Die USS CASABLANCA löste sich aus der Andockbucht. Captain Lairis beobachtete, wie die Pla-neten und Monde des irdischen Sonnensystems auf dem Hauptbildschirm vorbeizogen. Sie war erleichtert, dass der Start ohne technische Pannen verlief.
„Gehen Sie nach dem Pluto auf Warp fünf, Fähnrich“, sagte sie zu Pamela Wheeler. „Ich möchte nicht mehr Zeit mit dieser Mission vertrödeln, als nötig.“
„Ay, Captain“, sagte Fähnrich Wheeler und grinste insgeheim.
Prescott blickte Lairis fragend an und sie erwiderte seinen Blick mit einem Lächeln, das so viel heißen sollte wie: „Machen Sie sich nichts daraus.“ Sie wusste, dass ihre offene Art für manche Leute gewöhnungsbedürftig war, aber ihre Crew hatte sich schnell an sie gewöhnt, und Prescott würde es auch schaffen.
Das Schiff ging auf Warp.
Lairis erwartete einen langen, ereignislosen Flug, aber dann begannen die Schmerzen. Sie fra-ßen sich durch ihren ganzen Körper, durchbohrten sie wie kleine Dolche … Beinahe hätte sie mitten auf der Brücke laut aufgeschrien. Sie riss sich in letzter Sekunde zusammen und hoffte, dass ihre Crew nichts merkte.
Prescotts besorgter Blick entging ihr, denn sie sah nur Schemen, schmutzig rot wie getrockne-tes Blut. Ihr Puls raste und sie zwang sich, regelmäßig zu atmen. Endlich lichtete sich der dunkel-rote Schleier vor ihren Augen und die Brücke nahm langsam wieder Konturen an.
„Alles in Ordnung, Captain?“ fragte eine Stimme … Prescotts Stimme. Sie klang weit entfernt … wie durch einen Nebel aus Watte … und doch ganz nah. Prescott saß neben ihr, auf dem Stuhl des Ersten Offiziers.
Lairis nickte nur, denn sie konnte nicht für die Festigkeit ihrer Stimme garantieren. Es waren weniger die Schmerzen selbst, die ihr solche Angst einjagten, sondern das Deja Vù, das sie dabei erlebte. Ihr bleiches Gesicht spiegelte sich verzerrt in einer Konsole. Keine Läsionen! Lairis war nicht wirklich erleichtert. Diesmal wurde sie zuerst von innen zerfressen.
Die Schmerzen hörten einfach nicht auf. Sie lächelte Prescott tapfer zu und überlegte, ob sie auf die Krankenstation gehen sollte. Die Vernunft gebot es natürlich, aber Lairis fürchtete sich vor der Diagnose. Das Virus hatte sich ungewöhnlich schnell in ihrem Körper vermehrt … War es möglich, dass die Ärzte es nicht vollständig ausgerottet hatten? Dass es im Verborgenen lauerte, um sich erneut zu vermehren? Dann gab es keine Rettung für sie. Wo sich der Erreger in ihrem Gewebe eingenistet hatte, würden seine Stoffwechselprodukte schlimme Entzündungen hervor-rufen. Irgendwann erhitzte sich die Flüssigkeit in den Wundarealen und die Haut platzte auf. Jen’Thal hatte es kaltschnäuzig geschildert, Lairis am eigenen Leib gespürt und nur knapp über-lebt. Sie erinnerte sich mit blankem Grauen daran.
Ihr Todesurteil konnte getrost bis zum Ende der Schicht warten.
Als sie es nicht mehr aushielt, über gab sie Prescott die Brücke und verschloss die Tür des Be-reitschaftsraumes hinter sich. Sie schluckte zwei Tabletten und wartete – zusammengekrümmt auf ihrem Bürosessel – darauf, dass sie endlich wirkten.
Der Schmerz, der in ihr wütete, wie ein bissiges Tier, ließ sich allmählich ertragen. Ihre eigenen Gedanken nicht. Die Ärzte im Hauptquartier hatten ihr zwar gestern noch versichert, dass sie geheilt sei … aber was, wenn sie sich irrten? Dann blieben ihr nur noch wenige Tage … vielleicht genug, um Laytons Komplott aufzudecken. Aber keine Zeit, um den stolzen Moment zu erleben, wenn Julianna ihre Zusage von einer renommierten Universität bekam … oder Jerad zu sagen, dass sie ihm die dumme Verwechslung mit der Formwandlerin längst verziehen hatte. Er saß in einer Zelle und sie sah ihn vielleicht nie wieder.
Lairis presste beide Hände vor den Mund, unterdrückte so ein Aufschluchzen. „Mach dich jetzt bloß nicht verrückt, Mädchen, du weißt doch im Grunde gar nicht, was mit dir los ist!“ befahl sie sich selbst – und es wirkte. Sie durfte nicht zulassen, dass dieser Brei aus Resignation und Angst ihr Hirn verkleisterte. Womöglich lag sie mit ihren Befürchtungen völlig falsch – und falls nicht … Wenn die Krankheit ins Endstadium trat, wusste sie zumindest, wo ihr Phaser lag.
Sie dachte an Raymond, der seit ihrem Abflug wieder die Akademie besuchte. Ob er sich jetzt ebenfalls vor Schmerzen krümmte und nicht wusste, was mit ihm geschah?
Als die Türklingel schellte, öffnete sie nicht sofort. Erst als das Klingeln ein zweites Mal ertönte, antwortete sie mit einem – wie sie hoffte – entschlossenen „Herein!“.
Zu ihrer Überraschung betrat Prescott ihr Büro. Lairis war nicht der Meinung, dass ihr Schreib-tisch allzu übersichtlich sei – doch die halb offene Tablettenschachtel neben dem Stapel mit Per-sonalakten bemerkte er sofort.
„Merisystral ist besser“, meinte er unvermittelt.
Lairis runzelte die Stirn. „Besser? Gegen was?“
„Warpgeschwindigkeits-Reaktions-Syndrom.“
„Nie davon gehört.“
Prescott lächelte leicht. „Ich hab mir mal bei einem Shuttleabsturz das Bein gebrochen. Damit hab ich manchmal heute noch Probleme – vor allem, wenn ein Schiff auf Warp geht.“
Lairis horchte auf und der Knoten in ihrem Magen lockerte sich. Das war zumindest keine Per-spektive, bei der sie sich am Ende einen Phaser an den Kopf hielt.
„Mein Arzt sagte damals, wenn Verletzungen nicht gleich fachmännisch mit dem Geweberege-nerator behandelt werden, wachsen sie auf microzellularer Ebene ziemlich krumm und schief zusammen“, fuhr Prescott fort. „Das macht sich bei manchen Leuten bemerkbar – egal ob nun das Wetter wechselt oder ob man vom Normalraum in den Subraum springt.“
„Ich verstehe, mein fröhliches Gesicht hat mich also verraten.“
„Nur für einen kurzen Moment, Captain.“ Prescott wirkte beinahe verlegen.
