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Walking on Water

von Heidi Peake

Kapitel 1

Eine der bemerkenswertesten Eigenschaften des Deep Space Nine Universums ist der überwältigende Reichtum der gut ausgebauten und interessanten Nebencharakteren, die es uns vorstellt – und die unglaubliche Sorglosigkeit, mit welcher sie beiseite geschoben werden, wenn ihre Rolle gespielt ist. Einige halten es ein wenig länger aus, lang genug, so dass wir Zuneigung für sie empfinden. Manche von ihnen bleiben bei uns lange nach ihrem Ausscheiden. Fast alle von ihnen haben es verdient, dass ihre Geschichte erzählt wird. Dies ist ein sehr eingeschränkter Versuch, zumindest einen kleinen Teil der Geschichte eines solchen Charakters zu erzählen – vielleicht des bemerkenswertesten von allen. Ausgesucht für das größere Gute, ihr Leben vollständig gestohlen, ihr Innerstes nach außen gekehrt und dann beiseite geworfen, wird ihr nicht einmal die Höflichkeit eines persönlichen Auftretens gewährt. Ihre Geschichte endet einige Zeit, bevor Deep Space 9 beginnt. Und sie muss in Schmerzen geendet haben – dem Schmerz des vollständigen Verlusts.


Eines Morgens wachte ich auf und stellte fest, dass ich erblindet war.

Ich konnte immer noch die Gesichter sehen, die Körper, die Kleidung, doch ich konnte nicht länger die Menschen erkennen.

Ich tat, was jeder tun würde, der von einer unerwarteten Krankheit befallen wird – Ich suchte Ärzte auf. Ich versuchte, ihnen die plötzliche, schreckliche Beschränktheit meiner Sicht zu erklären. Wie das Licht aus allem Lebendigen verschwunden war, wie ich nur noch die Form der Dinge wahrnehmen konnte, nicht mehr deren Essenz, wie die Farben flach und eindimensional geworden waren.

Höflich hörten sie zu, nickten zu meinen Beteuerungen, zogen ihre Stirn in Falten, wenn ich das tat. Sie kritzelten ihre gebildeten Bemerkungen und eröffneten mir schließlich – so freundlich wie sie es konnten – dass sie absolut keine Ahnung hatten, von was ich eigentlich sprach.

Einer nach dem anderen bemerkten sie – immer noch so höflich wie stets – dass ich wohl krank gewesen sei, weil ich die Dinge sah, die ich gesehen hatte. Etwas mit meinem Gehirn sei nicht in Ordnung gewesen, weil das, was ich erlebt hatte, von niemandem sonst zuvor erlebt worden war.

Als ob das alles erklärte.

Stellt euch den Regenbogen vor.

Das Licht der Sonne beinhaltet viele Farben. Genaugenommen sieben, die vom menschlichen Auge wahrgenommen werden können. Im Allgemeinen sehen wir nicht mehr als eine davon, eine Art von gelblichem Weiß. Nur bei bestimmten meteorologischen Gegebenheiten sind wir für einen kurzen Moment privilegiert, die volle Schönheit des Regenbogens wahrzunehmen. In alten Zeiten hielten Völker dies für Magie. Heutzutage können wir das Phänomen mathematisch auseinandernehmen, bis nicht einmal mehr der Funke des Mystischen zurückbleibt, wir können es sogar künstlich erzeugen.

Doch solange nicht eine bestimmte meteorologische Situation gegeben ist, können wir nur eine gelblich weiße Farbe erkennen.

Was, wenn eine andere, sehr spezifische Situation auftreten sollte, welche eine ganze Reihe von Farben eröffnen könnte, die nicht einmal der Regenbogen zuvor gezeigt hat.

Unmöglich?

Ich denke nicht: Es ist den meisten Menschen einfach nicht passiert – noch nicht.

Nun, es geschah mit mir.

Also fragte ich die gelehrten Ärzte: wie kann ich wieder krank werden?

