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18 Stückchen Leben

von Laurie

Kapitel 1

Der Name

David hält es für eine geniale Idee. Eleanora eher weniger.
„Horatio?“, fragt sie in einem Tonfall, als zweifele sie ernsthaft am Geisteszustand ihres Ehemannes. „Ich werde unseren Sohn auf keinen Fall Horatio nennen. Der arme Junge!“
„Aber es ist ein traditionsreicher Name“, versucht David seinen Vorschlag zu verteidigen.
Eleanoras Blick würde selbst einen Klingonen in die Flucht schlagen.
„Auf keinen Fall“, beschließt sie. „Ich kenne auch einen traditionsreichen Namen, der viel schöner ist.“
„Welchen denn?“, erkundigt sich David vorsichtig, und Eleanora strahlt.
„Leonard“, haucht sie verzückt. „Das bedeutet der Mutige.“
David runzelt die Stirn. „Leonard Horatio McCoy. Klingt nicht schlecht.“



Der erste Satz

Leonard ist dafür prädestiniert, Arzt zu werden. Den ersten Hinweis auf die zukünftige berufliche Laufbahn ihres Sohnes erhält Eleanora, als der Kleine seinen von der Arbeit heimkehrenden Vater mit einem fröhlichen Glucksen begrüßt, nach einem Blick auf das Sofa jedoch sofort wieder ernst wird. Seine vom Fieber geschüttelte Mutter hat sich dort unter einem Berg an Decken vergraben.
„Momma ist krank“, informiert Leonard seinen Vater konzentriert. Eleanora bekommt vor Schreck einen weiteren Hustenanfall und David lässt beinahe seine Aktentasche fallen.
„Schreib das auf!“, keucht Eleanora, sobald sie sich beruhigt hat. „Halt das fürs Familienalbum fest!“
Leonard grinst, selbstzufrieden und stolz.



Ein Spielzeug

Sie versuchen es mit Rasseln, bunten Bällen und Kuscheltieren. Nichts davon gefällt Leonard, und langsam beginnt Eleanora, sich Sorgen zu machen. Normale Kinder beschäftigen sich mit langweiligem Krimskrams; normale Kinder spielen keinesfalls mit gigantischen Steakmessern, die ihre gedankenlosen Eltern auf dem Küchentisch haben liegen lassen.
Elenaora bekommt fast einen Herzinfarkt, als sie sieht, wie ihr zweijähriger Sohn mit seligem Lächeln das Messer zwischen den Händen dreht. Als sie sich auf ihn stürzt und es ihm entreißt, bricht er in Tränen aus.
Erst später wird ihr bewusst, dass Leonard, der jedes angemessene Spielzeug verschmäht, das Messer vorsichtig und völlig selbstverständlich hält.



Der erste Kuss

Die anderen ziehen ihn damit auf, dass er mit seinen siebzehn Jahren einer der wenigen noch ungeküssten Jungen am College ist; Emony dagegen lacht nicht, als er ihr stotternd seine Unerfahrenheit gesteht.
„Du bist süß, Len“, sagt sie, und er weiß nicht, ob er sich geschmeichelt oder beleidigt fühlen soll.
Und dann, ohne Vorwarnung, presst sie ihre Lippen auf seine – mitten im Geräteraum der Turnhalle, zwischen Matten und Medizinbällen, während nebenan ein Trupp hartgesottener Athleten seine Runden dreht.
Es ist kein perfekter Kuss, kein perfekter Moment. Es ist nicht romantisch, nicht magisch und nicht unvergleichlich. Aber es ist gut genug.



Ein Streit

„Wann hattest du zuletzt Zeit für uns, Len? Für deine Tochter?“
Jocelyns Tonfall ist schneidend scharf, und Leonard senkt den Blick. Das Wissen darum, dass sie irgendwann an diesem Punkt ankommen mussten, macht es nicht leichter.
„Meine Arbeit ...“
„Deine Arbeit ist mir egal!“
Jede mühsam aufrechterhaltene Beherrschung ist verschwunden; Jocelyn schreit, und er versucht, sich daran zu erinnern, wann sie zum letzten Mal normal miteinander geredet haben.
Es gelingt ihm nicht.
„Ich ...“
Jocelyn unterbricht den jämmerlichen Versuch einer Entschuldigung: „Es ist vorbei. Endgültig.“
Leonard starrt sie an. Plötzlich ist alle Wut verflogen; plötzlich gibt es kein wir mehr, keine Familie.



Eine schmerzhafte Trennung

„Wann kommst du zurück, Daddy?“
Joanna blickt ihn voller kindlicher Unschuld an, und Leonard schluckt mühsam.
Wie oft hat sie ihm in den letzten Tagen diese Frage gestellt, und wie oft konnte er ihr keine Antwort geben?
Jocelyn hilft ihm nicht aus seinem Dilemma heraus – aus dem Ringen mit der Wahrheit und mit der Weigerung, seine Tochter zu verletzen. Joanna ist so jung ... Sie sollte noch nicht wissen müssen, dass ihre Mutter fremdgeht und ihr Vater vor seinen Problemen davonrennt. Sie sollte den Sinn des Wortes „Sorgerecht“ nicht kennen.
„Bald, Süße“, flüstert Leonard, umarmt Joanna ein letztes Mal – und geht.



