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Voyager Companions In Fate - Teil 3: Crossing the Line

von Julian Wangler

Kapitel 2

5. April 2378
Erde, San Francisco

Janeway hatte ihre Freunde in ihre San Franciscoer Wohnung zu einem kleinen Abendessen und natürlich Kaffee eingeladen. Es war ein äußerst munterer Abend geworden. Je länger er dauerte, desto mehr ertappten sich alle dabei, wie sie in Erinnerungen schwelgten und sich an unvergesslichen Momenten ihrer langen Sternenfahrt erfreuten. Besonderes Augenmerk erhielt dabei der Doktor und die Etappen seiner Persönlichkeitswerdung, die nicht immer ganz humorlos verlaufen waren – jedenfalls für diejenigen, die sie beobachteten.

„Und das war dann der Moment, in dem B’Elanna und Harry feststellten, dass ich in Wahrheit träumte.“, sagte der Doktor.

B’Elanna wiegte die kleine Miral, die satt und zufrieden vor sich hin döste. „Man stelle sich vor: Der Kerl wollte Hand an meinen Warpkern legen.“

Harry rief über das aufkommende Gelächter hinweg: „Er schrie immer wieder nur: ‚Ich muss das Schiff retten, ich muss das Schiff retten!‘ Wir mussten ihn an die Kette legen.“

Der Doktor war immer noch leicht verschämt über die ganze Angelegenheit, doch heute nahm er es mit Humor. „Ich war ausgesprochen verwirrt.“

„Da waren Sie nicht der Einzige, Doktor.“, stimmte Janeway zu. „Der Rest von uns ist ständig hinter Ihnen her gerannt.“ Ein neckisches Grinsen entstand in ihrem Gesicht. „Was nicht heißt, dass Ihre Tagträume nicht ‚faszinierend‘ waren, um es mit Tuvok auszudrücken.“

„In der Tat.“, gab der Vulkanier leicht gepresst von sich.

„Echt?“, fragte Tom. „Klingt so, als hätte ich den ganzen Spaß verpasst. Jetzt spannt mich bloß nicht auf die Folter.“

B’Elanna warf Seven einen vielsagenden Blick zu, und diese blickte nur unbeeindruckt zurück. „Sagen wir einfach, der Doktor spielte Picasso mit einem bestimmten Crewmitglied.“

„Das ist unpräzise.“, fuhr Seven fort, während Kim Harry neben ihr errötete. „Picasso galt als Künstler der Abstraktion. Das Bild, das der Doktor von meinem imaginären Ich fertigte, war ausgesprochen plastisch.“

Tom stand die Kinnlade offen. „Eine Sekunde. Der Doktor hat sich in Aktmalerei geübt? An Ihnen, Seven?“ Kurz darauf bemühte er sich, das Gelächter, das aus ihm herauszubrechen drohte, zu unterdrücken. „Hut ab, Doc.“

„Aber das ist noch nichts gegen den Captain.“, erwiderte das Hologramm.

Janeway, gerade dabei, einen Schluck Kaffee zu trinken, stockte und blickte den Doktor an.

„Wenn Sie erlauben, Captain…“, fuhr der Doktor fort. „Es sei denn, es ist Ihnen unangenehm.“

Chakotay grinste. „Natürlich ist es ihr nicht unangenehm. Wir sind hier doch alle Freunde, stimmt’s?“ Er zwinkerte Janeway zu.

Janeway setzte sich eine gespielt ernste Miene auf und gab von sich: „Mir ist äußerst selten irgendetwas unangenehm.“

„Raus mit der Sprache.“, drängte Tom.

„Nun,“, fing der Doktor an, „der Schauplatz dieses Tagtraums war der Konferenzraum. Der Captain schlich sich langsam zu meiner Seite des Tisches herüber –…“

„Ich schleiche nicht.“, unterbrach Janeway ihn.

„Das hängt davon ab, wie Sie ‚schleichen‘ definieren, Captain.“, kommentierte Tuvok.

Ehe Janeway angemessen darauf reagieren konnte, dass ihr Tuvok in den Rücken fiel, fuhr der Doktor fort. „Sie wissen nicht, wie verführerisch Ihre Stimme klang, als Sie mir sagten, Sie bräuchten meine Dienste zur Untersuchung einer alten Rückenverletzung.“

Janeways Augen weiteten sich. „Ich habe keine alte Rückenverletzung.“

„Und dann nahmen Sie meine Hand und führten sie zu einer Körperstelle, die ganz sicher nicht ihr Rücken war.“ Er kreuzte seine Arme vor der Brust und zog die Brauen hoch.

