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Asche 10 - Trommeln über Razakan

von Gabi , Martina Strobelt

Kapitel 1

Eigentlich hatte sie bereits nicht mehr hier sein wollen. Eigentlich hatte sie vorgehabt, sich an Bord des kleinen Scoutschiffs zu befinden mit Vash als Partnerin, wieder einmal ohne Wurzeln, nur mit dem Ziel vor Augen, das nächste Abenteuer aufzuspüren. Eigentlich …

Sito Jaxa zog ihre Uniform gerade. Anders als die neuste Generation der Sternenflotten-Uniformen, welche eher als lockerer Overall geschnitten waren, hatte der zuständige Witzbold im bajoranischen Militär höchstwahrscheinlich Tauchanzüge als Vorbild für sein Design verwendet. Sito wettete, dass dahinter irgendein raffiniertes Abkommen mit einem Hersteller für Corsagen steckte – oder mit einem für Sportgeräte. Für Knochengerüste wie Colonel Kira mochte es angehen, sich in einen solchen Schlauch zu zwängen, aber sie selbst besaß weitaus weiblichere Formen und fühlte sich in manchen Momenten doch ein wenig zur Schau gestellt.

Nicht, dass sie nichts zu zeigen hätte. Sie hatte erst vor kurzem eine Holoaufzeichnung von sich selbst angefertigt, um sich einmal von allen Seiten in ihrer Uniform betrachten zu können. Was sie da gesehen hatte, war durchaus sexy gewesen. Nur war sexy nicht das Attribut, welches einer Person als erstes durch den Kopf gehen sollte, wenn diese sich mit einem Offizier der Sicherheit konfrontiert sah.

Sito seufzte. Sie strich über das Abzeichen eines Lieutenant 2nd grade, das den Kragen ihrer beigen Uniform zierte. Sie musste sich eingestehen, dass sie doch ein klein wenig stolz darauf war.

Eigentlich hatte sie vorgehabt dem bajoranischen Militär den Rücken zu kehren. Eigentlich hatte sie vorgehabt erneut zu desertieren. Eigentlich …

Der Vorfall mit dem falschen Premierminister hatte sie ein wenig aus der Bahn geworfen. Erst allmählich waren ihr durch die nachfolgenden Gespräche mit Colonel Kira, General Ontkean und Minister Shakaar selbst die Zusammenhänge klar geworden. Sie gehörte nun zu einer kleinen Gruppe von Bajoranern, welche die Wahrheit kannten, die nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte. Bei dem Angebot, dass sie den Rang behalten konnte, den ihr der Doppelgänger verliehen hatte, hatte es sich sicherlich um eine Form von Bestechung gehandelt. Sie hatte anfangs ablehnen und durch ihr Stillschweigen den vorzeitigen Austritt aus dem Militär erkaufen wollen. Doch dann hatte sie sich überreden lassen zu bleiben.

Vielleicht war die Entscheidung gar nicht so schlecht gewesen. Das herumziehende Leben an Vashs Seite hatte eine Zeit lang Spaß gemacht. Doch tief in ihrem Inneren war Sito nicht der Typ, der jede Woche auf einem anderen Planeten erwachen wollte. Ein wenig Sicherheit, ein wenig Routine waren nicht zu verachten. Und da darüber hinaus auch noch ihrer Bitte nach dem Einsatzort entsprochen worden war, konnte sie eventuell auch ein wenig versuchen, ihr privates Glück zu verfolgen.

Sito Jaxa zog noch ein weiteres Mal ihre Uniform gerade, dann trat sie auf den schwach beleuchteten, wenig einladend wirkenden Korridor des Habitatrings hinaus um ihren heutigen Dienst auf Deep Space Nine zu beginnen.

