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Anschlussmotive

von uena

Kapitel 1

Jim gähnte, streckte sich und legte den Kopf in den Nacken. Sein ganzer Körper fühlte sich schwer an, zerschlagen und ausgelaugt, und er fragte sich, ob das von nun an jeden Abend der Fall sein sollte, oder ob es einfach nur eine selbstverständliche Folge der vergangenen Ereignisse war.
Andererseits hatte sein ganzes bisheriges Leben aus einer haarsträubenden Situation nach der anderen bestanden, und bislang hatte er sich noch nie so gefühlt.

„Geh ins Bett, Jim“, drang Bones’ ruhige Stimme an seinen überstrapazierten Geist. „Du brauchst eine Pause.“

Der Doktor stand neben ihm am Sofa, packte Hypospray und Trikorder zurück in seine Tasche und richtete sich auf.

„Ist das deine Meinung als Arzt oder als Freund?“ erwiderte Jim gedämpft, hob den Kopf und blinzelte Bones durch den abgedunkelten Raum hindurch zu.

„Beides“, war die selbstverständliche Erwiderung, und Jim schaffte ein müdes Lächeln.

Bones erwiderte seinen Blick einen Moment lang schweigend, dann ließ er sich neben ihm auf das Sofa sinken und blickte sich stumm um.

Nach einer Weile legte er den Kopf schief, dann schloss er die Augen. Er spürte, dass Jim ihn von der Seite ansah.

„Beeindruckendes Quartier“, sagte er leise. Und fügte noch ein wenig leiser hinzu: „Captain.“

Jim entwich ein flatternder Atemzug. Das volle Gewicht dieser Anrede war noch immer nicht zu ihm durchgedrungen. Irgendwie bezweifelte er, dass das jemals der Fall sein würde. Vor etwas mehr als vierundzwanzig Stunden war er noch ein einfacher Kadett gewesen. Ein einfacher Kadett, der kurz davor gestanden hatte, aus der Sternenflotte geschmissen zu werden.

Ein leises Gefühl von Surrealismus stellte sich ein, dem Jim nichts entgegen zu setzen wusste. Einzig Bones’ solider, warmer Körper neben ihm verankerte ihn einigermaßen im Hier und Jetzt. Völlig unbewusst drehte Jim sich seinem Freund auf dem Sofa ein wenig zu.

Ein leiser Laut ertönte, unaufdringlich und melodisch, und Jim brauchte einen Moment, ehe er realisierte, dass es die Türklingel war.

„Herein“, bat er mit einem kaum wahrzunehmenden Unterton von Misstrauen, aber als sich die Tür aufschob, offenbarte sie niemand anders als Spock, und Jim entspannte sich wieder.

„Kommen Sie rein.“

„Captain …“ Der Vulkanier nickte ihm zu, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und betrat das Quartier.

„Was gibt es?“ erkundigte Jim sich freundlich, und Spocks linke Augenbraue erzitterte. Er hatte von James Tiberius Kirk viel zu viel Opposition erfahren, um diesen neuen Umgangston einfach hinnehmen zu können, gemeinsame Rettung der Erde hin oder her. Außerdem hatte er Doktor McCoy entdeckt, der passiv und ohne auch nur einen Hauch von Mimik neben seinem neuen Captain saß.

Seine kurze Bekanntschaft mit McCoy hatte Spock gelehrt, dass der Doktor zu einer Menge fähig war, aber dauerhafte Passivität gehörte nicht dazu. Seiner Meinung nach verfügte McCoy weiterhin über mehr Mimik als ihm von Rechts wegen zustand.

„Ich habe inzwischen von allen Decks Meldung erhalten und hielt es für ratsam, Ihnen einen ausführlichen Bericht abzugeben“, erklärte Spock schlicht und beschloss, die Anwesenheit McCoys als Selbstverständlichkeit hinzunehmen. Er nickte dem CMO knapp zu. Die Stirn des Doktors runzelte sich. Ein leises Gefühl nicht zu leugnenden Triumphs bemächtigte sich Spocks.

Auf Jims Zügen breitete sich stummes Entsetzen aus, er nickte aber. „Selbstverständlich.“

„Spock.“ McCoys Stimme schwankte zwischen Unglauben und Amüsement. „Nicht jetzt. Der Captain braucht seinen Schönheitsschlaf.“

Spocks linke Augenbraue schoss kurz in die Höhe, und er verschränkte die Hände hinter dem Rücken. „Doktor, ich fürchte, diese menschliche Redewendung ist mir unbekannt.“

Er sagte es mit einem leisen Ton von Vorwurf, und Bones runzelte die Stirn. Der Vulkanier mochte ihm eine Menge einreden, aber ganz bestimmt nicht, dass er diese durchaus nachvollziehbare Äußerung nicht verstanden hatte.

