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Verräter und Betrüger

von Martina Strobelt

Kapitel 2

Natima Lang stand an einem der Panorama¬fenster des Promenadendecks und sah hinaus in die Weiten des Alls. Irgendwo dort draußen lag Cardassia. Sie vermisste ihre Heimat. Aber noch mehr vermisste sie Ragor. Seit zwei Mona¬ten befand sie sich auf Terok Nor, und nichts hatte sich in dieser Zeit an ihrem Schmerz geän¬dert. Tagsüber stürzte sie sich in ihre Arbeit. Doch in den Nächten wälzte sie sich schlaflos umher. Oder sie träumte von Ragor, der in den Trümmern seines Gleiters bei lebendigem Leib verbrannte. Hörte seine Schreie, um von ihren eigenen wach zu werden.

Natima war froh, dass Gul Dukat nicht ahnte, wie es um ihren Seelenfrieden bestellt war. Sie war sicher, dass der Präfekt einen Weg finden würde, dieses Wissen zu nutzen, um sich an ihr dafür zu rächen, dass sie ihm gedroht hatte, seine Frau zu informieren, wenn er seine Annäherungsversu¬che nicht beenden würde. Es war ein glücklicher Zufall gewesen, dass sie herausgefunden hatte, dass Gul Dukat mit der einzigen Tochter eines einflussreichen Mannes verheiratet war, dessen Gunst man sich besser nicht verscherzte. Der Präfekt würde ihr nie verzeihen, ihn mit dieser Kenntnis zum Rückzug gezwungen zu haben. Sie hatte Dukats empfindlichem Stolz eine bittere Kränkung zugefügt, und er gehörte nicht zu den Männern, die so etwas vergaßen.

Laute Rufe und das Geräusch sich nähernder Schritte rissen Natima aus ihren Gedanken. Sie drehte sich um und stieß mit einem Bajoraner zusammen, der, offenbar auf der Flucht vor meh¬reren cardassianischen Soldaten über das Pro¬menadendeck rannte. Der Aufprall brachte sie beide zu Fall.

Natima landete auf dem Rücken, der Bajoraner auf ihrer Brust. Sie wollte ihn von sich schieben, als sie an ihrer Kehle kalten Stahl spürte. Er¬schrocken starrte die Cardassianerin in die blei¬chen Züge des Bajoraners, der ihr die gezackte Spitze eines abgebrochenen Metallteiles gegen den Hals presste. „Zurück!“ schrie er. „Ver¬schwindet! Oder ich töte sie!“

„Was wollen Sie von mir?“ stammelte Natima.

„Sei still!“ Der Bajoraner kroch von der Cardas¬sianerin, stand auf und zerrte sie auf die Füße, ohne seine provisorische Waffe von ihrer Kehle zu nehmen. Sein Atem strich über Natimas Nac¬ken, während er sie wie einen Schild vor sich hielt.

Die cardassianischen Soldaten, die den Bajoraner verfolgt hatten, bildeten einen Halbkreis um ihn und seine Geisel. Es war offensichtlich, dass sie nicht wussten, wie sie sich verhalten sollten. Auf eine Angehörige des Militärs hätten sie keine Rücksicht genommen und geschossen. Aber die Frau, die sich in der Gewalt des Bajoraners be¬fand, war eine Zivilistin. Das Militär war ver-pflichtet, alle cardassianischen Zivilisten auf Terok Nor zu schützen. Der Befehl des obersten Kommandos war eindeutig und erlaubte keine Interpretation.

Natima, die sich zum ersten Mal wünschte, sie wäre eine im Nahkampf ausgebildete Soldatin, ahnte nicht, dass sie nur deshalb noch lebte, weil sie keines Uniform anhatte.

Ein Mann drängte sich durch die Soldaten, die ihm, wenn auch widerwillig, Platz machten. Er war nicht uniformiert, ja nicht einmal ein Car¬dassianer. Trotzdem schien er Autorität zu besit-zen.

Natima erinnerte sich dunkel daran, diesen Mann mit dem seltsam unfertigen Gesicht schon öfter im Kasino und gelegentlich auf dem Promena¬dendeck gesehen zu haben. Es hieß, er wäre ein Gestaltwandler, der jede beliebige Form anneh¬men konnte. Nach Natimas Informationen fun¬gierte er als eine Art Vermittler zwischen ihren cardassianischen Landsleuten und den Bajora¬nern. Natima war sicher, dass Dukat seinen Na¬men ihr gegenüber erwähnt hatte. Doch die Angst lähmte ihren Verstand und trübte ihr Ge¬dächtnis.

