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Das Auge der Propheten

von Martina Strobelt

Kapitel 2

„Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Commander“, sagte Odo langsam. „Dann wären Sie also tatsächlich bereit, diesem Betrüger Quark eine heilige bajoranische Reliquie zu überlassen?“

Die beiden Männer standen sich im Büro des Kommandanten gegenüber. Der Kristall befand sich mittlerweile in einem kleinen Stahlkasten, den der Wandler in der Hand hielt. Die deutliche Missbilligung in Odos Stimme war Sisko nicht entgangen. Sie zeigte ihm, auf welcher Seite der Sicherheitschef von DS9 bei diesem Streit stand und wie viel -- oder besser gesagt wie wenig er von der Entscheidung seines Vorgesetzten hielt. Kein Wunder, wenn man bedachte, welch hohe Meinung Odo von Major Kira hatte und wie sehr ihm der Ferengi-Barkeeper zuwider war.

Sisko konnte ihn nur allzu gut verstehen. Wäre es nach ihm gegangen, wäre Kira mit ihrem Auge der Propheten bereits auf dem Weg nach Bajor. Aber als Sternenflottenoffizier war es seine Pflicht, neutral zu bleiben. Persönliche Gefühle durften hier keine Rolle spielen.
Gerade als er tief Luft holte, um Odo daran zu erinnern, dass die gleiche Pflicht auch ihn als Sicherheitschef einer von der Föderation geleiteten Station traf, summte der Türmelder. Auf Siskos ‘Herein’ hin, betrat ein Rigellaner undefinierbaren Alters den Raum, der unter dem Arm einen abgewetzten ledernen Beutel trug. Er war wie ein Händler gekleidet und der Commander glaubte sich dunkel daran zu erinnern, ihn schon mal auf dem Promenadendeck gesehen zu haben, wo er irgendwelchen nutzlosen Krimskrams verkaufte.

Ehe er dazu kam, den unerwarteten Besucher zu fragen, was er überhaupt wollte, hatte dieser sich schon breitbeinig vor dem Sternenflottenoffizier aufgebaut. „Commander“, begann er herausfordernd. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass diese Bajoranerin Kira herumrennt und überall auf der Station das Gerücht verbreiten, dass ich ein Dieb sei. Ich verlange auf der Stelle, dass Sie dem ein Ende machen.“

„Bitte?“ Entgeistert sah Sisko den Rigellaner an. „Hören Sie“, fuhr er dann fort. „Ich weiß weder wer Sie sind, noch wovon Sie da reden. Im Moment habe ich leider nur sehr wenig Zeit. Vielleicht kommen Sie Morgen noch einmal wieder und dann...“ Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden.

„Das könnte Ihnen so passen“, unterbrach ihn der Händler keifend. „So leicht werden Sie mich nicht los. Wenn Sie glauben, ich ließe mir von dieser verrückten Furie meinen guten Ruf als Geschäftsmann ruinieren, dann haben Sie sich getäuscht.“

„Das reicht“, versetzte Sisko kalt. „Mit welchem Recht kommen Sie dazu, derartige Anschuldigungen gegen meinen Ersten Offizier zu erheben?“

„Sie wollen eine Erklärung von mir?“ Der Rigellaner gab ein Geräusch von sich, das wie ein meckerndes Lachen klang. „Wie Sie wünschen, ich werde Ihnen eine geben.“ Mit diesen Worten öffnete er seinen Beutel und schüttelte den Inhalt mit einem schnellen Ruck mitten auf Siskos Schreibtisch.

