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Momentaufnahme

von VGer

Momentaufnahme

Die Motivation war enden wollend, der Captain saß mit leerem Blick in seinem Bereitschaftsraum hinterm Schreibtisch und starrte abwechselnd auf die flimmernden Berichte, die er schon zu oft studiert hatte, auf dem Computerbildschirm und auf die von Winterstürmen gebeutelte Marsoberfläche, die aus zehntausend Kilometern Orbitalhöhe erstaunlich friedlich wirkte und in einem unberührt satten Tieforange gegen die endlose Schwärze kontrastierte, vor dem Sichtfenster.

Der Krieg war schon seit Monaten vorüber. Die Kirk war wieder hergerichtet und würde in wenigen Tagen schon im neuen Glanz erstrahlend zu neuen Abenteuern aufbrechen. Funkelnd neu war auch die Mannschaft, denn 72 von ihnen und viele davon Führungsoffiziere waren nicht aus dem Krieg zurückgekehrt und viele andere, über ein Drittel der verbleibenden Mannschaft, hatte beschlossen das Schiff zu verlassen – wohin auch immer, vorzugsweise irgendwohin wo sie nicht ständig an den Krieg erinnert wurden. Einige hatten sich entschieden Zivilisten zu werden, andere hatten sich die Sicherheit eines planetengebundenen Posten ausgesucht, die meisten hatten sich auf andere Schiffe versetzen lassen. Er konnte es ihnen nicht einmal verübeln.

Noch immer schreckte er Nacht für Nacht aus Alpträumen hoch und glaubte, den metallisch grünen Geruch von Blut und Rauch und Phaserfeuer in der Luft schmecken zu können. Noch immer suchte er die Nähe zu jemandem, der nicht mehr da war, und wenn er sich im Bett herumdrehte musste er die Leere umarmen, die sie dort hinterlassen hatte. Noch immer zermarterte er sich Tag für Tag den Kopf darüber, was schiefgelaufen sei, was er falsch gemacht hatte, wieso er verloren hatte – im Krieg und in der Liebe. Ganz normal sei das, sagte der Counselor – der Neue, ein blasser Betazoid namens Solon, denn die gute Xoljani war gefallen, ausgerechnet der Counselor war eins der ersten Opfer der Kämpfe gewesen – doch so recht wollte er sich nicht damit abfinden.

Er schien zu lesen, doch er las nicht wirklich, er klickte sich nur stupide durch die Personalakten seiner neuen Offiziere und bei der neuen Chefpilotin blieb er hängen – Lieutenant Zhevra Th’Erib, eine Andorianerin mit alterslos seriösen Gesichtszügen, versetzt von der U.S.S. Andromeda, viel Erfahrung und noch mehr Zusatzqualifikationen vor allem im Bereich Ingenieurwesen und Astrophysik. Sie war gut, so viel war sicher, und sie würde es nicht leicht haben, soviel war sicherer. Schweren Herzens öffnete er in einem zweiten Fenster die Personalakte seiner Chefpilotin – seiner ehemaligen Chefpilotin, korrigierte er sich sofort – und seufzte als ihr Bild erschien. Er rang sich dazu durch, sie zumindest im Computersystem endgültig zu ersetzen; in seinem Kopf würde das noch länger dauern.

Ein Strom an Offizieren, alten wie neuen, schwirrte durch seinen Bereitschaftsraum um Bericht zu erstatten.



„In Ordnung, Radosta.“, nickte er besonnen, er hatte dem Bericht seiner Sicherheitschefin nur mit einem Ohr zugehört. „Ich vertraue Ihnen und Ihren Leuten, aber seien Sie wachsam und systematisch. Wenn so viele Leute gleichzeitig von Bord gehen und an Bord kommen darf das nicht in Chaos ausarten.“
„Aye, Sir. Wir haben Checkpoints in allen Schleusen und Transporterräumen sowie auf jedem Deck eingerichtet, sowohl von der Sicherheit als auch von der Logistik.“
„Sehr gut. Sagen Sie allen Führungsoffizieren, dass sie sich um 1900 zum Begrüßungsdinner im Salon einfinden sollen, offizieller Dienstantritt für alle ist dann morgen 0700.“

Petrea Radosta nickte fleißig und salutierte aufmerksam, dann zögerte sie kurz obwohl sie sich eindeutig zum Gehen wenden wollte schien sie zu überlegen.

