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Was jeder von euch getan hätte

von Gabi

Kapitel 1

„Na, na, Nerys“, Shakaars Züge wurden von einem Lächeln erhellt, welches ihm jegliches Anrecht auf die Anrede Erster Minister zu nehmen schien und den Jungen zum Vorschein brachte, der er vor so langer Zeit gewesen war. Kira liebte dieses Lächeln.

„Was heißt na, na?“ Sie räkelte sich wohlig auf ihren Bettlaken. Während Shakaar im Bad gewesen war, hatte sie neue aufgelegt, deren Frische und Trockenheit sie nun auf ihrer nackten Haut genoss.

Der erste Mann Bajors lehnte im Türrahmen und zog einen Teil des Stoffs des Bademantels, den er trug, in ihre Richtung. „Der hing doch mit Sicherheit nicht dort, weil du dir gedacht hast, dass unsere heutige Stationsbesichtigung so enden würde ... Und ich hielt dich immer für enthaltsamer ...“

Kira rollte sich auf den Bauch und sah ihn mit einem wehmütigen Lächeln an. „So falsch liegst du nicht, Edon. Der Mantel gehörte Antos ...“

„Vedek Bareil?“ Shakaars Lächeln verließ mit einem Schlag sein Gesicht, um stattdessen Betroffenheit Platz zu machen. „Ich wusste nicht, ich meine...“ er gestikulierte mit der einen Hand ins Badezimmer zurück, mit der anderen an sich hinunter. Es war deutlich, dass er dabei war, den Mantel sofort wieder abzulegen.

„Edon“, Kira lachte kurz auf. Die Verlegenheit des großen Mannes hatte etwas unfreiwillig Komisches an sich. „Komm her und lass den Mantel an. Ich habe keinen Schrein für Bareil gebaut, und du begehst kein Sakrileg, wenn es das ist, was du hier befürchtest.“ Sie rollte ein wenig zur Seite, um ihm Platz zu schaffen. Nachdem er sich zu ihr gesetzt hatte, zog sie sich an seinen Körper und den Bademantel heran, noch immer in der glücklichen Erschöpfung ihres langen Liebesspiels.

Er nahm sie zärtlich in die Arme, bemüht, so wenig ihrer Haut wie möglich der Luft preis zu geben.

„Es tut mir leid, Nerys. Ich wollte nicht deine Gefühle verletzen. Ich wollte den Vedek überhaupt nicht zur Sprache bringen, ich...“

“Es ist wirklich in Ordnung“, versicherte sie ihm. Sie kuschelte ihren Kopf in die Mulde zwischen seinem Hals und dem Brustbein. „Es ist ein Jahr vorbei. Selbst ich trauere nicht ewig - gerade ich sollte es gelernt haben, dass der Tod immer bei mir ist.“

„Das dachte ich mir auch“, Shakaars Zeigefinger strich behutsam eine Träne von Kiras Wange. Er war nicht sicher, ob sich die Bajoranerin überhaupt im Klaren war, dass sie weinte. „Doch Odo meinte, ich solle dich besser in Ruhe lassen, weil du immer noch trauerst.“

„Odo?“ Kiras Gesicht hob sich ein wenig. „Der Liebe! Er ist immer so besorgt um mich...“ Dann wurde ihr der Rest von Shakaars Satz klar. „Du hast mit ihm über mich gesprochen, dass du...?“

Er zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Nun ja, ich meine... er ist der einzige, den ich hier kenne und ich muss gestehen... ich hatte nicht gerade geringe Angst vor einer Zurückweisung. Ich... nun ja, ich gestehe, ich bin es nicht gewohnt, zurückgewiesen zu werden...“

Lachend verpasste sie ihm einen sanften Faustschlag in die Rippen. „Änderst du dich nie?“

„Es ist mein Ernst. Du glaubst mir überhaupt nicht, wie viele Tode ich vorhin vor deiner Quartiertür durchgestanden habe: Was wird sie sagen? Wird sie...? Wird sie nicht...? Hat sie...? Hat sie nicht...? Es war eine Folter!“ Er neigte den Kopf hinunter und küsste sie auf ihren immer noch erhobenen Mund. Die Heftigkeit ihrer Erwiderung wollte ihm versichern, dass die Zeit der Bedenken der Vergangenheit angehörte. Nur zu gerne glaubte Shakaar dieser leidenschaftlichen Erklärung.

Als sie sich nach ewigen Minuten wieder voneinander lösten, schlang er seine Arme noch besitzergreifender um sie. Für den Moment verspürte er keine Lust, sie jemals wieder loszulassen.

Kira ihrerseits genoss die Berührung seines kräftigen Körpers und des Bademantels, dem immer noch der Geruch Bareils anhaftete. Für eine kleine Spanne war ihr pagh wieder vereint mit allem, was ihr lieb und teuer war. Indem sie Shakaar liebte, ehrte sie die Erinnerung an Bareil. Sie wünschte sich, diese beiden mächtigen Männer hätten einander kennengelernt...

„Wusstest du, dass ich ihn kannte?“

Es war, als hätte er in ihren Gedanken gelesen. „Antos?“

Shakaar nickte, sie spürte die Bewegung seines Kinns in ihren Haaren. Kira drückte sich ein wenig von ihm ab, um ihm in die Augen sehen zu können. „Du kanntest Antos?“

„Es ist lange her“, er seufzte ein wenig, während der Blick seiner hellen Augen irgendwo über Kiras Kopf einen Punkt gefunden zu haben schien, an dem die Vergangenheit sich zeigte. „Und es war eine dunkle Episode in unserer Geschichte...“

„Erzähl mir von ihm!“ Kira setzte sich auf. Sie zwang Shakaars Blick wieder in ihr eigenes Gesicht zurück. Als er nicht sofort zu reden begann, setzte sie hinzu. „Bitte, bitte, erzähl mir von ihm.“

Shakaar strich ihr in einem Moment der Liebe eine lose Haarsträhne aus der Stirne. Er hatte Kira noch nie zuvor bitten gehört. Niemals ernstlich. Er sah in ihre Augen und erkannte den Schmerz und den Verlust, der immer noch darin zu lesen war - und er erkannte auch die offene Freude, dass er den Schritt in ihr einsames Leben gewagt hatte, dass er seine Angst vor der eigenen Zurückweisung untergeordnet hatte, um an ihrer Seite zu sein. Denn sie brauchte jemanden, der sie tröstete und bei ihr war - auch wenn sie sich das selbst niemals eingestanden hätte. Shakaar sah all das in ihrem Blick, und er selbst war unendlich froh, dass er den Mut gefunden hatte, sie zu fragen.

