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5x11 - Apotheosis #1

von Julian Wangler

Kapitel 1

16. Januar 2156
Andorianisches Konsularschiff Theleb
[im Erdorbit]

Wenn auch sein militärischer Rang vorübergehend ruhen mochte, so wusste Shran doch als hartgesottener Imperialgardist, dass man sich manchmal dem Unvermeidlichen stellen musste. In diesen Situationen hatte man keine Zeit, Risiken zu kalkulieren, Strategien zu entwickeln oder gar Regeln abzuändern. Man musste zur Tat schreiten, so wie jetzt auch wieder.

Seine Gegenspieler musterten ihn; ihre Gedanken waren ihm verborgen, obwohl er sie zu kennen glaubte. Er hörte nur das schwache Summen des Lüftungssystems sowie die leisen Seufzer des Konsularschiffes. Über seinem Kopf warf eine gedimmte Beleuchtungseinheit schwaches Licht auf den ansonsten düsteren Quartierraum, an dessen Ende ein kleines, ovales Fenster den Orbit des Planeten Erde gleich einem reinen Saphir darbot. Auch dieser Anblick – ein Planet mit so befremdlich viel Wasser – war inzwischen vertraut geworden.

Shrans Fühler taten keine Regung. Alle Blicke ruhten auf seiner Hand.

„Raus damit, Du blauer Geheimniskrämer.“, brummte Graal auf der gegenüberliegenden Seite des kleinen Tisches. „Mach schon.“

Shran wartete noch. Er genoss es, wann immer er dem Tellariten etwas von seinen chronisch knappen Geduldreserven abjagen konnte. Als Graal ein aufforderndes Grunzen aus seinem Rüssel stieß, zögerte Shran jedoch nicht länger, warf lässig vier Zungenspatel hin und drehte seine Karten um.

Ein Sechserpaar erschien, und der beleibte Humanoide beruhigte sich wieder ein wenig.

Alle blieben im Geschäft, vorerst.

Shran wandte nun den Blick zum dritten Teilnehmer dieser auserlesenen Runde. „Soval?“

Es war das erste Mal, dass der vulkanische Botschafter mitmachte bei Graals und Shrans regelmäßig stattfindenden Spielabenden. Der Mann in der beigebraunen Diplomatenrobe nickte reflektiert und mit kühler Nüchternheit ausgestattet, während er über den Tisch hinwegsah. Ein Zug war aber nicht die Folge.

„Was ist denn nun?“ Shran ertappte sich dabei, wie er nun selbst voll der Ungeduld auf den Fortgang der Partie wartete. „Haben Sie schon Wurzeln geschlagen, Soval?“

„Ja, machen Sie schon.“, wiederholte Graal lautstark.

In Sovals Gesicht schien sich ein kleiner Hauch von Verdruss anzukündigen, obgleich er das natürlich nie zugegeben hätte. „Ich bat Sie darum, mich nicht zu drängen.“, entgegnete er.

Der andorianische Regierungschef musste darüber schmunzeln. „Was, ich dachte, vulkanische Gehirne wären so schnell.“

Soval lugte hinter seinen Karten hervor wie hinter den Zinnen einer Festung. „Das sind sie für gewöhnlich auch – in entsprechendem Arbeitsklima.“

„Das gibt’s doch nicht. Hör ihn Dir an, Graal. – Arbeitsklima. Soll das etwa heißen, Sie können sich in unserer Gesellschaft nicht konzentrieren?“

Der Tellarit hielt sich kichernd den Wanst und amüsierte sich überhaupt köstlich.

