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Deep Space K-7 / Qriosity: Vom Ausrutschen

von VGer

Vom Ausrutschen


As time goes by reality
Destroys your hope and dignity
There's nothing left but shadows on the wall
But just remember who you are
And where you've been you've come so far
And never ever let them see you fall ...

– Orchestral Maneuvres in the Dark: Walking on the Milky Way –

Stolz. Ja, sie war irgendwie schon stolz auf sich. So erwachsen, so reif, so vernünftig – diese Reaktion hätte sie nicht von sich erwartet. Dass sie Mist gebaut hat, und zwar so richtig, das war ihr schmerzhaft bewusst, doch sie drehte nicht durch und ließ sich nicht davontragen, sie stellte sich konsequent und rational. Es hätte nicht passieren dürfen, sicherlich, aber es hätte viel Schlimmeres passieren können, es war schon so viel zu viel so viel Schlimmeres passiert. Sie war nicht der erste kommandierende Offizier, der dem Reiz verbotener Gedanken zum Opfer gefallen ist, der alle Regeln und alle Vorschriften und alle Anständigkeit schwungvoll über Bord geworfen und mit einem direkten Untergebenen geschlafen hat – und sie würde sicherlich nicht der letzte sein.

Langsam, ganz langsam, pflückte sie die Rangabzeichen von ihrem Kragen, legte eins nach dem anderen in die Schatulle, dann blickte sie lange aber nicht eitel in den Spiegel und begann sich zu frisieren.

Um Himmelswillen. Sie wusste nicht, woher sie diese innere Ruhe plötzlich hatte.

Wäre sie nicht sie und er nicht er gäbe es kein Problem. Sie waren sich sympathisch, sie fanden einander attraktiv, sie hatten festgestellt, dass sie auch körperlich harmonierten. Es war vom ersten Moment an so offensichtlich gewesen und seither waren sie mal vorsichtig und mal leichtsinnig umeinander herum getanzt, Schritt um Schritt um Schritt, und insgeheim hatten sie beide gewusst, dass irgendwann unweigerlich passieren musste was jetzt passiert war.

Sex mit Lieutenant Phillip Redbay ... nein, sie korrigierte sich hastig: Sex mit Phil, sie würde es nicht noch schlimmer machen indem sie Titel und Ränge ins Spiel brachte, in dem Moment waren sie nur zwei einsame, notgeile junge Leute gewesen und nichts weiter. Adrenalin und Zweideutigkeiten und Schweiß und latente erotische Spannung. Spontan, verrückt, leidenschaftlich, laut, hastig, begierig, verboten, geil. Es war einvernehmlich gewesen und ohne Hintergedanken geschehen, einfach weil sie sich gegenseitig attraktiv fanden und nicht weil einer den anderen ausnutzen wollte. Sein distanziert geheimnisvolles Auftreten, seine neckenden steingrauen Blicke und sein kräftig durchtrainierter Körper hatten sie zuerst neugierig und dann schwach gemacht, und seltsam unbefriedigt zurückgelassen. Seit sie ihn kennen gelernt hatte, hatte sie regelmäßig davon phantasiert, und als es passiert war, als sie sich gestattet hatte hemmungslos auszurutschen und sich einfach fallen zu lassen, als sie ihn flachgelegt und er sie geküsst hatte, hatte sie sich das gewünscht und so sehr gebraucht. Doch jetzt, wo das exaltierte Hochgefühl ihres Orgasmus ebenso verebbt war wie die peinliche Beklemmtheit des klärenden Gesprächs fühlte sie sich leer und konnte sich nicht erklären warum.

Mit einem Seufzen ließ sie sich auf die Couch fallen und starrte gedankenlos hinaus in die Tiefe des Weltraums, in dem so viel passierte auf das sie sich eigentlich konzentrieren sollte.