„Der Captain“, sagte Bones also mit etwas mehr Schärfe als unbedingt nötig, „ist erschöpft. Sie können Ihren dusseligen Bericht auch immer noch abgeben, wenn er ein wenig geschlafen hat.“

Hinter Spocks sorgfältig ausdruckslos gehaltener Mimik blitzten für einen Sekundenbruchteil Sorge und Verständnis auf. Er hielt die Frage zurück, was der Doktor im Quartier des Captains verloren hatte, wenn besagter Captain so überaus erschöpft war und ins Bett gehörte, nickte knapp und zog sich zurück. Die Tür schloss sich mit einem anklagenden Zusch hinter ihm, und Bones grollte selbstzufrieden.

„Danke“, sagte Jim einfach. Bones zögerte kurz, dann legte er ihm den Arm über die Schultern. „Schon gut. Er hätte dich wahrscheinlich bis zur Besinnungslosigkeit mit Schadensmeldungen und voraussichtlichen Reparaturdauern getriezt. Als dein Arzt konnte ich das auf gar keinen Fall dulden. Außerdem sind wir diesen vermaledeiten Schotten gerade erst losgeworden.“

Jim brummte leise und legte Bones den Kopf auf die Schulter. Stille senkte sich herab.

„Als ich dich an Bord gebracht habe“, sagte Bones plötzlich, „hatte ich eigentlich den Plan, das so geheim wie nur möglich zu halten. Ich glaube, ich habe dir sogar gesagt, dass du dich im Hintergrund halten sollst. Ich hätte wirklich wissen müssen, dass du mir nicht zuhören würdest.“

Jim gluckste amüsiert und rieb seine Wange an Bones’ Uniformoberteil.

„Mach mich nicht für deine Fehlplanung verantwortlich“, murmelte er undeutlich.

Bones blickte mit zärtlicher Belustigung in den Augen auf ihn hinab.

„Muss ich dich jetzt ins Bett bringen?“

„Nhm“, machte Jim. „Bin schon groß. Bin ein Captain.“

„Du sabberst mir auf die Uniform.“

„Tu ich gar nicht.“

Jim öffnete das linke Auge einen Spalt breit und lächelte müde zu Bones hoch.

„Warum hast du mich an Bord gebracht?“

Bones dachte einen Moment lang darüber nach, Jims Blick auszuweichen, entschied sich aber dagegen.

„Weil du sonst ewig geschmollt hättest.“

„Lüge.“ Jim unterdrückte ein Gähnen.

„Weil dein Blick eines verlassenen Welpen einfach nicht zu ertragen war.“

„LÜGE.“

„Die reine Wahrheit. Dein Gesicht sagte ganz deutlich: Ja, geh nur und lass mich hier zurück. Ich komm schon allein klar. Macht mir gar nichts aus, allein zurück zu bleiben. Und ich mach mir auch gar keine Sorgen um dich. Ich bin völlig ruhig und gelassen und stehe keineswegs kurz vor einem Heulkrampf.“

Jim boxte Bones kraftlos in die Seite. „Lüge.“

„Tatsache. Außerdem kenne ich dich viel zu gut und wollte dich in meiner Nähe haben, damit du dich nicht noch tiefer in die Scheiße reitest und in hohem Bogen aus der Sternenflotte geworfen wirst.“

„Nh-hm.“ Jim atmete tief durch. Bones roch nach Erschöpfung und Blut, aber irgendwie noch immer gut. „Hab mich nicht in die Scheiße geritten.“

„Nein, das hast du nicht.“ Bones reckte den Hals und presste Jim einen kurzen, aber deswegen nicht weniger zärtlichen Kuss auf die Stirn. „Du hast uns alle gerettet.“

Jim kämpfte eine Sekunde lang mit dieser neuen, völlig unerwarteten Welle an Realitätsverlust, dann presste er sich mit dem ganzen Körper an Bones. „Gern geschehen.“

Er spürte die Vibration von Bones’ unterdrücktem Lachen in dessen Brust.

„Hättest du vor drei Jahren gedacht, dass wir mal hier landen?“

Jim dachte zurück an sie beide vor drei Jahren, dachte an trotzige Rebellion und geprellte Rippen, an den Geruch von Bourbon und eine Aura müder Resignation und deutete ein Kopfschütteln an.

Bones streichelte ihm über die Schulter. „Komm, du gehörst ins Bett.“

Jim leistete keinen Widerstand, als Bones aufstand und ihn zur Koje des Captains dirigierte. Er ließ sich ins Bett verfrachten und trat sich die Stiefel von den Füßen, hielt Bones jedoch am Ärmel seiner Uniform fest, als er sich wieder aufrichten wollte.

„Bones“, sagte er, und seine Stimme klang merkwürdig hoch. Bones’ rechte Augenbraue setzte unwillkürlich dazu an, sich an ihr ein Beispiel zu nehmen.

„Ist mit deiner Luftröhre alles in Ordnung? Du fistelst.“

Jim vergaß, was er hatte sagen wollen und schlug die Augen voll auf. „Ich tue was?“

„Vergiss es. Was ist los?“

Jim biss sich auf die Unterlippe, und Bones ging neben ihm in die Hocke. „Tut dir was weh?“

Sicher, er hatte Jim einer endlosen Tortur von Scans und Checks unterzogen, aber das musste ja nichts heißen. Maschinen konnten sich irren. Sehr sogar.