Shran wahrte die Fassung, lehnte sich ein Stück weit vor. „Soval, ich hab’ Sie auf mein Schiff eingeladen, damit Sie sich etwas Abwechslung und Entspannung gönnen. Da oben zwischen Ihren angespitzten Ohren muss es doch irgendwo einen Schalter geben, der den Außer-Dienst-Modus auslöst.“

Sein vulkanisches Gegenüber betrachtete ihn zunächst zögernd. „Wie ich finde, gibt es viele Gründe, um seinen Dienst auch außerhalb der geregelten Arbeitszeiten wahrzunehmen. Und um in Ihrer Terminologie zu verbleiben, Mister Shran: Sie würden diesen besagten Schalter nicht finden, selbst wenn er da wäre.“

„Nicht so voreilig.“ Der Andorianer wertete Sovals Entgegnung als Ansporn, sich umzudrehen und nach einer gewundenen Phiole zu greifen, welche in einer nahe stehenden Vitrine untergebracht war. Aus einem anderen Fach entnahm er drei flache Gläser. „Vielleicht wird mir ein bisschen andorianisches Ale bei der Suche behilflich sein.“ Kurz darauf gluckerte azurblaue Flüssigkeit in die Behältnisse. „Da haben wir uns in der Vergangenheit beinahe gegenseitig abgemurkst, aber unser Nationalgetränk brannte Ihnen immer noch nicht in der Kehle.“

„Her mit dem Teufelzeug.“ Bevor Shran verteilen konnte, kam Graal ihm zuvor, indem er ihm jenes prall gefüllte Glas weggrabschte, das er für sich eingeschenkt hatte. Im nächsten Moment kippte sich der Tellarit den Inhalt in einem Zug den Schlund herunter, als handele es sich um Wasser.

Shran stellte das andere Trinkgefäß unmittelbar vor Soval ab, ihm einen auffordernden Blick zuwerfend. „Dies ist eine private Zusammenkunft, also machen Sie sich locker. Kommen Sie schon, ich kenn’ Sie doch, Soval. Sagen Sie mir nicht, Sie wollen das nicht mal probieren?“

„Wenn Sie mich so gut kennen, wie Sie sagen, dann müssten Sie wissen, dass ich nicht trinke.“

„Nein, nein, nein.“, widersprach der Blauhäutige kopfschüttelnd. „Sie wussten, worauf Sie sich einlassen, als Sie mein Angebot akzeptierten. Wir wollten doch einen fröhlichen Abend verbringen; einfach mal so tun, als wären wir nicht ein Haufen Politiker.“

Soval verzog keine Miene. „Nun, ich bin kein Politiker, sondern Abgesandter des vulkanischen Staates. Und falls Sie mit sich selbst im Unreinen sein sollten, so werde ich Sie nicht beim Konsumieren dieser Spirituose aufhalten.“

Shran prustete. „Ich sag’ Ihnen ’was: Manchmal verzweifle ich an Ihnen, Spitzohr.“

„Ich darf diese Bemerkung als Kompliment auffassen.“

„Ach, machen Sie doch, was Sie wollen.“ Der Antennenträger leerte im Nu eines der Gläser und stellte es entschlossen auf die Tischplatte zurück.

„Ich glaube, er wollte nur seine Pokerkunst zum Besten geben.“, meinte Graal mürrisch. Er spielte damit auf die bedauerliche Tatsache an, dass der Vulkanier sämtliche der zurückliegenden Partien mühelos gewonnen hatte.

Kaum war das Prickeln in seinem Rachenraum vergangen, spürte Shran bereits die ersten Anwandlungen des Rausches. Wie er doch dieses Gesöff liebte und das herrliche Tempo, mit dem es wirkte. „Kommen Sie, Soval. Nur ein klitzekleiner Schluck. Der wird Ihr grünes Blut etwas verdünnen.“ Diesmal erntete er gar keine sichtbare Reaktion mehr vom vulkanischen Botschafter. Shran trank auch das zweite Glas aus. „Ach, Graal, was würd’ ich für dieses Bild geben: Unser guter Soval sturzbesoffen!“

Augenblicklich brachen beide Männer, angeheitert wie sie waren, in schallendes Gelächter aus. Soval ließ sich nichts anhaben, er verblieb die Ruhe in Person.