„Ist noch etwas, Lieutenant?“
„Eigentlich, Sir, ja ... ach was, nicht so wichtig, vergessen Sie’s.“
Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern und wollte sich schon zum Gehen wenden, doch der Captain hielt sie auf.
„Offensichtlich doch. Ich merke doch, dass Sie schon seit längerem etwas beschäftigt, also bitte tun sie uns beiden den Gefallen und sagen mir was los ist.“ Mit einer einladenden Handbewegung deutete er auf die Couch. „Sie sind jetzt Führungsoffizier, Lieutenant, Sie müssen nicht vor lauter Respekt vor mir erstarren wie ein grüner Fähnrich. Mich interessiert was Sie zu sagen haben. Um ehrlich zu sein, ich fände es schön wenn wir einander vertrauen und offen und freundschaftlich miteinander umgehen könnten.“
Petrea Radosta saß mit eng zusammengepressten Knien ganz am Rand der Couch und nestelte unbeholfen an der Hülle ihres PADDs. Die peinliche Röte ließ sich nicht aus ihrem Gesicht vertreiben.
„Habe ich die Erlaubnis offen zu sprechen, Sir?“
„Das sagte ich doch gerade.“
„Sir, ich weiß wirklich nicht ob das angemessen ist und ich möchte Ihnen wirklich nicht zu nahe treten. Es geht um nichts dienstliches.“
„Keine Panik. Nur zu.“

Petrea schlug ihre Mappe auf und kramte darin, brachte ein kleines PADD zum Vorschein. Es war schwarz und glänzend, nicht standardmäßig matt und silber wie die der Sternenflotte. Sie drehte es unschlüssig in der Hand hin und her und vermied jeglichen Augenkontakt als sie stotternd weitersprach.

„Ich habe es bei Kates ... das heißt, bei Lieutenant Barclays ... Sachen gefunden, als ich ihren ... Nachlass“ – sie stockte kurz und schmerzhaft – „durchgesehen habe. Es ist ... privat und ich denke, dass Sie es haben sollten, Sir.“
Sie reichte ihm das PADD und Harry wunderte sich.
„Kates Sachen wurden doch ihrer Familie übergeben.“, sagte er verwirrt. „Ich sehe ihre Mutter vermutlich noch einmal bevor wir ablegen, soll ich es ihr dann geben?“
„Nein, Sir. Es ist für Sie. Nur für Sie.“
Harry wunderte sich noch mehr. So sehr er auch überlegte konnte er sich bei bestem Willen nicht vorstellen, dass Kate Barclay ausgerechnet ihm irgendetwas, geschweige denn etwas wirklich persönliches, hinterlassen haben könnte. Er war ihr Captain und ein alter Freund der Familie gewesen, niemals mehr, abseits des Dienstes hatten sie kaum je miteinander zu tun gehabt. Neugierig aktivierte er das PADD, und dann stockte ihm der Atem.

Das PADD enthielt ein Foto – schließlich war Fotografie eins von Kate Barclays liebsten Hobbys gewesen, sie war sogar so etwas wie die inoffizielle Bordfotografin der Kirk gewesen, hatte bei zahlreichen Außenmissionen und Anlässen bildliche Erinnerungen für die Mannschaft angefertigt und mit ihren launigen Kommentaren versehen. Doch dieses Foto war alt und ganz bestimmt keins, das sie je bei einer ihrer beliebten Fotoshows im Holokino hergezeigt hätte.

Harry starrte es entgeistert an und musste mehrmals hörbar schlucken, bevor er seine Fassung wiedererlangte.

„Ich wusste nicht, dass ...“, stammelte er.

Es war ein Foto vom Inaugurationsball der Kirk vor gut zehn Jahren, ein Foto aus besseren Zeiten. Er hatte nicht einmal gewusst, dass es existierte, und er hätte sich keinesfalls in dieser Situation fotografieren lassen, wäre es ihm aufgefallen. Nicht so, weder damals noch später. Es zeigte den Ballsaal, die Tanzfläche mit dem Galaorchester im Hintergrund und die tanzenden Paare im Vordergrund, und es war ganz offensichtlich ein vergrößerter Ausschnitt eines heimlich aus der Hüfte geschossenen Bildes. Er war halb im Profil zu sehen, ein fescher junger Captain in stattlicher Galauniform und mit wesentlich weniger grauen Haaren als jetzt, in seinen Armen eng umschlungen hielt er Maggie Janeway in ihrem frei schwingenden sündigen roten Kleid und mit frech tanzenden Locken; als er es genauer studierte bemerkte er die Zungenspitze zwischen ihren Lippen hervorlugen, ihren keck funkelnden Blick, mit dem sie ihn fixierte, und sein eigenes verträumtes, beinahe schon verliebtes Lächeln. Es war eine Momentaufnahme des absoluten Glücks. Es war eine Erinnerung an bessere Zeiten, die er immer ganz nahe am Herzen getragen hatte – und gerade in den letzten Tagen und Wochen, in denen sich alles verändert hatte, hatte er viel daran denken müssen. Er musste kurz aber heftig blinzeln und berührte ihre zweidimensionale Wange mit sehnsüchtigen Fingerspitzen.

