der ge-nervte Unterton ihrer Stimme war nicht zu überhören.
„Tun Sie es nicht“, forderte die Bajoranerin. Ihre Stimme klang ernst und eindringlich.
„Was sollen wir nicht tun?“ fragte Benteen scheinbar gelassen.
„Ich hoffe, meinen Sensoren spinnen und Sie machen nicht wirklich Ihre Torpedos scharf!“
„Das geht Sie nicht das Geringste an!“
„Und ob mich das was angeht! Sie riskieren einen Bürgerkrieg, wenn Sie jetzt weiter kämpfen! Ist Ihnen das nicht klar?“
„Ich riskiere eine Invasion der Wechselbälger, wenn ich auf Sie höre“, gab Benteen zurück.
Täuschte sich Lairis oder schwang ein Anflug von Unsicherheit in ihrer Stimme mit?
„Sind wir etwa schon so tief gesunken, dass wir einander nicht mehr trauen können? Genau das will das Dominion bezwecken“, konterte die Bajoranerin leidenschaftlich. „Zum Geier, wir sind Sternenflottenoffiziere! Wir sollten auf derselben Seite stehen!“
Ihr Gesicht füllte den gesamten Bildschirm aus und ihre Schönheit war fast genauso einschüch-ternd wie ihr grimmig entschlossener Blick. Die Zweifel nagten immer heftiger an Benteen. Sie traute Lairis alles Mögliche zu – doch würde sie sich für ein Schiff voller Wechselbälger derart ins Zeug legen? Ganz gewiss nicht!
Benteen hatte bisher angenommen, Lairis wäre von ihren „Freunden“ auf der DEFIANT belogen und benutzt worden, während sie selbst die Befehle eines ehrenwerten Mannes befolgt hatte. Doch wenn es nun umgekehrt war? Ließ sich Erica Benteen tatsächlich so leicht manipulieren? War ihre Menschenkenntnis derart miserabel, dass Layton sie all die Jahre getäuscht hatte?
„Captain, die DEFIANT versucht, auf Warp zu gehen!“ meldete die Kommunikationsoffizierin.
Benteen murmelte einen Fluch. Ihre Zweifel waren plötzlich wie weggeblasen „Verdammt! Lai-ris sollte uns ablenken und weiter nichts!“ Dann wandte sie sich an ihren Waffenoffizier. „Lieu-tenant, feuern Sie einen Quantentorpedo auf das Triebwerk der DEFIANT.“
Der Mann hinter taktischen Konsole zögerte. Seine Hand, die sich zunächst wie automatisch in Richtung Waffenkontrolle bewegte, zuckte plötzlich zurück.
„Das war ein Befehl!“ ertönte Benteens scharfe Stimme.
„Ay, Sir!“ murrte der Lieutenant widerwillig.
„Das lasse ich nicht zu!“ gellte Lairis’ Stimme durch das Com-System.
Die CASABLANCA vollzog eine halbe Rolle und schob sich hochkant zwischen die DEFIANT und die LAKOTA. Wie eine riesige Dart-Scheibe hing sie für Sekunden in der Flugbahn des Torpedos.
Captain Benteens Augen weiteten sich vor Entsetzen. „Halt! Stop! Nicht schießen!“ schrie sie den Waffenoffizier an.
„Zu spät“, entgegnete der Lieutenant ausdruckslos.
Der Torpedo hatte sich bereits aus der Röhre gelöst. Ein greller, weißer Kugelblitz, der unauf-haltsam auf das Diskussegment der CASABLANCA zu raste ... Die Schilde des alten Schiffes flimmerten kurz auf, aber sie waren zu schwach. Die leuchtende weiße Kugel kollidierte mit der Außenhülle. Wie ein Wassertropfen, der auf eine ebene Fläche geprallt war, schien der Torpedo plötzlich breit zu laufen. Ein grelles, weißes Feuer fraß binnen Sekunden das Schiff. Die Unter-tassensektion der CASABLANCA wurde von der Wucht Dutzender kleiner Explosionen zerfetzt. Brennende Trümmer knallten gegen die Schilde der LAKOTA und der DEFIANT.