Lairis hob die Augenbrauen. „Ist es Ihre Mission oder Ihr persönliches Vergnügen, mich so ge-nau zu beobachten, Commander?“
Prescott senkte den Kopf. Dass er rot wie ein Hummer wurde, konnte er dadurch nicht verber-gen.
Lairis lächelte insgeheim. Er erinnerte sich wohl an ihre erste Begegnung in der Blue-Planet-Tarverne, vermutete sie – nichts ahnend, wie sehr sie sich diesmal irrte.
„Mir geht’s schon wieder besser. Gehen wir zurück auf die Brücke“, beschloss sie.
Prescott runzelte die Stirn. „Ich hatte eher angenommen, Sie gehen auf die Krankenstation.“
„Wenn mein Dienst zu Ende ist.“
„Gut, wie Sie meinen … aber Dr. Keagans Dienst endet auch um vier. Soll ich ihm ausrichten, dass er heute länger machen soll?“
Lairis schüttelte den Kopf. „Das MHN kann sich um mich kümmern.“
Neben einer jungen Krankenschwester, die die Krankenstation in der Nachtschicht besetzte, war Lieutenant Keagan als einziger vom medizinischen Personal der USS CASABLANCA übrig geblieben. Eine Ratte, der es nicht gelungen war, das sinkende Schiff rechtzeitig zu verlassen.
„Ein MHN auf einem Schiff der Excelsior-Klasse?“ wunderte sich Prescott.
„Alle wollten MHNs. Vor zwei Jahren war das eine richtige Mode.“
Prescott lachte kurz. „Jetzt erinnere ich mich wieder. Marc hat mir erzählt, wie er den alten Schiffscomputer übertakten musste, weil Captain Devereaux unbedingt so einen holografischen Knilch auf seiner Krankenstation haben wollte. Der Kerl soll einen grauenvollen Umgang mit Pa-tienten haben.“
„Ich bin nicht empfindlich“, entgegnete Lairis. Wenn Dr. Keagan sie behandelte, würde er un-weigerlich auf Einzelheiten ihrer Krankheit stoßen, die der Geheimhaltung unterlagen. Das Ge-dächtnis des holografischen Arztes konnte sie notfalls löschen, obwohl ihr das widerstrebte. Es handelte sich immerhin um eine empfindungsfähige künstliche Intelligenz.
„Ich fürchte, wenn der Holodoc Sie untersucht, muss ich dabei sein“, erklärte Lieutenant van de Kamp später. „Ich muss ganz genau wissen, welche Fakten ich aus seinem Gedächtnis radieren darf, damit ich nicht aus Versehen seine Persönlichkeit beschädige.“
„Wieso können wir nicht einfach alle Daten löschen, die sich seit der letzter Aktivierung ange-sammelt haben?“ fragte Lairis mit einem Stirnrunzeln.
„Das MHN ist einem Menschen sehr ähnlich. Man weiß nie, in welchem Unterverzeichnis er gerade seine Erinnerungen ablegt oder mit welchen Engrammen er sie verknüpft.“
Das leuchtete der Bajoranerin ein. Doch die Anwesenheit eines Crewmitglieds bei einer heiklen Untersuchung wie dieser behagte ihr gar nicht. „Wie wäre es, wenn ich dem MHN reinen Wein einschenke? Dann wird es wissen, welche Daten eventuell unter die Geheimhaltungsstufe fallen und uns Zugriff darauf gewähren.“
„Das würde die Sache erheblich erleichtern.“
„Trotzdem sollte mir jemand helfen, der Ahnung von Holotechnologie hat, meinen Sie.“
„Wäre besser.“
Vor der Tür der Krankenstation wäre Lairis am liebsten umgekehrt.
„Was haben Sie?“ fragte Marc, als er ihr Zögern bemerkte.
„Nichts“, antwortete sie schnell, zu schnell.
Marc lächelte, aber es lag keine Freude darin. „Ich betrachte Sie als gute Freundin, Ilana. Ob-wohl Sie mich letztes Jahr degradiert haben …“ Es war einer der seltenen Momente, in denen er seinen Captain beim Vornamen nannte.
„Sie haben an den Schiffssystemen rumgebastelt, ohne sich vorher mit mir oder Jerad abzu-sprechen“, erwiderte sie mechanisch. „Wir mussten deshalb unseren Warpkern abwerfen. Einen halben Parsec vor der Neutralen Zone.“
„Schon gut, ich lerne aus meinen Fehlern. Kommt nicht wieder vor.“
„Worauf wollen Sie hinaus?“
„Ich bilde mir ein, dass ich Sie inzwischen sehr gut kenne.“
Lairis nahm einen tiefen Atemzug. „Ich bin mir nicht sicher, ob Prescott Recht hat. Schließlich hab ich noch mehr alte Verletzungen, auch aus der Zeit des Widerstands, ohne dass ich jemals Probleme mit diesem … Wie nannte er es? … Warpgeschwindigkeits-Reaktions-Syndrom ge-kriegt hätte.“ Sie hielt einen Augenblick inne und in diesem kurzen Augenblick flackerte etwas wie Todesangst in ihren Augen auf. „Es könnte genauso gut sein, dass das Quickening bei mir wieder ausbricht. Wenn das so ist, muss ich in Quarantäne. Die Crew darf nichts erfahren. Aber bitte lassen Sie mir meine Waffe.“
Marc war es jetzt völlig egal, dass er seinen kommandierenden Offizier vor sich hatte. Er schloss Lairis spontan in die Arme und sie erwiderte die Umarmung voller Dankbarkeit.
„Ich glaube, wir sollten durch diese Tür gehen, bevor wir Prescott eifersüchtig machen“, flachs-te sie. Ihr lockerer Tonfall klang aufgesetzt und Marc spürte immer noch das leichte Zittern ihres Körpers.
Schweigend betraten sie die Krankenstation.
***
„Bitte nennen Sie die Art des medizinischen Notfalls“, schnarrte der holografische Arzt, als Lairis ihn aktivierte. Dann musterte er sie von oben bis unten mit weit aufgerissenen schwarzen Augen. „Wer sind Sie und wo ist Captain Devereaux?“ fragte er – und klang dabei so empört, dass Marc sich zu einem Kichern hinreißen ließ.
„Ah, Lieutenant Commander van de Kamp, ich habe unsere Diskussionen schon richtig ver-misst!“ Sein Blick fiel auf die zwei goldenen Pins an Marcs Kragen. „Oh, hat man Sie etwa de-gradiert?“
Marc ignorierte die Frage. „Wenn Sie unsere Diskussionen vermisst haben, muss ich Sie leider enttäuschen, Doc. Ich würde mir ja gern anhören, dass meine Genialität nur ein winziger Funzel im Vergleich zum strahlenden Stern ihres Schöpfers Dr. Zimmermann ist … aber wir sind in einer wichtigen Angelegenheit hier.“ Mit diesen Worten schob er Captain Lairis vor.
