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Blutsbande

von Martina Strobelt

Kapitel 1

Es bindet gleicher Schmerz wie gleiches Blut
(Bajoranische Weisheit)







Die Frau saß mit gekreuzten Beinen auf einem Felsen und starrte hinauf in den sternenklaren Nachthimmel. Irgendwo dort draußen in den un¬endlichen Weiten des Alls lag Bajor. So viele Jahre war es her, dass sie ihre Heimat verlassen hatte, auf der Suche nach einem anderen, einem besseren Leben. - Um von den Propheten am Ende doch wieder mitten in den Kampf gegen die Cardassianer geführt zu werden. Die Gefährten hatten sich geändert, aber der Krieg unterschied sich in nichts von dem, den sie geglaubt hatte, hinter sich gelassen zu haben, in jener Nacht, da sie Bajor den Rücken gekehrt hatte. Ihre rechte Hand hielt einen Klumpen Erde umschlossen, den sie aufgehoben hatte, kaum dass sie durch das Tor der Mauer, welche die Siedlung umgab, hinaus in die Wüste getreten war. Nun ließ sie den Sand langsam durch ihre Finger rieseln, ohne darauf zu achten, dass ein Teil davon auf ihre Kleidung fiel. Die rote Erde erinnerte sie an Bajor - und ein Versprechen, das vor langer Zeit in einer sternen¬klaren Nacht wie dieser gegeben worden war...

‚Falls du dich jemals entschließen solltest, zu¬rückzukehren, gibt es hier jemand, der dich will-kommen heißen wird...‘

Seltsam, all die Jahre hatte sie kein einziges Mal an Kyan gedacht, aber hier und jetzt tat sie es. Wie jung waren sie beide damals gewesen, fast noch Kinder. Die meisten von ihnen waren jung gewesen. Bajoranische Rebellen waren nur selten alt geworden, dazu war die Sterblichkeitsrate zu hoch gewesen. Sie dachte an Kyan, an Laila und all die anderen, an die Träume, die sie geteilt hatten, an die gemein¬same Hoffnung, die ihnen die Kraft verliehen hatte, weiterzumachen, ganz gleich wie aus-sichtslos ihr Kampf ihnen auch erschienen war. Wer hatte damals wirklich daran geglaubt, dass sie eines Tages siegen würden? Und trotzdem war es geschehen. Nach mehr als einem halben Jahrhun¬dert war es ihrem Volk gelungen, die Unterdrüc¬ker zu vertreiben und die Ketten der Sklaverei abzuwerfen. Bajor war frei, und aus allen Ecken der Galaxis zog es jene ihrer Landsleute, die ver¬bannt worden oder so wie sie freiwillig geflohen waren, zurück in die Heimat. In Scharen kamen sie, getrieben von ihrer Sehnsucht und dem Wunsch, beim Wiederaufbau zu helfen, weil sie wussten, dass Bajor jeden einzelnen von ihnen dringend brauchte... genau wie sie...

„Du solltest nicht allein hier draußen in der Dun¬kelheit sitzen, Laren“, erklang hinter ihr eine Stimme. „Es wimmelt hier nur so von cardassiani¬schen Siedlern, die darauf warten, uns zu zeigen, wer die neuen Herren dieser Kolonie sind...“

„Tut mir leid, Rayna“, Ro stand auf und schüt¬telte den Sand aus ihren Kleidern. „Daran habe ich nicht gedacht...“

„Ich weiß“, die junge Terranerin strich sich eine Strähne ihres langen roten Haares aus der Stirn. Der Blick ihrer grünen Augen war verständnis¬voll. „Du hast an Bajor gedacht, nicht wahr?“

Ro nickte. „Was soll ich nur machen, Rayna? Früher erschien mir alles so einfach, ich meine, es spielte keine Rolle, wo ich die Cardassianer be¬kämpfte, solange ich es nur tat. All die Jahre habe ich mich nicht nach Bajor zurück gesehnt, im Gegenteil. Ich war froh, dem Grauen dort entron¬nen zu sein, ich habe mich deswegen immer schuldig gefühlt. Und nun, was soll ich tun...“

„Darauf kann ich dir keine Antwort geben. Du weißt, wie sehr wir hier jeden brauchen. Der Maquis ist das Einzige, was jetzt noch zwischen den Siedlern und den Cardassianern steht. Es tut mir leid, so sehr ich es auch verstehe, dass du dich nach Bajor sehnst, aber ich kann und werde dir die Entscheidung nicht mit einer tröstlichen Lüge erleichtern, dazu ist unsere Situation hier viel zu ernst. Niemand wird dir einen Vorwurf daraus machen, wenn du gehst, mehr kannst du nicht verlangen.“


* * *



Sie besaß nicht viel, aber mit jedem Stück, das sie in den abgewetzten Lederbeutel packte, verband Ro Erinnerungen. Das Messer, das damals beim Widerstand ihr ständiger Begleiter gewesen war, eine alte Ausgabe von Shakespeare, die ihr die einzige Person der Sternenflotte gegeben hatte, die sie jemals bewundert hatte. Zärtlich strichen Ros Finger über eine Belaklavion-Saite. Wie lange war es her, dass diese Saite unter dem Griff ihres Vaters gerissen war. Wie immer, wenn sie die Saite in den Händen hielt, wollte ihr das Herz vor Liebe überquellen und gleichzeitig vor Schmerz zerspringen. Ihr Vater hatte diese Saite berührt, sie war an jenem Abend gerissen, an dem man ihn fortgeschleppt hatte, um ihn zu töten, wenige Minuten, nachdem er ihr die kaputte Saite mit einem Lachen geschenkt hatte. Nun war sie das Einzige, was ihr von ihm geblieben war...

