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VOYAGER: Almost Morning

von Julian Wangler

Kapitel 1

Sternzeit: 47810,8 | 23. 10. 2370



Tom Paris spürte wohlige Betäubung, die sich um ihn legte. Sie ging von der starken Spirituose – einem geschüttelten saurianischen Brandy mit einem ordentlichen Schuss tellaritem Rum – aus, die vor ihm auf dem Tisch stand. Es war bereits sein zweites Glas, und er war jedes Mal dankbar, wenn sein Geist in jenen angenehmen Nebel gehüllt wurde, der die Stimmen der Toten fernhielt… Ebenso wie das bittere Gesicht seines Vaters, das er, wie weit er auch Reißaus nahm, niemals losgeworden war.

Paris nahm sicherheitshalber noch einen kräftigen Schluck, spülte damit den Mund, ehe er herzhaft schmatzte und das Glas wieder abstellte. Er hob den Kopf, und seine Aufmerksamkeit kehrte zurück zu seinem Gesprächspartner, einem gewaltigen Lissepianer. Gemeinsam saßen sie in einer abgestandenen Raumhafenbar im Herzen der Volnar-Kolonie, einer mehrheitlich von Cardassianern besiedelten Welt im Föderationsteil der EMZ, auf der es jedoch seit geraumer Zeit brodelte.

Paris kannte den Zwei-Meter-Mann nicht sonderlich gut, der sich selbst Hatol nannte. Nach allem, was er wusste, war er ein Händler, der regelmäßig zwischen der Volnar-Kolonie und einigen anderen Planeten in der EMZ verkehrte, um dort Verterium, Lucasid und einen Haufen gebrauchter Teile zu verkaufen. Sie waren sich vor drei Wochen zum ersten Mal begegnet, und Hatol hatte schnell zu erkennen gegeben, dass er sich für Neuigkeiten und Informationen aller Art interessierte. Und er schien nicht so knapp bei Kasse zu sein, um nicht in seine potenziellen Quellen zu investieren.

Ihre Treffen dauerten niemals lang, höchstens ein paar Minuten. Paris hatte nichts gegen diese Art von Effizienz einzuwenden.

„Sagen Sie, Mister Paris: Haben Sie eigentlich schon die Lobeikristalle bewundert?“, fragte der grünhäutige Mann mit dem gebogenen, spitz zulaufenden Kinn, das Paris an ein festgewachsenes, versteinertes Croissant erinnerte.

Paris warf die Stirn in Falten. „Lobeikristalle?“

Der Lissepianer schmunzelte viel wissend. „Sie sind wahrscheinlich die einzige Kostbarkeit hier auf Volnar II. Wirklich wunderschön, ein Gedicht für das Auge des Betrachters. Und gemessen an ihrem Wert an anderen Orten sind sie bemerkenswert erschwinglich.“

Paris gab sich nicht beeindruckt. „Hört sich nach einer ganz billigen Fälschermasche an, wenn Sie mich fragen.“

„Sie sind schnell mit Ihren Urteilen, Mister Paris, das ist mir schon früher aufgefallen.“ Der Alien legte den Kopf neugierig an. „War das auch der Grund für Ihre unehrenhafte Entlassung aus der Sternenflotte?“

Für einen Augenblick entgleisten Paris die Gesichtszüge, so überrascht war er, dass Hatol offenbar sehr viel mehr über ihn wusste als er angenommen hatte. Drohend streckte er dem Lissepianer einen Zeigefinger entgegen. „Hey, Freundchen, das geht Sie einen feuchten Kehricht an. Halten Sie sich da ‘raus, kapiert?“

Hatol lächelte. Dieser Ausdruck wirkte beinahe so, als amüsierte ihn die grimmige Reaktion seines Gegenübers. „Sie sind schlagfertig, Mister Paris. Wissen Sie, das mag ich an Ihnen. Und falls Sie sich die Zeit nehmen, die Lobeikristalle zu bewundern, bin ich mir sicher, dass sie Ihnen gefallen werden. Viele der örtlichen Verkäufer sind gute Freunde von mir. Ich könnte bestimmt das eine oder andere Sonderangebot für Sie arrangieren.“

„Vielleicht ein andermal.“

„Nun, was haben Sie diesmal für mich?“

Paris rieb sich über den Dreitagebart. „Sie wollten von mir wissen, wer hinter dem Überfall auf die Versorgungsdepots im Tomaklid- und Veloz-System steckt. Ich sag’s Ihnen kurz und bündig: Es war in beiden Fällen der Maquis.“