Der Mann hob beide Hände mit nach innen ge¬kehrten Handflächen. „Lassen Sie die Frau frei, Jalan! Ich bin überzeugt, dass Sie den Sabotage¬akt in der Erzveredelungsanlage nicht verübt haben!“

„Erklären Sie das denen, Odo!“ stieß der Bajora¬ner hervor. „Die wollen mich verhören! Und nachdem sie mich gefoltert haben, bringen sie mich um!“

Bevor Odo etwas erwidern konnte, kam Gul Du¬kat aus einem der Turbolifte und trat neben den Gestaltwandler. „Was geht hier vor?!“

„Ihre Soldaten wollten diesen Mann verhaften“, antwortete Odo. „Sie behaupten, er hätte ein Förderungsband in der Erzveredelungsanlage sabotiert.“

„Das ist eine Lüge!“ rief der Bajoraner. „Ich war nicht einmal in der Nähe des Bandes!“

„Wie kannst du es wagen, uns Lügner zu nen¬nen!“ grollte einer der Soldaten. Er wollte noch etwas hinzufügen, wurde jedoch durch einen Blick des Präfekten und sein scharfes „Damar!“ zum Schweigen gebracht. „Odo?“ wandte Dukat sich an den Formwandler.

„Jalan befand sich zur fraglichen Zeit am ande¬ren Ende der Station. Dafür gibt es Zeugen.“

„Tatsächlich?“ Der Präfekt lächelte. „Nun, wenn du unschuldig bist“, richtete er das Wort an den Bajoraner, „hast du nichts zu befürchten, nicht wahr? Also, laß die Frau gehen. Niemand wird dir ein Leid zufügen, ich verspreche es!“

„Das Versprechen eines Cardassianers!“ Jalan lachte verächtlich.

Dukats Augen wurden schmal. „Nimm dich in Acht, Bajoraner! Ich verhandele nicht mit Terro-risten! Ich mache dir ein letztes Angebot, und ich werde es nicht wiederholen! Du wirst entweder diese Frau freilassen und weiterleben. Oder du wirst den Tag bereuen, an dem du geboren wur¬dest!“

Durch den Stoff ihres Kleides konnte Natima den beschleunigten Herzschlag des Bajoraners spü¬ren. Kalter Schweiß bedeckte Jalans Arm, den er um sie geschlungen hatte. Seine Hand, die das Metallstück an ihre Kehle presste, zitterte. Seine Angst stand der ihren um nichts nach.

Die Cardassianerin ertappte sich dabei, beinahe so etwas wie Mitleid für den Bajoraner zu emp¬finden. Dieser Mann war verzweifelt und offen¬bar halbtot vor Furcht. Dabei gab es dafür gar keinen Grund. Dukat war ein cardassianischer Gul. Für Natima als Cardassianerin stand außer Frage, dass er sein Wort halten würde.

Jalan indessen war anderer Meinung. Sein Blick irrte zu Odo. „Ich will Ihr Versprechen! Geben Sie mir Ihr Wort, dass Dukat seines hält! Dann lasse ich die Frau frei!“

Den Formwandler schien die Forderung des Ba¬joraners nicht zu überraschen. Im Gegensatz zu Natima. Abgesehen davon, dass sie überzeugt war, dass Gul Dukat zu seinem Wort stehen würde, war der Cardassianerin unklar, woher Jalan den Glauben nahm, Odo könne den Prä-fekten von irgend etwas abhalten.

Der Formwandler sah Dukat fragend an.

Der Präfekt lächelte. „Ihm wird nichts gesche¬hen, das verspreche ich Ihnen, Odo!“

„Sie haben es gehört, Jalan“, sagte der Form¬wandler. „Gul Dukat hat mir sein Wort gegeben, und er wird es halten. Dafür bürge ich!“

Natima spürte, wie der Bajoraner in ihrem Rüc¬ken sich entspannte. Der Druck an ihrem Hals verschwand, als Jalan seine Hand mit dem Me¬tallstück senkte.

