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Die Träne in der Lotusblüte

von Martina Strobelt

Kapitel 1

Liebe trifft dich so schnell
wie ein Lautenschlag,
wie eine Träne,
die in den Lotus rollt...
(Japanisches Sprichwort)



Keiko O’Brien stand bebend vor Zorn im Hauptraum des Quartieres, das sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter auf DS9 teilte.

Sofern man überhaupt von teilen sprechen kann, wo du doch offenbar Bajor zu deinem eigentlichen Wohnsitz erkoren hast...

Miles’ wütende Worte klangen noch in ihren Ohren, ebenso wie das Geräusch seiner Schritte, als er aus dem Quartier gelaufen war, das Zischen, mit dem die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte.

Fast wünschte Keiko, sie hätte ihre Forschungsreise nach Bajor nicht unterbrochen, um heute hier zu sein, bei ihm zu sein. Aber es war ihr Hochzeitstag, sie hatten ihn noch niemals in ihrer Ehe getrennt verbracht. Aber wenn sie geahnt hätte, dass er ihren Besuch zum Anlass nehmen würde, sie von der ersten Minute, da sie ihren Fuß auf die Station gesetzt hatte, nur zu kritisie-ren, wäre sie wohl lieber dort geblieben, wo sie gewesen war. Dabei hatte sie sich alles so schön vorgestellt, wie sie sich an der Luftschleuse in die Arme fallen würden, nachdem sie einander so viele Wochen nicht gesehen hatten, wie er sie küssen würde, sobald sie beide allein waren, zärtlich, leidenschaftlich, so wie früher..

Sie hatte sich alles so wunderbar ausgemalt, nur dass es dann ganz anders gekommen war. Sicher, Miles hatte sie an der Luftschleuse erwartet, zuerst hatte er auch gelächelt, aber dann war sein Lächeln erfroren - und das nur, weil einer ihrer bajoranischen Kollegen sie begleitet hatte und so aufmerksam gewesen war, ihr Gepäck zu tragen, weil sie über einen seiner Scherze gelacht hatte...

Anscheinend bin ich hier überflüssig, oder sollte ich besser sagen unerwünscht...

Miles hatte keine ihrer Erklärungen gelten lassen, sich auf dem Weg in ihr Quartier regelrecht in die Idee verrannt, dass sie lieber auf Bajor geblieben wäre, dass er sehr wohl die Blicke gesehen hätte, die ihr Kollege ihr zugeworfen - und wie sie, Keiko, diese erwidert hätte...

Natürlich hatte sie seine ungerechtfertigten Vorwürfe zurückgewiesen, aber das hatte ihn erst richtig in Rage gebracht. In ihrer Kabine hatten sie sich dann so heftig gestritten, wie noch nie zuvor. Sie hatten einander bewusst weh getan, dem anderen Dinge in der Absicht an den Kopf geworfen, ihn zu verletzen. Es war furchtbar gewesen. Dann hatte Miles sich umgedreht, war einfach aus dem Quartier gestürmt und hatte sie mit dem Chaos ihrer Gefühle allein gelassen. Nun stand sie am ganzen Körper zitternd da und versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen, aber Meditation würde nichts helfen, was sie brauchte, war etwas, an dem sie sich abreagieren konnte, ein Ventil für den Zorn, der in ihrem Innersten brodelte.

Auf der Suche nach einem Gegenstand, der geeignet war, um an die Wand geworfen zu werden, blieb ihr Blick an einem prächtigen Blumengesteck hängen, das auf dem ovalen Glastisch stand, wo sie es erst jetzt bemerkte. Keiko runzelte die Stirn. Sie war sich sicher, dass dieses Gesteck nicht von ihr stammte, dass es noch nicht hier gewesen waren, als sie DS9 nach ihrem letzten Besuch wieder verlassen hatte. Zögernd trat sie an den Tisch und nahm das zarte Blumengebinde in die Hand, wobei ein kleines cremefarbendes Kärtchen herausfiel, worauf in der eckigen Handschrift ihres Mannes die schlichten Worte: „Alles Gute zum Hochzeitstag, Keiko Chan! In Liebe Miles!“ geschrieben waren.

Keiko fühlte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. Keiko Chan.. So hatte er sie das erste Mal genannt, als er sie damals im Arboretum der Enterprise um ihre Hand gebeten hatte. Wie sehr hatte sie ihn in diesem Moment geliebt, allein dafür, dass er in seinem Bemühen, die Kultur ihres Volkes zu verstehen, den zärtlichsten aller Kosenamen gewählt hatte... Chan..