* * *


Die Cardassianerin nahm den Dienstboten nur am Rande wahr. Er stellte das Tablett mit Tee und ein wenig Gebäck auf dem kleinen Beistelltisch ab und zog sich dann wieder zurück. Ein großer Teil ihrer Heimat mochte in Trümmern liegen, die Lazarette überfüllt und die Energieversorgung noch nicht sichergestellt sein, doch sie würde es sich nicht nehmen lassen, an ihren Riten festzuhalten. Wenn sie sich dazu treiben ließen, von ihren Traditionen abzulassen, dann erst wären sie wahrlich besiegt. Solange ihr Nachmittagstee pünktlich an seiner Stelle stand, war das alte Cardassia nicht verloren, zumindest nicht in diesen Räumen.

Sie nahm auf dem Sofa Platz. Die Auswahl an Gebäck ließ von Woche zu Woche mehr zu wünschen übrig, doch sie hatten Glück, dass sich in ihren Vorratskammern noch derlei Luxus-Artikel befanden. Noch mehr Glück hatte ihre Familie gehabt, dass ihre Villa, die etliche Kilometer außerhalb der Stadtgrenzen der Hauptstadt gelegen war, bei der Flächenbombardierung nur marginale Schäden genommen hatte. Innerlich beglückwünschte sie sich dazu, dass sie ihrem Mann hatte die Idee ausreden können, sich im Zentrum niederzulassen. Sie wären in diesem Fall wahrscheinlich nur eine weitere Nummer auf der nicht mehr enden wollenden Gefallenenliste – so wie ihr Sohn.

Sie seufzte schwer, während sie die feine Porzellantasse an die Lippen führte. Es hatte keinen Sinn, sich in Trauer zu ergehen, das machte die Toten nicht lebendig und erledigte nicht die täglichen Aufgaben. Doch in stillen Momenten wie diesem gönnte sie sich den Luxus der Melancholie. Wenn wenigstens ihre Enkelin bei ihnen wäre. Der Gedanke daran, dass dieses wertvolle Kind unter Barbaren aufwuchs, bereitete ihr körperliche Schmerzen. Ihre Schwiegertochter mochte bleiben, wo sie wollte, mochte sich im Bett des Schlächters suhlen und sich von ihm beschmutzen lassen. Doch das Mädchen gehörte nach Cardassia zu ihrer Familie. Es war jetzt bereits zwei Jahre alt, höchste Zeit für eine Rückführung und den Beginn des mentalen Trainings.

Während sie an einem Gebäckstück knabberte, ließ sie das Gespräch Revue passieren, welches sie dank der noch funktionierenden Kommunikationsanlage ihrer Villa kurz zuvor geführt hatte. Gul Madred, ein alter Freund der Familie, hatte sie kontaktiert und sie mit wertvollen Informationen über den Aufenthaltsort und den typischen Tagesverlauf ihrer Enkelin versorgt. Was es jetzt noch brauchte, waren fähige Personen, um den entsprechenden Plan in die Tat umzusetzen …

Sie blickte von ihrem Tee auf, als ihr Bediensteter den Salon betrat.

„Was gibt es?“ Ihre Stimme war streng.

„Madame“, er verneigte sich, „eine Offizierin möchte Euch sprechen, Ihr Name ist Dukat.“

„Dukat?“ Ihre Augenleisten hoben sich, ihre freie Hand vollführte eine huldvolle Geste. „Schicken Sie sie herein.“

Kurz darauf betrat eine Frau in mittleren Jahren in die Uniform eines Glin gekleidet den Salon. Sie salutierte knapp, wie es sich als Ehrerbietung vor einer Offiziersfamilie gehörte. „Madame Tirek, es ehrt mich, dass Sie mich empfangen.“

Die Dame des Hauses wies auf einen freien Sessel. „Nehmen Sie bitte Platz, Glin Dukat, darf ich Ihnen einen Tee anbieten?“

Die Offizierin bejahte, obwohl sie sich aus dem oft sehr bitter schmeckenden Gebräu nichts machte. Doch abzulehnen käme einer Beleidigung gleich. Sie wartete, bis der Diener der Familie eine zweite Tasse gebracht hatte, dann füllte sie das zierliche Geschirr mit der heißen Flüssigkeit und nippte höflich daran. Ihr Blick ruhte sehnsüchtig auf dem Teller mit Gebäck. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal etwas gekostet hatte, das keine Feldration oder der irgendwie stets gleich schmeckende Eintopf der Suppenküche gewesen war.