„Sie dürfen gehen“, sagte der Bajoraner. „Na los!“

Langsam, zögernd setzte die Cardassianerin sich in Bewegung. In welche Richtung sollte sie sich wenden? In Dukats? In die der Soldaten? Einem spontanen Impuls folgend, lenkte Natima ihre Schritte in Richtung des Formwandlers. Der Ba¬joraner vertraute ihm. Und aus irgendeinem Grund hatte Natima plötzlich das eigenartige Gefühl, dass Odo von allen Anwesenden der ein¬zige war, dem sie vertrauen konnte. Über die Schulter des Gestaltwandlers traf Natimas Blick den einer jungen Bajoranerin, die in der Menge stand, die sich um den Ort des Geschehens ge¬bildet hatte. Das lange rote Haar der Bajoranerin leuchte wie eine Fackel. Unwillkürlich schreckte die Cardassianerin vor dem Haß in den Augen der anderen Frau zurück, die ebenso dunkel, wie ihre eigenen waren.

Unbewusst registrierte die Cardassianerin aus den Augenwinkeln, wie Dukat kaum merklich nickte. Im nächsten Moment gleißte ein Energiestrahl an Natima vorbei über das Promenadendeck und traf Jalan mitten in die Brust. Der Schrei des Bajoraners erstickte in dem Blutschwall, der aus seinem geöffneten Mund quoll. Jalan taumelte und brach zusammen. Seine Hände zuckten vor und verkrallten sich in den Saum von Natimas Rock. Rotes Blut tränkte den hellen Stoff des Gewandes und strömte über die Schuhe der Car¬dassianerin, deren Blick starr vor Entsetzen an dem Sterbenden zu ihren Füßen hing.

„Was fällt Ihnen ein, meinen Befehl zu mißach¬ten, Damar!“ herrschte Dukat den Soldaten an, der geschossen hatte. „Bis auf weiteres stehen Sie in Ihrem Quartier unter Arrest! Wegtreten!“

Der Soldat gehorchte.

Odo hatte sich nicht gerührt. Nun trat er zu Na¬tima Lang. „Ich schlage vor, dass Sie der Kran-kenstation einen Besuch abstatten und sich da¬nach auch in Ihr Quartier begeben.“

„Eine ausgezeichnete Idee!“ Dukat gesellte sich zu ihnen und ergriff den Ellbogen der jungen Cardassianerin. „Ich bedauere es außerordent¬lich, dass Sie das alles durchmachen mussten. Ich werde veranlassen, dass man Sie für den Rest der Woche beurlaubt, damit Sie sich von dem Schock erholen können.“ Seine Stimme klang fürsorglich. Aber Natima war überzeugt, dass es Dukat nur darum ging, den Schein zu wahren. Odo schien das Naheliegende zu glauben, näm-lich dass der Soldat aus eigenem Antrieb gefeuert hatte. Zumindest wirkte er nicht so, als würde er daran zweifeln.

Natima jedoch wusste es besser. Sie hatte gese¬hen, wie Dukat dem Soldaten zugenickt hatte.

Damar hatte Dukats Befehl nicht missachtet. Er hatte ihn befolgt!

Übelkeit kroch in Natima hoch. Sie schüttelte Dukats Hand ab und lief los, ohne auf die Rufe zu achten, die ihr folgten. Sie wollte nur noch fort. Ganz gleich wohin. Nur fort.


* * *


Außer Atem und mit klopfendem Herzen blieb Natima vor dem Eingang zum Quark’s ste¬hen. Sie war den ganzen Weg bis hierher ge¬rannt. Verwirrt betrachtete die Cardassianerin die leuchtende Reklame, wurde sich erst jetzt richtig bewusst wo sie sich befand. Warum war sie nicht in ihr Quartier gegangen, oder auf die Kran-kenstation? Wieso war sie direkt zum Kasino gelaufen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, darüber nachgedacht zu haben, wohin sie rannte. Ihr Instinkt musste sie geleitet haben. Aber wes¬halb hatte er sie ausgerechnet zur Bar geführt? Vielleicht, weil sie sich an diesem Ort in ihrer Freizeit gern aufhielt?

Die Erkenntnis traf Natima wie ein Schlag. Das Quark’s war der einzige Ort auf Terok Nor, an dem sie sich wohlfühlte. Allein in ihrem Quartier war die Erinnerung an Ragor stets gegenwärtig. Ihre Kollegen mieden ihre Gesellschaft, wodurch ihr die Arbeit verleidet wurde. Im Kasino dage¬gen herrschte ununterbrochen eine fröhliche, ausgelassene Stimmung. Hier konnte sie, wenn auch nur für wenige Stunden, alles vergessen, was sie belastete.