„Sie kommandieren doch nicht etwa dieses Schiff, oder?“ fragte der Holodoc neugierig.
„Haben Sie etwas dagegen?“ gab sie unwirsch zurück. Der herablassende Tonfall des Holo-gramms provozierte sie wider Willen.
„Ich weiß nicht, wer Sie sind“, wiederholte der Holodoc stur.
„Ich bin Captain Lairis Ilana. Und ja, ich kommandiere dieses Schiff. Captain Devereaux hat sich vor einem Jahr auf DEEP SPACE FOUR versetzen lassen.“
„Das ist wieder einmal typisch! Hier wird mal schnell der Captain ausgetauscht und niemand kommt auf die Idee, dass mich das vielleicht interessieren könnte …“
„Entschuldigung, das war nicht sehr höflich von uns“, lenkte Lairis ein.
„Kann man wohl laut sagen! Würden Sie einem Crewmitglied aus Fleisch und Blut so etwas Wichtiges vorenthalten? Schlimm genug, dass ich auf dieser Krankenstation eingesperrt bin und wie eine Glühlampe behandelt werde … wenn man mich denn überhaupt mal aktiviert … Ich verlange das Recht, zu erfahren, was auf diesem Schiff passiert, so wie jedes andere Mitglied Ihrer Crew!“ Er blickte Lairis herausfordernd an.
Marc räusperte sich. „Wir können gern ein anderes Mal über die Grundrechte von Hologram-men diskutieren. Mein Captain braucht dringend medizinische Hilfe.“
„Und was suchen Sie dann auf der Krankenstation, Lieutenant? Braucht Ihr Captain auch je-manden, der bei der Untersuchung Händchen hält?“
Lairis wandte sich an Marc. „Müssen wir das mit dem Schutz seiner Persönlichkeit wirklich so genau nehmen?“ raunte sie ihm zu.
„Das habe ich gehört!“ empörte sich der Doc. „Aber ich bin programmiert, über Beleidigungen von Patienten hinwegzusehen.“
„Ich hoffe, Sie sehen auch darüber hinweg, dass wir alle Erinnerungen an meine Behandlung aus Ihrem Gedächtnisspeicher löschen müssen“, entgegnete Lairis ohne Umschweife.
„Wie reizend! Habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden?“
„Leider nein“, erwiderte der Captain ohne jede Arroganz. „Mir ist selbst nicht wohl dabei – aber ich wurde mit einer Krankheit infiziert, die vom Sternenflottenkommando als gefährliche Biowaf-fe eingestuft wird.“
„Sie wurden infiziert? Warum sind Sie dann nicht auf der Quarantänestation?“
„Ich dachte, ich wäre geheilt. Aber ich bin mir nicht sicher.“
„Weshalb?“
Lairis leckte sich kurz über die spröden Lippen. „Seit das Schiff auf Warp gegangen ist, habe ich diese Schmerzen … wie in dem Moment, als die Krankheit ausgebrochen ist.“
„Starke Schmerzen?“
„Kaum auszuhalten“, antwortete sie leise.
„Wo genau?“
„Eigentlich im ganzen Körper. Am schlimmsten im Unterleib. Ich hab ein paar Tabletten ge-schluckt und im Moment geht’s, aber ….“
„Legen Sie sich auf das Biobett“, ordnete der Doktor an.
Sie musste den genauen Verlauf der Krankheit schildern und fing den Blick von Marc auf, der sie voller Entsetzen und Mitgefühl ansah.
Als er seine Scans beendet hatte, studierte der Doktor die Daten auf dem Tricorder ungewöhn-lich lange. Sein Stirnrunzeln grub tiefe Falten ins photonische Gesicht.
Kalter Schweiß überzog Lairis Ilanas Handflächen, während sie schweigend auf das Ergebnis wartete. Ihr Magen fühlte sich an wie ein Schlackeklumpen. Sie sah, wie Lieutenant van de Kamp mehrmals heftig schluckte. Seine Finger spielten nervös mit den Rangabzeichen an sei-nem Kragen. Lairis hatte ihren Ingenieur nie zuvor nervös erlebt.
„Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ platzte der holografische Arzt schließlich heraus – und Lairis’ Eingeweide verkrampften sich noch mehr. „Wer hat Sie eigentlich zusammengeflickt? Ein klingonischer Metzger?“
„Das medizinische Corps im Hauptquartier der Sternenflotte.“
„Dass es mit der Sternenflotte so weit bergab gegangen ist, schockiert mich!“
„Wir hatten einen planetaren Stromausfall auf der Erde.“
„Stromausfall?“ Der Doktor sah Lairis an, als wäre ihr plötzlich eine zweite Nase gewachsen.
„Könnten Sie mir bitte endlich sagen, welche Lebenserwartung ich noch habe?“ fragte Lairis ungehalten.
„Hmm.“ Der Doktor hob die Augenbrauen. „Ich würde sagen, siebzig bis hundert Jahre, wenn Sie immer schön Ihr Gemüse aufessen.“
Sowohl Lairis als auch Ihr Ingenieur atmeten erleichtert auf. „Also kein Virus?“ hakte Lieutenant van de Kamp nach.
Der holographische Arzt schüttelte seinen spärlich behaarten Kopf. „Ich würde mir viel mehr Sorgen um Ihre Sternenflottenkarriere machen, Captain.“
Lairis runzelte die Stirn. „Also doch dieses … Warpgeschwindigkeits-Reaktions-Syndrom?“
Das Hologramm nickte. „Allerdings ist mir noch nie so ein extremer Fall wie Ihrer untergekom-men. Sie wurden gefangen genommen und absichtlich infiziert, sagten Sie. Möglicherweise wer-den die Symptome durch posttraumatischen Stress verstärkt. Leiden Sie unter Alpträumen?“
„Ja“, antwortete die Bajoranerin widerwillig.
„Angstzustände?“
„Manchmal.“
„Sie sollten sich in psychologische Behandlung begeben.“
„Ich kenne eine sehr kompetente Counselor – nur leider sitzt sie in einer Arrestzelle.“
Marc prustete laut los, als er das verdutzte Gesicht des Doktors sah.
