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Im Inneren ein Wasserfall

von Laurie

Kapitel 1

Vulkan, 2285

Am ersten Tag danach kommt es ihm vor, als wandere er ganz allein durch einen dichten Nebel. Am zweiten Tag hat er das Gefühl, jemanden durch diesen Nebel verfolgen zu müssen, jemanden, der ihm unermesslich viel bedeutet und dessen Silhouette immer mehr verschwimmt, je näher McCoy ihm kommt. Am dritten Tag wird der Nebel noch einmal dichter, bis er keine Handbreit weit sehen kann; und am vierten Tag zerstiebt er in einem Funkenschauer, der McCoy die Haut versengt und ihn blendet und ihn schutzlos in der grellen Wüstensonne Vulkans zurücklässt.

Er steht im Hinterhof ihrer Unterkunft, als es passiert, umgeben von fremdartig riechenden Gewächsen, deren Namen er sich nicht merken kann. Zumindest stand er vor ein paar Sekunden noch; jetzt dagegen kauert er auf dem Boden, das Gesicht in den Händen vergraben, und weiß nicht, wie er dorthin gekommen ist. Die schattenhafte Figur aus dem Nebel hätte es ihm vielleicht sagen können, aber sie hat ihn verlassen und McCoy ist sich nicht sicher, ob sie vorhat, ihm jemals Antworten auf seine Fragen zu geben.

Sind das wir? Ist es das, was wir getan haben?

Endlose Augenblicke lang hat er das Gefühl, keine Luft zu bekommen, und erst als er die Hände auf den Boden presst und das Mosaik aus Steinen ihm die Haut verbrennt, findet er in die Realität zurück. Als Jim wenige Minuten später in den Hof schlendert, sitzt McCoy mit dem Rücken gegen die Hauswand gelehnt im Schatten und zwingt sich, die fremde Luft in streng kontrollierten Atemzügen ein- und wieder auszuatmen. Wenig elegant lässt Jim sich neben ihm zu Boden fallen.

„Ich hab eben noch mal mit Nogura geredet. Er sagt, wenn wir auf der Stelle zur Erde zurückkehren und uns für unsere Taten zur Verantwortung ziehen lassen, fällt das Strafmaß gnädiger aus.“

McCoy schnaubt. Ich war nicht mal ich selber während der ganzen Sache, für was wollen sie mich da verurteilen, denkt er, doch er spricht es nicht aus. Stattdessen beschränkt er sich auf die eine Wahrheit, die für Jim am meisten Gewicht hat: „Wir können Spock jetzt nicht allein lassen.“

Und das kann er nicht. Selbst wenn man ihm mit dem Militärgericht droht, selbst wenn man ihm seine Pension nimmt und ihn ins Gefängnis steckt, er kann Vulkan jetzt nicht verlassen. Nicht wenn ein Teil von ihm immer noch halb im Nebel gefangen ist und ein anderer Teil sich wünscht, er wäre es ganz. Dass man es ihnen bislang nicht gestattet hat, Spock zu sehen, spielt keine Rolle.

Auch von alledem erwähnt er Jim gegenüber nichts. Jim hat mit seinen eigenen Dämonen zu ringen; er klingt ohnehin schon zu besorgt, als er McCoy zum ersten Mal genauer ansieht und bemerkt: „Du bist ganz blass und verschwitzt. Alles in Ordnung mit dir?“

Als McCoy im Nebel gefangen war, hat er das nicht gefragt, doch McCoy kann ihm deshalb keinen Vorwurf machen. Sie alle kämpfen auf ihre Weise. Die Verluste der letzten Tage sind immer noch zu deutlich in Jims ganzes Wesen eingebrannt, und genau darum winkt McCoy ab. „Ach, ist bloß die Hitze.“

Es ist zu heiß und die Luft ist zu trocken und in der Ferne beginnt die Wüste und dort sollte keine Wüste sein, sondern ein Ozean, und –

„Und das von jemandem, der aus dem Süden kommt und sich ständig darüber beschwert, dass es ihm zu kalt ist.“

Jim lächelt und auch McCoy ringt sich ein Grinsen ab. Darin hat er Übung und deshalb bemerkt Jim auch nichts, oder er tut zumindest so. Am liebsten würde McCoy bis in alle Ewigkeit in diesem Hinterhof sitzen bleiben und die Pflanzen anstarren, doch Jim steht mit einem gottergebenen Seufzen auf und hält ihm eine Hand hin. McCoy lässt zu, dass Jim ihn auf die Beine zieht, und er ist stolz darauf, dass seine Knie nicht mehr zittern.