Ein Verlust

David bittet, David fleht. „Lass mich endlich gehen, bitte ...“
David wimmert, David weint. „Beende es, erlöse mich ...“
Jedes seiner schwach hervorgestoßenen Wörter schneidet Leonard tief ins Herz, und bei jedem Wort wird der Konflikt in seinem Inneren stärker, der Kampf zwischen seiner Verantwortung als Sohn, dem Hippokratischen Eid und dem Mitleid mit dem sterbenden Mann, der nur noch ein Schatten seiner selbst ist. David McCoy würde sich eigenhändig töten, wenn er könnte, und dieser Gedanke zwingt Leonard zum Handeln. Er weiß, dass er das Richtige tut, und dennoch – als er die lebenserhaltenden Maschinen abstellt, stirbt auch ein Teil von ihm.



Ein Freund

Normalerweise ist es Leonard, der die Besatzungsmitglieder aufsucht, um ihnen eine Stütze zu bieten. Seltsamerweise schienen die Leute anzunehmen, dass er selbst, der fähige, vertrauenswürdige Arzt, keine Hilfe nötig habe. Irgendwann beginnt Leonard, ebenfalls daran zu glauben, zumindest bis Jim am Abend nach einer besonders nervenaufreibenden Operation mit einer Flasche Bourbon in seinem Quartier auftaucht. Der Patient hat es nicht geschafft, und Leonard hatte vor, den Schmerz über sein Versagen mit Alkohol zu betäuben. Jims Mitbringsel kommt ihm gerade recht – viel wertvoller allerdings ist Jims bloße Anwesenheit.
Als Leonard ihn fragt, wieso er da ist, grinst Jim.
„Medizinischer Beistand, Bones.“



Eine Niederlage

„Ihre Weigerung, selbst die offensichtlichsten Fakten anzuerkennen, ist faszinierend, Doktor.“
Die Anwesenden auf der Bücke grinsen, und Leonard stemmt kampflustig die Arme in die Hüfte. So gerne er die Besatzung erheitert – kampflos wird er nicht untergehen.
„Tatsächlich? Und was macht Sie so sicher, dass meine Theorie falsch ist?“
„Empirische Versuche belegen, dass ...“
„Gib’s auf, Bones, er hat recht“, würgt ein amüsierter Jim den sich anbahnenden Vortrag ab, und Spock wirft seinem Captain einen Blick zu, den man beinahe als dankbar bezeichnen kann.
Lachen brandet auf, und resigniert gibt sich Leonard der Logik eines gewissen grünblütigen Computers geschlagen. Für dieses Mal.



Ein Triumph

Sie haben es geschafft. Nach endlosen Stunden im Labor, schlaflosen Nächten und einem verzweifelten Wettlauf gegen die Zeit ist es ihnen gelungen, das Gegenmittel zu finden, das die Epidemie auf Delta V bekämpft. Unzählige Leben können gerettet werden.
„Ein Hoch auf das Forschungsteam der Enterprise“, ruft Jim, überschäumend vor Erleichterung, und fügt hinzu, dass er sie alle wärmstens bei der Admiralität empfehlen wird.
Leonard hört der enthusiastischen Rede des Captains zu und kann sein Grinsen kaum unterdrücken.
Jims Lob tut gut; Leonards größter Lohn aber ist, dass Spock ihm eines seiner kostbaren Nicht-Lächeln schenkt und ihm mitteilt: „Gute Arbeit, Doktor.”



Ein Moment des unvollkommenen Glücks

Ein letztes Mal lässt Leonard den Blick durch den Raum gleiten. Stille liegt über der Krankenstation; alle Patienten schlafen, selbst Jim hat endlich Ruhe gefunden nach der schrecklich schiefgelaufenen Mission.
Er wendet den Kopf, als sich eine Hand auf seine Schulter legt. Christine Chapel hat sich ihm lautlos genähert.
„Gut gemacht“, flüstert sie, und Leonard erwidert ihr Lächeln.
Morgen wird der alltägliche Irrsinn weitergehen, aber daran will er nicht denken. Für nun will er nur die friedliche Atmosphäre genießen und das Wissen, dass es dem genialen medizinischen Team, seinem Team, wieder einmal gelungen ist, sicheren Tod in Leben zu verwandeln.



Ein Unfall

Obwohl Leonard Shuttles dem Transporter vorzieht, traut er ihnen keinesfalls. Er fühlt sich in seiner Abneigung bestätigt, als das Shuttle mit den Mitgliedern des Landetrupps plötzlich den Geist aufgibt.
Nun ja, nicht direkt. Der unerwartete Druckabfall, die hektischen Befehle und die beängstigend schnell näherkommende Oberfläche des Planeten rechtfertigen dennoch eine Panikattacke.
„... kompensieren ...!“
„... keine Kontrolle ...“
Ein heftiger Ruck, dann Stille – und wie durch ein Wunder leben sie alle noch.
„Bones, alles klar?“
Jims besorgtes Gesicht schiebt sich in sein Blickfeld, und Leonard überlegt, ob er lachen oder sich übergeben soll. Er entscheidet sich für einen Mittelweg.
„Ich hasse Shuttles“, knurrt er.