„Interessant“, bemerkte das Hologramm. „Ihr Counselor sitzt im Arrest, auf der Erde ist der Strom ausgefallen und die Sternenflotte wurde infiltriert von so genannten Formwandlern. Seit meiner letzten Aktivierung hat sich einiges getan, sehe ich.“ Nun wandte sich das MHN wieder an Lairis. „Wie auch immer: Mit Ihren … Beschwerden sind Sie nicht raumtauglich.“
Die Bajoranerin fuhr erschrocken hoch. „Sie wollen mich dienstunfähig schreiben?“
„Eigentlich nicht. Sie haben noch eine reale Chance, wenn ich Sie operiere, das vernarbte Ge-webe an den kritischen Stellen wieder auftrenne und richtig zusammenwachsen lasse. Wir haben Micro-Geweberegeneratoren, Nanotechnologie, ein Biobett … Kopf hoch, Captain: Diese Kran-kenstation ist zwar nicht die modernste, aber mehr als einen Hautregenerator und Pflaster aus dem Notfall-Set hab ich auf jeden Fall zur Verfügung.“
Die Bajoranerin lächelte. „Ich sehe, Sie verstehen Ihr Handwerk. Wahrscheinlich besser, als die meisten realen Ärzte.“
„Endlich erkennt hier jemand meine Kompetenz an“, stellte ihr Holodoc zufrieden fest.
„Und wann wollen Sie mich operieren?“
„Ich würde sagen: Jetzt oder nie.“
Lairis tauschte einen Blick mit Ihrem Ingenieur. Sie wartete immer noch auf Antwort von Kira, doch der Major konnte sie nicht erreichen, wenn sie die nächsten Stunden – vielleicht sogar Tage – auf der Krankenstation lag.
„Captain, die Behandlung macht nur Sinn, solange die Gewebeschäden nicht vollständig aus-geheilt sind. In ein oder zwei Tagen kann selbst ich nicht mehr garantieren, dass Sie wieder mopsfidel mit Warp durch den Raum fliegen werden.“
„Also gut, dann bleibe ich wohl an besten gleich hier“, beschloss sie schweren Herzens.
„Sehr vernünftig!“ meinte das MHN und verschwand im Büro des medizinischen Offiziers.
„Das wird schon wieder“, sagte Marc und drückte kurz Lairis’ Hand. „Sie haben den Holodoc gehört: Er sorgt auf jeden Fall dafür, dass Sie nicht den Rest Ihrer Dienstzeit mit diesen Schmer-zen rumlaufen müssen.“
„Das wäre eine ziemlich kurze Dienstzeit“, gab sie nüchtern zurück. „Das MHN hat Recht: Ich kann mich nicht vor jedem Warpflug unter Drogen setzten, wenn ich in der Sternenflotte bleiben will.“ Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie fortfuhr: „Einer der Wechselbälger hat mich gefragt, ob es für mich ein Leben außerhalb der Sternenflotte gebe … und ich weiß es nicht. Vor zwanzig Jahren leitete ich eine Widerstandszelle des Kommandos Freies Bajor. Wir führten einen Überfall auf ein cardassianisches Waffendepot durch, aber es lief nicht alles glatt. Eine der Wachen hat mich gesehen und dummer Weise überlebt. Jedenfalls klebte am nächsten Tag ein Steckbrief mit meinem Konterfei an jeden dritten Baum in der Provinz Rakhanta. Unsere Anführer bestan-den darauf, dass ich den Planeten verlasse. Ich weigerte mich zuerst, aber dann sah ich ein, dass sie Recht hatten. Sie besorgten mir eine getarnte Rettungskapsel, mit der ich über die Grenze flüchten konnte, aber irgendwann gingen mir die Nahrungsmittel aus, der Sauerstoff wurde knapp, ich driftete ohne Plan durchs All, hatte keine Ahnung, wo ich war … bis mich der Captain eines Sternenflottenschiffes aufgelesen hat. Ich arbeitete ein paar Wochen als Mädchen für Alles auf seinem Schiff und er schrieb mir einen Empfehlung für die Akademie.“
„Deshalb gingen Sie zur Sternenflotte? Aus Dankbarkeit, weil sie Ihnen das Leben gerettet ha-ben?“
„Nicht nur deshalb. In erster Linie ging es mir um einen Platz, wo ich hingehöre … eine Aufga-be, die meinem Leben wieder Sinn gibt.“
„Die Sternenflotte würde Sie nicht entlassen“, tröstete Marc sie. „Vielleicht bekämen Sie einen Job auf der Akademie oder im Büro.“
„Das heißt, im besten Fall bringe ich einem Haufen Teenagern bei, wie man ein Phasergewehr abfeuert, und im schlimmsten Fall koche ich Kaffee für Admiral Layton.“
***
Prescott rieb sich die Augen. Seine eigenen Worte glühten gelb auf schwarzem Untergrund. Als wollten sie sich für immer in den Bildschirm der Com-Anlage brennen, um ihn an einem Job zu erinnern, den er von ganzem Herzen hasste.
Er hätte nie gedacht, dass er jemals in einen Konflikt zwischen seinen moralischen Vorstellun-gen und den Befehlen des Sternenflottenkommandos geraten würde. Dabei war es im Grunde ganz einfach: Seit der Verhaftung ihres Ersten Offiziers wurde Lairis inoffiziell verdächtigt, im Untergrund gegen Layton zu arbeiten. Falls dies der Wahrheit entsprach, stand sie den Interessen der Föderation im Weg und musste unschädlich gemacht werden. Doch Prescott war nie ein Spitzel gewesen und wollte auch keiner sein. Zumal er sich zaghaft fragte, ob Layton den Inte-ressen der Föderation nicht viel mehr schadete als seine Gegner.
„Verdammt, bin ich hier bei den Cardassianern gelandet?“ knurrte er leise vor sich hin. „Seit wann bespitzeln wir unschuldige Offiziere? Okay, dieser Commander Kayn hat wohl viele Spa-ghetti-Western gesehen … denkt, er kann in Laytons Büro einbrechen und wird nicht erwischt … aber ich glaube nicht, dass er Lairis eingeweiht hat. Und überhaupt: Warum verwanzen sie nicht einfach ihren Bereitschaftsraum, wenn sie sie im Auge behalten wollen?“
Lairis würde nach Wanzen suchen und Marc würde sie finden, beantwortete er seine eigene Frage. Das war das Widerlichste an seinem Auftrag: Er musste nicht nur seinen Captain, sondern auch einen guten Freund bespitzeln.
Eine Nachricht von der Krankenstation schreckte ihn auf. Lairis musste sofort operiert werden und würde mindestens eine Woche nicht zum Dienst erscheinen, berichtete das Medizinisch-Holografische Notfallprogramm.
Prescott ließ einen Stoßseufzer der Erleichterung los. Seine Kommandantin tat ihm leid, aber nun hatte er wenigstens eine Ausrede, sie nicht auf Schritt und Tritt beobachten zu müssen.
Er warf einen letzten Blick auf seinen Bericht. Dann drückte er den „Delete“-Button. Noch nie hatte ihn der Anblick eines jungfräulichen LCARS-Display so erfreut. Prescott war zwar der Mei-nung, dass in seinem Bericht nur Banalitäten gestanden hatten, aber man konnte nie wissen, was Geheimdienstoffiziere aus solchen „Banalitäten“ herauslesen würden.
Stattdessen schrieb er, dass Lairis auf der Krankenstation in einem künstlichen Koma gehalten wurde und in absehbarer Zeit nicht zum Dienst zurückkehren würde. Halb- und Dreiviertel-Wahrheiten waren allemal glaubhafter als jede noch so geschickte Lüge.