„Was kann ich für Sie tun?“ Madame Tirek entging der Blick der anderen Frau nicht. Mit einer Handbewegung, die ein wenig herablassend wirkte, schob sie den Plätzchenteller in deren Reichweite. „Bitte bedienen Sie sich.“

„Sehr großzügig, Madame.“ Sakura Dukat versuchte erst gar nicht unbeteiligt zu wirken. Sie griff sich einen der mit Zikamzucker bestreuten Kekse, biss ein Stück ab und schloss kurzzeitig genießerisch die Augen. Es erschien ihr wie aus einem anderen Leben, dass sie sich einen solchen Luxus gegönnt hatte. Als sie die Augen wieder öffnete, fand sie sich dem leicht belustigten, erwartungsvollen Blick der älteren Dame gegenüber. Ein wenig hastig löste sie ein Datenpad aus ihrem Gürtel. Sie reichte es hinüber. „Ich denke, Sie werden die Informationen interessant finden.“

Madame Tirek nahm das elektronische Gerät mit zweifelnder Miene an sich. War sie eine Untergebene, dass man ihr Nachrichten über ein Padd zukommen ließ? Doch während ihre Augen die Zeilen überflogen, veränderte sich ihre Miene. Sie stellte die Tasse ab, packte das Gerät mit beiden Händen und las die Worte noch einmal. Geistesabwesend nickte sie in Richtung des Tellers. „Nehmen Sie sich, so viel Sie wollen, Glin Dukat. Das sind ja wunderbare Nachrichten!“

* * *


Das kleine cardassianische Mädchen zog unwillkürlich die Blicke auf sich. Das weiße, spielerisch mit Rüschen verzierte Kleid unterstrich den Kontrast zu dem glänzenden blauschwarzen Haar, welches in dieser Farbgebung nicht auf Bajor existierte. Während die meisten bajoranischen Mädchen in demselben Alter ihr Haar mit ein paar Spangen zurückhielten oder es in Zöpfe banden, trug die zweijährige Katalya ihr Haar bereits kunstvoll aufgesteckt und mit künstlichen weißen Blüten verziert.

Valsera seufzte, als sie beobachtete, wie das Mädchen konzentriert, jedoch mit Abstand zu den anderen Kindern in dem dafür vorgesehenen Bereich der öffentlichen Parkanlage spielte. Die ersten Strahlen der Frühlingssonne machten mittlerweile einen längeren Aufenthalt im Freien wieder möglich. Sie betreute das Mädchen vormittags, solange die Mutter in ihrem Büro im Wirtschaftsministerium arbeitete. Mehrmals hatte sie Serina darauf angesprochen, dass es besser wäre, wenn sie Katalya einen einfachen Zopf band und etwas praktischere Kleider kaufte. Doch bisher war sie nicht auf viel Verständnis gestoßen. Die Cardassianerin liebte es, ihre Tochter zu frisieren. Sie war auch sehr geschickt darin, das musste Valsera ihr zugestehen, doch sie betonte Katalyas Andersartigkeit dadurch noch stärker. Auch wenn sie sich dabei nicht sonderlich wohl fühlte, es hinter Serinas Rücken zu tun, würde die Kinderfrau in den nächsten Tagen das Gespräch mit Shakaar selbst suchen. Sie war sich sicher, dass der Premierminister ihre Bedenken verstehen würde. Und so, wie sie das Ehepaar bisher kennengelernt hatte, würde die Cardassianerin sich nach einer Bitte ihres Mannes richten. Anders als bajoranische Frauen, denen der Widerspruch bereits in die Gene eingepflanzt war, schien ihr Serina stets darauf bedacht zu sein, ihrem Mann zu gefallen. Sie brachte eine für Bajor eher untypische Eleganz in den Haushalt des Premierministers. Valsera war schon ein paar Mal als Babysitterin eingesprungen, wenn der Premierminister ein Abendessen für offizielle Gäste gab. Valsera kannte Shakaar bereits eine geraume Zeit und wusste nur zu gut, dass dessen Fähigkeit zur sozialen Repräsentation nahezu gegen Null ging. Shakaar besaß ein paar bewundernswerte Eigenschaften, das Ausrichten von Gesellschaften gehörte bei dem ehemaligen Soldaten und Farmer jedoch absolut nicht dazu.

