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Lampenfieberschmetterlinge

von MariaMagdalena

Kapitel 1

„Danke. Wir melden uns dann bei Ihnen.” Die füllige Assistentin sieht ihn nicht an, während sie das vernichtende Urteil spricht; sie kritzelt etwas auf ihre Liste und schlägt die Seite um. Der Regisseur selbst ist nicht einmal mehr anwesend; noch bevor Malcolm Leartes’ Monolog zur Hälfte vorgetragen hat, ist der mit seiner Kaffeetasse verschwunden.

Malcolm nickt, lächelt professionell und verschwindet über den Seitenabgang hinter die Bühne, zurück in die Garderobe, wo auf engem Raum vierzig weitere arbeitslose Schauspieler auf ihr Vorsprechen warten. Er wirft sich die Jeansjacke über die Schulter und verlässt das Theater; am Ende des Garderobenflurs ist ein Hinterausgang.

Seit neun Tagen ist er in L.A. Und gerade hat er das elfte Vorsprechen vermasselt. Das heißt, vermasselt hat er es eigentlich nicht. Er hatte von vornherein keine Chance. In Amerika gibt es noch mehr Schauspieler, die ein Engagement an Land ziehen wollen, und alle sind hier, in L.A. In London, da ist er jemand, da kennt man ihn, da hat er einen Namen. Hier fängt er wieder ganz von vorne an, ganz unten, und die verfluchten Regisseure sehen sich nicht einmal an, was er kann! Wütend tritt Malcolm einen Stein in die Gosse.

Steve hat gesagt, er soll das erstbeste Angebot annehmen, das er kriegen kann. Wenn Steve etwas sagt, klingt es immer so einfach. Irgendwas annehmen, Arbeitsvertrag unterschreiben und damit sofort diese Equity Card beantragen. Schon bist du in deren Katalog eingetragen, wirst persönlich zu Castings eingeladen, du kannst dich von vorne bis hinten von Profis beraten lassen, und versichert bist du auch. Sichere Sache. Alles, was du brauchst, ist diese erste Festanstellung, kann irgendwas sein, der letzte Schrott, bloß bezahlt, professionell.

Malcolm steigt in die U-Bahn und sieht missmutig aus dem Fenster. Neun Tage sind nicht viel, aber langsam geht ihm das Geld aus; er ist hierher gekommen, um welches zu verdienen, nicht um seine Ersparnisse aufzubrauchen. Und es sieht nicht so aus, als stünden seine Chancen sonderlich gut. Null von elf ist ein mieser Schnitt, der nicht gerade optimistisch stimmt.

Die Bahn hält, und Malcolm funkelt die zugestiegene Alte böse an, damit sie sich nicht neben ihn setzt. Er zieht den Zettel aus der Hosentasche und liest die Adresse des nächsten Vorsprechens, noch so ein unbekanntes Theater, nicht oben in Hollywood und nicht downtown L.A., sondern dazwischen, ab vom Schuss, in Wilshire, was auch immer das für ein Stadtteil ist. Malcolm streckt die Beine aus und schließt die Augen, entspannt sich willentlich und versucht, der stickigen U-Bahn-Luft um ihn herum Energie zu entziehen und in sich aufzunehmen, damit er dem nächsten Vorsprechen gewachsen ist, der nächsten Erniedrigung.

Zwanzig Minuten später hat die Bahn die Endstation erreicht und eine lange Rolltreppe bringt Malcolm zurück ans Tageslicht und in die frische Frühjahrsluft. Ein Windhauch lässt ihn frösteln; er könnte seine Jacke anziehen, aber das Theater muss hier ganz in der Nähe sein. Und da sieht er es, ein schmales Gebäude, dunkelrot geputzt und mit einem dunkelroten Baldachin über dem Eingang, und er wettet mit sich selbst, dass die Sitze drinnen mit dunkelrotem Plüsch bezogen sind. Malcolm lächelt; dieses Theater sieht ein ganz klein bisschen englisch aus, und plötzlich hat er ein gutes Gefühl, als er auf den stoffüberspannten Eingang zugeht.