Er veränderte seine Position auf dem Bett und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Kira konnte sich so ihrerseits gegen seine Brust lehnen und sie hatte ein wenig Privatsphäre, weil sie ihm nicht in die Augen sah.

„Einen Teil der Geschichte habe ich selbst miterlebt, einen anderen kenne ich nur aus Erzählungen der Mönche“, begann Shakaar leise. „Wir alle haben für Bajor gekämpft, mit Waffen, mit Stolz, für die Sache und auch für uns. Aber ich glaube, Bareil war der einzige, der sich einfach ergeben hat. Wir haben an uns gedacht, an unsere Rache - er nicht...“



Das Land war ungewöhnlich ruhig und friedlich. Der laue Wind strich sanft über das niedrige Gebüsch der Mittelgebirgszone, und das leise Morgenlied einzelner Vögel, die eben vom Schlaf erwacht waren, hatte noch nicht das Volumen angenommen, um das zarte Raschelkonzert der Blätter zu übertönen.

Der junge Shakaar lehnte mit dem Rücken an einem Felsen in der Morgensonne und fragte sich ernstlich, warum die Natur sich diesen unpassenden Frieden für den heutigen Morgen ausgesucht hatte. Es hätte donnern, blitzen und stürmen müssen - ja, das wäre ihm passend erschienen. Doch das Land kümmerte sich nicht um die Belange seiner Bewohner, es lebte nur für sich, so sehr sich der blonde Bajoraner auch das Gegenteil gewünscht hätte. Er liebte das Land - aber er konnte nicht auf Gegenliebe hoffen. Wer waren sie Handvoll Freiheitskämpfer denn schon, dass sie wirklich ins Gewicht fallen sollten? Er streckte seine Rechte aus und berührte den Boden, auf dem sich durch Windverwehungen und abgestorbene Organismen in den Mulden der Felsen ein wenig Erde gebildet hatte, genügend um der anspruchslosen Vegetation der Berge Halt und Nahrung zu versprechen. Ein sanftes Lächeln bildete sich auf seinen Zügen, als er die rotblühende Sukkulente betrachtete, die dort wuchs. Ihre üppige Blüte schien der kargen Umgebung und den Lebensbedingungen Hohn zu sprechen.

„Nein“, flüsterte der junge Mann der Pflanze zu. „Wir sind euch nicht egal, nicht wahr? Ihr zeigt uns, wie man überlebt, wie man der scheinbaren Übermacht an Kälte trotzt. Die Sonne scheint heute nicht, um uns zu verspotten, sondern um uns Kraft zu schenken.“

Er lehnte den Kopf gegen den Felsen zurück und erlaubte seinen Gedanken, wieder zu ihrem eigentlichen Problem zurückzukehren. Shakaar Edon zählte nicht viel mehr als ein Jahr zu den Widerstandskämpfern seiner Heimat. Er hatte die Sense gegen das Schwert getauscht und es gab noch manche Nächte, in denen er sich wünschte, er hätte es nicht getan. Trotz seiner überragenden Körpergröße und muskulösen Gestalt war er im Herzen kein Soldat - und erst recht kein Schlächter. Sein Ziel war es, auf längere Sicht das bedingungslose Morden durch strategische Anschläge zu ersetzen. Es musste einen Weg geben, das Land zurückzuerobern ohne unschuldiges Blut zu vergießen. Für diese Ansicht hatte er von den etablierten Widerstandszellen schon einiges an Spott eingefangen - für sie gab es unter Cardassianern und kollaborierenden Bajoranern nicht eine Seele, die unschuldig war. Doch Shakaar hatte bereits etliche Gefolgsleute um sich sammeln können, die lieber mit dem Kopf kämpften. Und mehr als ein Zellenleiter der angrenzenden Täler und Berge folgte ebenfalls den Vorstellungen des jungen Bajoraners.

Im Augenblick hatten sich Vertreter von fünf Gruppen aus der Umgebung der Dahkur-Provinz hier versammelt. Ein notwendiges Unterfangen, um ihre Aktionen wenigstens ein bisschen koordinieren zu können - aber auch gefährlich, da sie auf diese Weise eine ideale Angriffsfläche für die Besatzer bildeten. Ein gut geführter Überfall würde den Cardassianern die Anführer gleich mehrerer Zellen als Preis bringen. Natürlich wurden diese Treffen stets unter den größtmöglichen Sicherheitsvorkehrungen geplant, doch die Gefahr hing immer in der Luft.

Gestern hatte sie zugeschlagen.

Der Verräter hatte sich in den eigenen Reihen befunden, unverdächtig bis zum Schluss, unvermutet und umso gefährlicher. Wenn es den Cardassianern gelang, die Bajoraner gegeneinander aufzureiben, gab es kaum noch Hoffnung auf einen Sieg. Es war eine bittere Erfahrung gewesen, aber auch eine, aus der Shakaar lernen wollte. Jeder neue Verrat machte ihn erfahrener und vorsichtiger.

Das Land war auf ihrer Seite gewesen - wie stets. Unten auf den Ebenen hatten sie keinerlei Chancen gegen die zahlenmäßig überlegenen Cardassianer, aber in den Bergen waren die Verhältnisse immer noch umgekehrt. Die schweren Kampfpanzer der Cardassianer waren zwar gut geeignet, um im Gefecht zu schützen, aber sie waren nicht elastisch genug, um rasch genug unwegsame Kletterpartien zurückzulegen. Shakaar wunderte sich darüber, dass die Besatzer nicht mittlerweile ihre Uniformen dahingehend geändert hatten, denn es war bekannt, dass sich die Widerstandsgruppen bevorzugt in den unwegsamen Bergen aufhielten. Aber wie an so vielen unsinnigen bürokratischen Vorgängen hielten die Cardassianer auch an ihren Kampfpanzern fest.

