1. Tora Naprem
Wie bei annähernd allen bajoranischen Kindern endete die Kindheit Naprems mit dem Einzug ihres Vaters zur Zwangsarbeit. Mit einem Mal war Tora Megar mit ihrer vierjährigen Tochter alleine. Megar wusste, dass ihr Mann nicht mehr nach Hause zurückkommen würde und packte eines Nachts alles ein, was sie tragen konnte und bestieg mit ihrem Kind einen Transporter nach Hathon. Sie bezogen in der südlich gelegenen Metropole Bajors eine kleine Wohnung in der Nähe des Raumhafens. Dort fand Megar Arbeit als Loader bei den Frachtschiffen, die Handelswaren nach Bajor brachten und die ausgebeuteten Ressourcen des Planeten nach Cardassia verschifften. Naprem war den ganzen Tag alleine Zuhause, sie versuchte, so gut sie konnte, im Haushalt zu helfen, ihre Mutter zu unterstützen, aber sie war noch ein kleines Kind.
Abends brachte Megar ihrer Tochter lesen, schreiben und rechnen bei. Sie sagte ihrem Kind, dass Bildung so wichtig sei und sie hoffe, dass Naprem eines Tages eine gute und sichere Arbeit finden würde und sie sich alle Träume erfüllen kann.
Als Naprem acht war, konnte sie endlich eine Schule besuchen. Ihre Mutter wurde zur Vorarbeiterin befördert, was mehr Geld und einige Privilegien mit sich brachte, wie einen Platz für ihre Tochter an einer privaten Schule.
Da das Bildungssystem auf Bajor auch von den Cardassianern bestimmt wurde, bestand der Stundenplan aus Kardasi in Wort und Schrift, Cardassianische Literatur, Wirtschaft-, Recht- und Sozialwesen. Weiter erhielt Naprem Unterricht in Mathematik, Physik und Chemie. Als guten Willen wurde den bajoranischen Kindern pro Woche eine Stunde Heimatkunde zugestanden. Diesen Unterricht hielt Vedek Karvon. Einer der wenigen Vedeks, die es noch auf Bajor gab. Sein Unterricht war voller Freude und jeder sehnte den Tag herbei, wenn Vedek Karvon kam und viele der alten Geschichten erzählte. Er lehrte den Kindern alles über die Propheten, dass sie selbst in den dunkelsten Stunden, stets eine wachsame Hand über Bajor halten und einem nie mehr aufbürden, als man selbst ertragen könne. „Die Propheten können nicht ungeschehen machen, was die Cardassianer euch und euren Familien antuen, sie richten auch nicht über Gut und Böse. Sie reichen uns eine Hand, damit wir das Leid besser ertragen können. Sie sind unsere seelische Stütze. Ihr könnt jeder Zeit und an jedem Ort eure Sorgen mit den Propheten teilen, sie werden euch immer zuhören.“ War seine Antwort auf die Frage, warum die Propheten nichts gegen die Besatzungsmacht tun.
Die Klassen waren größtenteils gemischt, jedoch saßen die bajoranischen Schüler in den letzten Bänken und hatten auch einen eigenen, von den cardassianischen Kindern abgetrennten Pausenhof. Da das Kultusministerium den einheimischen Kindern das Lernpensum des eigenen Nachwuchs nicht zutraute, denn sie wurden alle als minderbemittelt betrachtet, endete Naprems Unterricht bereits am frühen Nachmittag. Und wenn sie alle Hausarbeiten erledigt hatte, verbrachte sie jede freie Minute in der Bibliothek der Schule und las jedes Buch, dass sie in die Finger bekam. Naprem war sehr begabt, sie hatte eine schnelle Auffassungsgabe, gutes räumliches Denken und ein außergewöhnlich gutes mathematisches Verständnis. Sie konnte in allen Fächern mit ihren cardassianischen Mitschülern mithalten und hatte einen der besten Notendurchschnitte.
Auch sonst war Naprem anders als die bajoranischen Kinder. Sie war die Einzige die sich mit cardassianischen Schülerinnen anfreundete. Natürlich konnten sie sich nur heimlich treffen. Keiner der vier Mädels hätte jemals die andere mit nach Hause einladen können, sie hätten sich nie nebeneinandersetzen, oder sich zusammen auf der Straße verabreden können. Es war wie ein Geheimbund, sie saßen in den Lesesälen an den ihnen zugewiesenen Plätzen und lasen in den dicken Büchern. Im Vorbeigehen, schoben sich gegenseitig kleine Zettel mit Nachrichten zu, wenn keiner der anderen Studierenden zusah.