Janeway fiel es schwer, nicht rot anzulaufen, als ihre Freunde, diesmal auf ihre Kosten, herzlich lachten (Tuvok natürlich ausgenommen). „Also, Doktor…“, erwiderte sie ohne Ernst. „Wenn ich gewusst hätte, dass es so schlimm um Sie steht, hätte ich Ihre Experimente in Sachen Menschlichkeit längst mit einem Generalentscheid unterbunden.“

Ihr Blick löste sich von ihrem holografischen Kameraden, und Janeway schenkte jedem der Anwesenden ein warmherziges Lächeln. „Wir hatten schon ein paar unvergessliche Momente auf unserer Reise.“

„Von dem Umstand einmal abgesehen, dass ich bei Transwarp gebären musste.“, meinte B’Elanna jovial.

„Verkennen Sie nicht die Symbolik, Lieutenant. Ihr Kind kam in einem Kanal zur Welt.“, griff Tuvok auf.

Liebevoll betrachtete der Doktor sein Patenkind Miral. Dann sah er B’Elanna streng an. „Meine Güte, war es ein Kampf, dieses Baby aus Ihnen herauszubekommen. Anstatt zu pressen haben Sie Ihre Energie vor allem darauf konzentriert, Ihre Kenntnisse in klingonischer Fäkalsprache zum Besten zu geben.“

B’Elanna prustete mit gesenkten Lidern. „Nun ja, wenigstens gesteht er sich ein, dass ich auch einen kleinen Part bei dem Ereignis hatte.“, sagte sie an die versammelte Runde gerichtet.

„Es ist viel geschehen in diesen wenigen Stunden.“, meinte Tom und hauchte seiner Frau einen Kuss auf die Wange.

„Es war der Beginn von etwas Neuem.“, kam es nun von Chakotay.

Janeway legte ihm eine Hand auf die Schulter, keine besitzergreifende Geste, sondern eine der Freundschaft und das tiefen Verständnisses. Genau darum ging es bei diesem Beisammensein. Um Freundschaften, die über lange Pfade gewachsen waren. Freundschaften, die ewig hielten.

Jetzt erhob Tom sein Glas. „Wie wäre es mit einem Toast? Auf unsere gemeinsame Zeit da draußen.“ Er schlang einen Arm um B’Elanna. „Und auf alle Lektionen, die wir auf der anderen Seite der Milchstraße gelernt haben. Es hat unsere Leben verändert, und ich denke, es hat uns zu besseren Menschen gemacht.“

Janeway und der Rest der Gruppe folgte und wiederholte den Toast leicht versetzt: „Auf die gemeinsame Zeit!“

Nur Seven hatte bislang geschwiegen. Als Letzte hob sie ihr Glas und sagte etwas, das sie offenbar als passender empfand: „Auf die Vollendung der Reise. Und auf den Neubeginn.“

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14. April 2378
Erde, Hawaii

Ein Tag am Strand – was konnte es Schöneres geben? Neben ihrer Schwester Phoebe räkelte sich Kathryn Janeway in der Wärme der Sonne. Während sie das taten, spielte Phoebes dreijähriger Sohn Patrick im Sand des Waikiki Beach.

„Schade, dass Du nicht mehr Urlaub beantragt hast.“ Phoebe nippte an einem Mint Julep. „Ich genieße unsere Ausflüge wirklich, Schwesterherz.“

Kathryn konnte ihr nur Recht geben. Es war ihr ein Rätsel, warum ihre Schwester und sie sich vor vielen Jahren auseinander gelebt hatten. Erst durch die Rückkehr der Voyager und Marks Offenbarung waren sie vom Schicksal wieder zusammengewürfelt worden. Kathryn war nach Bloomington, Indiana, gekommen, wo Phoebe mit ihrem Mann und Patrick lebte, und sie hatte in ihrer Schwester eine wertvolle Gesprächspartnerin gefunden.

Gerade in den letzten Tagen hatte sie viel Zeit mit Phoebe verbracht. Sie waren mit Molly durch die Felder des heimatlichen Farmlandes gewandert, hatten zusammen echtes Brot gebacken und ebenso über Wichtiges wie Belangloses geredet. Ihre Schwester war keine Intellektuelle, sondern eine durch und durch bodenständige Frau mit einer ebenso bodenständigen Familie. Aber sie verstand es vorbildlich, wie man auf andere Gedanken kam.