Jemand aus seiner Gruppe hatte einmal zynisch bemerkt, dass es wahrscheinlich viel zu viele Behördengänge und Aktenvermerke benötigte, bis die Genehmigung für eine Änderung der Uniform erfolgen konnte. Wahrscheinlich hatte er damit gar nicht so unrecht gehabt.

Sie hatten nicht viele ihrer Leute verloren, Shakaar selbst war beinahe unverletzt aus dem Überfall hervorgegangen, lediglich seine linke Rippenpartie zierte eine lange Verbrennung, die ein verirrter Phaserschuß hervorgerufen hatte. Doch durch den internen Verrat war die Moral in den Gruppen merklich gesunken. Kein Zeichen, nichts hatte zuvor auch nur darauf hingewiesen, dass einer von ihnen zu so etwas fähig gewesen wäre.

Der Verräter hatte den Tag nicht überlebt, dafür hatten sie gesorgt.

Und was noch schwerer zählte: es war den Cardassianern gelungen, Ishta Moren in die Hände zu bekommen. Ausgerechnet ihn. Ishta war derjenige, der das Treffen einberufen hatte, derjenige, der wie kein zweiter ihre Ziele und Pläne kannte, ihre Zellenstärken und ihre Rückzugspunkte. Wenn er redete, bedeutete dies einen Rückschlag für die Widerstandsgruppen der Dahkur-Provinz, der nicht so einfach wegzustecken war. Natürlich würde Ishta niemals willentlich ihre Geheimnisse preis geben. Doch die Erfahrung hatte auch die stolzesten unter den Bajoranern gelehrt, dass es einen Punkt gab, an welchem der eigene Wille einfach keine Rolle mehr spielte. Und die Cardassianer waren Meister darin, diesen Punkt zu finden und zu verwenden.

Ein Geräusch schreckte Shakaar aus seinen Gedanken auf. Augenblicklich packte er die neben sich liegende Waffe und sprang hinter einen der Felsblöcke in Deckung. Mit Phaser im Anschlag spähte er in Richtung der näherkommenden Schritte. Als er den Mann erkennen konnte, der den Berg hinauf kam, ließ er die Waffe wieder sinken und erhob sich aus seiner Deckung. Mit leichter Befriedigung bemerkte er das kurze Erschrecken seines Gegenübers bei seinem Auftauchen. Shakaar kannte die Berge gut genug, um sich darin fast lautlos zu bewegen - eine Fähigkeit, die notwendig war, wenn man im Widerstand längere Zeit überleben wollte.

Der ankommende Mann war nicht in den Bergen zu Hause, sein Schritt machte dies deutlich. Jetzt war er stehengeblieben und blickte Shakaar offen an. In seinem Blick zeigte sich Vorsicht aber keine Furcht. Der Widerstandskämpfer musterte ihn schweigend. Er war jung, vielleicht ein Jahr jünger als er selbst - viel zu jung für das, was die anderen Gruppenführer planten. Die Augen allerdings waren die richtigen: sehr dunkel und sehr tief. Auch die schwarzbraune Farbe seiner Haare passte. Dennoch...

Shakaar seufzte, trat einen Schritt vor und verneigte sich leicht. „Prylar Bareil?“

Der Angesprochene lächelte ein Lächeln, welches seine Augen nicht ganz erreichte. „Ja, der bin ich. Der Segen der Propheten sei mit dir.“

Shakaar verharrte noch ein wenig in seiner Verneigung, aber als nichts weiter geschah, richtete er sich mit einem fragenden Gesichtsausdruck wieder auf.

Flüchtig lächelten nun auch die Augen. „Dein pagh steht stark vor mir, auch wenn ich nicht dein Ohr zerquetsche...“

Shakaar unterdrückte das Lachen, das sich aus seiner Kehle lösen wollte. So hatte er noch keinen der Geistlichen über die traditionelle Berührung des pagh reden gehört. Doch er musste dem Prylar vor sich im Geiste recht geben: Es war nicht die angenehmste aller Berührungen.

„Folgt mir bitte. Ich bringe Euch zu den anderen.“

Bareil nickte seine Zustimmung und folgte dem Widerstandskämpfer den Rest des Weges schweigend. Shakaar seinerseits verspürte auch nicht das Bedürfnis, ein Gespräch mit dem jungen Mann zu beginnen. Zu fremd war für ihn dessen demütige Opferhaltung, zu unruhig sein eigenes Gewissen. Ob der Prylar überhaupt wusste, auf was er sich da eingelassen hatte?

An ihrem neuen Rückzugsort passierten sie zwei Kontrollen bis sie in den Höhlenraum gelangten, in welchem die übrigen drei Gruppen-Anführer saßen und beratschlagten.

„Ich bringe Euch Prylar Bareil“, rief Shakaar den anderen zu, als er mit dem Geistlichen in den Lichtkreis der Bergbaulampen trat.

„Er ist doch zu jung, Vilga“, bemerkte Gaymed Tosra, einer der Sektionsführer.