Das Geräusch der Tür in ihrem Rücken bewog Ro, die Saite tief zu den anderen Dingen im Beutel zu stopfen und hastig die Tränen fortzuwi¬schen, die ihr beim Gedanken an ihren Vater in die Augen gestiegen waren. Wer immer es auch war, er sollte sie nicht weinen sehen. Sie drehte sich zu dem Besucher um. Es war Perry, ein jun¬ger Terraner, den sie nur flüchtig kannte.

„Was willst du?“ fragte sie knapp, in der Absicht, ihn abzuwimmeln. Sie wollte allein sein...

„Du gehst also wirklich?!“ sagte er mit einem Seitenblick auf den Beutel. „Ich konnte es nicht glauben, als Rayna es mir erzählte. Wie kannst du uns verlassen? Ich dachte, du wärst eine von uns!“

„Ich bin eine Bajoranerin!“ erwiderte Ro mit er¬zwungener Ruhe. Sie suchte keinen Streit.

„Was dir ja sehr früh einfällt!“ bemerkte Perry. „Anscheinend hast du nicht immer so gedacht, oder war Bajor vielleicht Mitglied der Föderation, damals als du desertiert bist? Wie kam es, dass eine Bajoranerin sich auf die Akademie der Ster¬nenflotte und von dort auf ihr Flaggschiff verirren konnte?“

„Ich schulde dir keine Erklärungen!“ sagte Ro kühl.

„Mag sein, aber was ist mit Rayna, was ist mit dem Maquis, den du so einfach im Stich lässt, so wie du damals Bajor im Stich gelassen hast, denn das hast du doch, oder etwa nicht?!“

Ehe Ro sich bewusst war, was sie tat, hatte sie bereits ausgeholt und Perry so hart ins Gesicht geschlagen, dass er rückwärts taumelte und bei¬nahe gestürzt wäre.

„Fühlst du dich jetzt besser?“ fragte Perry. „Ich werde einige Tage Schwierigkeiten bei der Nah-rungsaufnahme haben. Falls dir das nicht genügt, muß ich dich enttäuschen, wenn du mir den Kie¬fer brechen willst, wirst du wohl noch ein paar Mal zuschlagen müssen, der ist nämlich zäh...“

Ernüchtert ließ Ro ihre Arme sinken. „Es tut mir leid“, murmelte sie.

„Das muss es nicht“, antwortete Perry anders als erwartet. „Ich hätte dich nicht reizen dürfen, aber ich war so wütend - über deine Naivität - oder sollte ich besser sagen, deine Dummheit!“

„Was soll das heißen?!“ entflammte ihr Zorn er¬neut. „Wenn du nur hier bist, um mir Beleidigun¬gen an den Kopf zu werfen, kann ich auf deine Gesellschaft verzichten!“

„Das kannst du doch ohnehin, sonst würdest du ja bleiben.“ Perry lächelte, aber es war ein trauri¬ges Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. „Ich kann dich leider nicht am Gehen hindern, aber du bist eine Närrin, wenn du dir einbildest, dass der Kampf damit für dich vorbei sei! Hast du eigent¬lich noch nie darüber nachgedacht, woher diese plötzliche Entscheidung des Oberkommandos, sich von Bajor zurückzuziehen, gekommen ist? Niemand führt gerne einen Krieg an zwei Fron¬ten. In so einem Fall schaut man sich an, wo es die wertvollere Beute zu gewinnen gibt und das sind in diesem Fall die Kolonien. Was wird Car¬dassia wohl machen, wenn es gelingen sollte, den Maquis zu zerstören und sich die Kolonien damit endgültig zu sichern? Werden die Cardies damit zufrieden sein, oder werden sie ihre Aufmerk¬samkeit stattdessen wieder auf etwas anderes richten, auf eine Welt, an die sie sich dann nur zu gerne wieder erinnern werden...“

„Bajor“, hauchte Ro.

Er nickte. „Dieser Krieg wird erst enden, wenn die Cardassianer endgültig geschlagen sind, das solltest du bei deiner Entscheidung besser nicht vergessen!“


* * *



Die Strahlen der Sonne tauchten die zerklüfteten Felsen in ein goldenes Licht und ließen Raynas rotes Haar einer lodernden Flamme gleich leuch¬ten. Von hier oben hatte man einen herrlichen Blick hinab in das Tal. Miramar ist genauso schön wie Bajor es vor der Besatzung gewesen sein muss, dachte Ro, die neben der jungen Terra¬nerin auf einem Felsvorsprung saß, der über den Abgrung unter ihnen ragte, und hinab in die grüne Ebene zu ihren Füßen sah.

