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Erinnerungen (2018)

von CAMIR

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Jean-Luc Picard stand vor dem großen Fenster seines Bereitschaftsraumes und starrte in die Sterne, die als helle Streifen vorüberzogen.

Seine Augen hatten einen leeren, abwesenden Ausdruck.

Immer wieder sah er die Bilder von jenem schrecklichen Tag vor seinem geistigen Auge vorüberziehen und auch nach fünf Jahren konnten sie unvermittelt wieder hochkommen. Und dann waren sie so präsent, als wäre es gestern gewesen.

Er hatte getan, was möglich war, davon loszukommen und manchmal vergingen Tage, sogar Wochen, in denen er das Gefühl bekam, es geschafft zu haben. Aber dann gab es jene unerwarteten Ereignisse, die das Erreichte wieder zunichtezumachten. In solchen Momenten stürzte er sich besonders verbissen in die Arbeit und schloss seine Umwelt vollkommen von seinen Gefühlen aus. Für Außenstehende verrichtete er seine Pflichten gewissenhaft, weil er seine Aufgabe als Captain von Starfleet ernstnahm, aber niemand hatte das Recht ihm vorzuschreiben, was tief in seinem Inneren vorging.

Diejenigen, die ihn näher kannten, wussten, wenn er sich innerlich zurückgezogen hatte. Er konnte ihre sorgenvollen Blicke spüren, wenn er auf der Brücke erschien, aber niemand konnte das rückgängig machen, was passiert war.

Er wischte sich mit der Hand über die Stirn und seufzte laut.

Momentan befand sich die Enterprise auf einer kartographischen Routinemission, die nur minimales Eingreifen von ihm verlangte. Das gab ihm Zeit zum Nachdenken und dafür war er sehr dankbar.

 

Besorgt blickte William Riker zu Counselor Deanna Troi, die neben ihm im Turbolift stand. Sie waren beide auf dem Weg zur Brücke und Deanna hatte bereits mit dem Captain gesprochen.

„Wie geht es ihm heute?“

Traurig erwiderte Deanna Rikers Blick.

„Unter seiner ruhigen Oberfläche ist große Traurigkeit und Verzweiflung zu spüren. Er hat einen Rückfall.“

Resigniert schlug Riker mit der Hand auf die Rückwand des Turbolifts.

„Keinerlei Fortschritte?“

Beruhigend legte Troi ihre Hand auf die seine.

„Du weißt genau, wie hart wir daran arbeiten, aber es ist sehr schwer.“

Nachdenklich runzelte Riker die Stirn.

„Es ist Madeleine, nicht wahr?“

Solange Madeleine klein genug gewesen war, hatte Picard seine Trauer verdrängen können, indem er sich voll und ganz auf das Kind konzentrierte. Mit zunehmendem Alter wurde Madeleine aber immer selbstständiger und nun stand ihre Einschulung an.

„Der Gedanke daran, jenen Menschen loszulassen, der ihm den meisten Halt gegeben hatte, wird nicht leicht für ihn,“ gab Deanna zu.

„Aber es ist doch nur für ein paar Stunden am Tag,“ entgegnete Riker verwundert.

„Will, solche Rückfälle sind nicht rational. Er musste schon ihre Mutter unfreiwillig loslassen und nun muss er auch Verantwortung für Madeleine aus der Hand geben. Er gibt damit ein stückweit Kontrolle ab und das vor dem unbewussten Hintergrund, sie unbedingt schützen zu müssen. Erschwerend kommt hinzu…“ Deanna brach ab und Will ergänzte was sie dachte:

„Von Tag zu Tag wird Madeleine ihr immer ähnlicher, es ist erstaunlich.“

Der Turbolift hielt an und sie unterbrachen beim Anblick Picards automatisch das Gespräch. Auf der Brücke herrschte eine gedrückte Stimmung. Sie setzten beide ihre professionellen Masken auf und begaben sich an ihre Plätze.

Riker grüßte seinen Captain, doch Picard gab ihm keine Antwort, nicht einmal eine Bestätigung in Form von einem Nicken.

Seine Niedergeschlagenheit färbte unweigerlich auf die Anwesenden ab.

 

 

„Papa, liest du mir eine Geschichte vor?“

„Natürlich mein Schatz, was möchtest du denn hören?“

Jean-Luc Picard saß auf der Bettkante seiner Tochter und strich ihr liebevoll über die goldblonden Locken, Beverlys Haare.