Auf dem Weg nach drinnen erzählt Jim noch ein wenig mehr von seinem Gespräch mit dem Admiral und von Uhuras Plänen fürs Abendessen und von Scottys Plänen für ihr gekapertes klingonisches Schiff, aber McCoy hört ihm nicht mehr zu. Der Nebel kehrt zurück und in Gedanken ist McCoy längst wieder bei der Gestalt in seiner Mitte.

~°~

Sarek hat ihnen Unterkünfte nicht weit von seinem Zuhause verschafft, nachdem sie das pflichtschuldige Angebot, bei Amanda und ihm zu wohnen, dankend abgelehnt hatten. Sie wollen sich nicht aufdrängen, wie Jim erklärte; sechs Leute auf unbestimmte Zeit im Haus zu haben, würde wohl selbst für den stoischen Botschafter irgendwann zur Belastungsprobe werden, besonders wenn diese sechs Leute mitunter den Eindruck erwecken, als seien sie Mitglieder einer Trauergemeinschaft.

Gut, hauptsächlich kommt McCoy sich so vor, aber er würde Einiges darauf verwetten, dass es auch Jim so geht und vermutlich auch Scotty, den der Verlust der Enterprise am härtesten getroffen hat. Keiner von ihnen hat die Ereignisse der letzten Wochen einfach weggesteckt; sie sind unruhig und antriebslos zugleich und dass McCoy es mehr als sie alle ist, fällt dabei zum Glück nicht auf.

Dass er aus einem sehr viel selbstsüchtigeren Grund froh darüber ist, nicht bei Sarek und Amanda zu wohnen, behält er für sich. Spock wohnt dort. McCoy hat ihn immer noch nicht wieder gesehen und einerseits sehnt er sich so sehr nach ihren vertrauten Streitgesprächen, dass es wehtut ... doch andererseits sorgt die Vorstellung, Spock gegenüberzutreten, dafür, dass ihm das Atmen einmal mehr schwerfällt. Er kann Spock nicht alleine lassen, aber er kann auch nicht bei ihm sein. Spock hat sich nicht einmal an seinen Namen erinnert ... Und damals, in den ersten Minuten nach der Zeremonie, hat er das selbst kaum.

Im Erdgeschoss klopft es an der Tür. McCoy starrt weiter auf sein PADD, auf dem er seit einer halben Stunde eine Nachricht an Christine Chapel verfasst oder es zumindest versucht. Bislang besteht sie aus dem Wort Hey.

Oben wird die Tür geöffnet, Stimmengemurmel findet den Weg zu ihm hinab, die Tür wird wieder geschlossen und Schritte ertönen auf der Treppe. McCoy legt den Eingabestift weg und dreht sich gerade rechtzeitig um, um Uhura im Türrahmen innehalten zu sehen. Die Tür ist tagsüber immer offen, weil McCoy nicht will, dass die anderen denken, er verberge etwas.

„Saavik war gerade hier“, sagt Uhura, und falls sie besorgt ist – wegen Spock, wegen ihm –, verbirgt sie es gut. „Sarek will, dass Sie morgen bei ihm vorbeikommen. Die Heiler wollen versuchen, ob Ihre Anwesenheit und eventuell weitere Gedankenverschmelzungen Spocks Heilungsprozess beschleunigen können, und außerdem geht es auch für Sie um die Nachsorge nach dem Fal-Tor-Pan.“

Bereits vor der Zeremonie hat man ihn darauf vorbereitet, dass weitere Gedankenverschmelzungen folgen könnten, und McCoy hat eingewilligt, denn was hätte er sonst tun sollen? Das Wissen darüber, dass es so kommen musste, macht es allerdings nicht leichter.