„Gehen Sie nach dem Pluto auf Warp fünf, Fähnrich“, sagte sie zu Pamela Wheeler. „Ich möchte nicht mehr Zeit mit dieser Mission vertrödeln, als nötig.“
„Ay, Captain“, sagte Fähnrich Wheeler und grinste insgeheim.
Prescott blickte Lairis fragend an und sie erwiderte seinen Blick mit einem Lächeln, das so viel heißen sollte wie: „Machen Sie sich nichts daraus.“ Sie wusste, dass ihre offene Art für manche Leute gewöhnungsbedürftig war, aber ihre Crew hatte sich schnell an sie gewöhnt, und Prescott würde es auch schaffen.
Das Schiff ging auf Warp.
Lairis erwartete einen langen, ereignislosen Flug, aber dann begannen die Schmerzen. Sie fra-ßen sich durch ihren ganzen Körper, durchbohrten sie wie kleine Dolche … Beinahe hätte sie mitten auf der Brücke laut aufgeschrien. Sie riss sich in letzter Sekunde zusammen und hoffte, dass ihre Crew nichts merkte.
Prescotts besorgter Blick entging ihr, denn sie sah nur Schemen, schmutzig rot wie getrockne-tes Blut. Ihr Puls raste und sie zwang sich, regelmäßig zu atmen. Endlich lichtete sich der dunkel-rote Schleier vor ihren Augen und die Brücke nahm langsam wieder Konturen an.
„Alles in Ordnung, Captain?“ fragte eine Stimme … Prescotts Stimme. Sie klang weit entfernt … wie durch einen Nebel aus Watte … und doch ganz nah. Prescott saß neben ihr, auf dem Stuhl des Ersten Offiziers.
Lairis nickte nur, denn sie konnte nicht für die Festigkeit ihrer Stimme garantieren. Es waren weniger die Schmerzen selbst, die ihr solche Angst einjagten, sondern das Deja Vù, das sie dabei erlebte. Ihr bleiches Gesicht spiegelte sich verzerrt in einer Konsole. Keine Läsionen! Lairis war nicht wirklich erleichtert. Diesmal wurde sie zuerst von innen zerfressen.
Die Schmerzen hörten einfach nicht auf. Sie lächelte Prescott tapfer zu und überlegte, ob sie auf die Krankenstation gehen sollte. Die Vernunft gebot es natürlich, aber Lairis fürchtete sich vor der Diagnose. Das Virus hatte sich ungewöhnlich schnell in ihrem Körper vermehrt … War es möglich, dass die Ärzte es nicht vollständig ausgerottet hatten? Dass es im Verborgenen lauerte, um sich erneut zu vermehren? Dann gab es keine Rettung für sie. Wo sich der Erreger in ihrem Gewebe eingenistet hatte, würden seine Stoffwechselprodukte schlimme Entzündungen hervor-rufen. Irgendwann erhitzte sich die Flüssigkeit in den Wundarealen und die Haut platzte auf. Jen’Thal hatte es kaltschnäuzig geschildert, Lairis am eigenen Leib gespürt und nur knapp über-lebt. Sie erinnerte sich mit blankem Grauen daran.
Ihr Todesurteil konnte getrost bis zum Ende der Schicht warten.
Als sie es nicht mehr aushielt, über gab sie Prescott die Brücke und verschloss die Tür des Be-reitschaftsraumes hinter sich. Sie schluckte zwei Tabletten und wartete – zusammengekrümmt auf ihrem Bürosessel – darauf, dass sie endlich wirkten.
Der Schmerz, der in ihr wütete, wie ein bissiges Tier, ließ sich allmählich ertragen. Ihre eigenen Gedanken nicht. Die Ärzte im Hauptquartier hatten ihr zwar gestern noch versichert, dass sie geheilt sei … aber was, wenn sie sich irrten? Dann blieben ihr nur noch wenige Tage … vielleicht genug, um Laytons Komplott aufzudecken. Aber keine Zeit, um den stolzen Moment zu erleben, wenn Julianna ihre Zusage von einer renommierten Universität bekam … oder Jerad zu sagen, dass sie ihm die dumme Verwechslung mit der Formwandlerin längst verziehen hatte. Er saß in einer Zelle und sie sah ihn vielleicht nie wieder.
Lairis presste beide Hände vor den Mund, unterdrückte so ein Aufschluchzen. „Mach dich jetzt bloß nicht verrückt, Mädchen, du weißt doch im Grunde gar nicht, was mit dir los ist!“ befahl sie sich selbst – und es wirkte. Sie durfte nicht zulassen, dass dieser Brei aus Resignation und Angst ihr Hirn verkleisterte. Womöglich lag sie mit ihren Befürchtungen völlig falsch – und falls nicht … Wenn die Krankheit ins Endstadium trat, wusste sie zumindest, wo ihr Phaser lag.
Sie dachte an Raymond, der seit ihrem Abflug wieder die Akademie besuchte. Ob er sich jetzt ebenfalls vor Schmerzen krümmte und nicht wusste, was mit ihm geschah?
Als die Türklingel schellte, öffnete sie nicht sofort. Erst als das Klingeln ein zweites Mal ertönte, antwortete sie mit einem – wie sie hoffte – entschlossenen „Herein!“.
Zu ihrer Überraschung betrat Prescott ihr Büro. Lairis war nicht der Meinung, dass ihr Schreib-tisch allzu übersichtlich sei – doch die halb offene Tablettenschachtel neben dem Stapel mit Per-sonalakten bemerkte er sofort.
„Merisystral ist besser“, meinte er unvermittelt.
Lairis runzelte die Stirn. „Besser? Gegen was?“
„Warpgeschwindigkeits-Reaktions-Syndrom.“
„Nie davon gehört.“
Prescott lächelte leicht. „Ich hab mir mal bei einem Shuttleabsturz das Bein gebrochen. Damit hab ich manchmal heute noch Probleme – vor allem, wenn ein Schiff auf Warp geht.“
Lairis horchte auf und der Knoten in ihrem Magen lockerte sich. Das war zumindest keine Per-spektive, bei der sie sich am Ende einen Phaser an den Kopf hielt.
„Mein Arzt sagte damals, wenn Verletzungen nicht gleich fachmännisch mit dem Geweberege-nerator behandelt werden, wachsen sie auf microzellularer Ebene ziemlich krumm und schief zusammen“, fuhr Prescott fort. „Das macht sich bei manchen Leuten bemerkbar – egal ob nun das Wetter wechselt oder ob man vom Normalraum in den Subraum springt.“
„Ich verstehe, mein fröhliches Gesicht hat mich also verraten.“
„Nur für einen kurzen Moment, Captain.“ Prescott wirkte beinahe verlegen.
