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And the stars look very different today

von Laurie

Kapitel 1

Von seiner Position aus kann Leonard die Sterne sehen.

Er hat sich gegen die Wand der engen Felsspalte gekauert, in der Spock ihn abgesetzt hat und die wirklich keinen der vorderen Plätze auf der Liste der bestmöglichen Verstecke belegt, aber immer noch besser ist als nichts; und immerhin erlaubt dieser Unterschlupf ihm, die Sterne zu sehen. Millionen von Sternen, deren Schein noch nicht gedämpft ist durch die mit der Entwicklung beinahe jeder intelligenten Spezies einhergehende Lichtverschmutzung, die ein funkelndes Netz am Horizont bilden, die fremd und vertraut zugleich wirken ...

Er erinnert sich nicht an den Namen des Planeten, auf dem sie vor einer kleinen Ewigkeit abgestürzt sind, er erinnert sich kaum an den Shuttleunfall an sich und er erinnert sich nicht einmal daran, wieso sie überhaupt jemals die relative Sicherheit der Enterprise verlassen haben, um diese Einöde aus Felsen und potentiell giftigen Pflanzen zu untersuchen. Es ist nicht wirklich wichtig – einfach ein weiterer Tag, ein weiterer gottverlassener Planet, eine weitere schiefgelaufene Mission, das ist alles, was er wissen muss.

Natürlich hatte das Shuttle auf halbem Weg eine Fehlfunktion, natürlich hat er es geschafft, sich beim Absturz zu verletzen, natürlich wurde der Erste-Hilfe-Kasten zertrümmert, so dass er sich nicht einmal selbst verarzten kann, wie jeder anständige Arzt es täte, und natürlich muss er ausgerechnet mit Spock hier festsetzen. Spock, der bis auf einen unschönen Schnitt an seiner linken Schläfe glücklicherweise nicht verletzt ist, Spock, der nun vor ihm niederkniet, nachdem er von einem weiteren erfolglosen Versuch, die Enterprise zu kontaktieren, zurückgekehrt ist.

Mit zusammengekniffenen Augen wendet Leonard den Kopf. Er bereut die Bewegung sofort, als ein weiterer Blitz blendend weißen Schmerzes durch sein instabiles Bewusstsein schießt. Aufmerksam, wie er ist, bemerkt Spock es sofort.

„Doktor, Sie sind ernstlich verletzt. Bitte verzichten Sie darauf, sich zu bewegen, bis wir Sie mit medizinischer Hilfe versorgen können“, sagt er, und Leonard gelingt es nicht, herauszufinden, ob er sich einfach nur langweilt oder sich tatsächlich Sorgen macht.

Er würde lachen, wenn er nicht so müde wäre. Nicht bewegen, sicherlich, wie soll er denn auch nur einen Finger rühren, wenn er seinen Körper nicht einmal spüren kann, wenn sein Bewusstsein sich wie ein Ballon anfühlt, der mit nichts als einer dünnen Schnur an ihm befestigt ist und jeden Moment davonfliegen kann? Selbst der Schmerz klingt viel zu schnell ab und lässt nichts als ein gefährliches Gefühl der Leere zurück.

Der Arzt in ihm weiß, dass sein Zustand kritisch ist, die Tatsache, dass er sich so taub fühlt, alarmierend ... Aber er ist einfach zu erschöpft, um sich darum zu kümmern, also weist er den Arzt an, die Klappe zu halten, und versucht, sich auf den Vulkanier zu konzentrieren, der seine Sicht blockiert.

„Gehen Sie zur Seite, Spock, ich kann die Sterne nicht sehen, wenn Sie da so vor mir herumlungern.“

Anstatt zu gehorchen, beugt Spock sich ein Stück näher zu ihm, so nahe, dass Leonard beinahe seinen Atem auf seiner Haut spüren kann, als Spock erneut spricht.

„Ich glaube, es gibt dringendere Angelegenheiten, als die Sterne zu betrachten, Doktor.“

Leonard antwortet nicht. Ausnahmsweise ist ihm nicht danach, Spock für welchen Grund auch immer aufzuziehen; das Denken fällt ihm schwer und das Sprechen noch schwerer, und alles, was er tun kann, ist, in den nächtlichen Himmel zu starren und seine Gedanken schweifen zu lassen.

Die Sterne zwinkern ihm von dort oben zu und selbst hier, am gefühlten Ende der Welt, strahlen sie Beruhigung aus.

Als Kind liebte er es, die Sterne zu beobachten, damals, als er sich nie hätte vorstellen können, dass er eines Tages mitten unter ihnen leben würde. Er verbrachte unzählige Stunden damit, nachts im Garten zu liegen und nach oben zum Himmel zu starren, solange, bis seine Mutter ihn dort fand und ihn ausschimpfte, weil er sich draußen herumtrieb, während er eigentlich schlafen sollte ...