Sie betrachtete das Gesteck. Lotusblüten, ihre Lieblingsblumen, so zart und dabei doch so ungeheuer widerstandsfähig. Genau wie ihr Vater, hatte auch Miles sie immer mit dem wilden Lotus verglichen, schön und stark zugleich. Meine kleine Lotusblüte, so hatte ihr Vater sie immer genannt. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie Miles gelacht hatte, als sie es ihm bei einer ihrer ersten Verabredungen erzählt hatte, wie betroffen er gewesen war, als er gesehen hatte, wie sehr seine Reaktion sie verletzt hatte, wie er ihr versprochen hatte, ihr niemals wieder wehzutun..

Und trotzdem hatte er es gerade getan, aber war sie selbst denn besser gewesen..?

Hatte sie nicht damals, als er um ihre Hand angehalten hatte, insgeheim den Schwur geleistet, ihm immer eine gute, eine liebevolle Frau zu sein, dieses Gelöbnis, das sie bei ihrer Hochzeit laut wiederholt hatte? Wie hatte es mit ihnen nur soweit kommen können, dass sie beide ihre Versprechen vergessen hatten, vergessen hatten, wie sehr sie einander einmal geliebt hatten, sollten sie beide irgendwo im Verlauf der Jahre ihre Liebe wirklich verloren haben, konnte Liebe denn so einfach sterben? Keikos Zorn war tiefer Traurigkeit gewichen. Konnte eine Liebe wie ihre einfach sterben...

Nein, hier und jetzt in diesem Moment, da sie das Blumengesteck an ihre Brust presste und ihr Gesicht in den Lotusblüten vergrub, wurde ihr so klar wie nie bewusst, dass sie Miles immer noch liebte. Nicht mehr ganz so leidenschaftlich wie am Anfang vielleicht, anders, aber gewiss nicht weniger, im Gegenteil. Warum nur war da diese Mauer, die er um sich errichtet hatte, wie sollte es ihr gelingen, sie zu überwinden, wie sollte sie ihm begreiflich machen, dass er der einzige Mann war, der ihr jemals etwas bedeutet hatte, wie, wo er ihr doch anscheinend nicht mehr vertraute. Vertrauen war doch die Basis der Liebe, wie konnte er sie wirklich lieben, wenn er ihr nicht vertraute...

Das Geräusch der Tür riss Keiko aus ihren Gedanken. Hastig drehte sie sich um, die Blumen in beiden Händen haltend. Sie hatte nur noch das Bedürfnis, ihm zu sagen, wie sehr sie ihn liebte...

Aber die Worte blieben ihr im Hals stecken, als sie seine Miene sah...

Sie war ebenso abweisend wie sein Blick, der nun von ihrem Gesicht zu den Blumen in ihren Händen wanderte. „Es tut mir leid, dass sie nur von mir sind“, meinte er kühl. „Ich hoffe, du bist nicht allzu enttäuscht, Keiko. Aber keine Sorge, ich bin sicher, dein Kollege kann es kaum erwarten, dich mit Blumen zu überschütten..“

Vergessen war alles, was sie ihm hatte sagen wollen, verbrannt im Feuer der Wut, die erneut heiß und brennend in ihr empor flammte. „Worauf du dich verlassen kannst!“ fauchte sie und schleuderte ihm das Blütengesteck vor die Füße. Diesmal war sie es, die mit hoch erhobenem Kopf an ihm vorbei aus dem Quartier rauschte. Hastig, damit er ihre Tränen nicht bemerkte, sie wollte ihm nicht die Genugtuung gönnen, sie weinen zu sehen, niemals...


* * *



Miles Edward O’Brien starrte auf die Blumen, die vor ihm auf dem Boden lagen, dort, wo Keiko sie hingeworfen hatte. Im ersten Moment wollte er dem Gesteck einen Tritt versetzten, darauf herum trampeln, so wie seine Frau auf seinen Gefühlen. Denn nichts anderes tat sie. Als ob er kein Verständnis dafür hätte, dass sie sich hier auf DS9 eingesperrt vorkam, ihn belasteten die Düsterkeit, die Enge hier auch. Nein, er hatte nichts dagegen, Keiko den Freiraum zu geben, den sie brauchte, schließlich war er alles andere als der Despot, als den sie ihn immer so gern hinstellte...

Aber hatte er etwa kein Recht, eine Erklärung von ihr zu fordern, wenn sie vor seinen Augen mit diesem bajoranischen Schönling herum flirtete? Immerhin war er ihr Mann, auch wenn diese Tatsache Keiko offenbar allenfalls in der Hinsicht störte, dass sie ihr dabei lästig war, ihre neue Freiheit zu genießen. Tief in seinem Inneren wisperte eine kleine zaghafte Stimme, dass es unfair gewesen war, Keiko zu beschuldigen, verletzend, dass wahre Liebe auf Vertrauen gegründet sei...