Wenn Naprems Mutter Nachtschicht hatte, ließen sich die vier Jugendlichen heimlich in der Schule einschließen. Sie versteckten sich auf dem Dachboden und ratschten die ganze Nacht durch, sie frisierten Naprems schwarzes Haar nach cardassianischer Art und zeichneten ihr mit Makeup die tropfenförmige Wölbung und die Gesichtsgraten auf die Stirn. Dies waren die glücklichsten Momente in Naprems Leben, obwohl sie sich bei all dem Spaß immer bewusst war, mit wem sie sich angefreundet hatte, dass es der Feind war, mit dem sie lachte und spaßte. Sie hasste und bewunderte die Cardassianer gleichermaßen. Als Teenager wurde ihr immer mehr vor Augen geführt, wie stolz, wie erhaben und wie würdevoll die Cardassianer waren. Dies waren Eigenschaften, die ihr Volk unter der Knechtschaft verloren hatte. Die Bajoraner waren ein gebrochenes Volk, nur noch auf überleben aus. Es herrschte untereinander Neid und Missgunst, wenn jemand mehr zu essen hatte, wenn einer ein Kleidungsstück hatte, das nicht zerschlissen war, oder eine Arbeit im Dienste der Besatzungsmacht fand. Diese wenigen privilegierten Bajoraner waren hochnäsig und arrogant geworden und wurden mit Spott und Hass von ihren eigenen Leuten bedacht.
Aus all den alten Büchern, die Naprem aufsaugte, lernte sie von abenteuerlustigen und mutigen Bajoranern, die mit Solarschiffen das Weltall erforschten, sie las von Entdeckern, die in alten Höhlen nach antiken Städten gruben, von einer Welt die in Frieden und Freundschaft lebte, die sich an den Künsten und der Religion erfreuten. Von all dem hatte ihr Volk nichts mehr. Es war nur noch ein grauer Schatten, der untergehenden Sonne, die einst über das lebenslustige Volk lachte. Sie fühlte Scham, wenn sie in den Spiegel sah und eine junge Bajoranerin zurückblickte. Sie wollte auch erhaben und voller Stolz sein und nicht zu einem unterworfenen Volk gehören, dass alles zu vergessen schien, was es einst so groß machte. Und an all dem trugen die Cardassianer Schuld, diejenigen, zu denen sie sich auf eine erschreckende Art hingezogen fühlte.
Waren es doch die Feinde, die ihren Vater vor mittlerweile zwölf Jahren verschleppten, oder heute willkürlich Leute von der Straße zu einem Verhör zerrten.
Als Naprem sechzehn war, erkrankte ihre Mutter an einer Tetastrahlenvergiftung, der sie auf ihrer Arbeit ausgesetzt war. Es war zu spät für eine Impfung, Megar starb binnen weniger Tage einen qualvollen Tod. Ihre Haut löste sich langsam auf, die Schmerzen waren unerträglich, kein Mittel brachte Linderung und so musste Naprem hilflos mit ansehen, wie ihre Mutter dahinsiechte.
Nun war die junge Frau allein. Sie hatte keine Mittel die Schule weiter zu bezahlen, um ihren Abschluss zu machen, so musste sie nun auch Arbeiten. Da sie fließend Kardasi sprach, fand sie in einem Restaurant, welches ausschließlich nur für Cardassianer war, eine Stelle als Bedienung. Zunächst war ihr die permanente Aufdringlichkeit ihrer Gäste unangenehm, aber sie merkte schnell, wenn sie das Spielchen mitspielte, dann flossen die Trinkgelder und da dies ein Restaurant der gehobenen Klasse war und keine billige Kneipe, braucht sie auch nichts befürchten. So flirtete sie mit den Männer, die ihr hin und wieder an den Po fassten oder sie sich zum Nachschenken der Getränke auf den Schoß setzen sollte. Es hätte mich auch schlimmer treffen können, dachte sie jedes Mal, wenn sie am Abend ihr Trinkgeld zählte.