~*~

„Du bist auch zum Vorsprechen hier, oder?“ fragt ihn eine junge Frau, Asiatin, hübsch.

Malcolm nickt, sieht sich im Foyer um, betrachtet den plüschigen Teppichboden und die Bistrotische mit den abgewetzten Echtholzplatten. Er sollte es kitschig finden, aber irgendwie gefällt ihm das Ambiente.

„Ich bin Hoshi“, sagt die Frau und reicht ihm die Hand. „Ich hab grad die Rolle der Louise bekommen. Ist schon das dritte Mal, dass ich mit Jon zusammenarbeite.“ Sie sieht ihn an, und weil er nicht versteht, fügt sie hinzu: „Jon Archer, der Regisseur. Du kennst ihn noch nicht?“

Malcolm schüttelt den Kopf, ein wenig betreten, obwohl er dazu keinen Grund hat. „Ich bin neu in L.A.“, erklärt er und stellt sich vor: „Malcolm Reed.

Hoshi lächelt. „Wo kommst du her, Malcolm?“

„England“, antwortet er und versucht, an Hoshi vorbei einen Blick ins Innere des Theaters zu erhaschen. „Wo sind die anderen?“ fragt er. „Wo muss ich mich anmelden?“ Der Tresen im Foyer ist verwaist, außer ihnen ist niemand da.

„Das ist hier nicht so groß“, sagt Hoshi. „Du gehst einfach rein und sagst Jon Bescheid. Wenn keiner vor dir dran ist, kannst du gleich loslegen.“

Malcolm runzelt die Stirn.

„Du sprichst für den Colin vor, oder?“ fragt Hoshi. Offenbar redet sie gerne.

„Ich nehme, was immer ich kriegen kann“, sagt Malcom und zuckt die Schultern.

„Hast du dich nicht stückspezifisch vorbereitet?“ Hoshi zieht die Stirn kraus. „Da legt Jon eigentlich Wert drauf. Dass hier nicht irgendjemand herkommt, sondern nur Leute, die wirklich Interesse am Stück haben.“

Malcolm schluckt. Wieder nichts. „Ich weiß nicht mal, welches Stück hier gespielt werden soll“, gesteht er. „Wie heißt es denn? Vielleicht kenne ich es ja zufällig. Ich hab schon recht viel gespielt, drüben in England.“

„Das Stück heißt ‚Feeling the Same’, ist noch recht neu und unbekannt“, erklärt Hoshi, und Malcolm hat den Eindruck, dass er gerade beträchtlich in ihrer Achtung gesunken ist. „Der Autor heißt Anton Freebert.“

Malcolm schüttelt den Kopf.

„Es geht um einen gescheiterten Lebensentwurf. Die Hauptperson, Nick, ist so der typische Vorzeige-Mittelklassemann: guter Job, Frau, Kind, Hund, Haus, alles bestens. Dann wird er befördert auf eine noch bessere Stelle, und –“ Ein Mann kommt aus dem Theater; Hoshi unterbricht sich und sieht ihn an. „Hey Jon“, sagt sie. „Das ist Malcolm. Er will für Colin vorsprechen. Er kommt aus England und ist neu in L.A.“

Jon lächelt und reicht ihm die Hand. Sein Händedruck ist kräftig und vertrauenerweckend. Er ist groß, gut gebaut, Anfang 40 vielleicht, und er stahlt eine wohlwollende Autorität aus, gebieterisch und freundlich zugleich. Malcolm hat plötzlich das Gefühl, dass er unbedingt mit diesem Menschen zusammenarbeiten möchte.

„Hallo Malcolm“, sagt Jon.

Jon führt ihn durch den Zuschauerraum zur Bühne. „Du kannst gleich loslegen!“ sagt er. In der zweiten Reihe sitzen eine Handvoll Leute; einige unterhalten sich leise, andere nicken ihm zu. Hoshi setzt sich neben Jon in die erste Reihe.