Seine Faszination ist im Laufe der Jahre nicht verschwunden, daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er den heimischen Garten und das Stückchen Erde, das er einst Heimat nannte, längst verlassen hat. Nach langen und stressigen Tagen beruhigt es ihn immer, von einem der Beobachtungsdecks aus die Sterne zu betrachten, und es spielt keine Rolle, dass die Sternbilder nicht dieselben sind wie diejenigen, die er damals in Georgia sehen konnte. Selbst wenn die Sterne nichts als unverständliche Muster bilden, genügt das Wissen, dass sie da sind, unerschütterlich bis ans Ende der Zeit, und über ihn wachen.

Mühsam wendet er den Blick vom Himmel ab und versucht, sich stattdessen auf den recht missbilligenden Vulkanier neben ihm zu konzentrieren.

„Erzählen Sie, Spock, wie waren die Sterne auf Vulkan?“

Später wird er den Blutverlust für diese Frage verantwortlich machen – über ein solches Thema mit einem Vulkanier reden, ernsthaft, McCoy? Wahrscheinlich gleitet er schlicht und einfach ins Delirium ab.

Es überrascht ihn nicht, dass Spock sich einige Augenblicke nimmt, um über diese besonders unlogische menschliche Gefühlsaufwallung nachzudenken.

„Die Sternbilder waren andere als die, die man auf der Erde sehen kann, falls es das ist, worauf Sie abzielen“, erwidert er schließlich in seiner besten Heilige-Mutter-Suraks-wieso-ich-Stimme.

Leonard greift nach Spocks Arm, um ihn körperlich zum Verstehen zu zwingen, denn irgendwie glaubt er, dass es wichtig ist. Vielleicht gleitet er tatsächlich ins Delirium ab.

Zu seiner Überraschung versucht Spock nicht, sich der Berührung zu entziehen.

„Ich weiß, und die verdammten Sternbilder sind mir egal. Die Sterne, Spock, wie haben sich die Sterne auf Vulkan angefühlt?“

Sein Südstaatenakzent wird mit jedem Wort stärker, und auch das ist ihm egal. Wenn Spock ihn verstehen will, wird er das auch, egal, welche Sprache er spricht; und ohnehin kennen sie einander mittlerweile gut genug, um zuzulassen, dass Spock ihn mit beinahe peinlicher Leichtigkeit lesen kann.

„Man kann die Sterne nicht fühlen, Doktor“, sagt Spock sanft, und Leonard verspürt einen Hauch von Enttäuschung. Schön, was hat er erwartet? Dass eine unerwartete Bruchlandung auf einem unerforschten Planeten dafür sorgen würde, dass Spock mal ein wenig lockerer wäre?

„Himmel, ist Ihre Ma nie mit Ihnen die Sterne beobachten gegangen, als Sie noch klein waren?“

Ihre Ma. Es ist ein gefährliches Thema und er bereut die Worte augenblicklich; und er bereut das schwache Aufblitzen seines Temperaments noch mehr – dafür ist jetzt wirklich nicht die richtige Zeit, McCoy –, als Spock antwortet, äußerlich völlig ruhig, aber mit einer kaum wahrnehmbaren Andeutung von Traurigkeit, die Leonard verrät, dass er unbeabsichtigt Spocks Schutzwall durchdrungen hat.

„Das hat sie sehr wohl getan.“

Er findet keine passende Erwiderung, also beschließt er, seine große Klappe zu halten und in den Selbstmitleid-Modus zurückzukehren. Immerhin sind sie abgestürzt und er ist verletzt und ihm ist kalt und er umklammert Spocks Arm noch immer und Spock weicht noch immer nicht zurück und das lenkt ihn mehr ab, als er jemals zugeben würde.

Er fröstelt und er weiß nicht, ob es an der Kälte liegt oder an etwas anderem, etwas Gefährlicherem. Spock bemerkt es natürlich, und seine Lösung ist ebenso effektiv wie unbeholfen. Er verlagert sein Gewicht und das nächste, was Leonard mitbekommt, ist, dass Spock sich hinter ihn bewegt und ihn zurückgezogen hat, so dass er mit dem Rücken gegen den Ersten Offizier und nicht gegen den kühlen Felsen lehnt.

Nun gut, so viel zum Thema „überdimensionales vulkanisches Verlangen nach Privatsphäre“.

Ein paar kostbare Momente lang atmen sie im selben Rhythmus und Leonard fühlt, wie ein Teil seiner bis dahin unbemerkten Anspannung sich löst. Instinktiv lässt er den Kopf auf Spocks Schulter sinken, und er ist zu sehr damit beschäftigt, Spocks Körperwärme in sich aufzusaugen, um sich wegen des Seufzens zu schämen, das ihm entfährt.