Er schluckt, und dann, weil Uhura immer eine seiner liebsten Kolleginnen war, schenkt er ihr ein Lächeln. „Ja. Klar.“

„Saavik kommt Sie nach dem Frühstück abholen.“

McCoy nickt. Kurz wirkt es so, als wolle Uhura noch etwas hinzufügen, aber dann lächelt sie nur zurück und wendet sich ab.

~°~

In dieser Nacht schläft er kaum, und als Saavik am nächsten Morgen auftaucht, ist er gerade dabei, seine Atemzüge zu zählen.

„Sie wissen, dass Sie keinen Grund zur Nervosität haben“, sagt Saavik kurz vor Sareks Grundstücksgrenze unvermittelt, nachdem sie seine Versuche, sich von ihrem Wohlbefinden zu überzeugen, abgeschmettert hat. Mir geht es gut, Doktor – und diesen ganz bestimmten Tonfall kennt er genau, jenen Tonfall, dem gegenüber die Wahrheit nicht die geringste Chance hat.

Er zieht die Augenbraue hoch, überrascht von ihrer Unverblümtheit und fast ein bisschen dankbar darüber, dass zumindest sie ihn nicht so behandelt, als könne er jeden Augenblick auseinanderfallen.

„Und Sie wissen wahrscheinlich, dass solche Erinnerungen nicht viel nützen?“, gibt er mit einem schwachen Lächeln zurück. Dass er dabei den Instinkt, ihr auf Vulkanisch zu antworten, unterdrücken muss – er spricht kein Vulkanisch –, würde er nicht einmal sich selbst gegenüber zugeben.

Sie neigt den Kopf. „Nein, ich schätze nicht.“ Nun zögert sie doch. „Doktor, sollten Sie jemals irgendetwas brauchen ...“

„Ich weiß. Danke.“

Danach haben sie keine Möglichkeit mehr, sich weiter zu unterhalten, denn die Haustür öffnet sich und Sarek erscheint und der Nebel senkt sich wieder über McCoy herab. Er ist dankbar dafür; der Nebel bedeutet, dass er nicht zu viel fühlt, als er Spock gegenübertritt, als Spock ihn lediglich mit einem angedeuteten Nicken grüßt und als eine der jungen Heilerinnen von fremdartigen Fragmenten spricht, die sich eventuell noch in seinem Geist befinden, und davon, dass weitere Gedankenverschmelzungen nötig sein werden. Er zuckt nicht einmal zusammen, als die Heilerin die Hand nach seinem Gesicht ausstreckt, und dann, danach, ist er so taub, dass er beinahe fällt, als er sich erheben will. Sarek muss ihn stützen; Spock und die Heilerin haben den Raum schon verlassen, beide ohne einen Blick zurück.

„Sie werden sich in wenigen Minuten besser fühlen“, versichert Sarek ihm, während er ihn wieder auf den Stuhl hinab drückt. „Bleiben Sie noch etwas sitzen.“

Er ist bestimmt, aber nicht unfreundlich, und nachdem er von dannen gezogen ist, um McCoy ein Glas Wasser zu holen, erkennt McCoy, dass er beim besten Willen nicht weiß, wie er damit umgehen soll, dass der vulkanische Botschafter ihm gegenüber offenbar fürsorgliche Gefühle hegt.

Wäre Amanda hier gewesen, hätte McCoy sich vermutlich dazu verpflichtet gefühlt, eine höfliche Unterhaltung zu beginnen; doch weil Amanda anderweitig beschäftigt ist und Vulkanier dankenswerterweise nicht viel von Smalltalk halten, bleibt er schweigend sitzen und nippt an seinem Wasser, bis der Nebel sich etwas zurückgezogen hat, und lehnt dann Sareks Angebot, ihn nach Hause – ha! – begleiten zu lassen, ab.

Alles in allem hätte es schlimmer sein können.