„Der Maquis?“ Hatol riss die grauen Augen auf. „Existieren Beweise dafür?“

„Die gibt es.“ Paris schob dem Anderen kurzerhand einen kleinen Datenchip entgegen, den er zutage gefördert hatte. „Das sind die Aufnahmen einer orbitalen Überwachungsdrohne, die mir zufällig in die Hände gefallen sind.“

Hatol nahm das unscheinbare Objekt entgegen. „Nun, das ist wirklich gut zu wissen. Ich hätte nicht geglaubt, dass sie ihr Operationsgebiet bis dorthin ausgeweitet haben. Sie müssen den Cardassianern echt zu schaffen machen. In diesem Fall werden wir unsere Frachtrouten dringend anpassen müssen. Wir wollen ja nicht eines Tages von diesen Rebellen aufgebracht werden.“

Paris nickte eifrig. „Würde ich Ihnen auch raten. Die haben echt Haare auf den Zähnen. Unsympathische Zeitgenossen, diese Maquisarden. Denen sollte man in absehbarer Zeit alles zutrauen.“

„Ich freue mich, dass Sie diesen Freischärlern gegenüber genauso wenig zugetan sind wie ich.“, ließ sich Hatol zufrieden vernehmen. „Wenn Sie mich fragen: Die machen nur Ärger. Die Bedingungen in der EMZ sind schon schwierig genug. Aber wer sind wir schon, dass wir die galaktischen Geschicke beeinflussen können, nicht wahr?“

„Sie sagen’s, Kumpel.“

„Ich werde das hier meinem Vorgesetzten vorlegen und ihn überzeugen, dass wir unsere Handelslinien überdenken.“ Hanol betrachtete den kleinen Chip in seiner riesenhaften Hand, bevor er ihn in einer der vielen Taschen seines dunkelbraunen Anzugs verschwinden ließ. „Ich danke Ihnen für Ihre Auskunft. Sie haben vielleicht mein Unternehmen gerettet. Hier ein kleiner Dank für Ihre Bereitschaft, Ihr Wissen mit mir zu teilen.“

Paris steckte kurz und bündig zwei Latinumstreifen ein. „Immer gerne. War mir ein Vergnügen.“



Mit zwei vollen Gläsern seines derzeitigen Lieblingscocktails intus und einem guten Zubrot in der Tasche spazierte Paris fünf Minuten später durch die Türen der Raumhafenbar und trat hinaus auf die überbevölkerte Händlerstraße.

Er erinnerte sich daran, dass er jetzt mit seinem Job fortfahren musste. B’Elanna hatte ihn damit beauftragt, einen Ersatzmotivator für ihr derzeitiges Schiff aufzutreiben. Keine gerade einfache Aufgabe. Paris fragte sich, ob die unbeherrschte Halbklingonin ihn dazu verdonnert hatte, weil er ihr gelegentlich einen anzüglichen Kommentar gemacht hatte. Er wusste, dass sie ihn nicht ausstehen konnte, aber es sprach ja trotzdem nichts dagegen, dass sie bei Gelegenheit mal ihre Freude miteinander hatten…

Paris grinste vor sich hin und bog nach rechts ab, dem Strom der vielen Passanten hinterher. Er ging kaum zehn Meter, da packten ihn zwei kräftige Hände, zogen ihn in eine dunkle Seitengasse, in der es nach Müll stank und drückten ihn unliebsam gegen die kalte, feuchte Wand.

„Au!“ Paris‘ Schädel war gegen die Wand gestoßen. Er wusste nicht, ob das die Ursache dafür war, dass er zunächst doppelt sah, oder ob es eher am veritablen Alkoholspiegel in seinem Blut lag. Nach ein paar Sekunden wich die Benommenheit, und er konnte die Gestalt erkennen, die mit überaus grimmigem Gesicht vor ihm stand.