„Ich freue mich, dass du es dir anders überlegt hast, Laren“, sagte Rayna gerade. „Nicht nur, dass wir dich hier wirklich gut gebrauchen können, hätte ich dich auch vermisst.“

„Perry hat mir klar gemacht, dass ich Bajor besser diene, wenn ich hierbleibe und weiter gegen die Cardassianer kämpfe. Außerdem...“, Ro zögerte. „Gibt es auf Bajor niemanden, dem ich fehle“, fuhr sie dann leise fort. „Ich habe keine Familie mehr. Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestor¬ben, mein Vater wurde von Cardassianern vor meinen Augen zu Tode gefoltert, als ich sieben war...“

„Es tut mir so leid, Laren“, sagte Rayna mitfüh¬lend. „Ich kann gut nachvollziehen, was du durchmachen musstest, meine Eltern wurden auch von Cardassianern umgebracht, oh Gott wie ich sie dafür hasse! Aber trotzdem solltest du nicht denken, dass du niemanden hast. Genau wie ich hast auch du eine Familie, ich, wir, der Maquis, das ist deine Familie, Laren...“

„Ihr seid meine Gefährten, einige wie du sind meine Freunde“, widersprach Ro. „Verstehe das nicht falsch, Rayna, aber für mich ist das nicht dasselbe.“

„Warum? Es gibt Bande, die genau so eng wie Blutsverwandschaft sind, bisweilen sogar noch tiefer. Du hast gelitten wie ich gelitten habe, ge¬kämpft, wie ich gekämpft habe. Wir sind uns ähn¬lich, Laren. Für mich bist du wie die Schwester, die ich niemals hatte...“

„Du hast mir nie gesagt, dass du so für mich emp¬findest...“, sagte Ro langsam. Die Bajoranerin wollte den Zweifel aus ihrer Stimme fernhalten, aber Rayna hörte ihn trotzdem heraus.

„Du glaubst mir nicht“, meinte sie. „Liebe, Ver¬trauen, du denkst, dass es hier eine Grenze gibt, die im Ernstfall nur von dem überquert wird, in dessen Adern dasselbe Blut fließt, nicht wahr?“

„Vielleicht, ich weiß es nicht“, gab Ro ehrlich zu. „Ich habe noch nie darüber nachgedacht. Wahr-scheinlich liegt es daran, dass ich niemals Freunde hatte, bis ich zum Maquis gegangen bin. Ich bin es wohl einfach nicht gewöhnt, dass andere mich mögen.“

Rayna stand auf. „Wenn es dir so schwer fällt, Gefühle, die dir entgegengebracht werden, zu akzeptieren, dann werde ich dir beweisen, wie ernst es mir ist.“

Besorgt verfolgte Ro wie die Terranerin erst ein Bein über den Rand des Felsvorsprunges schwang, dann das andere. „Bei den Propheten, was hast du vor?“

„Das wirst du gleich sehen“, kam es sanft zurück, und ehe Ro es verhindern konnte, hatte Rayna sich von der Klippe gleiten lassen und hing nun, nur noch von zwei Wurzeln, die sie gepackt hatte, gehalten, frei über dem Abgrund.

„Bist du lebensmüde, Rayna, was machst du da?!“ entfuhr es Ro entsetzt.

„Gib mir deine Hand, Laren“, sagte Rayna ruhig, ohne die kleinste Spur von Furcht.

Die Bajoranerin legte sich flach auf den Boden und reichte der anderen ihre Rechte. Rayna ergriff sie mit einer Hand. Ro hatte das Gefühl, der Blick der grünen Augen würde bis zum Grund ihrer Seele gehen. „Ich liebe dich wie eine Schwester, Laren, und ich vertraue dir blind“, sagte Rayna, während ihre andere Hand sich von der Wurzel löste, so dass sie nur noch von der Bajoranerin gehalten wurde.

Raynas Blick hielt Ros fest. „Verstehst du jetzt, was ich meine?“

„Ja“, keuchte die Bajoranerin, der das Gewicht der Terranerin die Luft aus den Lungen presste. Und es war die Wahrheit, das wurde Ro bewusst, als Rayna nun lächelnd wieder die Wurzel packte und sich mit ihrer Hilfe zurück auf den Felsvor¬sprung zog.

In all den langen einsamen Jahre war sie ständig auf der Suche gewesen, ohne genau zu wissen, wonach. Doch hier und jetzt, als sie sich von Rayna in die Arme nehmen ließ und zum ersten Mal offen die Tränen zeigte, die sie ihr ganzes Leben immer vor anderen verborgen hatte, da wusste RoLaren, was immer es auch gewesen war, sie hatte es gefunden...


ENDE
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