Was ein gewöhnliches Leben war wusste sie nicht, zu ungewöhnlich war das ihre immer schon gewesen. Sie hatte es nie vermisst, bis sie wagte darüber nachzudenken was alles sein hätte können wenn alles anders gekommen wäre. War es in den Bereich des Möglichen gerückt, kurzzeitig, die Möglichkeit einer Normalität nach der sie sich nie gesehnt hatte, die sie nur aus Erzählungen und Beobachtungen kannte? Es war nicht einmal ein konkreter Wunschtraum, der sich in ihre Gedanken geschlichen hatte, es war nichts worüber sie je auch nur ansetzweise nachgedacht hatte und wenn sie rational darüber nachdachte wollte sie auch gar nicht daran denken, und doch wollten diese abstrakten und doch so konkreten Bilder sie nicht mehr loslassen. Ein ganz gewöhnliches Leben, auch wenn das Leben eines Sternenflottenoffiziers niemals normal sein konnte, mit Phil als Mann an ihrer Seite, tägliche Rituale und Stabilität die ihr fehlte, dazu vielleicht sogar Kinder (aschblonde, grauäugige, gehörnte, wilde Kinder und eins davon würde sie Helena nennen, zu Ehren einer beinahe Unbekannten die ihr zum genau richtigen Zeitpunkt so viel Hoffnung und Selbstvertrauen geschenkt hatte), eine richtige Familie.

Familie! So weit hier draußen im Tiefenraum vermisste sie kaum etwas mehr als ihre Familie – wobei, am Tiefenraum konnte es nicht liegen, denn schließlich war sie dort geboren und aufgewachsen, sogar in einem anderen Quadranten. Sie war durch und durch Kind der Sternenflotte, und es waren nicht ihre Heimatwelten nach denen sie sich sehnte, es waren die Wesen die ihr am Nächsten waren. Hier auf der Deep Space K-7 war sie die Kommandantin, aber sie war auch ganz allein. Bisher war sie immer von Familie und Freunden umgeben gewesen, egal wohin sie auch versetzt worden war – so viele Schiffe und Posten, so viele bekannte und geliebte Gesichter, mit Icheb auf der Sovereign, mit Harry und Antònia und Cousin Rasgkodtregk auf der Enterprise, mit Icheb und Antònia auf der Tereshkova, mit Miral und drei alten Kameraden aus Akademiezeiten auf der Solstice, mit Admiral Janeway und Annika und allen anderen bei Pioneer – doch hier war sie fremd und so weit weg. Es ist einsam an der Spitze, hatte Admiral Janeway immer gesagt, und hätte sie geahnt wie recht sie damit hatte hätte sie sich nie so sehr nach einem Kommando gesehnt.

Wann sie alle wiedersehen würde wusste sie nicht. Wenn sie zurückkommen würde, waren ihre Eltern vermutlich noch älter und ihre Nichten und Neffen vermutlich längst nicht mehr klein und süß. Für einen Moment beneidete sie ihren Bruder – ihren großartigen, geduldigen, liebenswerten großen Bruder, der ihr immer ein Fels in der Brandung gewesen war – dem es auf mysteriöse Weise immer gelungen war, beides zu haben, ein ganz gewöhnliches Leben und eine ganz außergewöhnliche Karriere. Er war einer der brillantesten Köpfe der Generation und wenn er nicht gerade damit beschäftigt war die Warpbarrieren zu durchbrechen und die entferntesten Winkel des Universums näher zusammenrücken zu lassen, dann tollte er mit seinen frechen, wilden, wunderbaren Kindern durch die verrücktesten Erlebniswelten bis sie schlammverkrustet waren und kletterte unerschrocken auf die höchsten Bäume um die frischesten Mbolesgks zu pflücken während seine entzückende Frau lauthals mit ihm schimpfte weil er so leichtsinnig war, und dann küsste er sie während er sich den süßen Saft der Mbolesgks von den Fingern leckte als sei er wieder der kleine Junge, der er nie gewesen war. Sie beneidete ihn wie nie zuvor, und sie vermisste sie.

Warum hatte sie die Chance nicht ergriffen, als sie – als er – direkt vor ihrer Nase lag, schwer atmend rücklings unter ihr? Die Chance auf alles was ihr verwehrt bleiben würde, weil sie Naomi Wildman war und ... Für einen kurzen Moment nur hatte sie aufgehört zu denken und gewagt zu träumen. Sie schüttelte sich, schüttelte die Gedanken ab, denn sie waren unwillkommen.