Was er sah, verschlug dem Commander die Sprache. Es dauerte einige Sekunden, bis er sich wieder gefasst hatte. Er atmete tief durch, dann griff er zum Kommunikator. „Major Kira, Bitte kommen Sie in mein Büro. Sofort !“

* * *

„Das ist völlig unmöglich.“

Ungläubig starrte Major Kira auf das, was sich ihren Augen bot. Dort, mitten auf Siskos Schreibtisch lagen mindestens fünf oder sogar sechs Dutzend ovale rubinrote Kristalle. Sie alle glichen einander wie ein Ei dem anderen und glänzten und funkelten um die Wette. Die Bajoranerin schluckte schwer. „Nein, das kann nicht sein, es gibt doch nur ein Auge der Propheten.“

„Sie sagen es, Major“, erwiderte Sisko langsam. „Und das ist genau der Punkt.“

„Sir?“

„Nun ganz einfach. Diese Steine da stammen aus dem Warenangebot eines rigellanischen Händlers. Er behauptet, derartige Kristalle seit ein paar Tagen hier auf dem Promenadendeck feilzubieten und darüber hinaus ...“, Sisko zögerte kurz.

„... glaubt er sich auch genau daran zu erinnern, einem cardassianischen Offizier einen solchen Stein als Andenken verkauft zu haben“, beendete Kira den Satz. Sie lachte verächtlich auf. „Was für ein Zufall aber auch. Und das haben Sie ihm abgenommen?“

„Nein“, antwortete Sisko ernst. „Aber das ändert nichts daran, dass die Behauptung dieses Mannes offiziell nicht ignoriert werden kann.“

„Ach tatsächlich“, schnappte die Bajoranerin. „Wo ist denn dieser geheimnisvolle Händler? Ich würde ihn gerne einmal selbst über sein ‘ausgefallenes Warensortiment’ befragen.“

„Nachdem er seine Geschichte erzählt hatte, bat er darum, zu seinen Geschäften zurückkehren zu dürfen und es gab keinen Grund, ihn hier gegen seinen Willen festzuhalten.“

„Ach nein? Nun da bin ich aber anderer Ansicht.“ Kira sah aus, als würde sie am liebsten mit der Faust auf die Schreibtischplatte schlagen. „Verdammt, Commander, Sie und ich wissen, dass dieser Rigellaner lügt und dass Quark es war, der ihn dafür bezahlt hat.“

„Das Wissen um die Wahrheit ist leider nicht genug“, stellte Sisko ruhig fest. „Ohne Beweise ist es praktisch wertlos.“

„Sie wollen Beweise? Nun, dann lassen Sie Quark und seinen Strohmann doch festnehmen und verhören. Odo wird es schon schaffen, die Wahrheit aus den beiden herauszubekommen. Nicht wahr, Constable?“, wandte sie sich nun an den Sicherheitschef, der bisher noch kein einziges Wort gesagt hatte.

Dieser nickte zustimmend. „Der Major hat recht. Quark ist ein gerissener Gauner, aber ich werde schon mit ihm fertig, wenn Sie mir nur die Gelegenheit dazu geben.“

„Nein, das werde ich nicht tun.“ Siskos Stimme bebte vor Unbehagen, aber auch vor unterdrücktem Ärger. „Ganz gleich wie Sie beide darüber auch denken mögen, nach den Gesetzen der Föderation reichen die vorliegenden Fakten nicht aus, um eine Festnahme zu rechtfertigen.“

„Mag sein“, fauchte Kira angriffslustig. „Aber das hier ist eine bajoranische Station.“

„Die von der Sternenflotte geleitet wird“, versetzte Sisko mühsam beherrscht. „Es tut mir leid, Major, aber solange ich hier das Kommando habe, gelten auf DS9 ausschließlich die Gesetze der Föderation -- und zwar für alle.“

„Und was heißt das?“ Im Blick der Bajoranerin lag eine Mischung aus Wut und Verzweiflung, die Sisko zeigte, dass sie bereits wusste, was er auf ihre Frage antworten würde -- antworten musste.

„Obwohl es mir persönlich widerstrebt“, sagte er langsam. „Lassen mir die veränderten Umstände leider keine andere Wahl, als Quark den Kristall zurückzugeben. Bitte, Major, verstehen Sie doch ...“

Den Rest des Satzes hörte Kira schon nicht mehr. Wie von Sinnen hatte sie sich umgedreht und war aus dem Büro gestürmt. Ihre Wangen brannten und ihre Augen füllten sich mit heißen Zornestränen. Mit geballten Fäusten rannte sie an Lieutenant Dax und Chief O’Brien vorbei, ohne auf deren überraschte Blicke zu achten. Sie rannte und rannte und ehe sie sich versah, stand sie auf der oberen Galerie des Promenadendecks.