Die Angesprochene, Adalan Vilga, schüttelte den Kopf, während sie Bareil mit einer höflichen Geste aufforderte, sich zu ihnen zu setzen. „Prylar, ich danke den Propheten, dass Ihr diese Prüfung auf Euch nehmen wollt. Ich weiß nicht, wie ich mich Euch gegenüber angemessen verhalten soll. Alles, was ich fühle, ist Schuld.“

„Ich wäre nicht gekommen, wäre es nicht aus freien Stücken gewesen“, seine Stimme klang traurig aber gefasst. Shakaar setzte sich ebenfalls in den Kreis und ließ seinen Blick nicht mehr von dem jungen Bajoraner fortwandern. Was musste in ihm vorgehen? Jedem hier war klar, dass ihr Vorhaben ein reiner Akt der Verzweiflung war - weder besonders klug noch besonders durchdacht. Und genau deswegen hofften sie, dass die Cardassianer darauf hereinfielen. Doch ganz gleich, ob es mit Erfolg gekrönt war oder scheitern musste - es bedeutete mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tod, den Tod des Geistlichen. Mit welchem Recht schickten sie den einen Mann in den Tod, um den anderen zu retten? Shakaar schüttelte leicht seinen Kopf. Warum musste der Prylar auch noch so jung sein? Wie er jetzt bei den drei anderen Gruppenführern saß und schweigend ihren Erklärungen lauschte, wirkte er fast zerbrechlich und entsetzlich unschuldig. Shakaar zwang sich mit aller Gewalt, nicht daran zu denken, was die Cardassianer mit ihm machen würden...

„...Ihr seht Ishta Moren sehr ähnlich“, erläuterte Gaymed soeben. „Wenn Ihr auch weitaus jünger als er seid...“

„Was sich mit etwas Schminke verändern lässt“, beharrte Adalan.

„Für die Cardassianer sehen wir ohnehin alle recht ähnlich aus“, erklärte Bareil ruhig.

„Dennoch, Schminke muss sein. Es wird Euch nicht möglich sein, irgendetwas in die Zelle mit hineinzunehmen. Sie müssen jede Möglichkeit ausschließen, dass ihm etwas gebracht werden kann, mit dem er sich selbst umbringt, um seine Folter abzukürzen.... Ihr müsst versuchen, mit der Farbe auf Eurem Gesicht, seines irgendwie herzurichten.“

Bareil schnaubte fast unhörbar. „Wie soll das funktionieren?“

Eine gute Frage, dachte Shakaar. Wie soll überhaupt der gesamte Plan funktionieren? Doch er schwieg und überließ die Angelegenheit den drei älteren Widerstandsführern.

Adalan hielt ihren Blick auf den Höhlenboden gerichtet. „Es muss nur ein wenig die Müdigkeit aus seinem Gesicht heraushalten, damit er dadurch nicht verraten wird. Wenn die Propheten auf unserer Seite sind, dann wird der Hang der Feinde, sich in schlechter Beleuchtung aufzuhalten, diesmal unser großer Vorteil sein.“

„Und es gibt keine Möglichkeit, Ishta Moren durch eine Offensive zu befreien?“ Der Ton, in welchem Bareil dies fragte war nicht hoffnungsvoll oder ängstlich, sondern neutral. Diese Neutralität erschreckte Shakaar ein wenig. Es war der Tonfall eines Mannes, der mit seinem Leben abgeschlossen hatte. Auch er glaubte nicht, dass er wieder lebend dort herauskommen würde. Der Plan der anderen sah vor, Ishta so rasch wie möglich auszutauschen, um den Cardassianern keine Möglichkeit zur ausführlichen Befragung zu geben. Denn die Verstärkung ihrer Sektionen, die sie für einen Angriff benötigten, würde nicht vor heute Abend hier eintreffen. Und das konnte zu spät sein.

„Er ist im Besitz von zu vielen Informationen, jede Minute zählt“, erklärte Gaymed. „Doch Euch werden wir mit Gewalt wieder herausholen. Wenn die Cardassianer merken, dass Ihr nichts wisst, werden sie Euch in Ruhe lassen.“ Es war eine Lüge, an die sich alle im Raum klammerten, um ihr Gewissen zu überzeugen, dass sie das Richtige taten.

Bareil nickte verstehend, doch seine Augen erzählten eine andere Geschichte.


* * *


Shakaar wusste nicht, was ihn dazu getrieben hatte, die Aufgabe zu übernehmen, den Geistlichen in die Nähe des Lagers zu bringen. Er vermutete, dass es eine Art von Schuldbewusstsein war, das ihm vorgaukelte, ihm würde eher vergeben, wenn er bis zum Ende dabei blieb. Der Prylar, der wieder schweigend neben ihm ging, trug nun seine Haube, die nur das Gesicht und die Ohren frei ließ. Er sah verändert mit dieser Haube aus, und auf diese Tatsache setzten die Sektionsführer. Mit Puder und Farbe wirkte sein Gesicht nun eingefallener und älter. In der dämmrigen Beleuchtung der Lagergebäude mochte es vielleicht wirklich funktionieren... Auch seine Augen wirkten älter - dies hatte allerdings nichts mit irgendwelchen äußeren Veränderungen zu tun.

Kurz bevor Shakaar den Prylaren alleine weiterziehen ließ, fasste er ihn am Arm. „Warum macht Ihr das?“

Bareil blickte ihn erstaunt an. Die echte Sorge in Shakaars Gesicht zauberte schließlich ein Lächeln auf seine ansonsten müde wirkenden Züge. Das erste freie Lächeln, das Shakaar bei ihm gesehen hatte - und er war sich sicher, dass es auch das letzte sein würde.

„Wenn Ishta Moren redet, dann ist die gesamte Widerstandsbewegung in dieser Provinz in Gefahr, nicht wahr?“

Shakaar nickte schweigend.

„Für einen erfolgreichen Angriff fehlen euch momentan noch die Kräfte, richtig?“

Shakaar öffnete den Mund, Bareil veranlasste ihn aber mit einer Handbewegung zu schweigen.

„Und ich sehe ihm ähnlich und bin dazu noch im Besitz eines von der Kai autorisierten Zugangsscheins für die Gefangenenlager, um den Beistand der Propheten zu erteilen - ebenfalls richtig?“ Sein Blick hinderte Shakaar abermals daran, etwas zu erwidern.

Stattdessen fand sich der blonde Widerstandskämpfer für kurze Sekunden in diesen Augen gefangen. Sie wirkten so stark, doch er hatte das Gefühl, irgendwo auf ihrem Grund einen kleinen ängstlichen Jungen auszumachen, der die Nacht fürchtete und sich nach Geborgenheit sehnte.