Serina hingegen entstammte einer angesehenen cardassianischen Familie der Oberschicht und war mit einem Gul aus dem Führungsstab der Regierung verheiratet gewesen. Sie war das Repräsentieren gewohnt, das charmante Zusammenführen der Fäden im Hintergrund, um ihren Mann glänzen zu lassen.

Über Valseras Züge glitt ein vages Lächeln. Die Cardassianerin mochte vielleicht nicht die beste Wahl für einen Bajoraner sein, für einen Minister war sie es jedoch. Sie tat ihm tatsächlich gut.

Dann betrachtete die Kinderfrau wieder das kleine Mädchen, das alleine spielte, wenn sie doch nur ein bisschen mehr Einsehen in den einfachen bajoranischen Alltag hätte.

Nach einem Blick auf ihr Armchronometer erhob sie sich.

„Katalya, mein Liebes“, sie packte ihre Sachen zusammen, „es wird Zeit zu gehen.“

Das Mädchen hob den Kopf, streifte den Sand von ihrem Kleid und kam zu ihr herüber. „Okay.“

Jedes normale bajoranische Kind hätte mindestens ein „aber ich möchte erst noch …“ verlauten, wenn nicht gar einen Trotzanfall folgen lassen. Valsera kannte das aus ihrer Karriere als Kinderfrau nur zu gut und sah es täglich bei anderen auf den Spielplätzen. Doch nicht Katalya. Ob das die sogenannte cardassianische Disziplin war, die bereits in den Genen ruhte? Das war auch ein Punkt, den sie gerne einmal mit Shakaar ansprechen würde.

Sie nahm das Mädchen an der Hand und machte sich auf den Weg zurück zur Vorstadtvilla des Premierministers. Die in Kapuzenmäntel gehüllten Gestalten, die ihnen folgten, bemerkte sie nicht.

* * *


Sito Jaxa näherte sich dem Kommandanturbüro mit einer Mischung aus neugieriger Erwartung und zurückhaltender Anspannung. Sie hatte den gesamten Weg von der Promenade im Turbolift darüber nachgegrübelt, was Colonel Kira von ihr wollen könnte. Sie hatte nicht nach Lieutentant Nog, dem Leiter der Stationssicherheit verlangt, auch nicht nach jemandem beliebiges vom Sicherheitspersonal, sondern speziell nach ihr. Das bedeutete, dass es sich nicht um ein Problem der Stationssicherheit handelte, sondern um etwas Persönliches. Und das machte Sito auch nach Wochen in ihrer neuen Stellung unsicher. Ein Teil von ihr erwartete stets, dass ihre Vergangenheit sie doch noch einholen und unerwartet aus dem Dunkel anspringen könnte. Während, sie aus dem Turbolift stieg und mit großen Schritten OPS durchquerte, betete sie sich wie ein Mantra vor, dass sie von der Sternenflotte offiziell sanktioniert worden war, dass General Ontkean persönlich ihre dauerhafte Beförderung zum Lieutenant unterzeichnet und sie in ihrer Zeit auf DS9 wissentlich noch keinen Fehler begangen hatte. Es konnte nichts Persönliches sein.