Entschlossen trat die Cardassianerin ein. Sie sehnte sich nach Musik und Gelächter. Nach dem Surren der Dabo-Räder und dem begeister¬ten Jubel, der jeden Gewinn begleitete. Nach einem Teller gekochter Taspa-Eier mit Yamok-Soße und nach einem Samarian Sunset.

Sie mochte das Stimmengewirr, das sie sofort nach ihrem Eintreten umgab. Es hüllte sie wie eine warme Decke ein und vermittelte ihr das Gefühl dazuzugehören, weniger einsam zu sein.

Es war voll. Während Natima nach einem freien Platz spähte, eilte Quark mit einem strahlenden Lächeln auf sie zu. „Ich habe schon auf Sie ge¬wartet“, begrüßte er sie. „Kommen Sie“, er be-deutete ihr, ihn zu begleiten, „ich habe eine Überraschung für Sie!“

Seine echte Freude wärmte Natimas Herz. Als Ferengi gehörte Quark streng genommen zwar einer minderen Rasse an, aber das änderte nichts daran, dass die Cardassianerin ihn mochte. Ei¬gentlich war er der einzige auf der ganzen Sta¬tion, den sie wirklich gern hatte. Daher folgte sie ihm ohne Protest bis zur Treppe, die hinauf auf die obere Galerie führte. Dort angelangt blieb sie stehen und sah ihn irritiert an. Auf der oberen Galerie befanden sich mehrere Holosuiten. Na¬tima hatte noch nie eine von ihnen aufgesucht. Und sie würde das gewiss nicht gemeinsam mit Quark tun. Jedenfalls nicht ohne eine überzeu¬gende Erklärung.

„Mein Bruder Rom, dieser Nichtsnutz, hat ein neues Programm entworfen“, erläuterte Quark, „und ich dachte, vielleicht möchten Sie als erste einen Blick darauf werfen. Keine Sorge“, er-gänzte er schnell, als er den Ausdruck in ihren Augen bemerkte, „es ist keines dieser Pro¬gramme! Vertrauen Sie mir, Sie werden es mö¬gen!“ Zum zweiten Mal an diesem Abend hatte Natima das Gefühl, einem anderen vertrauen zu können.

„Also gut“, willigte sie ein. „Zeigen Sie mir Ihr neues Programm. Dann werden wir sehen, ob es mir gefällt. Allerdings“, fügte sie mit einem Lä¬cheln hinzu, „gehe ich davon aus, dass dies eine kostenlose Vorführung ist.“

„Natürlich!“ Quark erwiderte das Lächeln. „Wo¬für halten Sie mich?“


* * *



Eine endlose Sandwüste. Flimmernde Hitze. Ein Felsplateau. Darauf ein flaches Haus aus Stein mit einem Bogengang, der sich um den begrünten Innenhof zog, in dessen Mitte eine kleine Quelle plätscherte. Natima Lang war auf die Knie gesunken. Stumm hob sie eine Handvoll des feinen Sandes auf und ließ ihn langsam durch ihre Finger rieseln.

„Und?“ fragte Quark. „Gefällt es Ihnen?“

„Ja“, erwiderte Natima leise. „Es ist perfekt! Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glau-ben, ich wäre daheim auf Cardassia! Unvermit¬telt brach sie in Tränen aus.

Quark kniete sich neben Natima nieder. „Was haben Sie?“

„Nichts!“ Verzweifelt versuchte die Cardassiane¬rin, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Ihr Heimweh. Ihren Schmerz über Ragors Tod. Ihr Entsetzen über das, was auf dem Promena-dendeck geschehen war.

All das war zuviel für ihre Selbstbeherrschung. Unten im Kasino hätte sie es geschafft, sich zusammenzureißen. Aber hier, inmitten dieser Umgebung, die sie an Car¬dassia und Ragor erinnerte, wurde Natima von ihren Gefühlen überrannt.

„Möchten Sie darüber reden?“ drang Quarks Stimme durch die Schichten ihres Bewusstseins.

„Nein!“ wehrte sie ab.

„Doch!“ widersprach der Ferengi. „Ich weiß, dass Sie es möchten. Dafür habe ich ein Ohr! Sie su¬chen jemandem, dem Sie erzählen können, was Ihnen auf der Seele liegt. Sie haben ihn gefun¬den! Sprechen Sie mit mir! Vertrauen Sie mir Ihre Sorgen an. Ich bin Ihr Freund!“

„Sind Sie das?“

„Ja!“ Quark nickte ernsthaft. „Und ich bin ein ausgezeichneter Zuhörer!“
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