„Also bleibt nur dieser - zugegeben idiotische - Plan. Ich mache nur das, was jeder von euch getan hätte.“ Mit diesen Worten ließ der Prylar Shakaar stehen und trat aus dem Schutz der Hügel auf die Ebene hinaus, die sie von dem cardassianischen Lager trennte.

Der Widerstandskämpfer war für einen kurzen Moment versucht, ihm nachzulaufen, ihn um Verzeihung zu bitten. Doch er blieb wo er war. Stattdessen kniete er auf die Erde hinunter und flüsterte ein stummes Gebet. ...Was jeder von euch getan hätte... Shakaar wusste nur zu gut, dass er selbst niemals die Kraft gefunden hätte, diesen Gang anzutreten.

* * *


Bareil war froh, dass der junge Widerstandskämpfer ihn nun alleine gelassen hatte. Er hatte befürchtet, der blonde Bajoraner würde überhaupt nicht mehr zurückbleiben. Es war so schwer für ihn, Stärke zu zeigen. Und genau das musste er tun, solange ein anderer in der Nähe war. Doch hier auf dieser freien Ebene, alleine mit sich und seinem Schicksal, ließ er die Maske sinken. Endlich durften seine Hände zittern, sein Gang musste nicht mehr so fest und überzeugend sein. Einzig seine Tränen unterdrückte er mit aller ihm zur Verfügung stehenden Macht. Sie hätten die Farbe in seinem Gesicht verwaschen und ihn verraten.

Er hatte Angst, fürchterliche, entsetzliche Angst. Nur die Gewissheit, dass der junge Rebell noch dort stand und ihm nachsah, hielt ihn davon ab, einfach stehen zu bleiben. Bareil hatte nicht um diese Bürde gebeten, doch er hatte sein Gelübde abgelegt, seinen Propheten und seinem Land zu dienen. Er hätte niemals ablehnen können, auch wenn gestern Abend, als der aufgelöste Bote der Rebellen in seinem Kloster erschienen war, alles in ihm „nein“ geschrien hatte. Sie mochten davon sprechen, später das Lager zu erstürmen, doch Bareil glaubte ihren Worten nicht. Nein, er hielt sie nicht für Lügner - sie versuchten selbst an das zu glauben, was sie sagten - doch es war nichts als eine Täuschung. Er wollte weder sich noch den Propheten Schande machen, indem er sich an Trugbilder klammerte.

Um seine Nerven einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen und die dunklen Gedanken zu vertreiben, begann er, seinen Trost in einem monotonen Gebet zu suchen.

Es war vorbei, als er dem ersten Lagerposten seine klösterliche Bewilligung zeigte und sein Anliegen erklärte. Jetzt war kein Platz mehr für Angst und Furcht. Er hatte die Bühne betreten und erst nach seinem Abgang würden die alltäglichen Gefühle wieder zurückkehren. Bareil hatte noch nie in seinem Leben eine solche Angst vor dem Abgang von der Bühne gehabt.

Es war keine Seltenheit, dass bajoranische Geistliche die Gefangenen besuchten. Die Cardassianische Regierung hatte dies ausdrücklich erlaubt, solange sie keinerlei Gegenstände, sondern nur ihren mündlichen Zuspruch mit in die Zellen nahmen. In den Augen der Bevölkerung verschaffte dieses Zugeständnis den Cardassianern einen humanen Zug, von dem sie sich Vorteile für ihre Präfektur versprachen.

Nachdem er die unangenehme Prozedur des Abtastens hinter sich gebracht hatte, fand Bareil sich im Zellengang wieder. Die Anzüglichkeit mancher cardassianischer Soldaten hatte immerhin insofern einen Vorteil, dass sie sein Gesicht nicht weiter dabei beachtet hatten. Jetzt folgte er dem wachhabenden Posten, der die Energiebarrieren zu den Zellen deaktivierte und ihn hineinließ.

Panik begann sich in Bareil einen Weg zu bahnen, als er erkannte, dass die Gefangenen nur sehr wenig Privatsphäre besaßen, die nicht vom Gang aus von den Wachen eingesehen werden konnte. Wie, bei den Propheten, sollte es ihm hier gelingen, mit Ishta Moren die Kleidung zu tauschen? Der Plan der Widerstandsführer kam ihm immer idiotischer vor. Zuvor noch hatte er ihm argwöhnisch gegenübergestanden, weil er so alt und so abgenutzt war. Doch Adalan war der Überzeugung, dass gerade deswegen kein Cardassianer damit rechnete. Aber jetzt, wo er hier stand, war die Aktualität des Planes das kleinste seiner Probleme.

Hatten die Propheten Mitleid mit ihm, dass sie auf diesem Wege sein Leben verschonten? Doch was würde mit Ishta geschehen, wenn er unverrichteter Dinge wieder ging? Was mit dem Widerstand dieser Provinz? Nein, jetzt lag es an ihm alleine, ob er sich hier beweisen würde oder nicht. Er sah eine einzige Möglichkeit, die aber bedeutete, dass er hier einen Bajoraner fand, der ebenfalls das Wohl Bajors über sein eigenes stellte. Es war gefährlich, seine Absichten dem Falschen anzuvertrauen. Wie oft hatte er erleben müssen, was die Lager aus den einst so stolzen Bajoranern gemacht hatten. Wie Neid, Missgunst und Feigheit ihre Brutplätze in den Herzen seines Volkes fanden und nicht zuletzt Verrat, nur um ein klein wenig Licht für sich selbst zu erkaufen...

Mit demütig gesenktem Kopf betrat er die erste Zelle und begann den verzweifelten Versuch, dort Hoffnung zu spenden, wo es keine mehr gab.

Die Einheit umfasste 12 Zellen, 9 davon mit Gefangenen. Bareil hatte den ersten Gefangenen so gewählt, dass Ishta Moren der Vorletzte wäre, den er besuchte. Es war kein Problem gewesen, den Widerstandsführer zu erkennen, Adalan hatte recht gehabt, er sah Bareil ähnlich. Es erschien Bareil nicht weise, Ishta als Letzten aufzusuchen. Er hoffte, weniger Misstrauen zu erregen, wenn der Rebellenführer noch eine Runde in der Rolle des Prylaren machte. Alles in der Hoffnung, dass dann nicht der letzte Gefangene Verdacht schöpfte.