Janeway erinnerte sich. Während sie, von Ehrgeiz und Wissensdurst getrieben, für die Schule lernte – fest entschlossen, eines Tages die Sternenflotten-Akademie zu besuchen –, hatte die vier Jahre jüngere Phoebe sich mit ihren Freundinnen getroffen und mit Jungs verabredet, in den Tag hineingelebt und ihre Grenzen ausgetestet. Während Janeway die Einsamkeit vorzog, um ihren Gedanken lauschen zu können, hatte ihre Schwester es in der Regel gehasst, allein zu sein. Und wo Janeway mathematische Probleme löste, war ihre Schwester die Künstlerin der Familie gewesen.

Unterschiedlicher konnten Geschwister kaum sein. Und doch nahm sie diese Unterschiede heute mit ganz anderen Augen wahr. Sie konnte etwas von Phoebe lernen, und auf irgendeine Weise bewunderte sie sie sogar. Es war lange her, dass Kathryn sich selbst gestattet hatte, so viel Spaß zu haben. Sie lächelte in sich hinein. Sie fühlte sich verspielt, wie sie hier am Strand von Hawaii lag, in einen Badeanzug gehüllt und mit einem großen Hut auf dem Kopf.

Unwillkürlich dachte sie an Neelix‘ holografische Ferienortsimulation und wusste, dass er dies gutheißen würde. Sie vermisste den vor Gutmütigkeit überschäumenden Talaxianer.

„Sag mal, wird Dein Freund Chakotay uns nach Jordanien begleiten?“

„Das hoffe ich sehr.“, antwortete Kathryn. „Er wäre ein wunderbarer Begleiter für einen solchen Ausflug. Er weiß viel über antike Zivilisationen, auf der Erde und anderen Planeten. Du würdest ihn mögen.“

„Da bin ich mir sicher.“, erwiderte Phoebe. „Patrick, Liebling, fass das nicht an.“ Mit dem Geschick einer geborenen Mutter hatte Kathryns Schwester ihren Sohn die ganze Zeit über im Auge behalten.

„Was ist das?“, fragte Janeway mit Blick auf etwas an Land Gespültes, was Patrick hatte anfassen wollen.

„Keine Ahnung, aber bei einem Dreijährigen ist ‚Nicht anfassen‘ für gewöhnlich ein guter Rat.“, sagte Phoebe so nonchalant, dass Kathryn prustete. Unter der breiten Krempe ihres eigenen Hutes warf sie ihr ein freundliches Grinsen zu.

Nun wandte Patrick seine Aufmerksamkeit einer Muschel zu und hob sie hoch. Mit großer Ernsthaftigkeit hielt er sie an sein Ohr und lauschte.

„Hörst Du das Meer?“, fragte Kathryn.

Der Kleine nickte begeistert, die Augen ein einziges Leuchten.

„Hast Du je darüber nachgedacht, Kinder zu bekommen?“, fragte Phoebe. „Sie sind eine Herausforderung, und Du wirst Dein Leben kaum wiedererkennen, aber sie machen einen sehr glücklich.“

Kinder. Kathryn zog in Erwägung, ihr von dem Wurf echsenähnlicher Wesen zu erzählen, den sie und Tom im Zuge eines Transwarpflugs hervorgebracht hatten, entschied sich dann aber dagegen. Das war eine zu lange und vor allem zu komplizierte Geschichte für einen so schönen Tag.

„Ich schätze, jeder denkt darüber nach, sobald er ein bestimmtes Alter erreicht.“, meinte sie. „Die Entscheidungen, die ich getroffen habe, haben mich nie wirklich in die Nähe von Kindern geführt. Und, na ja, Du weißt ja, wie es mit Mark gelaufen ist.“

„Gab es auf der Voyager niemanden, zu dem Du Dich hingezogen gefühlt hast?“, bohrte Phoebe weiter. „Ich kenne die Regeln und Vorschriften der Sternenflotte, aber 70.000 Lichtjahre von zuhause entfernt hättest Du sicher ein paar davon etwas freier auslegen können.“

Kathryn dachte darüber nach. Manchmal war es fürchterlich gewesen, diese völlige Abwesenheit von Zuneigung. Um sich zu helfen, hatte sie Zeit mit der Figur des Michael Sullivan in Tom Paris‘ Holodeckprogramm rund um das irische Dörfchen Fair Haven verbracht. Obwohl sie ihn interessant fand, hatte sie zuerst Probleme gehabt, sich auf den markanten Barkeeper einzulassen. Der Gedanke, eine Liebesbeziehung mit einer holografischen Figur zu führen, behagte ihr nicht. In einem Gespräch mit dem Doktor war ihr jedoch bewusst geworden, dass Sullivan für sie womöglich die einzige Chance war, ihrer Einsamkeit zu entfliehen und ihre Sehnsucht auszuleben.