Jeden Abend bat ihn Madeleine ihm eine Geschichte vorzulesen und er tat es gerne für sie. Sie war ein ausgesprochen intelligentes Kind und er bedauerte es sehr, sie so oft alleine zu lassen. Umso mehr schmerzte es ihn, sie durch ihre anstehende Einschulung noch seltener zu sehen. Doch auch wenn er sich nichts sehnlicher wünschte als mehr Zeit mit ihr zu verbringen, hinderte ihn etwas, seinen Beruf aufzugeben. Er hatte auch seinem Schiff und seiner Mannschaft gegenüber eine Pflicht und er wusste, Beverly hätte es nicht anders gewollt. Zärtlich nahm er seine Tochter in die Arme.

„Also, welche Geschichte soll ich dir heute Abend vorlesen?“

Madeleine steckte nachdenklich einen Finger in den Mund und blickte ihn mit ihren großen blaugrauen und unglaublich tiefgründigen Augen an.

Schließlich meinte sie: „Heute Abend will ich keine Geschichte, Papa. Erzähl mir stattdessen mehr von Mami.“

Wie ein heißer Schmerz durchfuhr es Picard. Wie sollte er es dem Mädchen erklären, wenn er es doch selbst nicht verstand? Er hatte sich immer vor diesem Moment gefürchtet und nun war er da.

„Ich habe sie sehr geliebt,“ sagte er schließlich schlicht. „Weißt du Madeleine, ich kannte deine Mutter schon lange Zeit, bevor wir heirateten. Sie war Ärztin hier auf dem Schiff.“ Überrascht blickte Madeleine ihren Vater an.

„Sie war Ärztin hier? Aber Papa, Dr. Vígdis ist die Bordärztin!“ rief sie sichtlich entrüstet.

Bei dem Gedanken an Dr. Vígdis wurde es Picard ganz elend. Er fühlte sich der neuen Ärztin gegenüber irgendwie schuldig, denn er hatte sie immer eisig und unterkühlt behandelt. Natürlich brauchte die Enterprise einen Leitenden Mediznischen Offizier, aber in seinem Herzen konnte niemand anders als Beverly diese Position angemessen ausfüllen.

Vor knapp fünf Jahren, einige Monate nach Beverly Tod war Dr. Vígdis Þorkelsdóttir, eine durchaus fähige junge Medizinerin, an Bord gekommen. Picard kam jedoch niemals über einen neutralen Austausch von Höflichkeiten mit ihr heraus, auch wenn sie auf professioneller Ebene gut zusammenarbeiteten. Es war einfach nicht mehr dasselbe.

„Ja, du hast schon recht, Madeleine, doch deine Mutter war vor Dr. Vígdis die Bordärztin.“ sagte er. „Sie war die einzige, die mich vom Dienst entbinden konnte, wenn ich krank oder in ihren Augen nicht zurechnungsfähig war. Wir führten viele hitzige Diskussionen deswegen, doch ich konnte immer auf sie zählen, wenn es darauf ankam. Sie war eine gute Freundin und eine große Unterstützung auf vielen Missionen. Wir wollten lange Zeit nicht wahrhaben, was wir füreinander empfanden, doch schließlich…“ Abwesend lächelte er, „kamen wir nicht darum herum. Wir heirateten. Das ist nun gute sechs Jahre her…“

Jean-Luc versank immer mehr in den Erinnerungen an seine verstorbene Frau, sodass er erst gar nicht bemerkte, dass Madeleine neben ihm eingeschlafen war. Als es ihm bewusst, wurde, deckte er sie leise zu, strich ihr liebevoll über die Haare und küsste sie sanft auf die Stirn.

„Schlaf gut und träum was Schönes, mein Schatz“, flüsterte er. „Du bist so hübsch wie deine Mutter, wenn du schläfst!“

Leise stand er auf und begann sich bettfertig zu machen. Dabei überwältigten ihn die Erinnerungen ein weiteres Mal. Er als einziger hatte gesehen wie Beverly Crusher, seine Ehefrau und Mutter seiner einzigen Tochter bei Madeleines Geburt vor fünf Jahren gestorben war, ohne dass er etwas dagegen hatte unternehmen können.

Diese Bilder waren unauslöschlich in sein Gedächtnis eingebrannt und hatte ihn zu dem gemacht, was er nun war. Tief in seinem Inneren fühlte er sich in so vielen Punkten schuldig an ihrem Tod, dass er sie nicht mehr aufzählen konnte.

Nie wieder würde er sie lachen hören, nie wieder konnte er mit der Hand durch ihre Haare fahren, sie war für immer von ihm gegangen. Das einzige was sie ihm hinterlassen hatte, war die kleine Madeleine. Dafür liebte er das Kind über alles, doch trotzdem sah er ständig Beverly in dem Mädchen. Ohne es zu wollen wurde er durch seine Tochter täglich daran erinnert, was auf einem einsamen Planeten geschehen war - vor fünf Jahren.

 

 

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