Ein romantischer Moment

Uhura muss wirklich verzweifelt sein, dass sie sich ausgerechnet am Valentinstag zu ihm flüchtet. Alle anderen schwelgen in romantischen Gefühlen, nur Leonard hat in seinem Büro eine Festung der schlechten Laune errichtet. Er hält nichts von Pralinen und roten Rosen und ist verständlicherweise irritiert, als Uhura mit einer Flasche Wein vor ihm auftaucht.
„Ich halte das Gesülze nicht mehr aus, da dachte ich mir, ich leiste Ihnen Gesellschaft.“
Sie überreicht ihm sein Weinglas zusammen mit einem Grinsen, und Leonard lehnt sich entspannt zurück. Gemeinsam feiern sie den Valentinstag auf ihre Art – nicht unbedingt konventionell, aber so viel besser und ehrlicher.



Ein Blick zurück

Es war die beste Zeit, es war die schlimmste Zeit ... Das Zitat von Charles Dickens kommt Leonard in den Sinn, als das Ende ihrer Mission unaufhaltsam herannaht.
Die Legende kehrt heim, fünf Jahre sind vorüber.
Fünf Jahre voller unmöglicher Entscheidungen, belastender Dilemmata, unvergesslicher Momente. Fünf Jahre Leben, in denen sich eine Handvoll völlig unterschiedlicher Personen zu einem unschlagbaren Team zusammengerauft hat. Niemand weiß, wohin ihre zukünftigen Wege sie führen werden; aber während er zum letzten Mal an Spocks und Jims Seite in den Transporter steigt, denkt Leonard, dass er vielleicht, ganz vielleicht in diesen fünf Jahren seine Familie gefunden hat.



Ein Blick nach vorn

Während der Fünf-Jahres-Mission und keinen Tag länger, das hat er sich geschworen, und trotzdem steht er nun im Transporterraum einer neu eingeweihten Enterprise einem bittenden Admiral Kirk gegenüber.
„Ich brauche dich, Bones.“
Leonard ist wenig begeistert. Dumm nur, dass er Jim noch nie einen Wunsch abschlagen konnte.
Innerlich verflucht er sich selbst, als er Jims ausgestreckte Hand ergreift; doch trotz seines zur Schau getragenen Widerwillens verspürt er eine gewisse Vorfreude. Er ahnt dunkel, dass eine erneute Dienstzeit nicht einfach werden wird – aber er ahnt auch, dass er seine Entscheidung nicht bereuen wird, jetzt, da die altbekannte Mannschaft wieder zusammengefunden hat.



Ein Feind

Anfangs bezeichnet Leonard Khan nicht als Feind. Feind – das ist ein Wort, mit dem er, ein normalerweise ziemlich friedliebender Mensch, nur wenig anfangen kann. Er behält diese Ansicht selbst dann bei, als Khan ihm ein Skalpell gegen die Kehle drückt und ihn zeitgleich fast erwürgt. Dass er Jim in der Dekompressionskammer einsperrt, fällt schon eher ins Gewicht.
Damit, von ihm als Kontrahenten in einer bitterernsten Schlacht zu denken, beginnt Leonard erst, als ihre Wege sich erneut kreuzten, als Khan alles tut, um Jim zu töten, als seine Taten Spock das Leben kosten.
Die Feinde seiner Freunde sind auch seine Feinde.



Ein gravierender Irrtum

Es ist Scotty, der ihm mit zittriger Stimme die Nachricht überbringt.
Leonard versteht nur wenige Wörter – Unfall ... Nexus ... –, aber das genügt, um sich einer Wahrheit stellen zu müssen, die er sich nie eingestehen wollte.
Er ist Arzt, er weiß um die Endlichkeit des Lebens. Und trotzdem ... er hat immer geglaubt, immer gehofft, dass es bei Jim anders sei. Egal, wie haarscharf Jim an der Katastrophe vorbeischrammt, egal, wie hart er fällt, er rappelt sich immer wieder auf.
Helden sind unsterblich, nicht wahr?
Jim ist es nicht, und Leonard steht betäubt vor den Scherben seiner Gewissheiten.
Wie naiv er gewesen ist.



Die letzten Worte

Er muss nicht die besorgten Gesichter seiner Pfleger und seiner Angehörigen sehen, um zu wissen, dass es bald vorbei ist. Er hat seinen Frieden mit der Welt längst geschlossen, also schickt er seine Besucher fort, weil er ihren Kummer nicht erträgt. Der Einzige, den er an seinem Sterbebett duldet, ist Spock. Denn Spock versteht ihn, seit so langer Zeit schon, Spock lässt ihn selbst jetzt noch einfach Leonard sein, Spock hält seine Hand bis zum Ende und spricht es gemeinsam mit ihm aus: „Ich war ... und werde es immer sein ... dein Freund.“
Leonard flüstert diese letzten Worte mit einem Lächeln.
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