„Das hätte ich gekonnt, ja. Vielleicht hätte ich es sogar tun sollen, aber ich habe es nicht getan.“

„Warum?“

„Ich hatte nicht das Gefühl, dass es richtig gewesen wäre. Wenn etwas schiefgelaufen wäre, hätte es keine Möglichkeit gegeben, um eine Versetzung zu bitten. Wir mussten alle miteinander auskommen. Aber das wirklich Entscheidende ist…“ Sie genehmigte sich eine kurze, bedeutungsschwere Pause, bevor sie weiter sprach. „Ich habe mich für diese Leute weit mehr verantwortlich gefühlt als ich es auf einer normalen Mission je getan hätte. Wir wurden dort draußen zu einer Schicksalsgemeinschaft. Ich musste sie schützen, sie nachhause bringen. Eine Beziehung mit einem von ihnen hätte ein Problem darstellen können. Ich wollte mich in einer Notsituation nicht zwischen der Voyager und meinen Gefühlen für eine einzelne Person entscheiden müssen. Das hätte weder ich noch das Schiff und seine Crew auf längere Sicht verkraftet. Nein, ich bereue nicht, mich so entschieden zu haben.“

„Und jetzt?“, fragte Phoebe, der man ansah, dass sie von Kathryns tiefschürfender Antwort beeindruckt war.

„Jetzt?... Genieße ich Sand, Sonne und Meer. Und die Gesellschaft meiner tollen Schwester.“ Kathryn warf Phoebe ein verstohlenes Lächeln zu und nippte an ihrem Pina Colada.

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29. April 2378
[unbekannter Ort]

Seven of Nine öffnete die Augen. Zuerst sah sie verschwommen und doppelt. Sie fragte sich, ob mit ihrem Okularimplantat irgendetwas nicht stimmte. Dann jedoch kehrte die Erinnerung zurück. Das Letzte, was sie gespürt hatte, war ein heftiger Schlag auf den Hinterkopf. Entgegen der Warnung ihres Personenschützers war sie spät am Abend im Hafenbereich von San Francisco spazieren gegangen. Melancholie hatte sie überkommen. Sie hatte allein sein wollen.

Ihre Sicht schärfte sich, aber hinter ihren Schläfen pochten heftige Kopfschmerzen, vermutlich eine Folge des Schlags, der sie bewusstlos gemacht hatte. Sie sah Wände aus Zement, bedeckt mit alten Werbeanzeigen. Ein langer, dunkler Tunnel erstreckte sich vor ihr. Sie wusste nicht, wo sie sich befand, aber ein Gefühl teilte ihr mit, es war irgendwo unter der Erde.

Seven fand rasch zur Erkenntnis, dass sie auf einem Stuhl saß. Man hatte sie verschnürt wie ein Paket. Sie überprüfte ihre Fesseln, doch die waren an Armen und Beinen derart dick, dass sie nichts auszurichten vermochte.

„Es ist wach.“, hörte sie eine dunkle Stimme sagen. Ein großer Mann mit schwarzem Haar und durchdringenden, grauen Augen schob sich ins Licht. Vermutlich handelte es sich um einen ihrer Entführer. Eine weitere Person trat kurz darauf aus den Schatten – eine Frau mit feuerrotem Haarschopf. Auch ihr Blick war feindselig, aber es lag auch Furcht in ihm. Furcht vor ihr.

„Was haben Sie mit mir vor?“, wollte Seven wissen.

„Wonach sieht es denn aus, Borg? Wir halten Dich fest.“, raunte die Frau.

„Zu welchem Zweck?“

Die Frau grinste. „Das wirst Du schon noch sehen, Borg.“

„Mein Name lautet Seven, und ich bin nicht mehr Borg.“, stellte sie klar.

„Oh doch, das bist Du, Du Miststück.“ Der Mann bleckte die Zähne. „Die Borg-Königin hat Dich persönlich ausgewählt für Deine Mission. 1A-Gardemaß mit Sternchen.“

Seven runzelte die Stirn. „Wie bitte darf ich das verstehen? Welche Mission?“

„Ach, halt einfach die Klappe.“

Sie ließ nichts unversucht. „Ich bin keine Borg mehr.“, wiederholte sie. „Wie Sie vielleicht wissen, wurden meine Eltern zusammen mit mir assimiliert, als ich noch sehr jung war. Captain Janeway hat mich aus dem Kollektiv befreit.“

Ein lautes Klatschen hallte durch den Tunnel. „Gut gemacht, Borg. Hat Dir Dein Captain beigebracht, diese Phrase herunterzubeten, oder ist sie auf Deinem Mist gewachsen?“ Seven schaute nach vorn und erkannte eine hochgewachsene, athletisch gebaute Andorianerin, die aus der Dunkelheit des Tunnels auf sie zukam. Sie war in ein glänzendes Lederoutfit gehüllt und trug Handschuhe. In den Augen dieser Frau lag blanker Hass.