Benteen starrte mit leerem Blick auf den Monitor. Das hätte auf keinen Fall passieren dürfen ... War die CASABLANCA voll bemannt gewesen oder hatte sie lediglich eine Rumpfcrew an Bord gehabt, die das Schiff zum Schrottplatz fliegen sollte? Wie viele Personen hatten wohl gerade ihr Leben verloren? Fünf oder fünfhundert? Benteen entschied, dass Zahlen in diesem Fall keinen Unterschied machen durften. Selbst wenn es nur Lairis erwischt haben sollte, war das unverzeih-lich.
„Feuer einstellen! Wir brechen den Angriff auf die DEFIANT ab“, befahl sie ihrer Crew.
Ihr Erster Offizier blickte sie fragend an. „Aber wenn doch Formwandler an Bord sind ...“
„Und wenn nicht?“ konterte Benteen. „Captain Lairis war kein Wechselbalg. Wollen wir noch mehr unserer eigenen Leute umbringen?“
Die Crew schien sich mit ihrer Erklärung zufrieden zu geben. Nicht nur das ... Einige der Brü-ckenoffiziere waren ganz offensichtlich erleichtert.
Die Türen des Turbolifts glitten beiseite und Doktor Ron Tygins betrat die Brücke. „Captain, ich muss Sie sprechen.“ Seine Miene war nicht ernst, sondern finster.
„Reden Sie“, entgegnete Benteen müde.
„Kilari Kayn ist tot.“ Ein unausgesprochener Vorwurf lag in den schwarzen Augen des Doktors, die wie polierter Obsidian glänzten. Bitterkeit mischte sich in seine Stimme, als er fortfuhr: „Ich hatte keine andere Wahl, als ihren Symbionten zu entfernen … und sie damit zum Tode zu verur-teilen. Ich sage mir immer wieder, dass ich sonst beide verloren hätte. Kilari starb vor einer hal-ben Stunde, genau um 17.44 Uhr.“
Ein Schatten legte sich über Benteen Gesicht. Noch so eine sinnlose Verschwendung von Le-ben! „Was ist mit ihrem Symbionten?“
„Normalerweise würde ich sagen, er muss schleunigst nach Trill … allerdings ist er durch die Tachonin-Vergiftung stark geschwächt. Ohne Wirt schafft er es nicht, bis wir da sind.“
„Was schlagen Sie vor?“ Benteen ahnte die Antwort längst.
„Eine Möglichkeit wäre die provisorische Vereinigung mit einem Nicht-Trill, bis die Symbiose-kommission einen geeigneten Wirt gefunden hat. Allerdings bekommt das weder dem Wirt noch dem Symbionten auf die Dauer gut, und der Symbiont ist ohnehin schon angeschlagen.“
„Ich verstehe.“
„Zum Glück haben wir einen unvereinigten Trill an Bord, sonst würde ich schwarzsehen.“
Benteen runzelte die Stirn. „Sie meinen sicher Commander Silgon, den Kerl in Zelle zwei, der in Admiral Laytons Büro einbrechen wollte …“
„Soviel ich weiß, hat er sogar das Initiatentraining für Trill-Wirte absolviert …“
„… und dann keinen Symbionten bekommen, weil er erwischt wurde, wie er Zungenküsse mit Kadett Lairis Ilana ausgetauscht hat. Er war ihr Ausbilder, muss man dazu sagen. Die Symbiose-kommission reißt uns den Kopf ab!“
„Sie reißt uns erst recht den Kopf ab, wenn wir den Kayn-Symbionten krepieren lassen!“ rief Tygins und sein gesamter unterdrückter Zorn brach bei diesen Worten hervor. Für eine Sekunde verzerrte sich sein dunkles Gesicht zu einer Fratze der Wut. „Haben Sie denn immer noch nichts gelernt? Ich hoffe, Sie haben wenigstens nicht mehr vor, auf die DEFIANT zu schießen! Captain Lairis hat Ihnen ganz offensichtlich einen heilsamen Schock verpassen wollen, um Sie zur Ver-nunft zu bringen … und hat ihr eigenes Leben dabei riskiert. Ihr Opfer darf nicht umsonst sein.“
Er sah Benteens Waffenoffizier im Hintergrund nicken. Die Art, wie er mit seinem Captain sprach, grenzte an Insubordination, doch Benteen reagierte nicht.