Bleib du nur brav, Nmoo, und bring dich nicht unnötig in Schwierigkeiten, sagte Icheb am Ende jedes Gesprächs, und ihre Antwort war immer ein Knurren und ein Fluch, denn in tov-K’taar ließ es sich ganz vorzüglich fluchen. Meine Schwierigkeiten sind meine, Bruderherz, und sie sind nicht unnötig, sie passieren einfach weil sie passieren müssen, konterte sie regelmäßig und dann lachte sie, denn im Grunde genommen war ihr Bruder all das was sie nicht war. So sehr sie sich auch liebten, so wenig verstanden sie sich wirklich, und doch wünschte sie sich im Augenblick nichts mehr als seine Stimme und seine Schulter.

Früher wäre das alles kein Problem gewesen, sondern mit einem Fingerschnipsen erledigt. Sie hätte nach ihm gerufen und sich quer durch die Galaxie katapultieren lassen, und das Strahlen in den Augen ihrer Nichten und Neffen hätte sie für seinen nörgelnden Protest, dass er wirklich kein interstellarer Taxiservice sei, entschädigt.

Sie stand ächzend auf, blickte noch einmal in den Spiegel, erkannte sich kaum wieder. Sie hatte sich verändert, weil sie sich verändern wollte. Jetzt war sie sich selbst so fremd geworden, konnte nur mehr Einsamkeit und Erschöpfung in ihrem Gesicht sehen, und dann sah sie weg. Sie hatte Nähe gesucht, die sie nicht finden konnte weil sie die Nähe, die sie vermisste, bei niemandem finden konnte außer bei dem einen Wesen nach dem zu sehnen sie sich strikt untersagt hatte. Sie hatte die Leere gespürt und versucht sie zu füllen, doch vergeblich.

Du hast mit deinem Ersten Offizier geschlafen, Naomi Wildman, sagte sie zu sich selbst, Verrückt. Aber längst nicht das Verrückteste was du je gemacht hast.

So sehr sie sich auch einzureden versuchte, dass alles in Ordnung war – verdammt noch einmal, sie hatten ja sogar miteinander gesprochen wie vernünftige Erwachsene und gemeinsam beschlossen, dass alles in Ordnung war – so sehr wurde sie das Gefühl nicht los, dass es nicht richtig gewesen war. Je mehr sie darüber nachdachte desto mehr zermarterte sie sich, und sie ahnte, dass es nicht mit Regeln und Vorschriften und Fraternisierung und Anstand zu tun hatte, nicht einmal mit der Gefährdung ihrer langsam sprießenden Freundschaft. Es war auf eine seltsame, nicht recht fassbare Art und Weise nicht richtig, es war falsch, es war mehr als es auf den ersten Blick den Anschein machte. Und dann durchzuckte sie das Gefühl der Erinnerung, und dann war es auf einmal so klar.

Für einen Moment erlaubte sie ihren Gedanken auszuschweifen und dann, ganz plötzlich, überrumpelte sie die Erkenntnis wie ein eiskalter Wasserfall der Klarheit an einem heißen Sommermorgen.

Unvollständig!

Sex mit Phil fühlte sich nicht richtig an weil es nur halb war, fühlte sich falsch an weil es unvollständig war. Kein Wunder! Phil war nur ein gewöhnlicher Humanoid. Sex, für ihn und mit ihm, war eine rein körperliche Angelegenheit. Sie hatte seine Berührung nur auf der Haut gespürt, nicht im Bewusstsein, und während ihr zierlicher Körper vollständig von ihm ausgefüllt wurde blieb ihr Kopf die ganze Zeit über leer und lechzend, wie ihr Herz und ihre Seele auch.

Elektrisches Kribbeln an ihrem Bewusstsein und Funken, die auf ihrer Gehirnrinde tanzten. Gedanken, die sich mit den ihren vermischten, kaum dass sie gedacht waren und manchmal noch davor. Kanalisierte Erregung, rauhe und unverschleierte Emotionen, die sich ineinander verschlangen, Körper und Geist lenkend. Nicht bloß plumpe Metaphern aus kitschig-seichten Holoromanen, nicht nur das frischverliebte Wunschdenken hoffnungsloser Romantiker, sondern Vereinigung auf einer Ebene, die normale Humanoide nicht begreifen konnten.

