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Sonnenuntergang

von Laurie

Kapitel 1

Das Schlimmste daran, auf einer Raumstation festzusitzen, denkt Leonard McCoy, ist es, dem künstlichen Licht ausgesetzt zu sein.

Wirklich, jemand sollte Yorktowns Architekten die eine oder andere Lektion über richtige Beleuchtung erteilen. Wer auch immer die irrsinnige Idee hatte, diese Art von blendend weißem Licht zu benutzen, müsste dringend einige Stunden im sanften Schein guter, altmodischer Glühbirnen verbringen, nur um sich des gravierenden Unterschieds bewusst zu werden.

Selbst das Licht auf der Enterprise war nicht so grell, und in Kombination mit den hauptsächlich weißen Wänden verleiht es Leonard das Gefühl, in einem riesigen Schneeball gefangen zu sein. Definitiv nicht lustig für jemanden, der aus dem Süden stammt.

Das Licht in seinem Quartier ist sogar noch schlimmer; er bekommt Kopfschmerzen davon, wenn er sich zu lange dort aufhält, der Versuch, es zu dämpfen, ist grandios gescheitert, und es ganz auszuschalten, stellt auch keine wirkliche Option dar – weshalb er beschlossen hat, sich nach einer anderen Stelle umzusehen, wo er ein wenig wohlverdiente Ruhe finden kann.

Schließlich hat er eine ruhige Ecke auf einem der Aussichtsdecks in Yorktowns Hauptquartier der Sternenflotte gefunden, und er hofft inständig, dass weder Jim noch irgendjemand anders, den er kennt und der weiß Gott was von ihm will, ihn hier finden wird. Seufzend blendet er seine Umgebung aus, lässt sich gegen die Lehne seines Sofas sinken und ist gerade dabei, einzudösen, als ihn eine unverkennbare Stimme unsanft in eine Gegenwart zurückholt, die so viel unangenehmer ist als seine Tagträume.

„Doktor?“

Leonard reißt die Augen auf und dreht den Kopf so ruckartig herum, dass ein heftiger Schmerz durch seinen Nacken schießt; und der Anblick eines vor ihm stehenden, ungewöhnlich zögerlichen Vulkaniers trägt nicht dazu bei, seine Laune zu verbessern.

„Verdammt, Spock, schleichen Sie sich nicht so an mich heran!“, zischt er. „Wollen Sie, dass ich eine Herzattacke erleide?“

Spock zieht eine Augenbraue hoch und setzt sich in gerade angemessenem Abstand neben ihn – er setzt sich tatsächlich hin und das ist genug, um dafür zu sorgen, dass Leonard sich eine Schimpftirade verkneift. Spock setzt sich niemals hin, wenn er die offiziellen Angelegenheiten des Schiffes im Sinn hat, was bedeutet, dass er Leonard aus persönlicheren Gründen aufgesucht hat; und Leonard weiß nicht, ob er bereit ist für ein weiteres vertrautes Gespräch mit einem Halbvulkanier, der erst vor Kurzem gelernt hat, seine menschliche Seite zu akzeptieren.

„Obwohl diese Vorstellung mir durchaus verlockend zu sein scheint, war dies nicht meine Intention“, sagt Spock nonchalant, und Leonard verdreht die Augen.

„Gut für Sie“, brummt er. „Also, was kann ich für Sie tun? Bereitet Ihnen Ihre Verletzung wieder Schwierigkeiten?“

Natürlich hat er Spock gründlich untersucht, sobald sich die Lage ein wenig entspannt hatte und er Zugang zu einer richtigen Krankenstation hatte, nicht nur zu der völlig veralteten Einrichtung an Bord der USS Franklin – aber man kann nie wissen. Spock mit seinem überdimensionalen vulkanischen Stolz hat sich einen Ruf dafür erworben, etwaige Verletzungen und Krankheiten bis zum letzten Moment zu verheimlichen; in dieser Hinsicht ist er mindestens ebenso stur wie Jim.

Leonard ist beinahe erleichtert, als Spock den Kopf gerade leicht genug schüttelt, um es zu bemerken. Sieht ganz so aus, als habe er tatsächlich begonnen, sich um den grünblütigen Kobold zu sorgen.

„Negativ. Wie gewöhnlich haben Sie exzellente Arbeit geleistet, um mich wieder zusammenzuflicken, wie Sie es gerne ausdrücken.“

Nun ist es an Leonard, die Augenbraue hochzuziehen. „Was, Sie machen mir Komplimente? Ich bin mir nicht sicher, ob ich das überleben werde.“

Er widersteht dem Drang, Spock mit dem Ellenbogen anzustupsen. Dass diese verdammten Vulkanier immer so angespannt sein müssen ...

Das künstliche Licht lässt Spocks Gesicht gespenstisch weiß erscheinen.