„Die CASABLANCA muss zumindest eine Rumpfcrew an Bord gehabt haben“, überlegte die Kommunikationsoffizierin. „Hoffen wir, dass sie sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht hat!“
„Und Lairis?“ wagte Benteen zu fragen.
„Zuletzt hab ich ihre Lebenszeichen auf Deck 12 geortet, aber ich konnte sie leider nicht bea-men. Jetzt empfange ich nichts mehr.“
Benteen atmete heftig ein und aus.
„Das muss nicht bedeuten, dass sie tot ist“, erklärte die junge Frau schnell. „Durch die Strah-lungsinterferenzen kriege ich einfach keine vernünftigen Werte mehr.“
„Die Strahlung von Quantentorpedos stört leider nicht nur die Sensoren“, mischte sich Tygins erneut ins Gespräch. „Sie wissen sicher, dass diese Torpedos eigens entwickelt worden sind, um Wechselbälger zu vernichten. Nur dummer Weise sind Formwandler ziemlich resistent gegen Hitze und Feuer und können außerdem lange Zeit im Vakuum überleben ... Also, wie tötet man einen Feind, der sich mit einem Sprung aus einem explodierenden Schiff retten kann und sich dabei noch nicht einmal verbrennt? Man entwickelt eine neuartige Waffe, die die Struktur von Materie auf subatomarer Ebene zerstört. Für den humanoiden Körper bedeutet das: Ab einer bestimmten Strahlendosis beginnen die Zellen, sich völlig willkürlich zu teilen oder zu fusionieren. Es ist, als hätte man den ganzen Körper voller Krebsgeschwüre, die in Rekordgeschwindigkeit wuchern, bis keine einzige gesunde Zelle mehr übrig ist ...“
„Aufhören!“ schrie Benteen unvermittelt. „Die Sternenflotte hat extra eine Vorschrift erlassen, dass ein Schiff dieser Größe mit mehreren Torpedos gleichzeitig beschossen werden muss, da-mit es sofort explodiert und die Crew nicht langsam von der Strahlung umgebracht wird …“
„Das macht mir diese Waffe doch gleich viel sympathischer“, gab Tygins voller Sarkasmus zu-rück. „Also schießen wir noch zwei-drei Torpedos auf die CASABLANCA und erlösen die Crew von ihrem Elend?“
„Es war ein Versehen“, brachte Benteen mit leicht bebender Stimme hervor. „Ein schrecklicher Unfall, für den ich mich ein Leben lang verantwortlich fühlen werde. Aber Sie …“ Nun starrte sie dem Doktor direkt in die unergründlichen schwarzen Augen. „Ich warne Sie nur einmal, dass Sie die Zelle mit Commander Silgon teilen werden, wenn Sie weiter in diesem Ton mit mir reden!“
„Bei allem Respekt, Captain: Das ist mir egal.“
„Wegtreten“, erwiderte Benteen eisig. „Tun Sie, was Sie tun müssen. Ich meine: Verpflanzen Sie den Kayn-Symbionten in Jerad Silgons Körper.“
Er nickte knapp und entfernte sich dann ohne ein Wort. Der Blick, den er Benteen als Letztes zuwarf, drückte keinen Zorn mehr aus, sondern Verachtung.
Benteen räusperte sich laut und durchbrach somit die unnatürliche Stille auf der Brücke. „Rufen Sie die DEFIANT und versuchen Sie, die Subraumkommunikation wieder herzustellen“, befahl sie. „Ich werde Admiral Layton sagen, dass er sich einen anderen willigen Erfüllungsgehilfen suchen muss.“

***

Lairis rannte. Hinter ihr loderten die Flammen meterhoch. Sie fraßen die Kommandobrücke der CASABLANCA, die fast sieben Jahre lang ihr Zuhause gewesen war. Konsolen explodierten und verformten sich, Paneele krümmten sich unter dem Feuer wie lebendige Wesen und flüssiger Kunststoff tropfte von der Decke.