„Chakotay.“, begrüßte ihn Paris verdutzt. „Schön, Dich wiederzusehen. Wie bist Du so schnell –…“

„Paris, Du Idiot!“, knurrte der Indianer ihn an. Er hatte ihn immer noch fest am Wickel. „Was hast Du da drinnen gemacht?“

Paris gluckste. „Was wohl? Sonst beschwerst Du Dich über meinen Atem. Na? Ich hab‘ einen gehoben, wenn Du’s genau wissen willst. Ich hatte nun mal Durst.“

Chakotays Miene verriet nicht nur Missfallen, sondern offene Verachtung. Es lag nicht bloß daran, dass er Abstinenzler war – so ziemlich das Gegenteil von Paris, der jede Gelegenheit nutzte, sich einen hinter die Binde zu kippen. Auch in anderer Hinsicht war der disziplinierte Nachfahre des Kautschukbaumvolks das Gegenteil von Paris, dessen proletenhafte Umgangsformen schnell dazu geführt hatten, dass er mit einigen von Chakotays Leuten aneinander geriet, von seinen ungehemmten sexuellen Avancen gegenüber allem Weiblichen ganz zu schweigen.

Doch das war nicht der eigentliche Grund, weshalb Chakotay ihn nie ganz akzeptiert hatte. Als ehemaliger Commander der Raumflotte war der Umstand, dass Paris den selbst verschuldeten Tod dreier Kameraden zuerst vertuscht hatte, für ihn ein rotes Tuch. Doch beim Maquis brauchte er nun mal jede helfende Hand, die er kriegen konnte, besonders gute Piloten. Und da hatte Paris sich angeboten.

Bislang hatte er noch keinen wirklichen Einsatz mitgemacht, der seinen Namen verdiente. Das wurmte Paris, denn er war begierig darauf, sich Chakotay zu beweisen. Je mehr er die Geduld verlor, desto mehr war der Querulant in ihm zum Vorschein gekommen.

„Erzähl mir keinen Mist!“ Chakotays Griff um seinen Kragen wurde noch fester. „Du hast Dich mit jemandem getroffen! Mit einem Lissepianer! Ich weiß inzwischen, dass Du bereits mehrmals mit ihm Kontakt hattest. Und jetzt raus mit der Sprache: Wer war das?!“

Paris prustete. „Niemand Besonderes. Kein alter Busenkumpel oder so.“

„Ich frage ein letztes Mal…“, drohte Chakotay mit vorgeschobenem Unterkiefer.

„Na ja…“, stammelte Paris. „Also, ich… Na ja, wo soll ich anfangen?...“

„Zum Beispiel damit, dass Du diesem Mann ganz offensichtlich Informationen weitergegeben hast. Ich habe Seska darauf angesetzt, Dich zu beschatten. Du hast Daten aus dem Hauptcomputer unseres Schiffes heruntergeladen.“

Unbarmherzig griff Chakotay mit einer Hand in die Tasche von Paris‘ Mantel und zog einen Goldstreifen heraus. „Latinum…“, stellte er fassungslos fest. Sein Blick, der nun unverhohlene Feindschaft zeigte, durchbohrte ihn. „Bist Du ein Verräter? Verkaufst Du uns an andere?“

Paris stellte ein gespieltes Lachen zur Schau. „So ein Quatsch! Dieser grüne Typ interessiert sich doch bloß für seine Handelsrouten. Er wollte von mir wissen, ob der Maquis neulich im Tomaklid- und Veloz-System war. Er wird seine Routen anpassen. Und für die Info hat er sich erkenntlich gezeigt. Was ist denn schon dabei?“

Chakotay erstarrte. In seinen Augen glühten Zorn und Hass. Ein anderer hätte Paris vermutlich eine verpasst, doch Chakotay war kein Mann sinnloser Gewalt. Er konnte mit Blicken und Worten viel mehr bewirken als mit der rohen Faust.

„Chakotay, das war doch nichts.“, verteidigte sich Paris weiterhin. „Gut, ich hab‘ mir ‘was hinzuverdient. Na und? Das dürfte doch wohl nicht verboten sein, oder? Aber ich hab‘ wirklich nichts ausgeplaudert, was von Bedeutung wäre. Und dass ich selbst einer von Euch bin, ahnt er auch nicht. Im Gegenteil – ich tu‘ uns sogar einen Gefallen. Denk mal nach: Ich verbreite auf die Weise Angst und Schrecken im Namen des Maquis. Wenn sich herumspricht, was der Maquis alles zustande bringt, werden ihn mehr Leute fürchten. Hast Du selbst nicht mal gesagt, dass Mundpropaganda eine große Waffe ist, hm?“

„Du bist ein verantwortungsloser Mistkerl!“, bellte Chakotay.