Gerade als sie sich anschickte, nach unten zu gehen, erklang dicht hinter ihr eine vertraute Stimme: „Warten Sie, Major, was haben Sie vor?“

Odo war ihr unbemerkt gefolgt und trat nun neben sie an das Geländer.

„Was schon?“, zischte sie wütend. „Ich suche Quark und dann werde ich ihn zwingen, mir die Wahrheit zu sagen. -- Und wenn ich sie aus ihm heraus prügeln muss.“

„Das wird Commander Sisko aber gar nicht gefallen“, gab der Sicherheitschef zu bedenken.

„Und wenn schon.“ Kiras Augen versprühten Blitze. „In erster Linie bin ich Bajoranerin. Was gehen mich die verfluchten Gesetze der Föderation an? Wenn sie es solchen Verbrechern wie Quark gestatten, ungeschoren davonzukommen, dann sind sie ohnehin nicht viel wert. -- Abgesehen davon, handelt es sich hier um eine rein bajoranische Angelegenheit. Die Sternenflotte hat kein Recht, sich einzumischen. Wenn Sisko glaubt, er könne mir oder der provisorischen Regierung vorschreiben, wie ...“

„Major, bitte beruhigen Sie sich doch“, unterbrach Odo ihren Redefluss. „Was hoffen Sie denn mit so einer Aktion zu erreichen? Sisko wird einen derartigen Angriff auf seine Autorität nicht einfach hinnehmen.“

„Verdammt, soll ich vielleicht tatenlos zusehen, wie diese betrügerische Ferengi-Kröte eine heilige Reliquie meines Volkes ohne jeden Skrupel an den Meistbietenden verschachert?“

„Wollen Sie stattdessen lieber einen politischen Skandal heraufbeschwören?“, gab er ruhig zurück. „So sehr es Ihnen auch missfallen mag -- Ihre Heimat ist derzeit auf den Schutz und das Wohlwollen der Föderation angewiesen.“

„Dass ausgerechnet Sie mir in den Rücken fallen würden, hätte ich nicht erwartet“, sagte die Bajoranerin bitter. „Ich dachte, dass Sie mein Freund wären, aber offensichtlich habe ich mich da geirrt.“

„Aber ich bin Ihr Freund. Und gerade deswegen halte ich es für meine Pflicht, Sie davon abzuhalten etwas Unüberlegtes zu tun, das sie später womöglich bereuen werden.“

In der Stimme des Sicherheitschefs schwang verhaltene Traurigkeit. Ein Teil davon spiegelte sich auch in dem Blick wieder, mit dem er Kira unverwandt musterte. Von einem Moment auf den anderen wich der Zorn in ihren Augen einem tiefen Schmerz darüber, ihn mit Ihren unbedachten Worten verletzt zu haben.

„Bitte verzeihen Sie mir, Odo“, bat sie leise. „Ich hätte das nicht sagen dürfen. Es war gemein und dumm, aber der Gedanke, dass das Auge der Propheten sich jetzt in Quarks schmierigen Händen befindet ...“ Sie brach ab, von Kummer überwältigt.

„Sie müssen sich nicht entschuldigen, Major“, sagte der Wandler schlicht. „Ich verstehe Ihre Gefühle und ich teile sie.“ Als er nun fortfuhr, bekam seine Stimme einen harten, ungewohnt zornigen Klang. „Wenn es so etwas wie Gerechtigkeit in diesem Universum gibt, dann wird unser gemeinsamer ‘Freund’ Quark hoffentlich die Strafe erhalten, die seinem gemeinen Betrug gebührt.“

* * *

„Bruder, du bist ein Genie.“ Roms Stimme überschlug sich fast vor Bewunderung.