Aber Miles in seiner Wut war entschlossen, diese Stimme zu ignorieren. Keine Frau lächelte einen Mann an wie Keiko vorhin an der Luftschleuse ihren angeblichen Kollegen angelächelt hatte, jedenfalls nicht ohne Grund. Ja, er verspürte das Bedürfnis, die Lotusblüten unter seinen Füßen zu zermalmen, nur um sich abzureagieren, aber er unterdrückte diesen Wunsch, er war gar zu kindisch, eines erwachsenen Mannes nicht würdig. Daher bückte er sich und hob das Blumengesteck auf, mit spitzen Fingern, jede unnötige Berührung scheuend - so als ob es Keikos Hand sei, die zu ergreifen er sich weigerte. Miles trug das Gebinde zum Recycler. Ab in den Müll damit. Er war ein Narr gewesen, zu glauben, Keiko würde sich darüber freuen, ein Idiot, dass er überhaupt je die Absicht gehabt hatte, sie glücklich zu machen. Es war ein Fehler gewesen, so wie vermutlich ihre Ehe nichts weiter als ein riesiger Fehler gewesen war...

Als Miles die Blumen in den Recyler werfen wollte, weckte eine der zartrosa Blüten seine Aufmerksamkeit. Einige Sekunden starrte Miles wie gebannt auf die Blumen in seiner Hand, dann wandte er sich um und stürmte zum zweiten Mal an diesem Abend aus dem Quartier.


* * *



Keiko stand an einem der großen Panorama-Fenster des Promenadendecks und starrte hinaus ins All. Vielleicht sollte sie Molly nehmen und mit ihr zu ihren Eltern auf der Erde zurückkehren. Aber das Kind brauchte seinen Vater, den es liebte, sie durfte nicht nur an sich denken. Und wenn sie ehrlich war, wollte sie auch gar nicht fort. Sie liebte Miles, trotz allem - und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass sie beide es irgendwie schaffen würden, einen neuen Anfang zu finden. Aber wie...

Miles hatte sie vorhin angesehen wie eine Fremde, nicht wie die Frau die er geliebt und die er geheiratet hatte, die Mutter seiner Tochter geworden war - und er hatte sie noch schlimmer als eine Fremde behandelt, wie einen Feind...

Wie oft musste er sie verletzen, bis ihre Liebe zu ihm starb, mit jedem neuen Mal ein weiteres kleines Stück, bis nichts mehr davon übrig war? Warum begriff er nicht, dass sie um ihre Liebe kämpfen mussten, Tag um Tag, Nacht um Nacht, Stunde um Stunde? Lag es daran, dass er ein Mann war, empfanden Männer denn wirklich soviel anders als Frauen, sahen sie die Dinge denn in so einem anderen Licht? Keiko wäre gerne zurück in ihr Quartier gegangen, aber ihr Stolz hielt sie ab. Vorhin war sie bereit gewesen, den ersten Schritt zu tun, aber hier und jetzt brachte sie es nicht fertig...

Plötzlich legten sich von hinten zwei Hände auf ihre Schultern. Erschrocken fuhr sie herum.

„Miles! - Miles, was soll...“ Der Rest ihres Satzes erstickte in seinem Kuss.

Ihrem ersten Impuls folgend, wollte sie sich wehren, ihn zurückstoßen, ihn dafür bezahlen lassen, dass er ihr so weh getan hatte..

Aber sein heiseres Flüstern an ihrem Ohr, nachdem er ihre Lippen wieder freigegeben hatte, „Oh Keiko Chan, verzeih mir, ich war so dumm, ich war blind vor Eifersucht, ich wusste nicht, was ich tat, es tut mir so leid, ich liebe dich einfach zu sehr, Keiko Chan..“ spülte allen Groll aus ihrem Herzen fort.

„Ich liebe dich, Miles! - Ich habe immer nur dich geliebt!“ Keiko ließ sich in seine Umarmung sinken, so wohl fühlte sie sich, so geborgen - und zum ersten Mal seit langem wieder geliebt.

Miles umschlang seine Frau so fest als wollte er sie bis in alle Ewigkeiten festhalten.

Keiner von den Beiden achtete auf die erstaunten, zum Teil belustigten Blicke der übrigen Besucher des Promenadendecks. Hier und jetzt gab es nur sie zwei...

In seiner rechten Hand hielt Miles immer noch das Blumengesteck, wo es infolge der innigen Umarmung nun dicht an Keikos Schulter gedrückt wurde.

Die Lotusblüten funkelten im Licht der Sterne, das sich in der einzelnen Träne brach, die nun langsam von dem Blatt rollte, an dem sie gehangen hatte, um sich in Keikos schwarzem Haar zu verlieren...



ENDE
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