Lairis hob die Augenbrauen. „Ist es Ihre Mission oder Ihr persönliches Vergnügen, mich so ge-nau zu beobachten, Commander?“
Prescott senkte den Kopf. Dass er rot wie ein Hummer wurde, konnte er dadurch nicht verber-gen.
Lairis lächelte insgeheim. Er erinnerte sich wohl an ihre erste Begegnung in der Blue-Planet-Tarverne, vermutete sie – nichts ahnend, wie sehr sie sich diesmal irrte.
„Mir geht’s schon wieder besser. Gehen wir zurück auf die Brücke“, beschloss sie.
Prescott runzelte die Stirn. „Ich hatte eher angenommen, Sie gehen auf die Krankenstation.“
„Wenn mein Dienst zu Ende ist.“
„Gut, wie Sie meinen … aber Dr. Keagans Dienst endet auch um vier. Soll ich ihm ausrichten, dass er heute länger machen soll?“
Lairis schüttelte den Kopf. „Das MHN kann sich um mich kümmern.“
Neben einer jungen Krankenschwester, die die Krankenstation in der Nachtschicht besetzte, war Lieutenant Keagan als einziger vom medizinischen Personal der USS CASABLANCA übrig geblieben. Eine Ratte, der es nicht gelungen war, das sinkende Schiff rechtzeitig zu verlassen.
„Ein MHN auf einem Schiff der Excelsior-Klasse?“ wunderte sich Prescott.
„Alle wollten MHNs. Vor zwei Jahren war das eine richtige Mode.“
Prescott lachte kurz. „Jetzt erinnere ich mich wieder. Marc hat mir erzählt, wie er den alten Schiffscomputer übertakten musste, weil Captain Devereaux unbedingt so einen holografischen Knilch auf seiner Krankenstation haben wollte. Der Kerl soll einen grauenvollen Umgang mit Pa-tienten haben.“
„Ich bin nicht empfindlich“, entgegnete Lairis. Wenn Dr. Keagan sie behandelte, würde er un-weigerlich auf Einzelheiten ihrer Krankheit stoßen, die der Geheimhaltung unterlagen. Das Ge-dächtnis des holografischen Arztes konnte sie notfalls löschen, obwohl ihr das widerstrebte. Es handelte sich immerhin um eine empfindungsfähige künstliche Intelligenz.
„Ich fürchte, wenn der Holodoc Sie untersucht, muss ich dabei sein“, erklärte Lieutenant van de Kamp später. „Ich muss ganz genau wissen, welche Fakten ich aus seinem Gedächtnis radieren darf, damit ich nicht aus Versehen seine Persönlichkeit beschädige.“
„Wieso können wir nicht einfach alle Daten löschen, die sich seit der letzter Aktivierung ange-sammelt haben?“ fragte Lairis mit einem Stirnrunzeln.
„Das MHN ist einem Menschen sehr ähnlich. Man weiß nie, in welchem Unterverzeichnis er gerade seine Erinnerungen ablegt oder mit welchen Engrammen er sie verknüpft.“
Das leuchtete der Bajoranerin ein. Doch die Anwesenheit eines Crewmitglieds bei einer heiklen Untersuchung wie dieser behagte ihr gar nicht. „Wie wäre es, wenn ich dem MHN reinen Wein einschenke? Dann wird es wissen, welche Daten eventuell unter die Geheimhaltungsstufe fallen und uns Zugriff darauf gewähren.“
„Das würde die Sache erheblich erleichtern.“
„Trotzdem sollte mir jemand helfen, der Ahnung von Holotechnologie hat, meinen Sie.“
„Wäre besser.“
Vor der Tür der Krankenstation wäre Lairis am liebsten umgekehrt.
„Was haben Sie?“ fragte Marc, als er ihr Zögern bemerkte.
„Nichts“, antwortete sie schnell, zu schnell.
Marc lächelte, aber es lag keine Freude darin. „Ich betrachte Sie als gute Freundin, Ilana. Ob-wohl Sie mich letztes Jahr degradiert haben …“ Es war einer der seltenen Momente, in denen er seinen Captain beim Vornamen nannte.
„Sie haben an den Schiffssystemen rumgebastelt, ohne sich vorher mit mir oder Jerad abzu-sprechen“, erwiderte sie mechanisch. „Wir mussten deshalb unseren Warpkern abwerfen. Einen halben Parsec vor der Neutralen Zone.“
„Schon gut, ich lerne aus meinen Fehlern. Kommt nicht wieder vor.“
„Worauf wollen Sie hinaus?“
„Ich bilde mir ein, dass ich Sie inzwischen sehr gut kenne.“
Lairis nahm einen tiefen Atemzug. „Ich bin mir nicht sicher, ob Prescott Recht hat. Schließlich hab ich noch mehr alte Verletzungen, auch aus der Zeit des Widerstands, ohne dass ich jemals Probleme mit diesem … Wie nannte er es? … Warpgeschwindigkeits-Reaktions-Syndrom ge-kriegt hätte.“ Sie hielt einen Augenblick inne und in diesem kurzen Augenblick flackerte etwas wie Todesangst in ihren Augen auf. „Es könnte genauso gut sein, dass das Quickening bei mir wieder ausbricht. Wenn das so ist, muss ich in Quarantäne. Die Crew darf nichts erfahren. Aber bitte lassen Sie mir meine Waffe.“
Marc war es jetzt völlig egal, dass er seinen kommandierenden Offizier vor sich hatte. Er schloss Lairis spontan in die Arme und sie erwiderte die Umarmung voller Dankbarkeit.
„Ich glaube, wir sollten durch diese Tür gehen, bevor wir Prescott eifersüchtig machen“, flachs-te sie. Ihr lockerer Tonfall klang aufgesetzt und Marc spürte immer noch das leichte Zittern ihres Körpers.
Schweigend betraten sie die Krankenstation.
***
„Bitte nennen Sie die Art des medizinischen Notfalls“, schnarrte der holografische Arzt, als Lairis ihn aktivierte. Dann musterte er sie von oben bis unten mit weit aufgerissenen schwarzen Augen. „Wer sind Sie und wo ist Captain Devereaux?“ fragte er – und klang dabei so empört, dass Marc sich zu einem Kichern hinreißen ließ.
„Ah, Lieutenant Commander van de Kamp, ich habe unsere Diskussionen schon richtig ver-misst!“ Sein Blick fiel auf die zwei goldenen Pins an Marcs Kragen. „Oh, hat man Sie etwa de-gradiert?“
Marc ignorierte die Frage. „Wenn Sie unsere Diskussionen vermisst haben, muss ich Sie leider enttäuschen, Doc. Ich würde mir ja gern anhören, dass meine Genialität nur ein winziger Funzel im Vergleich zum strahlenden Stern ihres Schöpfers Dr. Zimmermann ist … aber wir sind in einer wichtigen Angelegenheit hier.“ Mit diesen Worten schob er Captain Lairis vor.