Als sie vor der Tür stehen blieb, mit hinter dem Rücken verschränkten Armen Haltung einnehmend, und auf den Einlass wartete, konnte sie durch die Glaseinsätze zwischen den cardassianischen Strebenmustern den breiten Rücken von Kiras Gast sehen. Diesen Rücken kannte sie besser als ihr das lieb war. Und sie war sich sehr sicher, dass der Mann in Kiras Büro auch nicht davon begeistert wäre, wenn er wüsste, wie genau sie seinen Körper kannte – oder zumindest einen Körper, der dem seinen in allen Dingen glich.

Nachdem ihre Kommandantin sie hereinbat, trat sie so an den Tisch, dass sie beide dort sitzenden Personen im Blick hatte. „Colonel, Premierminister.“ Sie nickte militärisch knapp, während sie ihr Handgelenk immer noch im Rücken fasste.

Der Blick ihrer Vorgesetzten war nachdenklich, die Ellbogen auf dem übergeschlagenen Bein abgestützt, die Zeigefinger tippten unbewusst gegeneinander.

Im Gesicht des bajoranischen Mannes konnte sie eine deutlich zur Schau gestellte Sorge erkennen. Er hatte ein wenig vornübergebeugt gesessen und bei ihrem Eintreten lediglich den Kopf in ihre Richtung gedreht. Im Augenblick hatte er keinerlei Ähnlichkeit mit dem Mann, den Sito für ihn gehalten hatte.

Sie biss sich auf die Zunge, um nicht zu fragen, was vorgefallen war. Es war nicht an ihr das erste Wort zu ergreifen.

„Setzen Sie sich, Lieutenant Sito.“ Kira unterbrach den Rhythmus ihrer Finger lange genug, um auf den freien Sessel zu deuten, der sich an der Seite des Premierministers befand.

Die Angesprochene ließ sich nieder, behielt dabei jedoch ihre aufrechte Haltung bei. Sie sah, wie Kira nach einem Datenpad griff und darauf Informationen abrief.

„Ist es korrekt, dass Sie ein paar Jahre im cardassianischen Internierungslager Razakan verbracht haben?“ ließ sich die Kommandantin schließlich vernehmen.

Sito zuckte unwillkürlich zusammen. Es war also doch etwas Persönliches. Sie nickte zögerlich.

„Und Sie haben in dieser Zeit die Bekanntschaft von Professor Natima Lang gemacht?“

Sito nickte abermals, ihr war nicht klar, worauf diese Befragung hinaus wollte. Ganz offensichtlich hatte Colonel Kira ihren Bericht an das Hauptquartier der Sternenflotte vorliegen, warum fragte sie also die Fakten noch einmal ab?

„Wie gut kennen Sie sie?“

Erinnerungen an die distinguierte Cardassianerin schoben sich in Sitos Gedächtnis. Die Frau war selbstsicher und bestimmt gewesen, doch auf die raue Umgebung eines Gefangenenlagers nicht vorbereitet. Sito hatte sich zu dem Zeitpunkt bereits einen Ruf erarbeitet, der ihr eine gewisse Freiheit unter den Gefangenen gewährte und eine gute Portion Respekt. Sie hatte die cardassianische Gelehrte unter ihre Fittiche genommen, einfach, weil die Frau ihr sympathisch war. Eine Cardassianerin, die von ihren eigenen Landsleuten festgesetzt wurde, war etwas Besonderes.

„Wir haben auf den „Hofgängen“ ein wenig miteinander gesprochen. Nicht allzu viel, bevor mir die Flucht gelang.“

Kira nickte. „Meinen Sie, Professor Lang erinnert sich noch an Sie, Lieutenant?“

„Ich denke ja.“ Ihre Gegenwart war für das tägliche Durchkommen der Cardassianerin auf jeden Fall um einiges wichtiger gewesen als anders herum. Sito rutschte ein wenig in ihrem Sessel herum. Sie versuchte immer noch herauszubekommen, um was es sich bei diesem Gespräch drehen könnte. Es war eine typische und ziemlich unangenehme Angewohnheit von Vorgesetzten egal welcher Rasse und Organisation, dass sie erst gegen Ende eines Gesprächs mit dem eigentlichen Grund herausrückten. Das war Sito bereits in ihren Jahren in der Sternenflotte aufgefallen. Welche Taktik das Im-Dunkeln-Tappen des Untergebenen verfolgte war ihr immer noch nicht klar. Sie beschloss daher für sich, dass es an der Zeit war, den Mund zu öffnen.