Es gab so viele „Wenn“ und „Aber“... Der junge Geistliche verbarg seine Hände in den Falten seiner Robe, denn ihr Zittern musste ihn früher oder später verraten. Die Frage, wie er nur hier herein geraten konnte, wollte sich in sein Bewusstsein schleichen, doch er ließ es nicht zu. Er war hier, nur das zählte - und das, was er für Bajor machen konnte.

Er hatte die vierte Zelle betreten, als er das Gefühl bekam, dem Insassen sein Leben und das von Ishta Moren anvertrauen zu können. Da war noch Stolz in den Augen der Bajoranerin. Stolz und Hass. Sie betrachtete ihn offenkundig argwöhnisch. Er kannte diesen Blick nur zu gut. Allzu oft hatte er ihn von patriotischen Bajoranern erfahren müssen, die den Orden Kooperation mit den Besatzern vorwarfen. Sie konnten oder wollten nicht sehen, dass die Nichteinmischung der Geistlichen eine lebensnotwendige Zufluchtsstätte schuf - und Selbstmordmissionen wie diese hier überhaupt erst ermöglichte.

„Ich bin gekommen, um mit dir zu den Propheten zu beten“, erklärte er leise, nachdem er sich vor der Frau niedergekniet hatte. Er hatte seinen Körper so platziert, dass das Gesicht der Frau momentan vor dem wartenden Soldaten abgeschirmt wurde.

„Zu den Propheten!“ sie warf den Kopf verächtlich zurück. „Du und deine Propheten habt uns doch erst...“

Bareil unterbrach sie in einem unauffälligen, ruhigen Ton. „Bete jetzt mit mir, denn ich habe dir etwas zu sagen...“

„Etwas zu sagen..? Pah...!“

„Und sei vor allem nicht so laut, weil ich nicht weiß, wie gut die Soldaten Bajoranisch verstehen.“ Bareils Stimme hatte sich nicht verändert, aber sein Blick war drängender geworden. Für den Wachposten in seinem Rücken musste er wie ein Geistlicher wirken, der eine aufgebrachte Bajoranerin vom Wohl des Glaubens überzeugen wollte. Und wahrscheinlich hatte der Cardassianer sein diebisches Vergnügen daran.

Auch wenn die Besatzer sie gewähren ließen, war sich der Prylar der Verachtung bewusst, welche Mitglieder dieser militärischen Rasse ihrem - kindischen, wie sie ihn nannten - Glauben entgegenbrachten. Unter normalen Umständen empfand er nichts weiter als Mitleid für diese Verachtung, für diese Unfähigkeit, Dinge anzunehmen, die nicht mit Messdaten erfasst werden konnten. Aber im Augenblick war er zu sehr damit beschäftigt, seine Angst zu unterdrücken, um für irgendjemanden irgendetwas zu empfinden. Und ein Wachposten, der in ihm einen bemitleidenswerten Geistlichen sah, konnte eigentlich nur von Vorteil sein.

Sein Gegenüber hatte sich mittlerweile von den ernsten Augen überzeugen lassen, dass es hier nicht unbedingt um eine Beichte ging. Sie sah ihn fragend an, doch auf Bareils verzweifelte Gesichtsmimik hin, nahm sie wieder den äußeren Anschein der Skeptikerin an. Während die Frau nun also mit verschränkten Armen an der Wand lehnte, als ginge sie das Ganze nichts an, begann Bareil sein monotones Gebet, in welches er von Zeit zu Zeit Sätze einschmuggelte, die den Grund seines Hierseins erklärten. Er flehte sie an, ihm zu helfen, auch wenn ihr dafür nichts anderes geboten werden konnte, als das Bewusstsein, etwas für Bajor getan zu haben. Die Frau war so gut in ihrem Desinteresse, dass der Prylar nicht erkennen konnte, ob sie ihm überhaupt zuhörte. Und, wenn ja, ob sie ihm helfen wollte.

Schließlich stand er auf, ohne sich noch einmal nach der Frau umzudrehen und trat an die Energiebarriere heran. Das schadenfrohe Grinsen des Cardassianers empfing ihn, als dieser die Verriegelung desaktivierte.

„Na, kein Glück mit den Propheten heute?“

Bareil wusste nicht, ob er ihm darauf antworten sollte. Ob er sich verdächtig machte, wenn er schwieg, oder verdächtig, wenn er eine nichtssagende Antwort gab. Er wusste nicht, ob er seiner Stimme vertrauen konnte, seinen Augen. Jede Faser seines Wesens musste dem Cardassianer doch entgegen schreien: „Er spielt kein ehrliches Spiel.“ Der Soldat musste ihm doch einfach ansehen, dass er nervös und unsicher war.

„Die Propheten lieben jedes ihrer Kinder“, brachte er schließlich mit einem gequälten Lächeln hervor.

„Ja“, lachte der Cardassianer, während er eine die Zellen umfassende Handbewegung machte. „Ich sehe es!“

Das Lachen begleitete den Prylaren noch in die nächste Einheit hinein. Warum konnten die Besatzer nicht den mindesten Anstand zeigen? Wie schwer konnte es denn sein, ein wenig Ehrfurcht zu empfinden? Doch Bareil schalt sich für seine törichten Gedanken, als er zum wiederholten Mal vor einem Bajoraner niederkniete. Hätten die Cardassianer Ehrfurcht gekannt, würde Bajor heute nicht so aussehen. Was konnte er von einem Volk erwarten, welches die Zurückgezogenheit und die Friedensliebe eines Planeten nicht anerkannte und nur dessen Erzvorkommen sah? Als er mit „Propheten, Eure Prüfungen sind hart...“ begann, betete er nicht nur für den verängstigten Gefangenen vor ihm, sondern auch für sich selbst.