Im nächsten Moment drehte er seine Karten um. „Ein Flush.“, stellte er vermeintlich kühl fest. „Meine Herren, Ihre Niederlage ist damit besiegelt.“

Graal verstummte abrupt, und auch Shran blieb das Lachen im Halse stecken. Die Fühler auf seinem Kopf legten sich überkreuz, und er maß Soval mit prüfendem Ausdruck. „So langsam glaube ich, die Menschen machen einen Fehler, indem sie jeder dahergelaufenen Spezies ihre Unterhaltungsformen beibringen. Einige könnten ziemlich verbissen darauf anspringen.“

Und Graal stimmte ein: „Spielverderber.“

„Ich akzeptiere Ihre Glückwünsche.“, sagte Soval, auf sein Chronometer sehend. „Und wenn das nun alles wäre – es ist spät geworden. In der vulkanischen Botschaft erwarten mich noch einige Pflichten.“ Ohne weitere Umschweife erhob er sich.

„Halt.“ Shran stand seinerseits auf und schob sich vor ihn. „Sie dürfen jetzt noch nicht gehen.“

„Ich denke, schon. Fünf Partien, so lautete die Absprache.“, erinnerte Soval. Er wirkte beinahe ein wenig eingeschnappt.

Das haben wir gleich wieder…

Der Blauhäuter verneinte in einer Kopfbewegung. „Fünf Partien – und eine Überraschung.“ Im nächsten Moment zog Shran hinter seinem Rücken ein verpacktes Objekt hervor und hielt es dem Vulkanier hin. „Mit den besten Glückwünschen von Ihren Alliierten.“

Ein Stirnrunzeln ging voran, ehe Soval den Blick schmälte. Er hatte wohl mit allem gerechnet, nur nicht damit. „Sie…beschenken mich?“

„Verwundert Sie das etwa? Heute ist, wenn mich nicht alles täuscht, Ihr Geburtstag.“

Kurzes Zögern. „Das trifft zu, aber…“ Soval unterbrach sich.

„Was aber?“

„Wie haben Sie das in Erfahrung gebracht?“

„Tja… Staatsgeheimnisse.“ Er wedelte mit dem Finger. „Ich hab‘ Ihnen doch gesagt, Sie sollen die Imperiale Garde niemals unterschätzen.“

Ein, zwei Sekunden verharrte der Vulkanier noch, bis er sich dann entschloss, das Präsent entgegenzunehmen. Shran reagierte auf Sovals Unentschlossenheit. „Sagen Sie bloß, Sie sind jetzt so perplex, dass Sie das nicht auspacken können?“

„Nein. Es ist nur… Vulkanier pflegen nicht Geburtstag zu feiern.“

Was für eine billige Ausrede., dachte Shran zufrieden. Du würdest niemals zugeben, dass Du jetzt der Überrumpelte bist, Spitzohr. Tja, so schnell kann sich das Blatt wenden.

„Ja, ja – Sie feiern nur den denkwürdigen Tag, an dem Sie Ihre Emotionen aus der nächsten Luftschleuse geworfen haben. Und jetzt machen Sie schon.“

Soval kam der Aufforderung nach und begab sich daran, das Präsent vorsichtig aus seiner undurchsichtigen Verpackung zu schälen. Shran und der Tellarit wurden in der Folge Zeuge einer chirurgischen Präzisionsarbeit, die Soval selbst beim Auspacken an den Tag legte. Dadurch zog sich der ganze Vorgang nicht unerheblich in die Länge.

Leicht befremdet räusperte Shran sich. „Sie können es ruhig aufreißen.“

Soval ließ sich nicht von seiner ureigenen Methodik abbringen. „Mit ein wenig Geschick lässt sich nachhaltig arbeiten. Dieses Papier kann wieder verwendet werden.“

Ich möchte den Kerl nur einmal erleben, wenn er nicht die verdammte vulkanische Seelenruhe weg hat. Wobei: Genau genommen hab‘ ich das schon bei der einen oder anderen Gelegenheit., entsann er sich.