Selbstgefällig strich sich Quark über sein rechtes Ohr. „Ja, da hast du sicher recht. Zu schade, dass ich Siskos Gesicht nicht sehen konnte, als unser rigellanischer Freund ihm all das hübsche bunte Glas direkt vor die Nase geschüttet hat. Dieser Anblick hätte mich ein wenig für den ganzen Ärger entschädigt.“

Die beiden Ferengi saßen an der Bar des Kasinos. Vor ihnen standen zwei hohe Gläser mit violettem Tarrak-Wein. In genießerischer Vorfreude leckte Quark sich die Lippen. „Also man kann den Cardassianern ja allerhand nachsagen, aber sie verstehen es wirklich, einen ausgezeichneten Wein herzustellen. Genau das richtige Getränk, um auf diesen Erfolg anzustoßen.“

Mit diesen Worten hob er sein Glas. Rom tat es ihm nach. „Einen Toast auf meinen gerissenen Bruder, dem habgierigsten und skrupellosesten Ferengi, der jemals ...“ Mitten im Satz brach er plötzlich ab. Seine Augen weiteten sich vor Schreck, während er mit offenem Mund an seinem Bruder vorbei in Richtung Tür starrte.

„Was zum Teufel ...“, begann Quark, während er sich umdrehte. Dann verschlug es auch ihm die Sprache. Dort mitten in der Bar stand der Große Nagus.

* * *

„Sprich ruhig weiter, Rom.“ Die Augen des Ferengi-Oberhauptes funkelten in boshaftem Vergnügen, als er jetzt langsam näher trat. „Es liegt mir fern, dich zu unterbrechen. Du wolltest uns glaube ich gerade sagen, wer der habgierigste und skrupelloseste aller Ferengi ist. Nun wer ist das denn wohl deiner Meinung nach?“

Jetzt kam Leben in Quark. Er sprang hastig auf, beugte sich nieder und küsste den Herrschaftsstab, den der alte Ferengi ihm mit einer huldvollen Bewegung hinhielt. „Ihr natürlich, Großer Nagus, wer denn sonst. Bitte verzeiht die Dummheit meines Bruders. Manchmal weiß er einfach nicht, was er so daher plappert.“

Er warf Rom einen bösen Blick zu. „Na los, du Idiot“, zischte er ihm zu. „Steh hier nicht so faul herum. Bring dem Großen Nagus gefälligst einen Stuhl und etwas zu trinken. -- Das Beste was die Bar zu bieten hat.“

Während sein Bruder sich beeilte, diesen Anweisungen Folge zu leisten, wandte Quark seine Aufmerksamkeit erneut dem Oberhaupt aller Ferengi zu. Seine Gedanken rasten. Was konnte der Große Nagus wohl von ihm wollen. Dieser unerwartete Besuch war sicher kein Zufall. Jeder Ferengi lebte nach dem Prinzip ‘Zeit ist Latinum und Latinum ist knapp’. Nein, der Große Nagus würde niemals ohne triftigen Grund eine so weite Reise unternehmen.

‘Verdammt’, stöhnte Quark innerlich. ‘Wahrscheinlich hat er sich doch noch entschlossen, die Bar zu kaufen, für einen Bruchteil dessen was sie wert war, versteht sich.’ Der Große Nagus liebte solche Geschäfte und wenn sie einen anderen in den Ruin trieben, nun umso besser, das gab der Sache dann noch einen zusätzlichen Reiz. Quark wusste das nur zu gut. -- Schließlich hatte er dergleichen schon selbst oft genug praktiziert.