Die Zeit verging viel zu rasch. Sehr viel früher als er gehofft hatte stand er vor der Zelle Ishta Morens. Hatte er sich bisher durch die Gebete in eine trügerische Ruhe wiegen können, fiel die Maske nun wieder von ihm ab. Er spürte die Panik körperlich, sein Herz raste in ungesunder Geschwindigkeit, sein Magen schien nicht mehr ihm zu gehören. Propheten! rief er stumm, helft mir! Noch konnte er umkehren, noch konnte er das Schicksal an sich vorbeiziehen lassen. Doch wenn er diese Zelle betreten hatte, würde er das Licht seiner Sonne, Bajors Sonne, niemals wiedersehen. Von dem Moment an, in welchem er seinen Dienst im Kloster angetreten hatte, hatte er als Junge davon geträumt, die Propheten zu ehren und sich ihnen gegen alle finstere Macht als würdig zu erweisen. Jetzt, da er vor dieser Zelle stand, wünschte er sich, er hätte nie geträumt...

Der Cardassianer deaktivierte den Energieschild, und Bareil blieb keine Zeit mehr, sich an Orte zu wünschen, an denen die Sonne schien. Mit einem letzten Atemzug legte er sein Leben in die Hände der Propheten - dann ließ er seinen Passierschein fallen. Mit einer gemurmelten Entschuldigung bückte er sich, um ihn aufzuheben, bevor er schließlich hinter dem Schild verschwand. Es war das Zeichen für die Bajoranerin gewesen, dass er sich nun in der Zielzelle befand. Jetzt würde sich erweisen, ob sie ihn gehört und - noch wichtiger - erhört hatte.

Ishta Moren sah lebhaft aus. Die Verhöre konnten noch nicht weit fortgeschritten sein. Nur an seiner Wange befand sich eine Wunde, die es zu verdecken galt.

Bareil war sich bewusst, dass er keine Zeit verlieren durfte. Unter den Augen des Wachsoldaten kniete er sich zu dem Gefangenen hinunter und zwang seine Stimme dazu, ihn mit keiner Modulation zu verraten.

„Ishta Moren. Adalan schickt mich. Wenn die Propheten uns gewogen sind, dann wird die Wache für kurze Zeit abgelenkt werden. Zieh meine Robe über und lass mich deine Wunde verbergen. Keine Fragen, kein Zögern - Du musst in meiner Rolle, Prylar Bareil, die letzte Zelle besuchen und danach diesen Schein an der Kontrolle vorlegen. Du bist Prylar Bareil...“, er senkte seine Augen und begann zu beten. Er wollte nicht dem Blick des Gefangenen begegnen. Er wollte nicht wissen, ob er erstaunt war, hoffnungsvoll, zweifelnd - er wollte nur, dass es endlich vorüber ging. Da er mit dem Rücken zum Zellenausgang kniete, konnte er die Verschlüsse seiner Robe schon einmal so weit wie möglich lockern.

Es erschien im wie eine Ewigkeit, bis er den empörten Aufschrei der Frau hörte. Jetzt hatte sich das Schicksal selbst in die Hand genommen. Von hier aus gab es keinen Weg zurück. Er hörte das Toben und Zetern der Frau nur wie in Trance, nahm auch die Schritte des Soldaten kaum wahr, der den Platz vor dieser Zelle verließ, um nachzusehen, was passiert war. Seine Finger lösten automatisch die Robe, streiften sie über den Kopf, und dann wurde sie ihm auch schon von Ishta Moren abgenommen. Bareil trug darunter zerlumpte Kleidung, die derjenigen Ishtas nachgeahmt war, wie Adalan und die anderen sie in Erinnerung hatten. Die Hand des Prylar wischte über sein Gesicht, um die Farbe dort abzunehmen. Ishta zuckte nur wenig zusammen, als die Schminke seine offene Wunde berührte.

Bareil blickte ihm nun zum ersten Mal in die Augen. Und was er darin las, war Schmerz, Schmerz um den Prylar selbst, der dieses Opfer auf sich genommen hatte. Und Dankbarkeit dafür. Es war, als wäre Bareil eine Last vom Herzen genommen worden. Er war es wert, Ishta Moren war es wert. Er erkannte die Liebe zu Bajor in den Zügen seines Gegenübers, der Glaube an eine Sache, die größer war als das Individuum. Die Propheten hatten ihm gezeigt, dass er den richtigen Weg gegangen war. Tränen füllten Bareils schwarze Augen, als er seinen Ohrschmuck übergab.

Und noch ehe der Soldat kopfschüttelnd von dem zänkischen Weib zurückkehrte, war es Ishta Moren, welcher kniete und betete.

„Die können nie Ruhe geben“, beschwerte sich der Soldat bei dem Prylaren, als er diesen wieder aus der Zelle hinausließ. Der Geistliche nickte nur verständig, hielt seinen Blick aber weiterhin demütig auf den Boden gerichtet. Die Haube hatte er soweit ins Gesicht gezogen, wie es möglich war ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Dann ging er raschen Schrittes zur letzten Zelle hinüber und wartete geduldig, bis der Cardassianer auch diese öffnete.

In Ishta Morens Zelle blieb ein verängstigter junger Mann zurück, der die Knie bis zur Brust gezogen hatte, und nie mehr aufhören wollte zu beten.

Der Rebellenführer sagte nervös die traditionellen Gebete auf, die er in seiner Kindheit gelernt hatte. Er wusste nicht, was ein Prylar bei einem Gefangenenbesuch an Zuversicht vermittelte oder an Vergebung spendete, doch er hoffte, dass sein Gegenüber dies genauso wenig wusste. Sein Herz schlug bis zum Hals und sein kräftiger Körper war eine einzige angespannte Sehne. Adrenalin pumpte durch seine Venen, jeder Muskel bereit zur Flucht. Ihm war die Chance geschenkt worden zu entkommen und er sollte verflucht sein, wenn er sie nicht nutzte. Mit jahrelang eingeübter scheinbarer Ruhe erhob er sich schließlich wieder und trat an den Energieschild heran.