~°~

Danach wickelt eine neue Routine ihn in ihre gleichgültigen Fänge. Schlafen, sich zum Essen zwingen, mit seinen Kollegen über Belanglosigkeiten sprechen, Heilungssitzungen mit Sarek und Spock ... irgendwann verschwimmen die Tage zu einem Einheitsbrei.

Es wäre vermutlich leichter, wenn er einmal mit Spock alleine sein dürfte, anstatt immerzu den wachsamen Augen der Heilerin ausgesetzt zu sein. Bislang kamen Spock und er nicht dazu, richtig miteinander zu interagieren, aber wenn sie sich einfach einmal unterhalten dürften, anstatt wie Laborspezimen behandelt zu werden ... vielleicht würde es etwas ändern.

Wenigstens wird das Gefühl, jemanden durch den Nebel verfolgen zu müssen, mit jeder Sitzung etwas geringer. Ein bisschen scheint das Ganze doch zu bringen; es ist ein schwacher Trost.

Einfach ist es trotzdem nicht.

„Es ist erstaunlich, dass Ihr menschliches Bewusstsein die Katra-Übertragung so gut verarbeitet hat“, teilt die Heilerin ihm einmal mit; er muss seine ganze Selbstbeherrschung zusammennehmen, um sie nicht auszulachen, weil sie ihn dann vermutlich endgültig in die Irrenanstalt einweisen würden.

Das Einzige, worauf er sich in dieser tristen Routine halbwegs freut, sind seine Gespräche mit Joanna. Sarek hat versprochen, alle Rechnungen für Subraumgespräche zu übernehmen, was McCoy schamlos ausnutzt. So regelmäßig haben seine Tochter und er schon lange nicht mehr von Angesicht zu Angesicht miteinander gesprochen und es tut ihnen beiden gut. Allzu lang dauern die meisten seiner Anrufe allerdings nicht, hauptsächlich weil sie beide alle Themen vermeiden, die schlechte Erinnerungen oder Zukunftsängste hervorrufen könnten. Joanna und ihre Frau erwarten außerdem ihr zweites Kind und Joanna ist zurzeit meistens schlecht, weshalb sie sich nicht so sehr über sein Schicksal aufregt, wie sie es sonst tun würde.

„Ich wünschte, du wärst hier“, sagt sie einmal, und er hat gerade genug Zeit, mit den Schultern zu zucken, bevor die Farbe aus ihren Gesicht weicht, sie hochspringt und mit einer hastigen Entschuldigung in Richtung Badezimmer verschwindet.

„Ich auch“, murmelt er.

~°~

Jim ist neidisch darauf, dass McCoy vermeintlich so viel Zeit mit Spock verbringen darf, während ihm selbst noch geraten wurde, Spock Ruhe und Abstand zu lassen. Er versucht, sich nichts anmerken zu lassen, doch er war schon immer schlecht darin, seine Gefühle vor McCoy zu verbergen. Wenigstens hält er sich zurück und fragt nur selten nach Spock. Damit geht einher, dass er auch nicht die richtigen Worte dafür findet, um McCoy zu fragen, wie es ihm geht, und McCoy weiß nicht, ob er dankbar oder enttäuscht sein soll. Er will nicht über die Heilungssitzungen reden, will nicht einmal über Spocks höfliches Desinteresse und das Gefühl, seziert zu werden, nachdenken; trotzdem wäre es schön zu wissen, dass es jemanden außer Sarek gibt, der sich für ihn interessiert. Natürlich ist es egoistisch und McCoy verflucht sich selbst, weil er sich zu sehr von seinen eigenen Problemen einwickeln lässt, um Jim – Jim, der sein Schiff und seinen Sohn und vermutlich seine Karriere verloren hat – der Freund zu sein, den er verdient.

Während eines Frühstücks, bei dem McCoy ruhiger ist als sonst, weil er von Orten und Personen geträumt hat, die ganz sicher real sind, nur nicht für ihn, und nicht genug Energie hat, um seine übliche Fassade emporzuziehen, fragt Jim ihn doch, wie es ihm geht.