„Ich versichere Ihnen, dass ich…“

Unvermittelt schlug die Andorianerin Seven mit der Faust ins Gesicht. Ihr Kopf wurde nach hinten geworfen, und in einer Explosion des Schmerzes platzte ihre Unterlippe auf. Blut spritzte in alle Richtungen und benetzte ihre Kleidung.

„Also, Borg…“ Die Antennen der Frau waren nach vorn gerichtet wie die Hörner eines Stiers. „Lass uns reden. Sag mir, wenn Du doch so ein armes Unschuldslamm bist, wie Du beteuerst: Hast Du den Borg jemals Widerstand geleistet? Hast Du auch nur ein einziges Mal versucht, die Assimilation unschuldiger Lebewesen zu verhindern?“

„Offensichtlich kennen Sie das Kollektiv nicht.“, antwortete Seven. „Sonst wüssten Sie, dass das Hive-Bewusstsein die Individualität und den freien Willen einer Person unterdrückt. Wenn ich es vermocht hätte, hätte ich Widerstand geleistet.“

„Blödsinn!“, stieß die Andorianerin hervor und schlug Seven erneut. Diesmal versenkten sich ihre geballten, sehnigen Finger in ihrer Wange, die rasch anzuschwellen begann. „Du bist schuldig! Du hast gemordet! Und Du bist immer noch darauf aus!“

„Das…“ Seven stöhnte vor Schmerz, verzog gequält das Gesicht. „Das ist nicht wahr.“

Die Andorianerin kam nun ganz nah. „Weißt Du, was die Borg unseren Familien angetan haben?“, sprach sie ihr ins Ohr. „Sicher weißt Du das. Oder etwa nicht? Also, zum Mitschreiben: Meine Schwester starb bei Wolf 359, und die Angehörigen meiner Freunde während der zweiten Invasion. Nun, ich will Dich nicht langweilen, aber Du sollst schon wissen, dass wir dies hier nicht nur aus Rache tun. Das ist lediglich ein hübscher Nebeneffekt. Walter Rogers, Dein unfreiwilliger Biograf, hatte Recht. Wir wissen, dass Du eine Spionin des Kollektivs bist. Du hast nie aufgehört, ein verdammter Borgzombie zu sein! Und Deine Captain Janeway war so blöd, auf den Trick der Borg-Königin reinzufallen! Du forschst schön die Erde und die Föderation aus, suchst systematisch nach Schwachstellen…und wenn Du Deine Mission erledigt hast, schickt das Kollektiv ein paar Kuben her, um das leidige Thema ‚Föderation‘ endlich zu erledigen.“

Seven wollte erneut etwas erwidern, doch zum dritten Mal wurde sie geschlagen. Sie konnte das Wummern in ihren Ohren spüren, wie sich ihr Magen zusammenzog, während sie sich in Agonie krümmte.

Die Andorianerin kniete vor ihr nieder und starrte sie mit vernichtendem Blick an. „Ich werde Dich enttäuschen müssen, wenn Du denkst, dass wir das hier schnell hinter uns bringen. Nein, diesen Gefallen werden wir Dir nicht tun. Ich verspreche Dir: Du wirst bezahlen. Aber bis Du tot bist, wirst Du gelitten haben, dass der Tod Dir wie eine Erlösung vorkommen wird.“

Die blauhäutige Frau ließ sich von ihrem Gehilfen einen gezackten Dolch reichen. Genau in diesem Moment ertönten Stimmen im Hintergrund: „Dort vorne ist sie!“

„Gehen Sie von Seven weg! – Sofort!“

Seven erkannte die Stimmen. Es waren die von Harry Kim und Tuvok. Sie hatten sie gefunden.

„Verschwinden Sie, Sternenflotte! Oder sie ist mucksmausetot!“

Die Andorianerin wollte ihr den Dolch an die Kehle setzen, doch vorher warf sie ein gezielter Phaserschuss zu Boden. Die beiden anderen Entführer wollten das Feuer eröffnen, aber auch mit ihnen wurde kurzer Prozess gemacht.