Es war echt.

Sie hatte es gespürt, damals und immer, und seither nie wieder. Sie hatte genau gewusst was sie aufzugeben bereit war als sie es aufgegeben hatte, doch es war ihr bis eben nicht bewusst gewesen. Sie hatte ihn verlassen um sich zu befreien aus der abstrakten Dimension zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Möglichkeit und Unmöglichkeit, zwischen Überall und Nirgendwo, zwischen dem Alles und dem Nichts. Sie war jetzt alleine einsam und sehnte sich nach dem, wonach zu sehnen sie sich verboten hatte.

Und plötzlich wurde ihr bewusst, wie blind sie gewesen war. Ein Blick in Phils bewölkte Augen hätte genügen müssen, es war so eindeutig, dass sie sich fragen musste, wie sie so lange so blind gewesen sein konnte. Sein Blick war der Blick von jemandem, der nicht mehr geben kann, weil er bereits alles gegeben hat. Es war der Blick von jemandem, der gebunden ist, der jemand anderem gehört. Es war ein Blick, in dem sich unbändig tiefe Emotionen spiegeln die niemals für sie bestimmt waren. Es warihr Blick, auch in seinen Augen.

Was auch immer in Phil vorging, sie wusste es nicht mit Bestimmtheit und hatte auch nie danach gefragt; konnte nur ahnen, dass es etwas mit seiner geheimnisumwitterten Vergangenheit und eventuell auch mit ihrem eiskalten blauen Wunder von Sicherheitschefin zu tun hatte. Doch eins wusste sie, nämlich dass das, was in ihr vorging, nichts im Geringsten mit Phil zu tun hatte. Sie war ausgerutscht und gefallen und musste wieder aufstehen bevor es zu spät war.

Zu spät! Sie lachte höhnisch auf, lachte über sich selbst. Wie absurd das klingen musste. Zeit war nicht das Wesentliche, nie gewesen, und doch hatte sie nie aufhören können in diesen Dimensionen der Normalität zu denken. Sie war dort gewesen wo noch nie ein Humanoid zuvor gewesen war, hatte Zeiten und Orte besucht und Wunder erlebt welche die Grenzen des Vorstellbaren weit überschritten hatten und mehr als das ... sie war auf der Milchstraße spazieren gegangen und das Universum war ihr zu Füßen gelegen, einfach so, weil es ein schöner Tag war. Sie hatte eine Ebene der Existenz kennen gelernt, die den Humanoiden – so auch ihr – so völlig fremd und unbeschreiblich war. Sie hatte Fähigkeiten entwickelt, deren Kraft und Endgültigkeit sie überwältigte. Sie hatte unbemerkt begonnen zu fluktuieren zwischen Naomi Wildman – menschlich-k’tarianischer Hybrid und Sternenflottenoffizier – und dem Konjunktiv einer Entität, die ... sie wusste es nicht, niemand wusste es. Überwältigt von Schönheit und Angst war sie geflohen, hatte versucht hinter sich zu lassen was sie nie wieder loslassen würde.

Sie war die Gefährtin einer allmächtigen Entität ... gewesen.

Sie hatte sein Prickeln unter ihrer Haut gespürt und ihre Gedanken in seinen Augen lächeln gesehen. Sie spürte deutlich wie ihr Verstand sich verselbstständigte, wie ihr Bewusstsein ausrutschte und ihr entglitt, und erstmals seit langem versuchte sie nicht es zu verhindern und zu blockieren. Sie tastete im Dunklen des Universums und der Dimensionen nach einem Licht, das sie längst verloschen geglaubt hatte, nach einer Präsenz, die ...

Es knisterte sehnsüchtig.
Sie spürte wie ein Lächeln sie umhüllte. Sein Lächeln.
Und als sie lächelte, erstrahlte das Universum mit ihr und für sie.
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