An jedem fünften Abend der Woche traf sich eine Gruppe von Offizieren in dem Lokal. Es waren meistens sechs Männer die sich immer in Naprems Servicebereich setzten und feudal speisten und tranken. Ein großer und dicker Offizier kam zu diesem Treffen dazu, sie kannte ihn, es war Dal Demeck. Er war schon seit gut einem Jahr nicht mehr in dem Lokal gewesen und er wurde von seinen Kollegen lauthals begrüßt, denn sie hatten ihn auch schon länger nicht mehr gesehen.
Als er Platz genommen hatte und Naprem mit der Flasche Kanar zum Einschenken kam, zog er sie sich gleich zur Seite: „Ach, Schätzelein, wie schön, dass du noch hier bist. Endlich wieder unter vertrauten Gesichtern.“ Dabei schmachte er seine Kellnerin an, die aufpassen musste, dass kein Tropfen daneben ging, sonst hätte sie ihn aus ihrer eigenen Tasche bezahlen müssen.
„Wo waren sie solange?“ Fragte sie höflich.
Mit einem Klaps auf den Po gab er sie wieder frei: „Sag bloß, ich habe dir gefehlt?“
Einer aus der Runde erhob sein Glas: „Auf Dal Demeck, dem Rückkehrer von Terok Nor und dem Privatarschkriecher unseres Präfekten und Legaten: Gul Dukat!“
Die Männerrunde lachte laut, dann tranken sie alle ihre Gläser leer, so dass Naprem gleich nachschenken konnte. Dal Demeck begann zu berichten: „Es war ein wirklich spannendes Jahr da oben. Die Erzverarbeitung läuft hervorragend. Ich habe viel gelernt, wie wir hier unten den Uridiumabbau optimieren können und an unserem Präfekten können wir uns alle ein Vorbild nehmen. Wie er die Sache mit dem letzten Anschlag geregelt hat, ist Beispielhaft.“
Jeder hatte davon gehört, es war ein Anschlag der Shakkar-Widerstandzelle, dabei kamen zehn cardassianische Soldaten und fünf Bajoraner ums Leben. Wie durch ein Wunder, wurde der Präfekt nur leichtverletzt, obwohl der Sprengsatz in unmittelbarer Nähe zu ihm explodierte.
„Ist es wahr, dass Dukat daraufhin 50 bajoranische Arbeiter töten ließ?“ Kam aus der Runde.
Demeck nickte: „50 Männer, 23 Frauen und 4 Kinder! Er ließ alle Bajoraner der Station versammeln und dann mussten sie bis zehn durchzählen. Jeder zehnte wurde hingerichtet. Und Dukat beobachtete die Vollstreckung mit eiserne Mine von einer Empore aus. Er hat nur den Befehl gegeben, sonst kein Wort von ihm.“
Mit einem Tablett voller Essen stand Naprem wie versteinert vor dem Tisch und war fassungslos über solch eine Grausamkeit. Da rief der Dicke und riss sie aus der Starre: „Na was ist los, Hübsche. Das Essen hüpft nicht von selber in meinen Mund!“
Die Geschichten über den Präfekten kannte sie, die Cardassianer im Lokal nannten seine Urteile hart aber gerecht, die Bajoraner empfanden den Präfekten als Despoten, der mit eiserner Hand und ohne Gnade regierte. Jeder Bajoraner, der vor ihm stand, überlebt es nicht, wurde erzählt. Oftmals sah sie wie willkürlich Leute ergriffen und andere aus den Transportern zurück auf die Straße geworfen wurden. Die Spuren der Folter konnte man jeden deutlich ansehen, die sie während der Verhöre erlitten. Durch Hörensagen erfuhr sie, wie es den Arbeitern in den Minen oder Häfen erging, endlose Schichten zu unwürdigen Bedingungen und dass es beinahe täglich zu Unfällen komme. Frauen trauten sich nur noch bei Tageslicht nach draußen, sie lebten in ständiger Angst, verschleppt und missbraucht zu werden.
Naprem versuchte das Beste aus ihrer Situation zu machen, das tat sie immer, war freundlich und höflich, sie wusste, dass die Besatzer es schätzten, wenn man sie mit ein wenig Demut begegnete, das fiel den meisten Bajoranern schwer, aber sie gewöhnte sich eine permanente Unterwürfigkeit an. Durch Unterdrückung ihrer eigenen Wünsche, ihres eigenen Wesens blieb sie bisher von allen Repressalien verschont. Da nahm sie es in Kauf, dass sie bei der Arbeit begrabscht wurde und mit den Feinden flirten musste.
Ende Kapitel 1