„Mir tut alles weh“, erwiderte Jim geistesabwesend und ihm entging, wie sehr die Stirn des Doktors sich daraufhin runzelte. „Aber darum geht es nicht. Bones … warum hast du mich an Bord gebracht?“

Jim sah seinen Freund trocken schlucken und biss sich unwillkürlich auf die Unterlippe.

„Weil ich es wollte“, erwiderte Bones nach einer überdurchschnittlich prägnanten Periode der Stille, und Jims Augenbrauen kräuselten sich in enttäuschtem Unverständnis. „Huh?“

„Weil ich nicht anders konnte?“ setzte sein Freund ein wenig unsicher hinzu, und Jim richtete sich auf die Ellbogen auf, so dass ihre Gesichter auf einer Ebene waren. „Was?“

Er hörte Bones einen leisen Fluch ausstoßen, den er nicht verstand, dann wurde er auf die Matratze zurück gedrückt.

„Schlaf jetzt. Über diesen ganzen Unsinn können wir uns auch später unterhalten.“

Bones wollte sich erheben und stellte fest, dass der Captain erneut seinen Ärmel gepackt hatte.

„Jim.“

Jim packte nur noch fester zu. „Ich will eine Antwort.“

„Ich habe dir eine gegeben. Sogar unterschiedliche Variationen einer Antwort.“

„Ja, aber die haben mir nicht gefallen.“

Das folgende Wettstarren hätte wohlmöglich epische Ausmaße angenommen, wäre Jim nicht so fürchterlich müde und Doktor McCoy nicht gleichermaßen erschöpft gewesen.

Bones gab seine Hockstellung mit einem leisen Seufzen auf und setzte sich neben das Bett auf den Boden, und Jim ließ endlich seinen Ärmel los, damit er sich auf die Seite rollen, und seinen Freund aus großen blauen Augen aufmerksam anblicken konnte.

„Ich weiß nicht, was du von mir erwartest“, brummte Bones bedächtig. „Meine Beweggründe enthalten kaum den Schlüssel zu allen Geheimnissen des Kosmos.“

Das Lächeln, mit dem Jim auf diese Aussage reagierte, war eine Mischung aus vorsichtiger Hoffnung und widerstrebender Resignation.

Bones streckte unwillkürlich die Hand nach ihm aus und strich ihm mit den Fingerspitzen durchs Haar.

„Du bist so fürchterlich jung“, sagte er leise, und hielt den Atem an, als er sah, wie Jim die Augen schloss und sich an seine Hand schmiegte. Ihre Freundschaft war trotz Jims überschwänglicher Art nie eine berührungsintensive gewesen. Es hatte gelegentliches Schulterklopfen gegeben, hastige Umarmungen, ja. Aber Bones hatte gesehen, wie Jim sich anderen gegenüber benahm, hatte festgestellt, dass Jim sich bei ihm immer ein wenig zurück hielt, und war davon ausgegangen, es liege an ihm. An seiner kühlen Aura abweisender Reizbarkeit.

Und in gewisser Hinsicht, so erkannte Doktor McCoy jetzt in einem Moment seltener Klarheit, hatte es tatsächlich an ihm gelegen.

Vielleicht hatte Jim endlich den Punkt erreicht, an dem er sich nicht länger verstellen konnte – vielleicht war er aber auch einfach nur zu erschöpft, um das Schauspiel aufrecht zu erhalten.

Bones zog seine Hand nicht von Jim zurück, ließ sie auf seine Wange gleiten und dort ruhen, und Jim schlug die Augen auf und sah ihn an. Der Ausdruck in ihnen enthielt mehr hoffnungsvolle Unschuld als Bones ihm selbst unter diesen Umständen zugestehen wollte, und der Doktor konnte ein vorwurfsvolles Schnauben nicht zurückhalten, während er sich vorbeugte, und Jim einen entschlossenen Kuss auf die Lippen drückte.

Er hörte das überraschte Japsen, kurz bevor ihre Münder aufeinander trafen, und ignorierte es.

Was er nicht ignorierte, was er nicht ignorieren konnte, war das hilflose Seufzen, mit dem sich Jims Lippen teilten.

Bones grollte leise, nahm Jims Mund mit rücksichtsloser Entschlossenheit in Besitz und küsste ihn, bis er nicht länger das Gefühl hatte, Jim eine gewisse Tatsache unmissverständlich klar machen zu müssen.

Er küsste Jim äußerst beharrlich, um nicht zu sagen unverschämt lange.

Als er sich zurücklehnte, war er atem- und Jim sprachlos. Neben einer gewissen Atemlosigkeit war da aber außerdem ein nicht zu leugnender Ton von Selbstzufriedenheit in Doktor McCoys Stimme, als er fragte: „Was ist mit dieser Variante? Findet die deine Zustimmung?“

Jim konnte nur nicken.


ENDE
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