„Sie kommandieren doch nicht etwa dieses Schiff, oder?“ fragte der Holodoc neugierig.
„Haben Sie etwas dagegen?“ gab sie unwirsch zurück. Der herablassende Tonfall des Holo-gramms provozierte sie wider Willen.
„Ich weiß nicht, wer Sie sind“, wiederholte der Holodoc stur.
„Ich bin Captain Lairis Ilana. Und ja, ich kommandiere dieses Schiff. Captain Devereaux hat sich vor einem Jahr auf DEEP SPACE FOUR versetzen lassen.“
„Das ist wieder einmal typisch! Hier wird mal schnell der Captain ausgetauscht und niemand kommt auf die Idee, dass mich das vielleicht interessieren könnte …“
„Entschuldigung, das war nicht sehr höflich von uns“, lenkte Lairis ein.
„Kann man wohl laut sagen! Würden Sie einem Crewmitglied aus Fleisch und Blut so etwas Wichtiges vorenthalten? Schlimm genug, dass ich auf dieser Krankenstation eingesperrt bin und wie eine Glühlampe behandelt werde … wenn man mich denn überhaupt mal aktiviert … Ich verlange das Recht, zu erfahren, was auf diesem Schiff passiert, so wie jedes andere Mitglied Ihrer Crew!“ Er blickte Lairis herausfordernd an.
Marc räusperte sich. „Wir können gern ein anderes Mal über die Grundrechte von Hologram-men diskutieren. Mein Captain braucht dringend medizinische Hilfe.“
„Und was suchen Sie dann auf der Krankenstation, Lieutenant? Braucht Ihr Captain auch je-manden, der bei der Untersuchung Händchen hält?“
Lairis wandte sich an Marc. „Müssen wir das mit dem Schutz seiner Persönlichkeit wirklich so genau nehmen?“ raunte sie ihm zu.
„Das habe ich gehört!“ empörte sich der Doc. „Aber ich bin programmiert, über Beleidigungen von Patienten hinwegzusehen.“
„Ich hoffe, Sie sehen auch darüber hinweg, dass wir alle Erinnerungen an meine Behandlung aus Ihrem Gedächtnisspeicher löschen müssen“, entgegnete Lairis ohne Umschweife.
„Wie reizend! Habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden?“
„Leider nein“, erwiderte der Captain ohne jede Arroganz. „Mir ist selbst nicht wohl dabei – aber ich wurde mit einer Krankheit infiziert, die vom Sternenflottenkommando als gefährliche Biowaf-fe eingestuft wird.“
„Sie wurden infiziert? Warum sind Sie dann nicht auf der Quarantänestation?“
„Ich dachte, ich wäre geheilt. Aber ich bin mir nicht sicher.“
„Weshalb?“
Lairis leckte sich kurz über die spröden Lippen. „Seit das Schiff auf Warp gegangen ist, habe ich diese Schmerzen … wie in dem Moment, als die Krankheit ausgebrochen ist.“
„Starke Schmerzen?“
„Kaum auszuhalten“, antwortete sie leise.
„Wo genau?“
„Eigentlich im ganzen Körper. Am schlimmsten im Unterleib. Ich hab ein paar Tabletten ge-schluckt und im Moment geht’s, aber ….“
„Legen Sie sich auf das Biobett“, ordnete der Doktor an.
Sie musste den genauen Verlauf der Krankheit schildern und fing den Blick von Marc auf, der sie voller Entsetzen und Mitgefühl ansah.
Als er seine Scans beendet hatte, studierte der Doktor die Daten auf dem Tricorder ungewöhn-lich lange. Sein Stirnrunzeln grub tiefe Falten ins photonische Gesicht.
Kalter Schweiß überzog Lairis Ilanas Handflächen, während sie schweigend auf das Ergebnis wartete. Ihr Magen fühlte sich an wie ein Schlackeklumpen. Sie sah, wie Lieutenant van de Kamp mehrmals heftig schluckte. Seine Finger spielten nervös mit den Rangabzeichen an sei-nem Kragen. Lairis hatte ihren Ingenieur nie zuvor nervös erlebt.
„Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ platzte der holografische Arzt schließlich heraus – und Lairis’ Eingeweide verkrampften sich noch mehr. „Wer hat Sie eigentlich zusammengeflickt? Ein klingonischer Metzger?“
„Das medizinische Corps im Hauptquartier der Sternenflotte.“
„Dass es mit der Sternenflotte so weit bergab gegangen ist, schockiert mich!“
„Wir hatten einen planetaren Stromausfall auf der Erde.“
„Stromausfall?“ Der Doktor sah Lairis an, als wäre ihr plötzlich eine zweite Nase gewachsen.
„Könnten Sie mir bitte endlich sagen, welche Lebenserwartung ich noch habe?“ fragte Lairis ungehalten.
„Hmm.“ Der Doktor hob die Augenbrauen. „Ich würde sagen, siebzig bis hundert Jahre, wenn Sie immer schön Ihr Gemüse aufessen.“
Sowohl Lairis als auch Ihr Ingenieur atmeten erleichtert auf. „Also kein Virus?“ hakte Lieutenant van de Kamp nach.
Der holographische Arzt schüttelte seinen spärlich behaarten Kopf. „Ich würde mir viel mehr Sorgen um Ihre Sternenflottenkarriere machen, Captain.“
Lairis runzelte die Stirn. „Also doch dieses … Warpgeschwindigkeits-Reaktions-Syndrom?“
Das Hologramm nickte. „Allerdings ist mir noch nie so ein extremer Fall wie Ihrer untergekom-men. Sie wurden gefangen genommen und absichtlich infiziert, sagten Sie. Möglicherweise wer-den die Symptome durch posttraumatischen Stress verstärkt. Leiden Sie unter Alpträumen?“
„Ja“, antwortete die Bajoranerin widerwillig.
„Angstzustände?“
„Manchmal.“
„Sie sollten sich in psychologische Behandlung begeben.“
„Ich kenne eine sehr kompetente Counselor – nur leider sitzt sie in einer Arrestzelle.“
Marc prustete laut los, als er das verdutzte Gesicht des Doktors sah.
„Interessant“, bemerkte das Hologramm. „Ihr Counselor sitzt im Arrest, auf der Erde ist der Strom ausgefallen und die Sternenflotte wurde infiltriert von so genannten Formwandlern. Seit meiner letzten Aktivierung hat sich einiges getan, sehe ich.“ Nun wandte sich das MHN wieder an Lairis. „Wie auch immer: Mit Ihren … Beschwerden sind Sie nicht raumtauglich.“
Die Bajoranerin fuhr erschrocken hoch. „Sie wollen mich dienstunfähig schreiben?“
„Eigentlich nicht. Sie haben noch eine reale Chance, wenn ich Sie operiere, das vernarbte Ge-webe an den kritischen Stellen wieder auftrenne und richtig zusammenwachsen lasse. Wir haben Micro-Geweberegeneratoren, Nanotechnologie, ein Biobett … Kopf hoch, Captain: Diese Kran-kenstation ist zwar nicht die modernste, aber mehr als einen Hautregenerator und Pflaster aus dem Notfall-Set hab ich auf jeden Fall zur Verfügung.“
Die Bajoranerin lächelte. „Ich sehe, Sie verstehen Ihr Handwerk. Wahrscheinlich besser, als die meisten realen Ärzte.“
„Endlich erkennt hier jemand meine Kompetenz an“, stellte ihr Holodoc zufrieden fest.