Zuerst war der Hauptbildschirm explodiert. Scherben flogen durch die Luft, scharf und tödlich wie ein Pfeilregen, und Lairis hatte unter der Steuerkonsole Schutz gesucht.
Dann breiteten sich die Flammen auf der Brücke aus. Lairis konnte noch rechtzeitig den Warp-kern abwerfen, bevor die Systeme endgültig versagten. Das vergrößerte ihre Überlebenschan-cen ein wenig. Sie hoffte inständig, dass ihre Crew davongekommen war. In dem Augenblick, als der Torpedo auf die Außenhülle der CASABLANCA getroffen war, hatte sie den Startbefehl für den Thunderbird erteilt. Überstrahlt von dem blendenden Lichtblitz der Explosion sollte das kleine Schiff auf Warp gehen, damit die LAKOTA seinen Start nicht bemerkte.
Wenn nur alles gut gegangen war …
Lairis hatte keine Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Eine Explosion erschütterte das Deck über ihr. Ein schwerer Beleuchtungskörper krachte zu Boden. Weitere Lampen folgten und ein Funkenregen aus der Decke setzte den Teppich in Brand. Nun war auch der Weg vor ihr durch Flammen versperrt.
Lairis sah sich hektisch um. Hier musste doch irgendwo ein Ausgang sein oder wenigstens ein Feuerlöscher … Im selben Augenblick erkannte sie, dass ihr ein Handfeuerlöscher gegen das flammende Inferno ringsum nicht viel nützen würde.
Beißender Rauch machte das Atmen zur Qual und ihre Todesangst tat ein Übriges. Ihre Augen brannten höllisch und begannen, zu tränen. Das Schlimmste war jedoch die Hitze … und ihre Fantasie, die sie mit Bildern ihrer eigenen verkohlten Leiche quälte.
Deck 12, Sektion 8 … sie war immer noch auf Deck 12, Sektion 8. Mit aller Macht rief sich Lai-ris die Konstruktionspläne des Schiffes ins Gedächtnis. Wenn sie sich recht erinnerte, musste sie am Eingang zu Turbolift 3 vorbeigelaufen sein … Er lag auf der rechten Seite, nur zwei Schritte entfernt … Sie lief zurück und seufzte vor Erleichterung, als sie die Tür entdeckte.
Aber die schwarze Rauchwolke von der Brücke füllte allmählich den Gang. Nichts rührte sich, als Lairis den Turbolift rief. Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn er noch funktioniert hätte … „Einen Versuch war’s wert“, sagte sie zu sich selbst, zog sich die Ärmel ihrer Uniform über die Hände und stemmte mit höchster Kraftanstrengung die Türen auf. Sie bewegten sich nur Zenti-meterweise. Lairis fluchte innerlich. Die lauernde Angst war ein Parasit mit spitzen Zähnen, der in ihren Eingeweiden wütete. Zur Hölle, diese Tür konnte doch nicht einfach klemmen! Wenn jetzt brennbare Gase aus dem Lüftungsschacht traten oder eine Plasmaleitung barst … Ein Funken reichte, um das Plasma zu entzünden – und das würde sie nicht überleben.
Endlich hatte Lairis die Türhälften so weit auseinander gedrückt, dass ihr Körper hindurch pass-te. Dahinter klaffte ein schwarzer Abgrund. Lairis konnte nicht erkennen, wie tief er war, aber die flackernden Leuchtstoffröhren erhellten wenigstens einen Teil des Schachts. Da war ein Lei-tungsrohr, dick genug, um ihr Gewicht zu tragen. Lairis überlegte nicht lange. Sie sprang und griff nach dem Rohr. Es war mit Kunststoff ummantelt, viel zu glatt … es drohte, unter ihren schweiß-feuchten Händen weg zu gleiten. Sie suchte mit ihren Füßen nach einem Halt in der Wand. Eine Stichflamme schoss aus der Tür, wie die Zunge eines bizarren Fabelwesens. Ein brennendes Stück des Teppichs löste sich und verlosch in der Dunkelheit.