Malcolm ist aufgeregt, viel aufgeregter als sonst; Lampenfieber hat er üblicherweise nur vor der Premiere, selten vor einem Vorsprechen, und es geht doch um nichts. Er hat doch sowieso schon verloren. Er steht vor der Bühne, unsicher, ob er überhaupt hinaufsteigen soll. „Ich… hab mich nicht stückspezifisch vorbereitet“ sagt er und stolpert etwas über den amerikanischen Ausdruck, der in seinem britischen Wortschatz nicht vorkommt. „Hoshi sagte, Sie legen da Wert drauf.“

Jon mustert ihn von oben bis unten. „Ja, eigentlich habe ich das lieber. Aber wir brauchen einen Colin. Also mach mal. Was hast du vorbereitet?“

Malcolm nennt eine ganze Reihe von Stücken und Rollen, die er vortragen könnte, sein Repertoire ist groß, und er hofft, Jon damit beeindrucken zu können.

„Stopp“, sagt Jon, „Leonce und Lena nehm’ ich. Der Valerio, das passt perfekt.“

Und schon steht Malcolm auf der Bühne und redet von erwiderter Liebe, die nicht erwidert sein sollte, weil da eigentlich überhaupt gar nicht geliebt werden sollte, und er gibt alles, auch wenn der Valerio nicht seine Glanzrolle ist, aber er will diesen Job, und er macht seine Sache gut.

Als Malcolm verstummt, weil Valerio mit seinem Latein am Ende ist, sieht er herunter in den Zuschauerraum, und die Leute dort unten klatschen.

„Großartig!“ sagt Jon. „Willkommen im Team!“

Malcolm ist so erleichtert, dass er um ein Haar von der Bühnenkante gefallen wäre. „Wo kann ich unterschreiben?“ fragt er, und natürlich ist das ein Scherz, aber Jon sagt: „Trag dich erstmal hier in die Liste ein! Das Offizielle regeln wir die Tage.“

Malcolm nimmt Platz, trägt seinen Namen und seine Telefonnummer in die Liste; die anderen Felder muss er frei lassen, denn bis jetzt hat er weder eine feste Adresse, noch eine Sozialversicherungsnummer.

„Jetzt reden wir über deine Rolle“, sagt Jon und wirft ihm ein gebundenes Heftchen in den Schoß. „Lies das Stück! Ich seh, dass du ein Profi bist, und Professionalismus ist gut. Aber ich sehe auch das Potenzial, das du genau für diese Rolle mitbringst, und das ist perfekt! Wenn du morgen wiederkommst, hast du das Stück gelesen, und zwar komplett. Verstehen wir uns? Du spielst den Nick.“

„Was?!“ fährt ein Mann in der zweiten Sitzreihe auf. Er ist jünger als Jon, etwa so alt wie Malcolm, blond, einer dieser gutaussehenden Amerikaner mit Zahnpastalächeln. Zumindest vermutet Malcolm das, denn von Zahnpastalächeln ist jetzt keine Spur im Gesicht des Blonden; er sieht aufgebracht aus. „Was soll das, Jon?“ fragt er, schimpft er, „Ich spiele den Nick!“

„Komm, Trip, wir reden“, sagt Jon. Er nimmt den Mann am Ellenbogen und führt ihn aus dem Theatersaal.

Verunsichert nimmt Malcolm das Heft auf und sieht sich um. „Ich will doch keinem die Rolle wegnehmen“, murmelt er, an niemanden gerichtet.

„Du bist echt gut“, sagt Hoshi, die durch zwei leere Plätze getrennt neben ihm sitzt. „Und Jon hat Recht: Du bist perfekt für die Rolle des Nick. Trip kriegt sich schon wieder ein. Spielt er halt den Colin.“ Sie rutscht zu ihm herüber und reicht ihm die Hand. „Also, Nick. Nett dich kennen zu lernen. Ich bin Louise, deine Frau.“

Malcolm sieht sie an, und sie lächelt so sympathisch, und nun glaubt er doch, das Richtige getan zu haben und auf dem richtigen Weg zu sein.