Mit der Gewandtheit des geborenen Betrügers gelang es ihm, die aufsteigende Panik zu verbergen. „Oh Großer Nagus“, begann er, wobei er seiner Stimme einen ehrerbietigen Klang verlieh. „Was verschafft mir und meinem bescheidenem Etablissement die unerhörte Ehre Eures Besuchs?“

Das Ferengi-Oberhaupt musterte ihn aus kleinen listigen Augen und quittierte die unterwürfigen Worte mit einem fast verächtlichen Lächeln. „Die Erwartung eines gewinnbringenden Geschäftes natürlich, was denn wohl sonst. Nebenbei, Sie sollten Ihre eigenen Erfolge nicht abwerten. Diese Bar ist alles andere als ‘bescheiden’ und bringt Ihnen sicher nach wie vor einen schönen Profit ein, oder?“

‘Oh nein, ich wusste es’, dachte Quark entsetzt. ‘Gleich macht er mir den Vorschlag, das Kasino zu kaufen. Warum musste ich Idiot überhaupt die Bar erwähnen.’ Doch nun war es für Selbstvorwürfe zu spät. „Danke, ich bin zufrieden“, brachte er mühsam hervor. „Aber es könnte mehr sein“, setzte er dann schnell hinzu, in der Hoffnung, den drohenden finanziellen Ruin vielleicht doch noch abwenden zu können.

„Unsinn.“ Der alte Ferengi gab ein unterdrücktes Kichern von sich. „Bei der Lage in unmittelbarer Nähe zum einzig bekannten stabilen Wurmloch, der ‘Tür’ zum Gamma-Quadranten muss das Kasino eine wahre Goldgrube sein. Und darüber hinaus der geeignete Ort, wenn man etwas kaufen oder verkaufen will. Damit kommen wir zum Grund meines Hierseins. Es gibt da etwas in Ihrem Besitz, an dem ich außerordentlich interessiert wäre, wenn Sie verstehen was ich meine.“

Oh, Quark verstand nur zu gut. Brennende Übelkeit kroch in ihm hoch. Er war erledigt, am Ende. Von dem finanziellen Verlust würde er sich nie wieder erholen können. Es gab kein Entrinnen, oder vielleicht doch? Wenn er seinen Besucher nun kurzerhand hier und jetzt beseitigen würde? Die Gelegenheit war günstig. Sie waren allein, wenn man mal von diesem Idioten Rom absah. Der Gedanke hatte etwas Verlockendes, doch die Vorsicht hielt ihn davon ab, ihn sofort in die Tat umzusetzen. Der Große Nagus war nur deshalb schon solange an der Macht, weil es ihm immer wieder gelungen war, den Mordanschlägen sowohl seiner Feinde, als auch seiner Freunde und Geschäftspartner zu entgehen. Während all dieser Überlegungen, spürte er den bohrenden Blick seines Gastes auf sich ruhen. Der Schweiß begann ihm in einem kleinen Rinnsal den Nacken herabzufließen. Er musste Zeit gewinnen, um eine Entscheidung zu treffen. „Oh ‘Großer Nagus’“, stammelte er „was könnte ich schon haben, das Euer Interesse wert wäre?“

„Nichts, außer einer seltenen Antiquität, um die ich meine Sammlung gerne bereichern würde.“

Eine Welle der Erleichterung durchflutete Quark. Dem Oberhaupt der Ferengi war an der Bar offenbar gar nicht gelegen. Dann ging ihm der tiefe Sinn der Worte auf und die plötzliche Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Der Große Nagus hatte es auf das Auge der Propheten abgesehen. Er musste überall seine Spione haben, wie sonst hätte er so schnell von dem Kristall erfahren können. Quarks Gedanken rasten. „Rom“, rief er. „Der Große Nagus interessiert sich für den Stein, den ich kürzlich von dem cardassianischen Offizier erworben habe. Los geh und hol ihn her. Er befindet sich in meinem Büro im Wandtresor in einem kleinen Kästchen.“

Nachdem sein Bruder mit dem Gewünschten zurückgekommen war, zeigte Quark seinem Besucher den funkelnden Kristall. Unverhohlene Gier glomm in den Augen des alten Ferengi auf. „Ein wirklich schönes Stück. Sagen Sie mir, wie viel Sie dafür verlangen?“