„Seven, ist alles in Ordnung?“

Sie war so erleichtert, als Harry ihr entgegenkam und sie losband. Währenddessen sah sie, wie die Andorianerin sich halb umdrehte. Offenbar hatte sie der Betäubungsstrahl nicht ganz außer Gefecht gesetzt. „Du bist unser Verderben, Borg…“, krächzte sie.

„Kapieren Sie es endlich!“, schrie Harry wütend. „Sie ist keine Borg! Sie ist menschlicher als jeder von Euch je sein könnte, Ihr Idioten!“

Seven ließ sich von Tuvok aufhelfen. „Sie sind verletzt.“, stellte er fest. „Wir werden Sie stützen, bis wir die Oberfläche erreicht haben.“

Sie nickte und schlang ihre Arme um die Schultern ihrer Freunde, während mehrere Sicherheitsoffiziere anrückten, um die Entführer festzunehmen. Die Wunden, die man ihr zugefügt hatte, würden heilen. Doch was die seelischen Verletzungen anging, die sie erlitt, würde es wohl noch eine ganze Weile in Anspruch nehmen, bis sie sich von ihnen erholt hatte.

Es stimmte. Annika Hansen war schließlich nachhause zurückgekehrt, auf die Erde, auf die Welt ihrer Eltern, in die Wiege ihres Volkes. Doch was sie dort vorfand, war nicht das, was sie zu finden gehofft hatte.

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6. Juni 2378
Evalon

Chakotay schwieg, als zwei Wächter ihn über den Innenhof des Evalon-Straflagers eskortierten. Während er dem Vordermann folgte, schweifte sein Blick immer wieder ab. Wachtürme und mit Zinnen gekrönte Mauern zeichneten die Begrenzung der Anlage aus. Es gab mehrere Schichten von Kraftfeldern und Transportbarrieren, aber vor allem gab es jede Menge Sicherheitspersonal und knallharte Regeln. Wehe dem, der von ihnen abwich.

Laut Charta der Föderation waren jedwede Haftanstalten auf den Mitgliedswelten einem liberalen Standard verpflichtet, der die Rechte des Individuums betonte, ungeachtet der begangenen Straftaten. Ihr Ziel war die Rehabilitation, nicht die Haft. Die Föderation wollte, dass Gesetzesbrecher ihre Schuld an der Gesellschaft beglichen und, falls möglich, eine zweite Chance bekamen. Es war ein lobenswerter Ansatz, doch im Fall von Evalon traf er nicht zu. Hier wehte ein anderer Wind.

Seit Jahrzehnten schon debattierte der Föderationsrat darüber, ob sich ein solches Lager mit einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft überhaupt vereinbaren ließ, trotzdem war eine Schließung nie beschlossen worden. Es mochte damit zu tun haben, was Evalon in Wahrheit war: eine Gruselgeschichte, ein Abschreckungsszenario für diejenigen, die mit dem Gedanken spielten, der Zivilisation den Rücken zu kehren. Eine abgelegene Wüstenwelt voll mit Männern und Frauen, deren Vergehen so groß gewesen waren, dass ihre bloße Verbannung an diesen Ort noch schlimmer war als die brutalen Haftbedingungen selbst. Aber das eine konnte man eben nicht ohne das andere kriegen.

Chakotay wurde in eine der Gefängnisbaracken geführt. Es roch muffig hier. Die Wärter führten ihn zu einer der letzten Zellen im Trakt, ließen ihn wissen, er habe eine Viertelstunde und schlossen auf. Er trat ein, und hinter ihm wurde wieder abgeriegelt. Chakotay fand sich in einer engen Zelle wieder, die jedem Komfort entsagte, wie man ihn sonst auf Strafkolonien der Föderation fand, beispielsweise in Neuseeland.

Eine hagere Frau in schlichter Kleidung stand vor ihm. Ihr Lächeln war aufrichtig, doch ihre Erscheinung war ausgemergelt und verhärmt. Sie hatte nur noch wenig gemein mit jener lebendigen, vollwangigen Ukrainerin, der Chakotay zum ersten Mal vor mehr als zehn Jahren begegnet war.

Chakotay erinnerte sich an den ersten Subraumbrief, den er vor Jahren von ihr erhalten hatte. Das schreckliche Schreiben, aus dem er erfahren hatte, dass fast alle Maquis-Mitglieder getötet worden waren. Abgeschlachtet von den Jem’Hadar. Nach der Lektüre hatte er sich gefühlt, als könne er sich nie wieder davon erholen. Als er sich ein wenig gefangen hatte, weihte er schweren Herzens die Mitglieder seiner einstigen Besatzung auf der Voyager ein.