Sie schickten mich nach Hause, wo ein grauer, verblasster Mann mir die Tür öffnete. Er sagte, er sei mein Ehemann, doch da war einfach nicht genug von ihm vorhanden, damit dies wahr sein konnte. Ich erinnere mich nicht an vieles aus der Zeit, bevor ich blind wurde, doch ich erinnere mich an das Gefühl, das mein Ehemann in mir ausgelöst hat. Seine leuchtenden Farben waren den meinen so ähnlich, sie hatten sich mit meinen vermischt, wenn wir uns berührten, und hatten noch schönere Schattierungen ihrer selbst erzeugt. Unsere Stimmen hatten zusammen erklungen, wenn wir scherzten und sprachen, sie waren in Harmonien emporgestiegen, hatten die Luft mit den süßesten Tönen erfüllt. Wenn wir uns bewegten, hatten wir getanzt, und wenn wir tanzten, berührten unsere Füße nicht den Boden. Ich erinnere mich daran, wie ich lachte, als er mich bat, ihn zu heiraten, so unsicher, so besorgt, dass er nicht der richtige Mann für mich sein könnte. Ich sagte: Hast Du keine Augen? Kannst Du nicht sehen, wie unsere Farben füreinander geschaffen sind? Er antwortete nicht darauf, ich hielt es für Zurückhaltung, jetzt weiß ich, dass er schlicht keine Ahnung hatte, von was ich sprach. Wenn er doch nur den Mut gehabt hätte, mich damals danach zu fragen. Wir hätten einander so viel Schmerz ersparen können.

Ich nahm seine Hand und führte ihn zu einem Spiegel. Das Bild, das zurückgeworfen wurde, war schwer zu ertragen. Nicht einmal seine verblasste Erscheinung hatte mich auf das vorbereiten können, zu was ich geworden war. Bleich und ein wenig unscharf, keine meiner Züge schienen noch eine klare Definition zu besitzen, meine Augen waren zwei einfache Löcher in einer ansonsten undefinierten Masse von bräunlichem Grau. Es war, als ob jemand einen Krug Wasser über dem Bild ausgeleert hatte, das ich einst gewesen bin.

Was siehst du? fragte ich ihn, den Tränen nah.

Ich sehe dich, antwortete er, und mich. Ich sehe, wie wunderschön du bist.

Und da wusste ich, dass er niemals mein wahres Ich gesehen hatte, dass er niemals den Lichtertanz erlebt hatte, wenn wir uns küssten, das hundertfach hallende Echo, wenn wir von Liebe sprachen. Alles, was er jemals gesehen hatte, war eine bleiche und leicht verzerrte Masse von bräunlichem Grau – und für ihn war das Schönheit! Ich verspürte ein solch unendliches Mitleid über das, was aus mir wurde, über das, was er immer gewesen war.

Es war nicht nötig, dass ich nach meinem Sohn sah, um zu wissen, dass er ebenfalls nur noch ein Geist war, der sich in einer Schattenwelt bewegte.

Ich konnte es nicht ertragen, daran zu denken, dass die Wesen, die ich mehr als das Leben liebte, dazu verdammt waren, in nur einem Bruchteil ihres Spektrums zu leben, niemals zu wissen, welche Möglichkeiten sie besaßen. Im momentanen Schock meiner Blindheit vergaß ich, dass es eine Art von Gnade sein konnte, wenn man seiner eigenen Begrenzungen niemals gewahr wurde. Ich wollte sie aufwecken, ich wollte ihnen zeigen, was ich gesehen hatte.

In dieser Nacht verließ ich sie.

Ist es wirklich das Schicksal der Menschen, dass sie niemals ahnen, welche Schönheit sie besitzen? Welchen Zweck hat es, in all den Farben des Regenbogens zu leuchten, wenn niemand die Augen besitzt, es zu sehen? Warum war ich imstande, einen Blick auf die leuchtenden Wesen zu werfen, die wir sind – nur um danach zu erblinden?

Ich muss jetzt schlafen, morgen steht mir eine lange Fahrt nach Sidney bevor, auf der Suche nach dem einen perfekten Bild, mit welchem ich zurückkehren kann, um meinen Liebsten zu zeigen, was sie für mich waren und immer sein werden. Ich muss mich beeilen, denn mit jedem verstreichenden Tag bewege ich mich weiter von dem Licht fort. Schritt für Schritt vergesse ich die Vergangenheit

Also mache ich die Photos.

Denn wenn die Vielzahl feinster Laserstrahlen, die in meiner holographischen Kamera enthalten sind, jede Kurve, jede Linie, jeden Zentimeter der korporalen Existenz meines Objekts umarmt und verfolgt, erschaffen sie für einen flüchtigen Moment mehr als ein einfaches Spiegelbild. Sie brechen die trübe Materie auf und verwandeln sie in strahlendes Licht. Irgendwo zwischen dem unscheinbaren Körper und der substanzlosen Magie der Strahlen, die das holographische Bild aufbauen, liegt ein Funke dessen, was es heißt, wirklich menschlich zu sein. Dann erinnere ich mich wieder daran, warum es wert ist am Leben zu sein.

Ich erinnere mich daran, wer ich bin und zu was ich fähig war.

Mein Name ist Sarah.

Einst konnte ich auf dem Wasser gehen.

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