„Dürfte ich erfahren, um was es hier geht, Colonel?“ Die Ungeduld in ihrer Stimme ließ sich nicht gänzlich zügeln.

Colonel Kira hob die Augenbrauen, verzog die Mundwinkel dann jedoch zu einem schwachen Lächeln. „Natürlich“, sie nickte, „ich bin mit meinen Gedanken bereits weiter …“

Der Premierminister hob die Hand. „Wenn ich dürfte, Nerys …?“

Kira nickte abermals, dieses Mal wieder mit einem sorgenvollen Ausdruck.

Shakaar drehte seinen Sessel so, dass er Sito nun direkt anblickte. Sie konnte deutlich die Müdigkeit und Sorge in seinen Augen erkennen. „Es geht um ein persönliches Anliegen, Lieutenant.“

Sitos Haltung versteifte sich unwillkürlich. Von persönlichen Problemen des Premierministers hatte sie eigentlich genug.

Ihr wachsamer Ausdruck entging dem Mann nicht. „Mir ist völlig bewusst, dass Sie durch meine Person bereits genug Unannehmlichkeiten erlitten haben“, gestand er müde. „Glauben Sie mir, wenn ich eine andere Möglichkeit gesehen hätte, würde ich Sie nicht damit belästigen.“ Er atmete tief durch, dann kam er endlich zur Sache.„Meine Adoptivtochter ist entführt worden.“ Es fiel ihm sichtlich schwer, das Folgende auszusprechen. „Unsere Nachforschungen haben ergeben, dass sie nach Cardassia gebracht worden ist, höchstwahrscheinlich im Auftrag der Familie ihres leiblichen Vaters.“ Shakaar stockte abermals.

Kira gab ihre bisherige Haltung auf, lehnte sich über die Tischplatte nach vorne und legte ihm eine beruhigende Hand auf den Unterarm. Ihr Gesicht jedoch hielt sie Sito zugewandt. „Was uns vor das nicht unerhebliche Problem stellt, dass wir von offizieller bajoranischer Seite keine Forderungen stellen können“, führte sie Shakaars Erklärung fort. „Vor cardassianischem Recht hat die Adoption sowie die Eheschließung keine Bedeutung.“ Shakaar zuckte bei diesen Worten merklich zusammen. „Wenn sich Katalya bei der Familie Tirek befindet, ist unsere beste Option, sie unsererseits wieder zu entführen.“

Sito starrte ihre Vorgesetzte an, dann wanderte ihr ungläubiger Blick zu Shakaar.

„Ich würde selbst gehen, wenn ich könnte“, erklärte dieser mit einem Anflug der früheren Leidenschaft. Sie glaubte ihm diese Aussage augenblicklich. „Doch mein Amt als Premierminister macht es mir unmöglich, als Privatperson Cardassia Prime in dieser Angelegenheit aufzusuchen. Ich würde es auf eine politische Ebene ziehen und damit Bajor schaden.“

„Und ich …“

„Wir hatten gehofft, dass wir durch Ihre Bekanntschaft mit Natima Lang, diese Angelegenheit auf einer halboffiziellen Ebene regeln können“, erklärte Kira.