„Geht schon“, antwortet McCoy, und weil er ein Meister im Ausweichen ist, fragt er zurück: „Und dir?“

„Wird schon“, erwidert Jim, während am anderen Ende des Tisches Sulu und Chekov über den Ursprung irgendeiner Redewendung diskutieren, Uhura den Disput mit leidender Miene verfolgt und Scotty in eine technische Zeitschrift vertieft ist. „Es muss ja.“

Das bringt McCoy zum Lächeln, wenn auch nur schwach. Er trinkt einen Schluck Kaffee und wünscht sich sofort, er hätte es nicht getan, weil sämtlicher Kaffee seit der Katra-Sache zu bitter schmeckt, egal wie viel Milch und Zucker er hineinkippt, und ihn das nur daran erinnert, dass er etwas Wichtiges verloren hat.

„Wir sind alle ziemlich verkorkst, oder?“

Jim lächelt nicht und McCoy weiß, dass er an David denkt und an Carol und an die Enterprise, die einem feurigen Komet gleich in der Atmosphäre des Genesis-Planeten verglüht. „Aber es war es wert“, sagt Jim leise.

Ja. Es war die Sache wert. Obwohl der Nebel ihn in dieser Nacht wieder umschließt und er erneut von Dingen träumt, die einem anderen passiert sind, weiß McCoy mit uralter Gewissheit, dass er für seine Freude wieder und wieder durch die Hölle gehen würde.

~°~

Sarek und Amanda laden sie ein paarmal zum Essen ein, nachdem beschlossen wurde, dass Spock sich langsam wieder an die Anwesenheit neuer Personen gewöhnen muss. McCoy lehnt jedes Mal ab; er lügt nicht einmal, wenn er behauptet, dass er zu erschöpft dafür ist. Auch Jim sagt ab. McCoy weiß nicht, ob er es aus Solidarität zu ihm tut oder weil es für ihn trotz allem noch zu schmerzhaft ist, mit Spock – einem fremden Spock – in einem Raum zu sein, und er fragt nicht nach. Letztendlich nehmen nur Scotty und Uhura die Einladung an. Sie kommen zurück mit einem Behälter voller selbstgebackener Muffins und der Versicherung, dass sie alle sich jederzeit bei Amanda melden können, wenn sie etwas benötigen, und das ist ungefähr das Beste, was McCoy in der letzten Woche passiert ist.

Er kommt sich nutzlos vor. Die Wahrheit lässt sich nicht in beschönigende Worte kleiden – nicht wenn ihm sein Leben mit jedem Tag inhaltsloser erscheint. Arzt zu sein, ist vielleicht das Einzige, was er gut kann, und er kann es hier nicht ausleben, weil sie alle immer noch vom Dienst suspendiert sind und keine vulkanische Klinik sich mir nichts, dir nichts einen Fremden ins Haus holen würde, der neuerdings eine verstörende Neigung dazu zeigt, gedanklich abzuschweifen.

Als er versucht, Scotty bei seinen Arbeiten an ihrem klingonischen Schiff zu unterstützen, wird er umstandslos weggeschickt mit der Begründung, dass schon zu viele unfähige Hände Scottys Pläne vermurksen würden, und viele andere Beschäftigungen gibt es in ihrem neuen Heim nicht. Die wenigen verfügbaren Optionen reizen ihn nicht.

McCoy gibt sich Mühe, seinen Kollegen als Berater und als Psychologe zur Verfügung zu stehen, doch wie sich herausstellt, brauchen sie ihn nicht, was einerseits eine Erleichterung und andererseits eine Enttäuschung darstellt. Wieso kommen die anderen so viel besser klar als er? Wieso nicht er? Was macht er falsch? Und wer ist die Person, die er durch den Nebel verfolgt hat, wirklich?

Von dem Wissen, dass keiner der anderen eine fremde Katra getragen hat, lassen sich die Gedankenspiralen nicht beeindrucken, ebenso wenig wie von der Tatsache, dass all das Verpasste auf der Erde – Uhuras Dozentenstelle und Sulus Tochter und Chekovs geplante Russlandreise – nicht seine Schuld ist. Die anderen haben ihre Meuterei auch für ihn begangen. Er weiß, dass sie es auch für ihn getan haben, auch wenn in ihren Gesprächen die Sprache immer nur auf Spock kommt.