Quark schluckte und überlegte fieberhaft, was er darauf antworten sollte. Sein Instinkt warnte ihn davor, das Ferengi-Oberhaupt zu verärgern. Andererseits widerstrebte es ihm, freiwillig auf jeglichen Profit zu verzichten. Dem Großen Nagus war sein Zögern nicht entgangen. „Eine wirklich schöne Bar“, sagte er mit einem lauernden Unterton in der Stimme. „Sie sind wahrhaft zu beneiden.“

Da begriff Quark, dass er in der Falle saß. Entweder, er verzichtete auf den Stein, oder er verlor sein Kasino. So oder so, würde er einen finanziellen Verlust erleiden. Da er somit praktisch keine Wahl hatte, entschied er sich mit blutendem Herzen für das kleinere Übel. „Oh Großer Nagus“, würgte er heraus. „Es wäre mir eine große Ehre, wenn Ihr den Kristall als Geschenk annehmen würdet.“

Blitzschnell fuhr die Hand des ‘Großen Nagus’ vor und schloss sich um das kleine Kästchen. „Sie sind äußerst großzügig. Überhaupt, wenn ich es so recht bedenke“, fuhr der alte Ferengi fort, während er sich hingebungsvoll am Ohr zu kratzen begann. „Sie haben viele Talente, die sich unter Umständen als äußerst nützlich erweisen könnten.“

Quarks Herz begann heftiger zu schlagen. Vielleicht stellte der Verlust des Steines sich bei genauerer Überlegung als Gewinn da. Der ‘Große Nagus’ schien sehr zufrieden zu sein. Und sein Wohlwollen konnte aus ihm einen reichen Mann machen, wenn er es nur zu seinem Vorteil auszunutzen verstand. Nun, darin war er ein Meister. Er beugte sich nieder, um zum zweiten Mal an diesem Abend den Herrschaftsstab des Ferengi-Oberhauptes zu küssen. „Ich lebe nur, um Euch zu dienen“, heuchelte er ungeniert.

Der ‘Große Nagus’ nickte huldvoll. „Es freut mich, das zu hören. In Zukunft werden Sie Gelegenheit erhalten, mir noch viel besser zu dienen, als bisher. Wie Sie wissen versuche ich nach wie vor, den Mann zu finden, der über ein ausreichendes geschäftliches Gespür verfügt, um uns Ferengi würdig im Gamma-Quadranten zu vertreten. Darüber sollten wir uns später beim Abendessen noch ausführlicher unterhalten. Vorerst würde ich mich jedoch gerne ein wenig entspannen. Soweit ich mich entsinnen kann, verfügen Sie über ganz erstaunliche Holodeckprogramme.“ Bei diesen Worten trat ein lüsternes Funkeln in seine Augen.

‘Auch das noch’, seufzte Quark insgeheim. Bei seinem letzten Besuch hatte der ‘Große Nagus’ mehrere Stunden lang eine der Holo-Kammern blockiert und sich an sämtlichen vorhandenen Spezialprogrammen ergötzt. -- Natürlich ohne den kleinsten Streifen Latinums dafür zu bezahlen. ‘Nun gut’, dachte Quark ergeben. ‘Wenn es dazu dient, den ‘Großen Nagus’ in gute Stimmung zu versetzen, so soll mir das nur recht sein.’

Er winkte seinem Bruder. „Rom, führe unseren hohen Gast bitte in die Holo-Kammer Drei. Und danach triffst du alle Vorbereitungen für ein großes Festmahl.“

Seine Augen folgten dem alten Ferengi, als dieser behände die Treppe zu den Holosuiten hinaufstieg. Das alles würde ihn ein Vermögen kosten, aber der Profit, der ihm winkte, war jeden Preis wert. Die Worte des Ferengi-Oberhauptes waren deutlich gewesen. Die geschäftliche Erschließung des Gamma-Quadranten stand kurz bevor und er, Quark würde mit dieser Aufgabe betraut werden. ‘Rom ist zwar ein Idiot’, dachte er selbstgefällig. ‘Aber in einem Punkt hat er recht. Ich bin wirklich ein Genie.’