Eine weitere Explosion rüttelte die CASABLANCA durch und Lairis rutschte ab. Sie hielt die Au-gen fest geschlossen, während sie in den Schacht stürzte. Jetzt ist es aus, dachte sie fatalistisch und ein Teil von ihr war froh darüber. Besser als Verbrennen, Ersticken oder von der Strahlung des Quantentorpedos in eine blubbernde, amorphe Masse verwandelt zu werden …
Sie fiel jedoch nur wenige Meter tief und landete auf dem Dach des Turbolifts. Der Aufprall tat weh, aber sie ignorierte den Schmerz, rappelte sich auf und schnitt mit ihrem Phaser ein Loch in die Decke des Turbolifts. Sobald die Ränder aufhörten, zu glühen, glitt sie hindurch und gab diesmal Acht, auf den Füßen zu landen.
Im Lift war es stockdunkel. Nur die Alarmleuchte tauchte den klaustrophobischen Raum alle zehn Sekunden in ein gespenstisch rotes Licht, das Lairis fürchterlich auf die Nerven ging. Wa-rum heulte diese blöde Alarmsirene noch, wenn alle anderen Systeme längst versagt hatten?
Lairis drückte einige Knöpfe des Kontrollpults, obwohl sie ahnte, dass es nichts nützen würde. In der Tat bewegte sich der Turbolift kein Stück.
Vorsichtig berührte Lairis die Tür. Sie war nicht glühend heiß, wie sie befürchtet hatte. Ächzend zog sie die schweren Türhälften auseinander und stolperte hinaus in einen dunklen, aber intakten Korridor.
Das einzige Licht kam von einer flackernden Kommunikationskonsole an der Wand.
Schade, dass ich keine Zeit hatte, eine Taschenlampe mitzunehmen, dachte Lairis, während sie sich an den Wänden entlang tastete und vergeblich versuchte, sich zu orientieren. Sie war nicht tief gefallen, also war das hier Deck 10 oder 11. Eine 10 in grüner Leuchtfarbe glimmte ne-ben einer Turbolifttür und beantwortete ihre Frage. Deck 10 … die Shuttlerampen befanden sich auf Deck 8, Sektion 20D. Wenn sie eine Jeffris-Röhre finden konnte, hatte sie es beinahe ge-schafft.
Zunächst holte sie mehrmals tief Luft. Schöne klare Luft, ohne toxische Gase, ohne stinkende Rauchschwaden, ohne … Dampf? Aus dem Lüftungsschacht über ihr quollen leuchtend grüne Schwaden. Nein, kein Dampf … Plasma! Lairis war sich sicher, dass sie gerade einen neuen Rekord im Sprint aufstellte. Plasmaschlieren griffen nach ihr wie die Finger einer knochenlosen Hand. Wenn ihr Tempo nur eine Winzigkeit nachließ, würde das Plasma ihre Haare versengen, ihre Gesichtshaut, die Fasern ihrer Uniform zum Schmelzen bringen …
Ein Korridor zweigte rechts ab. Die leuchtenden Plasmaschwaden erhellten ihn gerade so weit, dass Lairis ihn sehen konnte. Blitzschnell bog sie um die Ecke und presste sich ganz flach an die Wand. Keine Sekunde zu früh! Ein Knall ertönte, gefolgt von einem seltsamen Geräusch ... als würde leichtes Metall zerreißen. Dann fraß sich eine Feuerwalze geradeaus durch den Gang. Die Hitze raubte Lairis beinahe das Bewusstsein.
Flammen wüteten im gesamten Hauptkorridor und drohten, auf den Nebenkorridor überzugrei-fen. Lairis hastete den Nebengang weiter. Das Deck lag dort, wo es nicht brannte, völlig im Dun-keln. Sie hatte jedoch eine Vorstellung, wo sich der Eingang zur nächsten Jeffrisröhre befand – und sie behielt Recht. In Windeseile stieg sie die Leiter hinab. Es herrschte eine gespenstische Ruhe in der Jeffrisröhre. Kein Summen von Maschinen, aber auch keine Explosionen und pras-selnden Flammen. Lairis wusste, wie trügerisch diese Ruhe war. Während sie immer tiefer hinab in die Dunkelheit kletterte, versuchte sie, nichts zu fühlen und zu denken.