~*~

Zwei Stunden später ist er wieder in dem kleinen, stickigen Zimmer seines billigen Hostels, und schmeißt das Buch gegen die Wand. Er ist ein Profi, und er kann das spielen, aber er verflucht sich für seine Voreiligkeit, denn das ist kein Stück, mit dem man eine Schauspielerkarriere in einem neuen Land beginnt.

Dann steht er auf und holt das Buch zurück. Er glättet die Eselsohren, die der jähe Sturz einigen Seiten zugefügt hat. Es wird schon dunkel, und bis morgen muss er das Stück gelesen haben.

~*~

Sein Handy klingelt, als er am nächsten Vormittag die lange Rolltreppe der Wilshire/Western Station hinauf fährt. Einen Moment lang hofft er, es wäre eines der anderen Theater, bei denen er vorgesprochen hat, das ihm nun doch eine Rolle anbieten wolle, eine seriöse Rolle, weniger anspruchsvoll und weniger herausfordernd, aber eben doch seriös, aber es ist nur seine Mutter.

„Wie geht es dir?“ fragte sie, und er weiß, dass diese kleine Frage in Wirklichkeit für tausend andere steht, die sie ihm nicht stellen wird.

„Können wir heute Abend reden?“ fragt er.

„Es ist Abend“, bescheidet sie ihm, „Zwei Stunden lang kannst du noch anrufen, dann gehe ich ins Bett.“

„Hör zu, Mutter“, sagt er. „Ich kann jetzt wirklich nicht.“ Er macht einen großen Schritt von der Rolltreppe und bleibt am Eingang der U-Bahn-Station stehen.

„Hast du eine Anstellung?“ fragt sie.

Malcolm unterdrückt ein Seufzen. „Ja, Mutter, habe ich. Deshalb muss ich jetzt auch Schluss machen. Ich muss arbeiten.“

„Das ist gut, mein Junge“, sagt sie, und sie verabschieden sich. Einen Moment lang schließt Malcolm die Augen und lehnt die Stirn gegen eine kühle Anschlagtafel, die Rollschuhfahren und Übernachten auf dem Bahnsteig verbietet. Dann geht er weiter, um die rechtwinklige Straßenecke, die wie alles hier wirklich außerordentlich rechtwinklig ist, und dann geht er auf den roten Baldachin zu, hinter dem er gleich mit den Proben zu einem Stück beginnen wird, das er sich niemals ausgesucht hätte, wenn er nicht verflucht noch mal darauf angewiesen wäre, das erstbeste Engagement anzunehmen, das er kriegen kann.

~*~

„Ich will, dass ihr euch erst mal in die Rollen findet“, sagt Jon.

Vier Tage haben sie das Stück besprochen, über die Motive der Charaktere geredet, die Darstellbarkeit und viel Theorie. Malcolm geht gerne theoretisch an seine Stücke heran, wenn er es auch meist für sich allein tut und nicht gut darüber reden kann, aber Jon fragt ihn oft nach seiner Meinung, und dann redet Malcolm doch, und Jon sagt: „Sehr gut, Malcolm, großartig.“ Dann ist Malcolm froh, dass er in diesem Ensemble gelandet ist und mit diesem wunderbaren Regisseur zusammen arbeitet, und auch das Stück findet er gut. Es hat eine tolle Aussage, die klar und strukturiert rübergebracht wird und am Ende dennoch überrascht. Manchmal vergisst er, warum seine Rolle so kompliziert ist und findet sie einfach herausfordernd, und er ist froh, dass er den Nick spielt. Nicht, weil das die Hauptrolle, sondern weil es ein so vielschichtiger Charakter ist, viel besser als der Colin, der doch eher eindimensional bleibt. Eine interessantere Rolle hätte er sich kaum wünschen können.