Die Neuigkeiten hatten jeden getroffen. Da bekam man nach Jahren durch ein absolut unwahrscheinliches Langstrecken-Relaisnetzwerk in die Gunst, endlich wieder mit dem Alpha-Quadranten zu kommunizieren, und was erfuhr man? Dass alles, wofür man gekämpft und gestanden hatte, die Leute, mit denen man gestritten und die einem alles bedeutet hatten, in Flammen aufgegangen waren. B’Elanna hatte es am schlimmsten getroffen. Sie hatte sich daraufhin immer gefährlicheren Holodeck-Simulationen gestellt, nur um etwas zu fühlen. Ermordete, blutüberströmte Maquis hatten in einem Labyrinth aus Höhlen gelegen, dazwischen grinsende, wahnsinnige Cardassianer, gegen die sie kämpften konnte. Chakotay hatte in ihr eine destruktive Wut erkannt, die sich gegen sie selbst richtete. Vor lauter Hilflosigkeit und Verzweiflung hatte B’Elanna begonnen, sich leiden zu lassen und Wunden zuzufügen.

„Na, wenn das nicht der letzte Mohikaner ist… Ich hab‘ mich schon gefragt, wann Du mich mal besuchen würdest.“

„Hallo, Sveta.“

Sie umarmten einander. Als sie Körperkontakt herstellten, merkte Chakotay, wie schmächtig sie geworden war. Ihr Gesicht war eingefallen, ihre Haut fahl. Sie bekam hier nicht allzu viel Ausgang. Einer der Wärter hatte Chakotay gesagt, der Hof stehe den Gefangenen lediglich eine halbe Stunde am Tag zur Verfügung.

„Es ist schön, Dich zu sehen.“, sagte Sveta.

Chakotay fing mit den einfachsten Dingen an, fragte sie, wie es ihr hier ergehe, wie ihr Alltag aussehe und welche Dinge sie mache. Sveta erzählte von sich und führte ihm das Innenleben ihrer kleinen Zelle vor. Sie habe angefangen, ihre Gedanken in einem Tagebuch aufzuschreiben.

Sveta erweckte nicht den Eindruck, als sei sie besonders unzufrieden. Tatsächlich wirkte sie wie jemand, der sich längst in der Realität ihres Lebens eingerichtet hatte. Immerhin war sie schon seit beinahe vier Jahren Insassin auf Evalon. Die Gewöhnung hatte sich längst eingestellt, und die Sehnsucht nach einem Leben außerhalb des Lagers schien sich in Grenzen zu halten.

Chakotay fragte sich, ob dieses Abfinden mit dem eigenen Schicksal vielleicht irgendetwas mit Sühnebereitschaft zu tun hatte. Waren die Jahre auf Evalon für sie so eine Art gerechte Buße für das, was sie getan hatte? Er wusste es nicht.

„Man sagte mir, bei guter Führung werde ich vielleicht in drei oder vier Jahren draußen sein.“, sagte sie. „Ich hab’s nicht eilig. Auf mich wartet ohnehin niemand mehr.“

Anschließend bedachte sie ihn mit einem nachdenklichen Blick. „Um ehrlich zu sein bin ich etwas verwundert, dass Du Dir so lange Zeit gelassen hast, mich zu besuchen. Die Voyager ist immerhin nicht seit gestern zuhause. Glaub mir, Evalon mag weit ab vom Schuss sein, aber die Subraum-Nachrichten verfolge ich hier schon noch. Warum schaust Du erst jetzt vorbei?“

Chakotay überlegte, ob er eine Ausflucht verwenden sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. „Ich brauchte ein wenig Zeit, bis ich soweit war.“

„Warum das? Schließlich sind doch wir alte Freunde.“

Alte Freunde… Es schien ein anderes Leben gewesen zu sein.