„Sie wirken unglücklich“, sagt Saavik zu ihm, als er sie einmal zufällig wieder vor Sareks Haus trifft.

„Ich schätze, ich hab Heimweh“ , antwortet er zu seiner eigenen Überraschung. Ihr gegenüber ist es leicht, offen zu sein, vermutlich weil sie ihn an Joanna erinnert.

Dass er seine Tochter vermisst und seine Enkeltochter und das Gefühl, klar denken zu können und ohne jeden Zweifel zu wissen, wer er ist, sagt er nicht, aber sie scheint ihn auch so zu verstehen, denn sie geht nicht weiter auf das Thema ein. Sie sieht ihn nur auf eine Weise an, die vermuten lässt, dass sie etwas im Schilde führt, und er will gar nicht wissen, was.

~°~

Nach der folgenden Besprechung mit der Heilerin – inzwischen geht es nicht mehr um eventuelle Nachwirkungen bei ihm, sondern nur noch um Spock und seine Fortschritte – ist er so erschöpft, dass er einfach sitzen bleibt, obwohl alle anderen den Raum verlassen haben. Er stützt den Kopf in die Hände und wippt ein wenig vor und zurück und zählt wieder seine Atemzüge. Als er bei Achtundfünfzig angekommen ist, spricht ihn eine zu vertraute Stimme von der Seite an.

„Doktor?“

Er reißt den Kopf hoch. Da steht Spock, so fremd wirkend in seiner hellen Robe, und betrachtet ihn auf eine Weise, die man fast als Besorgnis interpretieren könnte.

„Geht es Ihnen gut?“, fragt Spock.

Plötzlich ist McCoy wieder im Maschinenraum der Enterprise und sieht hilflos zu, wie Spock in einen Strahl aus gleißendem Licht greift, und im nächsten Moment steht er vor T’Lar und fühlt, wie ihm ein Teil seiner selbst entrissen wird, und er stellt fest, dass er keine Worte findet. Spock kommt einen Schritt näher. „Doktor ...“

Was immer er tun oder sagen will, spielt keine Rolle, denn nun tritt Saavik ein und die Chance ist vertan. „Wenn Sie erlauben, werde ich Sie nach Hause begleiten“, sagt sie.

McCoy ist zu müde, um zu protestieren, zu müde, um sich vor der Sorge in ihren Augen abzuschirmen, und zu müde, um sich auf dem kurzen Heimweg mit ihr zu unterhalten. Wenigstens fragt sie ihn nicht, wie es ihm geht.

~°~

Die nächste Sitzung ist die letzte, wie er unvermittelt erfährt; er kann nicht behaupten, übermäßig traurig darüber zu sein. Nie wieder wird er einen Vulkanier in seinem Kopf herumschrauben lassen, das schwört er sich.

Nachdem die Heilerin fertig mit ihnen ist und gemeinsam mit Spock und Sarek den Raum verlassen hat, um wichtige vulkanische Dinge zu besprechen, hält das Schicksal eine weitere Überraschung für McCoy bereit: Amanda tritt ein, lächelt ihn auf herzzerreißend offene Weise an und fragt: „Möchten Sie mich kurz begleiten?“

McCoy stellt fest, dass er das tatsächlich möchte. Er mochte Amanda, seit er sie auf der Reise nach Babel kennengelernt hat, damals in einem anderen Leben; sie erinnert ihn an seine Mutter, weshalb er ihr quer durch das Haus und dann in einen kleinen Garten folgt, in dem Rosen dem vulkanischen Klima trotzen. McCoy kann nicht anders, als andächtig über eines der Blütenblätter zu streichen. Irgendwie hat Amanda es geschafft, sich hier in der Fremde ein Stück irdische Heimat zu bewahren.

