Historische Anmerkung
die Geschichte spielt im Jahr 2370
Taurik betrat das stille Quartier, das er mit Fähnrich Lavelle teilte. Die Feier in Zehn Vorne war noch in vollem Gange, aber er hatte sich früh zurückgezogen. Die Nachricht über Sito Jaxas Tod lastete schwer auf seinem Geist.
Er setzte sich an den Schreibtisch, der Lichtpegel war auf gedämpft eingestellt. Für einen Moment verharrte er regungslos, dann glitt seine Hand wie von selbst über das LCARS-Interface. Die Subraumverbindung stand wenige Augenblicke später.
Das Gesicht seines Zwillings erschien auf dem Bildschirm – identisch mit dem seinen, und doch nicht gleich.
„Taurik, ich grüße dich“, sagte Vorik ruhig, sein Blick kurz auf etwas außerhalb des Bildes gerichtet.
„Guten Abend, Vorik. Störe ich?“
„Nein. Ich hatte lediglich einen Bericht abgeschlossen.“ Er legte einen PADD zur Seite. „Was veranlasst dich zu diesem ungewöhnlich spontanen Kontakt?“
Taurik zögerte. Für einen Moment sahen sich die Brüder wortlos an. Schließlich sagte er: „Sito Jaxa ist tot.“
Vorik hob leicht eine Braue. „Die Kollegin, von der du des Öfteren berichtet hast. Du hattest eine persönliche Verbindung zu ihr.“
Taurik nickte langsam. „Sie galt als verschollen. Heute wurde bestätigt, dass sie im Dienst ums Leben gekommen ist.“
Vorik verharrte still, als würde er jedes Detail abwägen, bevor er sprach. „Ich nehme Anteil an deinem Verlust.“
„Ich versuche, mich auf die Logik der Umstände zu konzentrieren“, sagte Taurik leise. „Doch der emotionale Widerhall ist… signifikant.“
„Dann ist es nur folgerichtig, dass du ihn anerkennst. Unterdrückung führt selten zu innerem Gleichgewicht.“
Taurik blickte kurz zur Seite, auf das gerahmte Foto auf der Kommode. Die vier Freunde. Sito mit ihrem hellen Lächeln, Lavelle mit hochgezogener Augenbraue, Ogawa in ihrer gewohnten Sanftheit – und er selbst, wie immer neutral. Doch auch er hatte sich glücklich gefühlt, damals.
„Ich war mir nicht bewusst, wie tief sie mich beeinflusst hat. Ihre Anwesenheit… hat eine Lücke hinterlassen.“
Vorik neigte kaum merklich den Kopf. „Verlust verändert uns. Es ist weder unlogisch noch beschämend, Trauer zu empfinden. Besonders, wenn sie aus einer bedeutsamen Bindung hervorgeht.“
Ein leises Summen erfüllte den Hintergrund der Verbindung, doch kein weiteres Geräusch. Nur die Stille zweier Brüder, die einander verstanden – auch ohne viele Worte.
„Ich danke dir“, sagte Taurik schließlich. „Deine Worte... bringen Klarheit.“
„Du musst diesen Weg nicht allein gehen. Ich stehe dir zur Verfügung, wann immer du es wünschst.“
Taurik nickte. „Ich weiß.“
Die Verbindung wurde unterbrochen. Der Bildschirm verdunkelte sich – doch Taurik blieb noch einen Moment sitzen, die Hände auf den Oberschenkeln, den Blick auf das leere Terminal gerichtet. Die Stille im Raum dehnte sich aus, füllte jede Ecke mit dem Gewicht unausgesprochener Gedanken.
Er atmete langsam aus.
Ein Bild drängte sich in sein Bewusstsein: ein Quartier, nur leicht erleuchtet. Der feine Duft von Bajoranischem Weihrauch in der Luft. Zwei Kerzen auf einem kleinen Schrein, daneben ein geschnitzter, goldfarbener Altarstein.
Es war vor einigen Monaten gewesen. Er hatte Sito aufgesucht, weil er in einem Konflikt mit Lavelle nicht weiterwusste. Sie und Ogawa hatten ein Quartier geteilt – ein Ort, den er nie als „privat“ im menschlichen Sinn begriffen hatte, bis er ihn betrat.