„Sie müssen das nicht tun“, murmelt er und unterbricht damit ein Schweigen, das kurz davor ist, sich von vager Vertraulichkeit in eine recht peinliche Ungewissheit zu verwandeln.

Das, was er als Antwort erhält, ist nicht das, was er hören will.

„Es ist logisch, Ihnen den größtmöglichen Komfort zu verschaffen, bis Hilfe eintrifft.“

Leonard unterdrückt ein weiteres Seufzen. Und wieder zurück auf Anfang. Es ist eiskalt auf diesem Planeten, darum ist es natürlich völlig logisch für Spock, sicherzugehen, dass der verletzte Schiffsarzt nicht erfriert. Logisch, mehr nicht.

Aber andererseits befindet er sich wirklich nicht in der richtigen Position, um einen Streit vom Zaun zu brechen, und wünschen und so tun als ob werden nichts ändern, also entschließt er sich ein weiteres Mal dafür, die Realität zu akzeptieren, ohne sich um die Andeutungen und Möglichkeiten und unerfüllbaren Träume zu kümmern.

Und er kann sich wirklich nicht beschweren, oder? Nicht, als Spock ihm einen Arm um die Brust schlingt, um ihn noch dichter zu sich zu ziehen, nicht, als Spocks kalte Finger über seine Wange streichen und er spürt, wie Ruhe und Sicherheit und Wärme in seinen Geist schweben, zusammen mit einigen anderen Gedanken, die an den Rändern verschwimmen, aber immer noch deutlich genug sind, um sie zu ergreifen und zu betrachten – irgendetwas von wegen Mache dir keine Sorgen, Leonard, ich bin hier und Alles wird gut.

Er hofft nur, dass Jim zu ihrer Rettung kommen wird, bevor er sich noch weiter blamieren kann, indem er denkt, dass er die Berührungen des grünblütigen Kobolds tatsächlich genießt, die Wärme seines Körpers, die Art, wie seine Finger vorsichtig über sein Haar gleiten ... Und Spock kann ihm sicherlich nicht weismachen, dass das auch unter „Ihnen Komfort verschaffen“ fällt, oder?

„Ich hoffe, Uhura findet das hier niemals heraus“, brummt er in dem verlegenen Versuch, die zerbrechliche Balance zwischen ständigen Sticheleien und zu viel Sorge herzustellen, die für sie beide als Normalität durchgeht.

„Das wird sie nicht“, antwortet Spock, und obwohl Leonard sein Gesicht nicht sehen kann, weiß er, dass Spock sein vulkanisches Nicht-Lächeln lächelt – es liegt deutlich in seiner Stimme versteckt, klar wie Regentropfen, die nach einem kurzen Schauer im Sonnenlicht funkeln, klar wie die Sterne über ihnen.

Die Sterne ... sie sind eine der wenigen Konstanten in seinem Leben und sie grüßen ihn wie alte Freunde, wann immer er einen Blick zum Nachthimmel wirft. Und dennoch ...

„Die Sterne sehen heute anders aus, nicht wahr?“

Die Wörter verlassen seinen Mund, ehe er überhaupt weiß, dass er sie aussprechen wird, und plötzlich entfaltet sich eine Melodie innerhalb seines Kopfes, ein sehr altes Lied, das er vor langer, langer Zeit einmal gehört hat ... Planet Earth is blue and there’s nothing I can do ...

Er weiß nicht, wieso er sich ausgerechnet jetzt daran erinnert, und es ist nicht wichtig genug, um sich näher damit zu beschäftigen.

„Das ist korrekt, Doktor.“ – Und ja, diesmal schwingt eindeutig Traurigkeit in Spocks Stimme mit ... und Bedauern?

Leonard versteht, oh ja, das tut er. Die Enterprise wird sie finden und alles wird in Ordnung sein, und sie werden zu dem Wahnsinn zurückkehren, der an Bord dieser glorifizierten Blechbüxe als Leben bezeichnet wird, und sie werden niemals wieder über die wenigen, so unglaublich wertvollen Stunden sprechen, die sie eng aneinandergedrängt in einer Felsspalte auf einem einsamen Planeten verbracht haben, nur sie beide und die Sterne und das Wissen, dass wünschen und so tun als ob manchmal genug ist.

Er weiß, dass er wegen seiner Verletzungen besorgt sein sollte, er weiß, dass er Angst haben sollte, aber er kann es nicht – nicht, solange Spock an seiner Seite bleibt, und nicht, solange die Sterne über ihnen scheinen.

Solange die Sterne da sind, ist er in Sicherheit.
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