„Und wann wollen Sie mich operieren?“
„Ich würde sagen: Jetzt oder nie.“
Lairis tauschte einen Blick mit Ihrem Ingenieur. Sie wartete immer noch auf Antwort von Kira, doch der Major konnte sie nicht erreichen, wenn sie die nächsten Stunden – vielleicht sogar Tage – auf der Krankenstation lag.
„Captain, die Behandlung macht nur Sinn, solange die Gewebeschäden nicht vollständig aus-geheilt sind. In ein oder zwei Tagen kann selbst ich nicht mehr garantieren, dass Sie wieder mopsfidel mit Warp durch den Raum fliegen werden.“
„Also gut, dann bleibe ich wohl an besten gleich hier“, beschloss sie schweren Herzens.
„Sehr vernünftig!“ meinte das MHN und verschwand im Büro des medizinischen Offiziers.
„Das wird schon wieder“, sagte Marc und drückte kurz Lairis’ Hand. „Sie haben den Holodoc gehört: Er sorgt auf jeden Fall dafür, dass Sie nicht den Rest Ihrer Dienstzeit mit diesen Schmer-zen rumlaufen müssen.“
„Das wäre eine ziemlich kurze Dienstzeit“, gab sie nüchtern zurück. „Das MHN hat Recht: Ich kann mich nicht vor jedem Warpflug unter Drogen setzten, wenn ich in der Sternenflotte bleiben will.“ Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie fortfuhr: „Einer der Wechselbälger hat mich gefragt, ob es für mich ein Leben außerhalb der Sternenflotte gebe … und ich weiß es nicht. Vor zwanzig Jahren leitete ich eine Widerstandszelle des Kommandos Freies Bajor. Wir führten einen Überfall auf ein cardassianisches Waffendepot durch, aber es lief nicht alles glatt. Eine der Wachen hat mich gesehen und dummer Weise überlebt. Jedenfalls klebte am nächsten Tag ein Steckbrief mit meinem Konterfei an jeden dritten Baum in der Provinz Rakhanta. Unsere Anführer bestan-den darauf, dass ich den Planeten verlasse. Ich weigerte mich zuerst, aber dann sah ich ein, dass sie Recht hatten. Sie besorgten mir eine getarnte Rettungskapsel, mit der ich über die Grenze flüchten konnte, aber irgendwann gingen mir die Nahrungsmittel aus, der Sauerstoff wurde knapp, ich driftete ohne Plan durchs All, hatte keine Ahnung, wo ich war … bis mich der Captain eines Sternenflottenschiffes aufgelesen hat. Ich arbeitete ein paar Wochen als Mädchen für Alles auf seinem Schiff und er schrieb mir einen Empfehlung für die Akademie.“
„Deshalb gingen Sie zur Sternenflotte? Aus Dankbarkeit, weil sie Ihnen das Leben gerettet ha-ben?“
„Nicht nur deshalb. In erster Linie ging es mir um einen Platz, wo ich hingehöre … eine Aufga-be, die meinem Leben wieder Sinn gibt.“
„Die Sternenflotte würde Sie nicht entlassen“, tröstete Marc sie. „Vielleicht bekämen Sie einen Job auf der Akademie oder im Büro.“
„Das heißt, im besten Fall bringe ich einem Haufen Teenagern bei, wie man ein Phasergewehr abfeuert, und im schlimmsten Fall koche ich Kaffee für Admiral Layton.“
***
Prescott rieb sich die Augen. Seine eigenen Worte glühten gelb auf schwarzem Untergrund. Als wollten sie sich für immer in den Bildschirm der Com-Anlage brennen, um ihn an einem Job zu erinnern, den er von ganzem Herzen hasste.
Er hätte nie gedacht, dass er jemals in einen Konflikt zwischen seinen moralischen Vorstellun-gen und den Befehlen des Sternenflottenkommandos geraten würde. Dabei war es im Grunde ganz einfach: Seit der Verhaftung ihres Ersten Offiziers wurde Lairis inoffiziell verdächtigt, im Untergrund gegen Layton zu arbeiten. Falls dies der Wahrheit entsprach, stand sie den Interessen der Föderation im Weg und musste unschädlich gemacht werden. Doch Prescott war nie ein Spitzel gewesen und wollte auch keiner sein. Zumal er sich zaghaft fragte, ob Layton den Inte-ressen der Föderation nicht viel mehr schadete als seine Gegner.
„Verdammt, bin ich hier bei den Cardassianern gelandet?“ knurrte er leise vor sich hin. „Seit wann bespitzeln wir unschuldige Offiziere? Okay, dieser Commander Kayn hat wohl viele Spa-ghetti-Western gesehen … denkt, er kann in Laytons Büro einbrechen und wird nicht erwischt … aber ich glaube nicht, dass er Lairis eingeweiht hat. Und überhaupt: Warum verwanzen sie nicht einfach ihren Bereitschaftsraum, wenn sie sie im Auge behalten wollen?“
Lairis würde nach Wanzen suchen und Marc würde sie finden, beantwortete er seine eigene Frage. Das war das Widerlichste an seinem Auftrag: Er musste nicht nur seinen Captain, sondern auch einen guten Freund bespitzeln.
Eine Nachricht von der Krankenstation schreckte ihn auf. Lairis musste sofort operiert werden und würde mindestens eine Woche nicht zum Dienst erscheinen, berichtete das Medizinisch-Holografische Notfallprogramm.
Prescott ließ einen Stoßseufzer der Erleichterung los. Seine Kommandantin tat ihm leid, aber nun hatte er wenigstens eine Ausrede, sie nicht auf Schritt und Tritt beobachten zu müssen.
Er warf einen letzten Blick auf seinen Bericht. Dann drückte er den „Delete“-Button. Noch nie hatte ihn der Anblick eines jungfräulichen LCARS-Display so erfreut. Prescott war zwar der Mei-nung, dass in seinem Bericht nur Banalitäten gestanden hatten, aber man konnte nie wissen, was Geheimdienstoffiziere aus solchen „Banalitäten“ herauslesen würden.
Stattdessen schrieb er, dass Lairis auf der Krankenstation in einem künstlichen Koma gehalten wurde und in absehbarer Zeit nicht zum Dienst zurückkehren würde. Halb- und Dreiviertel-Wahrheiten waren allemal glaubhafter als jede noch so geschickte Lüge.
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