Schließlich war es geschafft, und Soval hob die enthüllte Gabe auf Nasenhöhe. Wölbte eine Braue. „Nun…danke.“, sagte er unverwandt. Er schien nicht recht etwas damit anfangen zu können. In seiner Hand lag ein kegelförmiger Kristall, der in seinem halbtransparenten Innern kaleidoskopartig funkelte. „Was ist das, wenn ich fragen darf?“

„Das ist ein Ka–ta–laam.“, erklärte Shran. „Wie Sie wahrscheinlich wissen – oder auch nicht wissen –, glauben wir Andorianer, dass die Seelen aller Wesen im Universum Projektionen sind, von einem anderen, fernen Ort stammen. Wenn der Körper nun irgendwann unvermeidlich stirbt und die Verbindung aufgekündigt wird, kann sich die Seele schnell verirren. Das Ka–ta–laam soll dabei helfen, der Seele Zentrierung zu geben und sie auf ein Leben nach der physischen Existenz vorbereiten. Damit der Übergang besser funktioniert. Deshalb bekommt jeder Andorianer nach seiner Geburt so einen Kristall. Er behält ihn sein ganzes Leben lang.“ Shran zuckte die Achseln. „Ich glaube, die Menschen würden es als eine Art Talisman bezeichnen.“

Ein Augenblick entstand, in dem Soval verblüfft dreinsah. Mit einem wenig Fantasie mochte man meinen, ein Anflug von Rührung habe Besitz von ihm ergriffen. „Ich…“ Er befeuchtete die Lippen. „Ich weiß diese vertrauensvolle Geste sehr zu schätzen. Vielen Dank dafür.“

Shran nickte. „Dann tun Sie uns einen Gefallen und bleiben noch ein Weilchen. Lassen wir das Ale. Stoßen wir mit irgendwas anderem an, ja?“

„Wenn das Ihr Wunsch ist…“

„Ist er.“

Während sich Shran wieder umdrehte zur Vitrine und dort drei frische Gläser auftrieb sowie eine neue Flasche und diese entkorkte, watete Graal zum Vulkanier. Er deutete auf zwei Inschriften im Kristall, die Soval noch nicht aufgefallen waren. „Das hier sind übrigens unsere Gravuren.“, sagte der Tellarit. „Sehen Sie? Da steht ‚von Shraaan’, und da steht ‚von Graaal’…“

Shran war nach wie vor mit Einschenken beschäftigt. Ein wenig verlegen begann sich Graal den ansehnlichen Bart zu kraulen. „Auf Tellar lädt man denjenigen, der Geburtstag hat, normalerweise zu einem ausgelassenen Schlammbad ein. Aber dann dachte ich: Nein, das kann ich Ihnen nicht antun, also hab‘ ich mich kurzerhand angeschlossen…“ Über die Schulter zu Shran blickend fügte er hinzu: „Selbst, wenn ich der Meinung bin, das Schlammbad wäre das bessere Geschenk gewesen.“

Soval nahm es zur Kenntnis. „Nun, das weiß ich zu schätzen, Mister Graal.“

„Hrmgh.“, machte Graal, der es seinem eigentümlichen Naturell gemäß eigentlich verabscheute, höfliche Floskeln zu verteilen. Jetzt musste er sich schon sehr zusammenreißen.

Mit drei Bechern, in denen eine bräunliche, leicht schaumige Substanz schwappte, kehrte Shran zuletzt zu seinen Kollegen zurück. „Haben Sie ’was gegen Pakawa? Tellariter Pilztrunk. Garantiert alkoholfrei.“

„Und ziemlich mild.“, meinte Graal. „Probieren Sie mal. Blubbert wunderbar.“

Soval ließ sich das Gefäß reichen, hob es zum Mund und nippte vorsichtig.

„Und?“

Der Vulkanier hätte sich wohl am liebsten geschüttelt, aber stattdessen hielt er die übliche Nonchalance aufrecht. „Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Ich werde weiterhin bei vulkanischem Gewürztee bleiben.“

Diesmal lachte Shran nicht mehr, sondern klopfte dem Vulkanier, anerkennend für dessen Mut und Vertrauen, auf die Schulter. Soval ließ die unliebsame Berührung über sich ergehen, schien aber nach dem unerwarteten Geschenk ein kleinwenig aufgetaut.



Wenige Minuten später hatten sich die drei Männer vor das einzige Fenster im Raum zurückgezogen. Nun beobachteten sie, wie Shrans diplomatische Fregatte jenen Bereich der irdischen Kreisbahn passierte, wo der Warp–fünf–Komplex und die Final Unity–Station lagen.