„Ich kümmere mich selbst um sie“, sagt sie, als hätte sie seine Gedanken gelesen. „Sie brauchen höllisch viel Wasser, aber das ist es wert, finden Sie nicht?“

Er nickt. Hier, inmitten der Blüten, kommt ihm die Hitze Vulkans zum ersten Mal nicht so erdrückend vor.

„Ich wollte Ihnen danken, Doktor“, fährt Amanda mit unendlicher Sanftmut fort. „Das war längst überfällig. Was Sie für meinen Sohn getan haben ... Ich weiß, dass es nicht leicht war für Sie.“

Die Blüten scheinen etwas an Leuchtkraft zu verlieren. McCoy zieht seine Hand zurück. „Sie sollten eher Jim danken. Die Sache ist die, ich hab ja nicht wirklich was getan. Ich war einfach nur da.“

Und das ist die Wahrheit, oder? Jim ist der wahre Held. McCoy wurde nur versehentlich in die ganze Sache hineingezogen und hat sein Bestes getan, alles zu ruinieren.

„Sie waren so viel mehr als das und es ist eine Schande, dass Ihnen das nicht klar ist, also werden Sie meinen Dank annehmen, ob Sie wollen oder nicht.“ Sie lächelt dabei und ja, McCoy findet Spock in diesem Lächeln wieder. „Es tut mir leid, dass ich bei Ihren vorherigen Besuchen nie wirklich da war. Ich hoffe, dass Sie auch weiterhin bei uns vorbeischauen werden. Sie werden immer in unserem Haus willkommen sein, Doktor.“

„Leonard“, sagt er spontan, weil sie ihn wirklich an seine Mutter erinnert, aber nicht auf die Art, die Heimweh weckt; eher auf die Art, die Hoffnung weckt.

Sie neigt den Kopf. „Freut mich, Leonard. Ich bin Amanda. Sag mal, woher genau kommst du eigentlich?“

Es ist so leicht, sich mit Amanda zu unterhalten. Wie sich herausstellt, hat sie als Kind oft Urlaub in der Gegend gemacht, in der McCoy aufgewachsen ist, und sie sprechen eine lange Zeit miteinander – über den Ozean, über Leuchttürme und Bootsfahrten und einen Horizont, der so nah ist, dass man ihn fast greifen kann, und seltsamerweise stimmt das McCoy nicht melancholisch, sondern friedlich. Irgendwann ertappt er sich dabei, dass er ihr von Joanna erzählt und von seiner kleinen Enkeltochter, die, wie er neulich erfahren hat, gerade gelernt hat, Schleifen zu binden.

Amanda lacht und sagt: „Du hast Glück, weißt du das?“ – und er weiß, dass sie an Spock denkt und an alles, was fast für immer unwiderruflich verloren gewesen wäre.

Als er sich zum Gehen wendet, schärft sie ihm ein, sich bald wieder bei ihr zu melden, und er verspricht es ihr. Selbst der Gedanke an Spocks geisterhafte Präsenz in diesem Haus hindert ihn nicht daran, sich auf seinen nächsten Besuch zu freuen; und in dieser Nacht träumt er nicht vom heißen Wüstensand Vulkans, sondern vom Atlantik.

~°~

Von da an gelingt es ihm, den Nebel zurückzudrängen, indem er sich vorstellt, durch Amandas Rosengarten zu spazieren. Es hilft mehr, als er für möglich gehalten hätte. Zum ersten Mal seit Wochen spürt er keine Leere in sich, wenn er seine Gespräche mit Joanna beendet, und zum ersten Mal seit Wochen schläft er nachts durch. Die Gestalt im Nebel hat sich bislang nicht mehr blicken lassen und vielleicht ist das besser so.

Ein weiterer kleiner Sieg ist, dass er es endlich schafft, seine Nachricht an Christine zu beenden. Sie antwortet ihm fast sofort. Pass auf dich auf, oder ich werde einen Weg finden, nach Vulkan zu kommen und dir in den Hintern zu treten, schreibt sie. Zum ersten Mal seit Spocks Tod muss McCoy laut lachen, und danach fällt es ihm erstaunlich leicht, über Chekovs Witze zu lachen.