Der Cardassianer öffnete und sah dann den Bajoraner einen Moment direkt an. Ein leichtes Stirnrunzeln zeigte sich zwischen den Schuppen, welche die Augen umgaben. Dann entspannte sich der Ausdruck wieder und der Soldat schlug dem Prylaren fast freundschaftlich auf die Schulter.

„Für einen Moment dachte ich doch wirklich, du sähest älter aus...“, er lachte wie über einen Witz, den nur er verstand. „Auch kein leichter Job, den Seelentröster zu spielen, nicht wahr?“

Ishtas Blick fixierte weiterhin den Boden, er befürchtete, anders würde ihn das kurze Aufflackern der Furcht in seinen Augen verraten. Doch erwidern durfte er auch nichts. Prylar Bareil hatte sicherlich mit dem Posten gesprochen - der Stimmenunterschied würde sofort auffallen - hier half auch die Dunkelheit des Gefängnisblockes nichts. Also hob er den Blick schließlich doch, um ein mitfühlendes Lächeln anzudeuten.

Der Cardassianer schüttelte den Kopf. „Sehr redselig ist deinesgleichen aber auch nicht. Bist du jetzt fertig hier?“

„Ja“, Ishta sprach das Wort leise genug aus, um seine Stimmfärbung nicht zu verraten. Er kannte die Cardassianer. Wenn er nicht den Mund aufmachte, dann würde der Soldat darin eine willkommene Herausforderung sehen, ihn irgendwie zum Reden zu bringen. Und das konnte er sich im Augenblick beim besten Willen nicht leisten.

„Na bitte, es geht doch!“ Mit sich selbst zufrieden, schob der Wachposten den vermeintlichen Mönch vor sich her dem mehrfach gesicherten Ausgang entgegen. Ishta warf keinen Blick zurück, er hoffte, dass der junge Geistliche, der sich eben für ihn geopfert hatte, auch so auf irgendeine Weise spüren konnte, welche Achtung er vor ihm empfand.

Die letzte Verriegelung schloss sich hinter dem Rebellenführer. Von hier ab kam der leichtere Teil des Weges. Er wandte sich noch einmal um, um sich mit einem Kopfnicken von dem Wachposten zu verabschieden, der auf der anderen Seite der Türe stand. Die Überwachungskameras würden seine Geste sicherlich übertragen. Dann schloss er seine Hand fest um den schmalen elektronischen Passierschein, der ihm die Freiheit versprach.

Der Soldat auf der anderen Seite schüttelte grinsend den Kopf, während er auf seinen Posten zurückkehrte. Die Bajoraner waren irgendwie ein komisches Volk. Auf ihn wirkten sie immer verschüchtert, immer in sich zurückgezogen - von den paar Ausnahmen abgesehen, die hier inhaftiert waren und ihre Strafe durch ihre aufmüpfige Art redlich verdient hatten. Schwäche war etwas, was er verachtete - und sinnloser Widerstand ebenfalls. Nein, diese Bajoraner hatten nichts an sich, was ihn dazu bewegen konnte, sie als gleichberechtigt zu sehen. Sie hatten ihre Chance gehabt, sie hatten sie vertan und jetzt lebten sie eben so, wie es ein schwaches Volk verdiente. Er glaubte nicht an die Erzählungen, dass dieses Volk älter sei als jedes andere in diesem Sektor. Wie hätten diese Leute denn so lange überleben können?

Sein Blick war automatisch über die Zellen gewandert. Der alte Mann saß wie immer ausdruckslos in seiner Ecke und schien die Welt ausgespart zu haben, die zänkische Frau hatte sich nach seiner Zurechtweisung von vorhin beleidigt zurückgezogen und musterte ihn auch jetzt mit unverhohlenem Hass, bei anderen sah er ein klein wenig Frieden in den Gesichtern, hervorgerufen durch die kurze Gegenwart des Geistlichen. Und bei dem Neuen...

Der Soldat trat näher an die Energiebarriere heran. Der Neue hatte sich völlig in eine Ecke verkrochen und den Kopf zwischen die Knie gelegt. Vorher war seine Haltung um einiges stolzer gewesen. Was der Mönch ihm wohl erzählt hatte? Es schien jedenfalls nicht zu seinem Seelenheil beigetragen zu haben. Der Cardassianer hob seine Faust und schlug gegen die Zelleneinfassung.

„Hey! Ist mit dir alles in Ordnung?“ Er musste sicher gehen, dass der Gefangene sich nicht irgendetwas hatte antun können, womit er für die Verhöre unbrauchbar wurde.

Auf den plötzlichen Ruf hin, fuhr der Kopf erschrocken in die Höhe, nur um sofort wieder zwischen den Armen zu versinken. Doch dieser kurze Moment hatte genügt. Überrascht registrierte der Cardassianer den ungewohnten Blick und das verschmierte Gesicht. Die Veränderung in diesem Gefangenen war eindeutig nicht auf ein Gebet zurückzuführen - höchstens auf den Betenden.

„Verstärkung in den Gefängnisblock!“ sprach er hastig in seine Sprechverbindung. „Und haltet den Mönch auf, da stimmt etwas nicht!“

Nein! Bareils Kopf fuhr abermals hoch. Das durfte nicht sein! Propheten, lasst es nicht zu! Noch nicht, es ist zu früh.... Warum war er hochgeschreckt? Warum? Warum? Warum hatte er nicht den Kopf unten behalten können, bis Ishta Moren in Sicherheit war? Bareil hatte versucht, die Zeit, die der Wachsoldat gebraucht hatte, um den Rebellenführer zum Ausgang zu begleiten, dazu zu nutzen, den Rest der Schminke aus seinem Gesicht zu wischen. Doch ohne Spiegel hatte er nicht den geringsten Anhaltspunkt, wie er nun aussah. Er hatte gehofft, keinen Verdacht zu erregen - das war ihm offensichtlich misslungen. Ängstlich kauerte er sich noch weiter in die Ecke der Zelle zurück. Der kalte Blick des Soldaten ging ihm durch alle Knochen. Es war so schwer, vor diesen Augen sein inneres Gleichgewicht zu finden.

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