Er setzte sich ein vorsichtiges Lächeln auf, das sofort wieder verblasste. Er konnte nicht länger zurückhalten, was beständig an die Oberfläche stoßen wollte. „Der Maquis hat sich nicht so entwickelt wie ich dachte, nachdem wir in den Delta-Quadranten gezogen wurden.“

Sveta wandte ihren Kopf zum kleinen Fenster der Zelle, durch das schräg Sonnenlicht einfiel. Sie wusste sofort, worauf seine Bemerkung abziele: auf den Grund ihres Hierseins. „Nein, vermutlich nicht. Das muss ich zugeben. Aber ich bereue nichts. Nichts, Chakotay.“

Nein, keine Buße, eher Trotz…

Er legte den Kopf schräg. „Nicht einmal, dass Ihr cardassianische Zivilkolonien mit Massebeschleunigern bombardiert habt? Dass Abertausende Frauen und Kinder dabei starben? Das waren keine militärischen Ziele. Es gab nichts zu gewinnen, nicht das Geringste.“

„Nein.“, entgegnete Sveta kühl, und in ihren Augen zeigte sich ein erbitterter Glanz, der Chakotay fremd war. „Aber wir demonstrierten den Guls, dass sie einen verdammt hohen Preis zahlen mussten.“

Chakotay schüttelte den Kopf. „Der Kampf um die EMZ war längst verloren. Als das Dominion kam, war die Niederlage des Maquis absehbar. Doch anstatt zu fliehen, setztet Ihr den Leuten Flusen in den Kopf, sie könnten noch etwas bewirken. Ihr habt Sie zu Vergeltungsschlägen angestiftet. Verbrannte Erde.“

„Wir Maquis haben geschworen, standhaft zu bleiben, egal was kommt. Eine Flucht kam für uns niemals in Frage. Weißt Du das etwa nicht mehr? Wir haben uns dem Feind gestellt…und wir haben so viel Schaden angerichtet wie wir nur konnten.“

„Es waren die Falschen, denen Ihr Schaden zugefügt habt.“, widersetzte sich Chakotay, fühlte sich aufgewühlt. „Und Ihr hättet weitergemacht. Ihr hättet weitere Kolonien mit biochemischen Waffen angegriffen, hätte die Sternenflotte Euch nicht vorher in die Finger bekommen.“

In Svetas Augen funkelte ein ferner Hass. „Es waren nur Cardassianer, Chakotay. Sie haben es nicht anders verdient. Die Bajoraner würden das ausgleichende Gerechtigkeit nennen.“

„Wir hatten uns zusammengeschlossen, um für Freiheit zu kämpfen, nicht um Unschuldige zu massakrieren.“, sagte Chakotay nun sehr ernst. „Am Ende ist der Maquis nicht besser gewesen als Jene, gegen die er sich zur Wehr gesetzt hat. Ihr habt Euch auf einen Irrweg begeben.“

Sveta näherte sich ihm, bis sie dicht vor ihm stand. „Das sagt sich leicht aus der Perspektive von jemandem, der nicht miterlebt hat, was nach dem Einfall der Jem’Hadar in die EMZ passiert ist. Du warst nicht dabei. Wenn Du gesehen hättest, was sie mit unseren Frauen und Kindern gemacht haben – glaub mir –, hättest Du auch nicht anders reagiert. Du hättest nur noch für die Rache gebrannt, und falls Du das Ganze überlebt hättest, wären wir zwei jetzt Zellennachbarn.“

Sie verengte die Augen zu Schlitzen, aus denen sie ihn musterte. „Ich frage mich ja, warum Du nicht brennst. Immerhin haben sie auch auf Trebus niemanden am Leben gelassen. Sag mir, Chakotay: Wie viele Deines Stammes gibt es heute noch, und wer ist dafür verantwortlich? Sie sind dort wie die Tiere abgeschlachtet worden.“

Chakotay seufzte, rang einen kalten Schmerz in sich nieder, bis die Zähne zusammen. „Glaub mir, Sveta, ich weiß sehr genau, was ich verloren habe. Ich war auf Trebus. Aber ich habe für mich entschieden, dass ich nicht dem Hass erliegen werde. Ich will jetzt nach vorne schauen.“

Svetas Augen suchten ihn ab, und dann stand ihr ein fassungsloser Ausdruck ins Gesicht geschrieben. „Du hast Dich verändert. Ich meine, ich sehe Dich, aber der alte Chakotay – der Mann mit dem Feuer in den Augen, mit dem unbedingten Willen, seine Heimat zu schützen, komme, was wolle – ist nicht mehr da. Jetzt sehe ich nur noch einen Fremden vor mir.“

„Es tut mir Leid, dass Du so empfindest.“ Er wandte sich in Richtung Ausgang und schlug gegen die Tür, die daraufhin wieder geöffnet wurde. Ein letztes Mal drehte er sich zu ihr um. „Vielleicht hast Du Recht. Vielleicht wäre auch ich dem Durst nach Rache erlegen. Ich kenne die Antwort darauf nicht. Umso dankbarer bin ich, das alles nie erlebt zu haben. Leb wohl, Sveta.“
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