In den vergangenen Wochen und Monaten waren die Konstruktionsarbeiten am neuen, koalitionsinternen Schiffsprojekt nicht großartig fortgeschritten. Es gab allerhand Ablenkungen, die Kapazitäten anderweitig banden, und darüber hinaus führten gelegentliche Rückschläge bei der Vereinbarung all dieser unterschiedlichen Komponenten dazu, dass der Elan zeitweilig sank. Hinzu kam, dass die einzelnen Staaten eine Offenlegung bestimmter sensibler Technologien noch überwiegend scheuten. So steckte ein Austausch bei Antriebs-, Verteidigungs- und Waffensystemen heute bestenfalls in den Kinderschuhen .

Allerdings wäre dieses Unterfangen nicht im Koalitionsausschuss abgesegnet worden, wären sich nicht alle Teilnehmer im Klaren gewesen, worauf sie sich einließen. Das Schiffsprojekt sollte – wie auch Final Unity – in erster Linie durch seine symbolische Strahlkraft wirken, gar nicht einmal so sehr durch eine rasche Fertigstellung; dann nämlich musste man sich etwas Neues suchen, woran man sich zusammen die Finger schmutzig machte. Hier war eindeutig der Weg das Ziel, und der Weg war noch weit…sehr weit.

Vor kurzem hatten sich die Menschen knapp in einer Abstimmung durchgesetzt, wonach die Schiffsklasse einen irdischen Namen erhalten sollte. Das Gros der Delegierten im gemeinsamen Technologieausschuss hatte sich zugunsten des Vorschlags der Erdlinge entschieden, den Prototyp nach einer inspirierenden Gestalt ihrer antiken Mythologie zu benennen: Daedalus, ein brillanter Erfinder, Techniker, Baumeister und Künstler. Zwar hätte Shran nur allzu gern den Namen seiner unvergesslich geliebten Kumari wieder zum Leben erweckt, aber Daedalus, so hieß es, habe stets von der Überwindung von Grenzen durch die Vereinbarung größtmöglicher Unterschiede geträumt, vom Denken des Undenkbaren, um Fortschritt zu erzielen, und das war angesichts der Zusammenkunft so unterschiedlicher Völker in der Koalition von symbolischer Aussagekraft. Dennoch waren salbungsvolle Namen wenig wert, wenn dieses Schiff nie das Konstruktionsdock verlassen würde, weil es nicht flugtauglich war.

Final Unity war weitgehend unkomplizierter, unaufgeregter. Mittlerweile hatten die Koalitionsingenieure ein Netzwerk von Modulen gespannt, die zusammen den Hauptenergiekern bergen würden.

Bis die ersten Habitatzellen integriert werden konnten, würden noch viele Monate ins Land ziehen; bislang war aber zumindest eine Menge Duratan verbaut worden, was Anlass zu einer optimistischen Sicht auf den kontinuierlichen Progress des Vorhabens gab. Es verlief mit demselben Enthusiasmus wie die junge Planetenallianz selber. Trotz aller negativen Dinge, die derzeit die Koalition bedrohten, fand Shran den Gedanken beruhigend, dass der Blick in den Erdorbit bessere Zeiten in Aussicht stellte.

Der Andorianer lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den massiven Fensterrahmen. „Jetzt, wo wir einen so netten Abend miteinander verbracht haben, mein guter Soval, würde ich Sie gern ’was fragen.“

Der Vulkanier hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt. „Das wäre?“

Shran betrachtete die Sterne über dem Blauen Planeten. „Na ja, haben Sie sich schon Gedanken gemacht, was hiernach kommen könnte?“

„Wonach?“

„Diese ganze Phase, in der wir momentan stecken…“, sagte der Andorianer. „Ich meine, die Romulaner werden nicht ewig eine abstrakte Gefahr bleiben. Und sie werden auch nicht ewig die Geschicke dieser Koalition bestimmen.“

Soval überlegte. „Für gewöhnlich denke ich nicht viel über die mögliche Zukunft nach. Mit Blick auf eine realistische Erwartung sollte man mehr der Gegenwart verhaftet bleiben. Allerdings in letzter Zeit… Es scheint sich eine Zäsur anzukündigen. Genaueres wird man abwarten müssen.“