Dann fällt ihm wieder ein, dass ihm diese möglicherweise von nun an bis in Ewigkeit aufs Butterbrot geschmiert wird, denn das hier ist Amerika, nicht England, wo man Homosexualität als eine von tausend möglichen schrulligen Eigenheiten akzeptiert und nicht weiter betrachtet. Und seine Freunde zu Hause und die alten Kollegen, die neidischen, werden sagen: „Der Reed, ja, der ist rüber gegangen in die Staaten, der spielt da jetzt, was war das noch, Travestie oder so was ähnliches.“

Aber jetzt sagt Jon: „Ich will, dass ihr euch erst mal in die Rollen findet“, und jetzt wird es ernst, jetzt steht Malcolm auf von dem rotgeplüschten Polstersessel im Foyer und geht hinein in den Saal und auf die Bühne.

Jon hat ein eigenwilliges Regiekonzept. „Wir improvisieren“, sagt er, und Hoshi und Phlox nicken, denn sie wissen schon, wie Jon arbeitet.

„Ich nehme an, wir warten mal wieder auf die U-Bahn?“ fragt Phlox.

Malcolm sieht seinen Kollegen an und runzelt die Stirn. Phlox ist auf Barbados geboren, sagt er einmal, und ein anderes Mal sagt er, er käme aus Nicaragua. Eigentlich sieht er überhaupt nicht aus wie jemand aus der Karibik, egal von welcher Seite, nur sehr, sehr fremdländisch, aber das ist völlig egal, denn er ist ein netter Kerl, der sie alle zum Lachen bringt.

„Ja, wunderbar, die U-Bahn“, sagt Jon und nickt. „7th Street, Rushhour. Die Bühne ist der Bahnsteig. Ihr seid in der Rolle.“

Malcolm steht schon oben und sieht zu, wie seine Kollegen auf die Bühne klettern. Travis springt aus dem Stand den guten Meter auf das Podium und schenkt ihm ein breites Lächeln. Malcolm mag ihn, alle mögen ihn, aber er ist ein wenig verunsichert durch Travis’ unbekümmerte Herzlichkeit und dessen jugendlichen Enthusiasmus, den er seinem ersten professionellen Engagement entgegenbringt. Der junge Schwarze nickt ihm aufmunternd zu und holt eine imaginäre Zeitung aus seinem ebenfalls nicht vorhandenen Rucksack. Die schlägt er auf, pfeift dabei ein kleines Lied, und Malcolm besinnt sich aufs Spielen. Er steht aufrecht und gerade da, und er bemerkt, dass er seine Haltung nicht verändern muss, um Nick zu werden. Er schaut auf die Uhr, dann sieht er dem leeren Schienenstrang entgegen, und er weiß, dass Nick in Gedanken im Büro ist. Seinem neuen Büro, eine Etage weiter oben, in einem Büro, das er nur noch mit einem weiteren Kollegen teilen muss: Colin.

Malcolm sieht sich um und sucht Trip in der Menschenmenge hier am Bahnsteig, die ja doch nur aus fünf Schauspielern besteht. Er weiß, Nick würde das nicht tun, er würde seinen Kollegen nicht am Metro Center erwarten. Aber Malcolm sucht auch nicht nach Colin, er will Trip sehen. Nur ganz kurz will er sich vergewissern, dass diese Sache machbar ist. Und da steht er, guckt leicht griesgrämig aus der Wäsche. Das könnte die recht überzeugende Darstellung eines Morgenmuffels sein, den die Pendlerflut um ihn herum anekelt. Andererseits hat Malcolm den Südstaatler selten ohne diesen missmutigen Gesichtsausdruck gesehen, und als er aufsieht und sich ihre Blicke treffen, weiß Malcolm, dass Trip ihm seine Hauptrolle immer noch übel nimmt. Recht hat er, denkt Malcolm, verdient hab ich die Rolle nicht. Aber jetzt hat er sie, Jon hat sie ihm gegeben, und jetzt spielt er sie auch. Und machbar ist die Sache trotzdem, machbar ist alles, wenn man sich nur genug Mühe gibt, gut genug ist. Also starrt er ausdruckslos zurück, bevor er sich darauf besinnt, dass er Nick ist, und dass Jon da unten sitzt und sie beobachtet und gutes Spiel von ihnen erwartet.