„Reg Dich mal ab.“

„Nein, Du hältst jetzt Deine Klappe und hörst mir zu. Lissepianer sind dafür bekannt, dass sie mit den Cardassianern unter einer Decke stecken.“ Chakotay rümpfte die Nase. „Du hast nur Augen für Deinen kleinen Hinzuverdienst, und dafür rückst Du einfach so vitale Informationen über uns raus, hintergehst uns wie ein Ferengi? Wie prinzipienlos bist Du eigentlich?“

Paris schüttelte den Kopf. „Nicht prinzipienloser als neunzig Prozent vom Rest Deiner Mannschaft.“

Nun hatte er Chakotay soweit – ein Kinnhaken versenkte sich in Paris‘ Gesicht und ließ seine Lippe aufplatzen. Chakotay rückte bis auf wenige Zentimeter an ihn heran. „Du hast nichts verstanden, oder, Du Gauner? Der Maquis kann es bislang nur aus einem Grund mit den Cardassianern aufnehmen: weil er unberechenbar ist. Wenn wir diesen Vorteil verlieren, weil sie ahnen, wo wir als nächstes zuschlagen könnten und welchem Muster unsere Strategien folgen, sind wir so gut wie tot. Du kommst hier in die EMZ, erzählt uns, wie ernst es Dir sei, den Maquis zu unterstützen… Und dann fällst Du uns derart in den Rücken… Ich hätte es von Anfang an wissen müssen. Ich hätte Dir nie über den Weg trauen dürfen. Du bist nichts weiter als ein Söldner, der für jeden kämpft, der gut bezahlt. Das war das letzte Mal, dass Du Dir etwas hast zu Schulden kommen lassen. Ab sofort bist Du nicht länger Teil meiner Gruppe.“

Paris‘ Atem stockte. Zuerst wusste er nicht, was er dazu sagen sollte. „Das glaub‘ ich einfach nicht. Hey, das kannst Du nicht tun.“

„Und ob ich das kann.“

„Du brauchst mich.“, insistierte Paris, zunehmend verzweifelt.

„Du fliegst sofort ab.“, forderte Chakotay ihn auf, unversöhnlich. „Ich werde mich selbst um die Sache mit dem Motivator kümmern. Kehre nach Soltok IV zurück und geh zu Hudson. Er wird entscheiden, wie es mit Dir weitergeht. Ich hoffe, er hat mehr Verwendung für Dich als ich.“ Ein letztes Mal sah ihm Chakotay tief in die Augen. „Wenn Du Dir noch einmal etwas zu Schulden kommen lässt – das verspreche ich Dir –, werde ich unerbittlich Jagd auf Dich machen.“ Dann wandte er sich ab und ließ ihn allein zurück.

Paris verließ die Volnar-Kolonie. Als er auf halbem Weg nach Soltok IV durch eine plumpe Ungeschicklichkeit in die Fänge einer Sternenflotten-Patrouille geriet, glaubte er nicht, dass er irgendjemanden vom Maquis jemals wiedersehen würde, dem er gerade mal ein paar Monate angehört hatte. Stattdessen sah er, während er im Innern einer Arrestzelle der Erde näher kam, nur noch seinen Vater vor sich. Sein wortloser, ewig strafender Blick war weit schlimmer als das, was er in Chakotays Augen gelesen hatte.

Tja, was sagst Du dazu, Dad?, dachte er zynisch. Der Fall Deines einzigen Sohns dauert an. Er wurde nicht nur unehrenhaft aus der Sternenflotte entlassen, sondern gilt jetzt auch noch als Verbrecher. Vielleicht möchtest Du Deinen Familienbildern ein Foto von ihm hinzufügen, das ihn in Sträflingskleidung zeigt.

Paris wusste genau, dass er nicht mehr auf Vergebung hoffen konnte, weder von seinem Vater noch von irgendjemand anderem. Ihm war ganz und gar bewusst, welche harte Linie die Föderation inzwischen gegen Maquisanhänger und -sympathisanten fuhr.

Er hatte seine Chancen gehabt, und er hatte sich entschieden. Alles Weitere waren die Konsequenzen seines Lebens, dessen weiterer Verlauf endgültig festzustehen schien*.
* Vor lauter Scham über seine frühe Gefangennahme würde er sich später zurechtlegen, er sei auf seiner ersten richtigen Mission beim Maquis gefasst worden. Nicht einmal das entsprach jedoch der Wahrheit.
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