Wieder ein Krach, als würde sich ein schweres Gewitter entladen. Das ganze Schiff bebte. Lai-ris konnte sich nur mühsam an der Leiter festhalten. Beinahe rechnete sie damit, dass eine Glut-wolke sich unter ihr zusammen ballte, hochschoss und sie verbrannte. Für einen schwachen Moment verbarg sie ihr Gesicht im Ärmel und betete, es möge schnell vorbei gehen.
Zur ihrer Überraschung gab es keine Hitzewelle, kein orangerotes Leuchten, keinen verzehren-den Schmerz. Erleichtert kletterte sie weiter, bis sie den Kotenpunkt auf Deck 8 erreicht hatte. Dort stolperte hinaus in stinkende Rauchschwaden. Sie würgte und huste, konnte im ersten Mo-ment nichts sehen … Wo genau befand sie sich? Alles war geschmolzen, verformt und verkohlt, aus geborstenen Konsolen züngelten schwächliche Flammen …
Die Leuchtziffern „8-19-D“ gaben ihr den rettenden Hinweis. Noch eine Abzweigung rechts und eine weitere Abzweigung links … Sie lief, so schnell sie konnte, obwohl ihr das Atmen immer schwerer fiel. Sektion 20D, einmal rechts, einmal links …
Sie taumelte und ihre Umgebung versank für zwei Sekunden in Dunkelheit. Ihre Rauchvergif-tung machte sich bemerkbar. Kurz entschlossen riss sie ein Stück von ihrem Unterhemd ab und hielt es sich als Atemschutz vors Gesicht – wohl wissend, dass es nicht lange helfen würde.
Egal, sie musste durchhalten, wenn sie überleben wollte. Für Julianna. Für ihre Crew.
Ihre Beine gehorchten ihr nicht mehr richtig, ihr eigener Herzschlag trieb Nägel in ihr Hirn und alles verschwamm vor ihren Augen.
Das Schiff wurde durchgerüttelt, diesmal heftiger als je zuvor. Lairis zwang sich, weiter zu lau-fen, obwohl ihr immer wieder schwindelig wurde. Sie flüchtete vor dem Rauch, dem Feuer, den Explosionen … aber vor allem flüchtete sie vor dem unheilvollen Knacken und Knirschen über ihr. Feine Risse zogen sich beängstigend schnell durch die Deckenverkleidung, aus den Rissen wurden Spalten … dann stürzte die ganze Decke mit lautem Getöse herab. Ein schweres Trüm-merstück verfehlte Lairis nur um wenige Zentimeter.
Sie schaute nicht zurück, sondern rannte noch schneller, obwohl ihr kaum noch Luft zum At-men blieb … obwohl sie fürchtete, sich auf dem Weg zur Shuttlerampe verlaufen zu haben. Ver-irrt auf ihrem eigenen Schiff …
Sie hatte die Hoffnung schon beinahe aufgegeben, als sie tatsächlich im Hangar vor einem Shuttle stand. Ob dies ein echtes Shuttle war oder eine Fata Morgana, die nur in ihrem Kopf exis-tierte, spielte keine Rolle für Lairis. Sie besaß nur diese eine Chance, zu entkommen.
Während sich die Schotts hinter ihr schlossen und sie mit zitternden Fingern einen willkürlichen Kurs programmierte, hatte sie das Gefühl, aus einem Alptraum erwacht zu sein. Dabei fühlte sie sich alles andere als wach. Der Raum drehte sich um sie, eine bleierne Müdigkeit drohte sie zu überwältigen. Zu wenig Sauerstoff, zu viel Kohlenmonoxid, zu viel Irrsinn …
Wie sie es schaffte, das Schiff mit 1/4 Impuls aus dem Hangar zu fliegen, war ihr selbst nicht klar. Als sich ihre Hand in Richtung Warpkontrolle bewegte, dämmerte sie bereits am Rande der Bewusstlosigkeit.
Die Antriebssektion der CASABLANCA zerbarst in tausend Stücke, schleuderte ihre Überreste lautlos ins All. Ein Trümmerteil flog direkt auf das Shuttle zu.
Es war riesig.
Es glühte.
Und Lairis sah es nicht.
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