Er vermutet, dass Christine auch mit Uhura spricht, denn Uhura entwickelt ein plötzliches und recht leidenschaftliches Interesse daran, ihn ins Kochen einzuspannen. Es ist Jahre her, dass McCoy mehr als die nötigste Zeit in der Küche verbracht hat, aber er stellt fest, dass er gerne für andere kocht, und er weiß, dass er gut darin ist, also ist es ein Gewinn für alle.

Amanda hat ihm ihre Mailadresse gegeben und er nutzt das schamlos aus. Danke übrigens für die Muffins, schreibt er ihr ein paar Tage später. Die hatten wir alle dringend nötig – nach allem, was Sulu und Chekov hier am Herd fabrizieren.

Ich habe gedacht, ihr alle habt auch ein Stück Heimat nötig, schreibt sie zurück.

Ein Verdacht beschleicht ihn. Hat Saavik mit dir gesprochen? Vor der vorletzen Sitzung?

Ja, schreibt sie. Sie macht sich Sorgen.

McCoy lässt sein PADD sinken und denkt ein wenig darüber nach. Er könnte wütend werden, weil Saavik sich vermeintlich in Dinge einmischt, die sie wenig angehen, oder er könnte gerührt sein, weil mehr Leute als angenommen sich um ihn kümmern.

Er entschließt sich für die zweite Möglichkeit.

~°~

Als Amanda und Sarek sie noch einmal zum Essen einladen, sagt die gesamte Truppe zu. Spock ist nicht da – zu viele Reize sind an diesem Tag nicht gut für ihn, behauptet Sarek –, aber seine Abwesenheit geht einher mit der Hoffnung, dass ihre Mannschaft irgendwann wieder vollständig sein wird. McCoy sitzt zwischen Amanda und Jim an einem Ende des Tisches, und während am anderen Ende eine Diskussion über andorianische Opern entbrennt, sprechen sie über San Francisco und über endlose Maisfelder, durch die der Wind streicht – über Heimat. Jim und Amanda halten sich nicht mit Namensvorschlägen für McCoys erwartetes zweites Enkelkind zurück und schaffen es sogar, dabei ernst zu bleiben.

„Robin ist ein schöner Unisexname“, behauptet Jim. „Oder, falls es ein Junge wird, nach deinem Vater – David.“

Und dann wendet er den Blick ab und sie schweigen eine Weile, bis Amanda vorsichtig nach Jims Neffen fragt. Peter hat soeben seine erste längere Mission auf einem Forschungsschiff der Sternenflotte begonnen und hatte deshalb einen größeren Streit mit Jims Mutter, die nicht will, dass auch ihr Enkel für so lange Zeit in den Untiefen des Weltalls umherstreift.

„Familie ist kompliziert“, sagt Jim mit einem Schulterzucken. Trotzdem sieht er beinahe dankbar aus.

Auch McCoy ist dankbar – für Amandas Lachen und die Art, wie Sarek leidend die Augenbraue hochzieht, als Scotty neben ihm losprustet, und für Uhuras leises Summen und die Brise, die später aufzieht. Der Nebel hat sich in weite Ferne verzogen und die Zukunft ist hell und klar.

„Das war großartig“, urteilt Jim auf dem Heimweg. Er und McCoy haben sich ein wenig zurückfallen lassen und genießen die Kühle der Nacht, die langsam den Kampf gegen die Hitze gewinnt.

„Mhm.“

Unvermittelt bleibt Jim stehen, dreht sich zu McCoy und packt ihn an den Oberarmen. „Bones. Wie geht es dir?“ Bevor McCoy den Mund öffnen kann, fügt er hinzu: „Und diesmal erwarte ich eine ehrliche Antwort.“

McCoy legt den Kopf in den Nacken und schaut zu den Sternen empor, und dann blickt er wieder Jim an, der in der Halbdunkelheit jünger als seit Langem wirkt.

„Mir geht’s gut, Jim“, sagt er.

Es ist die Wahrheit.

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