Sito war gerade dabei gewesen, das kleine Heiligtum auf ihrem Beistelltisch zu pflegen. Ihre Bewegungen waren ruhig, konzentriert – beinahe wie eine Meditation. Sie hatte nicht einmal überrascht reagiert, als er an der Tür stand.
„Du brauchst etwas“, hatte sie gesagt, bevor er ein Wort sprechen konnte.
Er hatte genickt. Und sich gefragt, wie sie es wusste.
„Setz dich“, hatte sie dann gemeint. „Ich bin gleich fertig.“
Er erinnerte sich, wie er sie beobachtet hatte – wie sorgfältig sie die Kerzen entzündete, das Räucherstäbchen drehte, bis der Rauch in einer feinen Spirale aufstieg.
„Ich glaube nicht an die Propheten“, hatte sie ihm mit einem Seitenblick zugeworfen. „Aber an das, was dieser Ort für mich bedeutet. Manchmal reicht das.“
Er hatte es damals nicht ganz verstanden.
Jetzt vielleicht schon.
Langsam stand Taurik auf. Seine Bewegungen waren präzise, aber nicht mechanisch. Er holte eine kleine Kerze aus dem Schrankfach, stellte sie auf den Tisch, entzündete sie mit einem ruhigen Impuls. Dann noch eine zweite.
Die Flammen warfen zarte Muster an die Wand.
Er setzte sich in den Meditationssitz, schloss die Augen – und begann, seinen Geist zu ordnen.
Draußen glitten die Sterne schweigend vorbei.
Taurik saß im Halbdunkel seines Quartiers, die Beine im Lotossitz verschränkt, die Hände auf den Knien ruhend, die Handflächen nach oben geöffnet. Vor ihm brannte eine einzelne Kerze, deren Flamme ruhig flackerte. Ihr Licht warf tanzende Schatten an die Wand – wie Gedanken, die sich nicht greifen ließen.
Er atmete langsam, kontrolliert. „Fühle nichts. Denke nicht. Atme gleichmäßig.“
Er wiederholte das Mantra in seinem Geist, wie er es seit seiner Kindheit gelernt hatte. Gedanken kamen, wurden erkannt – und gingen wieder. Gefühle hingegen… blieben.
Sito Jaxa. Ihr Lachen. Ihre Stimme. Der Blick, mit dem sie ihn immer zu durchschauen schien.
„Du bist klüger als alle anderen hier, Taurik, aber du nimmst dich viel zu ernst.“
Sie hatte das mit einem neckischen Lächeln gesagt, nachdem er sie beim Kal-toh geschlagen hatte. Zweimal.
Er versuchte, das Bild aus seinem Geist zu vertreiben – doch es kehrte zurück, schärfer noch.
Eine Erinnerung, die sich nicht verdrängen ließ: Er stand mit ihr auf einem Aussichtspunkt auf Vulkan. Der Himmel war rot, die Sonne glühte in der Ferne. Sie trug zivile Kleidung, schlicht, aber nicht ohne Farbe – eine kleine Rebellion gegen den Dresscode der Akademie.
„Ich wollte immer die Sterne sehen“, hatte sie gesagt, „aber nicht so… von Weitem. Ich wollte mittendrin sein. Teil davon.“
„Du bist es geworden“, hatte er geantwortet.
Sie hatte ihn damals angesehen, mit einem Ausdruck, den er nicht einordnen konnte. „Du bist unmöglich, Taurik. Aber ich bin froh, dass du da bist.“
Die Erinnerung war so lebendig, dass er die Wärme ihrer Hand an seiner spüren konnte – sie hatte ihn damals kurz berührt. Nur einen Moment.
Er öffnete die Augen.
Die Kerzen waren zur Hälfte heruntergebrannt. Der Raum war still. Nur das sanfte Summen der Schiffssysteme erinnerte ihn daran, dass er sich an Bord der Enterprise befand, nicht auf Vulkan, nicht mit ihr.
Taurik atmete einmal tief ein. Er hatte versucht, sich von seinen Gefühlen zu lösen. Doch sie waren geblieben.
Langsam löste er seine Sitzhaltung auf, stand auf und trat ans Fenster. Die Sterne draußen zogen in ruhiger Bewegung vorbei – stumm, gleichgültig, ewig.
Und dann, ohne dass er es bemerkte, rann ihm eine einzelne Träne über die Wange. Kein Laut drang über seine Lippen.
Er wischte sie nicht fort.
ENDE