„Sie wollen …“

„Wir wollen Sie bitten sich nach Cardassia Prime aufzumachen und dort mit Professor Lang darüber zu sprechen, welche Möglichkeiten es gibt, um Shakaar Katalya zu ihrer in unseren Augen rechtmäßigen Familie zurückzuführen.“ Kira drückte noch einmal den Unterarm des Premierministers mit Nachdruck, dann richtete sie sich in ihrem Sessel auf. Ihre dunklen Augen fixierten die blonde Bajoranerin. „Wir können Ihnen diesen Einsatz nicht befehlen, Lieutenant, da er außerhalb der Akten bleiben wird. Sie können ablehnen.“

Sito seufzte tief. Unbewusst zog sie an ihrem Uniformoberteil, um es auszurichten. Es war jedes Mal dasselbe. Natürlich konnte sie theoretisch ablehnen, aber praktisch sah es ganz anders aus, wenn eine Bitte von ihrer Vorgesetzten und dem Premierminister an sie herangetragen wurde. Zumal sie letzterem noch etwas dafür schuldete, dass er das Sternenflotten-Oberkommando davon abgebracht hatte, sie wegen Desertation anzuklagen. Es lief ihr kalt den Rücken hinunter, als sie sich daran erinnerte, wie ihre letzte freiwillige Mission in cardassianischen Raum geendet hatte.

Lieutenant Sito erhob sich aus ihrem Sessel, zog zum wiederholten Mal ihre Uniform gerade und nahm Haltung an. „Wann soll ich aufbrechen, Colonel?“

Neben ihr wurde der Sessel zurückgestoßen und sie fand sich Sekunden später in einer für ihr Dienstverhältnis völlig unangebrachten Umarmung wieder, die ihr beinahe die Luft abdrückte.

„Ich danke Ihnen, Sito Jaxa.“ In dem heiseren Flüstern Shakaars lag tiefempfundene Dankbarkeit und Erleichterung.

* * *


Katalya hatte sich den gesamten Flug über nicht bewegt. Sie kauerte in einer Ecke des kleinen Shuttles, dessen Besatzung ausschließlich aus Cardassianern bestand. Sie hatte in ihrem jungen Leben noch nie so viele Leute, die aussahen wie ihre Mutter, auf einmal gesehen. Da wo sie lebte, sahen alle so aus wie ihr Vater. Die Fremden waren nicht unfreundlich zu ihr. Sie sprachen mit ihr in der Sprache, die ihre Mutter immer verwendete, wenn sie alleine waren. Sie hatten ihr Sachen zum Spielen gegeben. Doch wann immer sie nach ihrer Mutter fragte, dann taten sie so als ob sie sie nicht gehört hatten. Katalya war sich sehr sicher, dass die anderen verstanden. Ein paar Mal hatte sie geweint, doch auch das hatte nichts genützt. Schließlich schlief sie vor ängstlicher Erschöpfung ein.

Sie erwachte wieder, als ein Ruck durch das Schiff ging. Im ersten Augenblick war sie vollkommen orientierungslos. Wo war das Stofftier, das immer neben ihr schlief? Wo war das weiche Kissen, auf welchem ihr Kopf normalerweise lag? Wo war der sanfte Sonnenschein, der durch die Vorhänge gedämpft in ihr Zimmer fiel? Ihre Augen nahmen die unbekannten kahlen Metallwände wahr, die fremden Gesichter, die sich ihr nun wieder näherten, und erneut schossen Tränen in ihre Augen. „Mama!“

Einer der Fremden nahm sie auf den Arm. Sie machte sich steif und drückte ihren Kopf von ihm weg.

„Wir bringen dich jetzt zu deinem Vater“, hörte sie eine Stimme sagen.

Ihre Augen, die sich im Weinen geschlossen hatten, öffneten sich. Ein schwacher Hoffnungsschimmer flackerte über die helle Iris. „Papa!“

Doch der Mann, der sich vor der nun öffnenden Ausstiegsluke befand, und seine Arme nach ihr ausstreckte, war nicht die Person, die sie erwartet hatte. Er wirkte viel zu streng, hatte einen komischen Panzer an, die falsche Hautfarbe, die falsche Haarfarbe und überhaupt das falsche Gesicht. Entsetzt wich sie vor den wartenden Armen zurück. „Papa?“ wimmerte sie und blickte sich nochmal zu den Fremden um, die ihr versprochen hatten, sie zu ihm zu bringen.

„Ich in dein Vater, Katalya“, erklärte der komische Mann. „Du bist endlich zuhause.“
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