Petrea erstarrte. Sie war von Haus aus ein schüchterner Mensch und vermied direkten Augenkontakt lieber, vor allem mit Vorgesetzten, doch jetzt musste sie den Blick aus ganz anderen Gründen abwenden. Sie kannte den Captain nicht besonders gut, obwohl sie schon fast zehn Jahre unter ihm diente, aber plötzlich hatte sie den Eindruck einen ganz privaten Moment zu stören, so zärtlich und traurig war der Blick, mit dem er das Bild besah – und dabei war es nur ein Bild. Petrea starrte verlegen zu Boden. Sie kannte Maggie seit dem ersten Tag auf der Akademie, und als ihre Mitbewohnerin hatte sie alle, wirklich alle ihrer Eskapaden miterlebt – „Du treibst es wirklich mit allem was eine Libido hat!“, hatte Kate immer gescherzt – und natürlich hatte sie auch davon gewusst, dass sie wahnsinnig wie sie war etwas mit dem Captain am Laufen hatte, denn vorsichtige Diskretion funktionierte unter besten Freundinnen nie so wie erwartet. Und ja, sie hatte geurteilt, verurteilt sogar, hatte sich gewundert und es nie verstanden. Bis jetzt. Maggie hatte immer behauptet, nicht viel von „Herzscheiße“ – wie sie es konsequent augenrollend nannte und sich ebenso konsequent über Petreas ständigen Liebeskummer lustig machte – zu halten, doch es war offensichtlich: Maggie hatte es mit dem Captain nicht nur getrieben. Ob es nun Herzscheiße war oder nicht sei dahingestellt, es war jedenfalls weit mehr als nur Libido im Spiel. Petrea fragte sich insgeheim, ob irgendjemand jemals so einen Blick und so viel Emotion für sie übrig haben würde.

„Vielen Dank, Petrea.“, sagte Harry mit belegter Stimme, und er sah sie direkt und ernsthaft an als er sie zum ersten Mal beim Vornamen nannte. „Sie haben ja keine Ahnung, wie viel mir das bedeutet ...“
„Ich möchte nicht anmaßend oder indiskret sein, und ich weiß, dass ich das eigentlich gar nicht wissen dürfte, aber ... Sie sind nicht allein, Sir, Sie sind nicht der Einzige, der sie sehr vermisst.“, antwortete sie gefasst und plötzlich voller Mitgefühl.
„Schon gut. Um ehrlich zu sein, ich bin froh, dass Sie offen zu mir sind und auch, dass Sie Bescheid wissen ... Sie wissen schon.“ Harry ergriff ihre Hand und drückte sie, kurz und freundschaftlich. „Wir steuern jetzt auf eine ganz neue Ära zu, und es wird bestimmt spannend und großartig werden, aber das heißt nicht, dass wir uns nicht auch an die guten alten Zeiten erinnern dürfen.“
„Das klingt wie etwas, das Maggie sagen würde, Sir.“, lächelte Petrea wehmütig, und plötzlich schien sie sich entspannt zu haben, denn die übervorsichtige Höflichkeit war aus ihrer Stimme verschwunden.
„In der Tat.“, lächelte Harry zurück. „Das passiert mir so oft in letzter Zeit ... Es fällt mir wahrscheinlich genauso schwer wie Ihnen, sich die Kirk und ein Leben ohne sie vorzustellen.“
„Glauben Sie, dass sie je zurückkommen wird?“, fragte Petrea ängstlich.
„Ich hoffe es ... ich hoffe es sehr.“



An diesem Abend hielt er ein festliches Dinner für seinen neuen Führungsstab ab, damit sich alle Offiziere besser kennen lernen konnten, schließlich würden sie jahrelang eng zusammenarbeiten. Als der Cocktail serviert wurde, rief er Commander Nioban, seinen neuen Ersten Offizier, und Lieutenant Radosta, seine Sicherheitschefin, an seine Seite – sie waren zumindest im Führungsstab die letzten beiden, die von seiner alten Mannschaft übrig geblieben waren.

Er sprach einen kurzen und ebenso herzlichen wie melancholischen Toast aus, und alle stießen sie an auf diejenigen, die nicht mehr bei ihnen waren, auf die besten Zeiten und die schlimmsten Zeiten und die Zeiten die noch kommen sollten, wie auch immer sie werden würden.

Allmählich mischte sich neue Hoffnungsfreude unter die Wehmut und die Trauer.



Als er zu Bett ging fiel sein Blick auf den Nachttisch, wo ein kleines schwarzes PADD in einer Halterung stand und das bittersüße Bild umrahmte. Er hätte nie gedacht, dass er so sentimental würde – er wälzte sich zur Seite und betrachtete es mit einem liebevollen Blick und einem melancholischen Seufzen, dann schaltete er das Licht aus. Der Nachgeschmack ihrer Küsse verblasste allmählich auf seinen Lippen, es war der Neubeginn eines Lebens ohne sie.

„Gute Nacht, Maggie.“, flüsterte er heiser in die schlaflose Dunkelheit.
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