„Was ist los, Spock?“, fragt Leonard leise. „Haben Sie und Uhura wieder Probleme?“

Er glaubt nicht wirklich, dass das der Grund für die unerwartete Gesellschaft ist, aber er kann es einfach nicht lassen, Spock ab und an aufzuziehen. Spock schätzt das offenbar nicht besonders, doch zumindest ist es eine zuverlässige Methode, um zum Kern der Sache vorzudringen.

„Ich bezweifele, dass der Status meiner Beziehung zu Lieutenant Uhura in Ihren Aufgabenbereich fällt“, erwidert Spock kühl; allerdings mischt sich ein Hauch von Unsicherheit in seine Stimme, als er fortfährt. „Ich kam zu Ihnen, um eine bislang unbeantwortete Frage zu beantworten.“

Verblüfft sieht Leonard ihn an. „Und die wäre?“

„Auf Altamid haben Sie mich nach meiner Lieblingsfarbe gefragt.“

Es dauert einige Augenblicke, bis die Erinnerung in seinem Kopf Gestalt annimmt. Altamid, natürlich – ein felsiges Flussufer, ein abgestürztes Schwarmschiff, die Verletzung in Spocks Unterleib ...

Er fühlt, wie sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitet, ein sowohl herzliches als auch verlegenes Lächeln. „Ah, Spock, ich wollte Sie bloß ablenken. Sie müssen das nicht beantworten.“

Spock blickt auf seine verschränkten Hände hinab. „Ich habe diese Angelegenheit gründlich erwogen und kam zu dem Ergebnis, dass ich Ihre Nachfrage sehr wohl beantworten möchte.“
Er hält inne, als warte er darauf, dass Leonard ihn unterbricht, ihn vielleicht wieder aufzieht, doch weil Leonard mit einer Art von besorgter Erwartung schweigt, spricht er weiter.

„Meine Lieblingsfarbe ist orange.“

Reflexartig hebt sich Leonards Augenbraue erneut, und er starrt den Vulkanier an, als sähe er ihn in einem völlig neuen Licht. Einem orangen Licht, genauer gesagt.

„Orange, wirklich? Ich dachte immer, Sie wären eher der Typ, dem blau gefällt. Orange ... wieso das?“

Spock nimmt sich einige Zeit, bevor er antwortet, und anhand der Art, wie sein Blick durch den Raum huscht, erkennt Leonard, dass mehr dahinter steckt, dass diese Farbe Spock nicht nur gefällt, weil er sie schön findet.

„Als ich ein Kind war, führte meine Mutter mich in das menschliche Ritual des Beobachtens von Sonnenuntergängen ein. Dabei habe ich die Vielfalt verschiedener Farben immer bewundert, besonders die verschiedenen orangefarbenen Schattierungen; und ich erachtete die Sonnenuntergänge auf Vulkan stets für recht inspirierend.“

Eine Stille tritt ein, nur ab und an unterbrochen durch das Geräusch der Schritte und Stimmen einiger Passanten und durch das gelegentliche Rumpeln, das aus dem Verladeraum unter ihnen dringt.

In Leonards Kopf mischen sich diese Geräusche mit anderen Klängen, mit anderen Erinnerungen ... Erinnerungen an lange Sommernächte, an Mint Julep und Grillabende, an „Georgia on my mind“, gespielt auf der Flöte neben dem Lagerfeuer ...

Die Welle an Heimweh, die ihn überflutet, ebbt ab, als er sich bewusst wird, dass Erinnerungen wie diese das Einzige sein müssen, was Spock übriggeblieben ist. Nichts als Erinnerungen, keinen Ort, den er noch „Zuhause“ nennen könnte, keinen Ort, an den er zurückkehren könnte ...

Spock starrt verbissen an die gegenüberliegende Wand, offenbar entschlossen, Leonards Blick auszuweichen. Das Mitleid, das Leonard für ihn verspürt, ist so übermächtig, dass es seine eigenen düsteren Gedanken vertreibt, aber natürlich zeigt er es nicht. Mitleid ist das Letzte, was Spock möchte – Spock, der anders ist und es immer sein wird, der keine Mutter mehr hat und kein Zuhause ...

Mit einem Seufzen legt Leonard ihm eine Hand auf die Schulter. „Wissen Sie was, Spock? Eines Tages, vorausgesetzt natürlich, wir überleben den Wahnsinn hier draußen, lade ich Sie nach Georgia ein. Wir haben dort auch ziemlich eindrucksvolle Sonnenuntergänge.“

Kaum wahrnehmbar neigt Spock den Kopf, und zu ersten Mal, seit er sich neben ihn gesetzt hat, sieht er ihm direkt in die Augen. Leonard erwartet, dass er das spontane Angebot ablehnt, und nichts bereitet ihn auf die Wärme vor, die in ihm aufsteigt, als Spock antwortet: „In Ordnung, Doktor.“

Hinter ihnen, jenseits der Beobachtungsfenster, wechselt die Beleuchtung der Station langsam vom Tagesmodus in den Nachtmodus – und wenn man die Augen schließt und das Gesicht dem Fenster zuwendet, könnte man fast glauben, dass die Sonne über Yorktown untergeht.
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