~*~

„Das hat Spaß gemacht“, sagt Hoshi später. Sie sind jetzt eine Woche in den Proben und haben noch nicht einen Dialog aus dem Drehbuch gesprochen. Stattdessen haben Nick und Louise heute in ihrer Küche das Abendessen vorbereitet und dabei über Sozialpolitik diskutiert. Malcolm hat herausgefunden, dass Nick ein Freund von Rentenversicherungen und Altersvorsorge ist, und er versteht Jons Standpunkt, dass ihm ein dreidimensionaler Hintergrund in der Rolle hilft. Aber in fünf Wochen ist Premiere, und Malcolm wäre wohler, wenn sie sich langsam dem Stück annähern würden.

Nicht, dass es ihm nicht gefällt, mit einer Frau im trauten Heim Kartoffeln zu kochen. Im Gegenteil, das hat ihm sehr gefallen. Hoshi gefällt ihm sehr. Jetzt geht sie an ihm vorbei, lächelt, und Malcolm fragt sich, ob er vielleicht…

Hoshi geht auf Jon zu, der sich gerade mit seiner Assistentin Pol unterhält, und Jon legt lässig einen Arm um ihre Taille.

Malcolm schaut weg. Ach so, denkt er.

~*~

„Okay, die Pause ist vorbei – an die Arbeit!“ Jon klatscht in die Hände und scheucht seine Schauspieler wie Hühner zurück auf die Bühne.

Seit zwei Wochen arbeiten sie nun an dem Stück, und endlich, endlich nimmt es tatsächlich Gestalt an. Sie proben das Drehbuch jetzt in chronologischer Reihenfolge, und Malcolm ist recht zufrieden mit Nick als treusorgendem Familienvater und Karrieremensch.

Erst als Malcolm den Blick von Pols Rückseite abwendet, wird ihm bewusst, dass er den Großteil der kleinen Kaffeepause über den Hintern der Regieassistentin angesehen hat. Malcolm fühlt, wie ihm die Röte ins Gesicht steigt, und er sieht zu Boden. Schließlich muss er doch wieder aufsehen, denn er sucht den Bühnenaufgang, und prompt begegnet er ihrem abweisenden Blick, der so kalt und emotionslos ist wie ein Gletscher lange vor der Klimaerwärmung.

„Zweiter Akt, erste Szene“, befiehlt Jon. Malcolm unterdrückt den Impuls, sein Textheft zu suchen und darin zu blättern. Jon hält nichts vom Blättern, und Texthefte haben in seiner Welt nur eine Daseinsberechtigung zur theoretischen Stückvorbereitung. Malcolm weiß sowieso, welche Szene es ist, die nun geprobt wird, ohne dass Jon erklärend nachsetzt: „Nicks erster Arbeitstag im neuen Büro.“

Trip lehnt dort, wo Pol und die Jungs vom Bühnenbildbau sich noch einfallen lassen müssen, wie man günstig einen Kaffeeautomaten darstellt. Malcolm analysiert noch einmal Nicks Gefühle, und er weiß, dass Nick seine Unsicherheit am ersten Tag im neuen Job, mit dem neuen Kollegen, mit übermäßiger Förmlichkeit kompensiert. Malcolm sieht Trip in die Augen, obwohl ihm das schwer fällt und er es nur eine Sekunde lang durchhält. Er beschließt, dass Nicks Konzept vielleicht kein schlechtes ist.

Nick geht auf seinen Kollegen zu. Er reicht ihm die Hand und sagt: „Guten Morgen. Nick Feldman.“

Colin nimmt die Hand und schüttelt sie. „Ich kenne Sie doch von den Betriebsversammlungen, Nick. Sie wissen, dass ich Colin Harper bin. Aber schön, Sie endlich persönlich kennenzulernen.“

Im Drehbuch ist von einem ‚warmen Lächeln’ die Rede, aber Malcolm kann in Trips Lächeln keine Spur von Wärme entdecken. Das wird ein richtig schwieriger Job, denkt er, als er sich zu einem förmlichen Lächeln zwingt und dabei Jons enttäuschten Blick im Nacken zu spüren glaubt.

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