„Verraten Sie uns: Gibt es Pläne für die Zeit nach Botschafter Soval?“

Jetzt zögerte der Robenträger einen Augenblick. In der Tat hatte Shran selten eine so persönliche Frage an ihn adressiert. „Einige Jahre werde ich meine Tätigkeit noch ausüben, allerdings… Ich habe nun schon viele Jahrzehnte auf der Erde gelebt und gearbeitet. Ich könnte mir vorstellen, meinen Ruhestand hier zu verbringen.“

Shran lächelte bedeutungsvoll. „Man stelle sich vor: Ein Vulkanier, der die Erde zu lieben gelernt hat. Nichts ist aufregender als die Realität, würde ich sagen.“

„Ich verlasse mich darauf, dass das hier Gesagte unter uns bleibt.“, bestand Soval auf Diskretion.

„Keine Sorge, Ihr Geheimnis ist bei uns sicher.“

Soval nickte. „Zwar habe ich beileibe nicht alle Länder kennen gelernt, aber Florida findet meine Zustimmung.“

„Ja, dieser Staat wird nicht umsonst von so vielen Amerikanern als Rentnerparadies bezeichnet, hab’ ich gehört. Und warm haben Sie es dort ebenfalls.“, neckte Shran. „Sie scheinen eine gute Wahl getroffen zu haben.“

„Jetzt, wo ich ehrlich war… Was ist mit Ihnen?“

„Mit mir?“ Shran war überrascht, dass der Vulkanier die Frage zurückgab, aufrichtiges Interesse an seinen persönlichen Plänen zeigte.

„Machen Sie sich Gedanken über die Zukunft?“, wollte Soval wissen.

Er beschloss, seinem Kollegen dieselbe Ehrlichkeit entgegenzubringen. „Viele sogar. Wenn meine Pflichten als Übergangskanzler getan sind, möchte ich wieder in die Imperiale Garde zurückkehren. Aber kein Raumschiff mehr. Womöglich wäre irgendein Posten als Gouverneur einer kleinen, abgelegenen Kolonie das Richtige. Ein Ort, an dem ich in Ruhe mit Jhamel leben und eine Familie gründen kann. Das wäre mein größter Wunsch.“

Der Vulkanier sah jetzt wieder aus dem Fenster, wirkte nachdenklicher. „Ich hatte nie Kinder.“

„Sie verändern alles, glauben Sie mir.“

Graal hatte geantwortet, und Sovals Blick suchte den seinen. „Sie haben Kinder?“, fragte er.

„Sechzehn.“ Beim Tellariten klang das ganz normal.

Shran war glücklicherweise schon früher mit dieser überraschenden Eröffnung konfrontiert worden. Die tellarite Fertilität hatte aber auch etwas damit zu tun, dass Graals Spezies nicht älter als vierzig Jahre wurde und darüber hinaus im zweiten Abschnitt ihres Lebens – ob man es nun glauben wollte oder nicht – relativ anfällig war für diverse Immunkrankheiten.

„Und ist es Ihr Wunsch, nach getaner Arbeit zu ihnen zurückzukehren?“

„Eigentlich nicht.“, sagte Graal mit geweiteten Augen. „Ich möchte einfach…ewig leben.“

Shran grinste. „Du sagst es. Das ist ein guter Vorsatz.“

Eine Weile standen die drei Männer da, ohne etwas zu sagen. Sie beobachteten, wie das Schiff Nordamerika überflog, darunter auch die markante Landzunge Floridas.

Schließlich war es Soval, der die Stille wieder brach. „Möglicherweise ist unser Beisammensein ein gegebener Anlass, um mich bei Ihnen beiden zu bedanken.“

Shran winkte ab. „Das haben Sie doch bereits, Soval.“

„Wegen des Geschenks, ja, aber noch nicht wegen der kürzlichen Resolution, die wir im Koalitionsausschuss verabschieden konnten. Es ist sehr wichtig, dass wir die gemeinsamen Patrouillen aufgestockt haben. Sie werden die Sicherheit für die Koalition erhöhen.“

Shran erinnerte sich an die hektischen, aber produktiven Abläufe der vergangenen Tage. Die vier Welten hatten sich verständigt, eine nie da gewesene militärische Kapazität in die gemeinsamen Verteidigungsflotten zu investieren. Auch waren seither die Bemühungen intensiviert worden, die vor vier Monaten von den Romulanern zerstörten Sensorphalanxen wieder zu ersetzen.

Zwar war der romulanische Aggressor, wie das Coridan–Massaker gezeigt hatte, sichtlich über sein früheres Zerstörungspotenzial hinausgewachsen, aber wenn die Koalition erst einmal tat, was in ihrer Macht stand, musste niemand ein schlechtes Gewissen haben.

„Für mich war es eine Selbstverständlichkeit.“, erwiderte Shran. „Ich glaube, das, was wir inzwischen aufgebaut haben, wird irgendwann einmal noch viel mehr wert sein.“

Soval hob eine Braue. „Was meinen Sie?“

„Die Koalition – oder wie immer sie in Zukunft heißen mag – wird dann halb Realität sein…und halb Mythos.“

Soval blickte überrascht ob der sonderbaren Formulierung. „Davon sind Sie überzeugt?“

„Oh ja, das bin ich. Sie müssen nur aus dem Fenster sehen.“ Shran wies zum Trockendock und zur Final Unity–Baustelle. „Wir haben hier etwas begonnen, das imstande ist, alle Grenzen zu überwinden. Ich kann mir kaum noch vorstellen, dass wir uns vor gar nicht langer Zeit als Feinde gegenübergestanden haben. Und jetzt? Die ganze Welt ist eine andere geworden. Der Frieden zwischen uns hat eine unglaubliche Zunahme an Handel und zivilen Reisen durch diese Region zur Folge gehabt. Wachsender Wohlstand, neue Aussichten auf Kooperation…und kriminelle Elemente wie die malurianische Mafia sind zurückgedrängt worden. Aber das ist nicht mal das Entscheidende. Das Entscheidende ist, dass wir an diese Koalition zu glauben begonnen haben. Ich weiß nicht, wann genau es geschehen ist, aber es ist geschehen. In dieser komplizierten, geheimnisvollen Galaxis existiert so vieles, von dem wir nicht ausgehen dürfen, dass wir es verstehen oder dass wir bereits wissen, wie man damit umgehen soll… Und da ist so vieles, das eine Welt unmöglich alleine lösen kann. Umso mehr habe ich erkannt, dass das, was wir zusammen erreicht haben, eine Investition in die Zukunft ist. Ich bin stolz, dazu zu gehören. Und ich bin dankbar, dass Jonathan Archer mich damals überzeugt hat, Teil von etwas Größerem sein zu wollen.“ Er musterte erst Graal, dann Soval. „So vieles haben wir gemeinsam durchgestanden. Ich würde sogar behaupten, wir haben einander zu schätzen gelernt. Trotz oder gerade wegen unserer Unterschiede.“

Der Tellarit grunzte entschlossen. „Du bist ein blauer Phrasendrescher, aber es ist wahr: Mein Rüssel kann Euch inzwischen ganz gut riechen.“ Er lachte auf. „Stellt Euch das mal vor.“

Und auch Soval sagte: „Ich stimme zu. In den vergangenen Jahren haben wir uns tatsächlich massiv aufeinander zu bewegt. Wir haben ein Verständnis von der Perspektive des jeweils anderen entwickeln können. Und ja, ich habe aufrichtigen Respekt für Sie beide…und für das, was Sie tun.“

Shran spürte, wie ihn ein besonderer Optimismus beflügelte, wie er ihn selten zuvor erlebt hatte. „Seht Ihr, meine Freunde.“, sagte er. Er legte den beiden anderen Männern jeweils eine Hand auf die Schulter. „Und ich wüsste nicht, was uns drei jetzt noch auseinander treiben könnte. Was auch kommen mag: Wir halten zusammen.“

Durch das Fenster fiel der Glanz der irdischen Sonne auf sie.
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