* * *

Sichtlich nervös trommelte Quark auf die Platte des Tisches, auf dem er mit Roms Hilfe ein exquisites Festmahl angerichtet hatte und warf wiederholt einen Blick auf die Treppe, die zu den Holosuiten führte. Nach den Computeranzeigen zu urteilen, waren sämtliche Programme bereits seit geraumer Zeit vollständig abgelaufen Auch ein Neustart war nicht erfolgt. Sofern die Anzeigen richtig waren, saß der ‘Große Nagus’ also seit mehr als einer Stunde allein in einer leeren, deaktivierten Holokammer. Dies alles ergab keinen Sinn, es sei denn ...

‘Oh nein’, dachte Quark entsetzt. Sollten seine Spezialprogramme den ‘Großen Nagus’ womöglich körperlich überfordert haben? Nicht etwa, dass er ein eventuelles Ableben des alten Ferengi bedauert hätte, aber der Zeitpunkt hätte ungünstiger nicht sein können. -- Nicht auszudenken, jetzt wo der Gamma-Quadrant zum Greifen nah war. Er gab sich einen Ruck. „Rom, los geh und sieh nach wo unser Gast bleibt.“

Der Angesprochene zuckte zusammen. „Aber Bruder, das geht doch nicht. Der ‘Große Nagus’ wird sehr wütend sein, wenn ich ihn störe.“

Quark stöhnte. „Du verdammter Idiot“, zischte er. „Begreifst du denn gar nichts. -- Du tust, was ich dir sage, oder Du kannst dich mit sofortiger Wirkung als entlassen betrachten, hast du mich verstanden?“

Rom zögerte, dann setzte er sich ganz langsam mit der Miene eines Mannes in Bewegung, den man gerade zum Tode verurteilt hatte. Quark ließ ihn nicht aus den Augen, als er die Treppe hinaufging, die Tür von Holosuite Drei öffnete und eintrat. Einige Minuten verstrichen, ehe Rom allein und sichtlich verwirrt wieder auftauchte. „Er … ist weg“, stotterte er.

Alarmiert sprang Quark auf „Was meinst du damit? Es gibt nur diesen einen Zugang. Der ‘Große Nagus’ muss irgendwo da drin sein. Er kann sich doch schließlich nicht einfach in Luft aufgelöst haben ...“ Mitten im Satz brach er ab und sank zurück auf seinen Stuhl, als hätte er einen gewaltigen Schlag erhalten. „Oh nein“, brach es aus ihm heraus. „Wie konnte ich nur so ein Narr sein!“

* * *

Major Kira und Odo standen in der Haupthalle eines der ältesten Tempel Bajors. Durch die hohen Fenster schimmerte bereits das erste Licht des beginnenden Tages und von fern erklang der rhythmische Gesang, mit dem die Mönche des nahen Klosters ihr morgendliches Gebet begannen. Auf Kiras Gesicht lag ein seltener Ausdruck von Frieden, doch ihre Augen strahlten dennoch Besorgnis aus. „Und wenn er es nun herausfindet?“

„Unter uns gesagt“, erwiderte der Sicherheitschef langsam. „Ich denke, das hat er längst. Quark ist alles andere als ein Idiot und durchaus in der Lage zwei und zwei zusammenzuzählen.“

„Befürchten Sie nicht, dass er sich an Sisko wendet?“

„Und wenn schon. Der Commander wird Quarks Geschichte anhören, sich seinen Teil denken und die Sache dann auf sich beruhen lassen. Wie er selbst gesagt hat, Das Wissen um die Wahrheit reicht nicht. Ohne Beweise ist es wertlos.“

„Es wäre Quark ein Leichtes, sich die nötigen Beweise zu beschaffen“, gab die Bajoranerin zu bedenken. „Eine einzige Subraumkommunikation mit dem ‘Großen Nagus’ würde genügen.“

„Da haben Sie sicher recht“, stimmte Odo ihr zu. „Doch glauben Sie mir, Quark würde sich eher die Zunge abbeißen, als gegenüber dem ‘Großen Nagus’ zuzugeben, dass man ihn hereingelegt hat. Er weiß ganz genau, dass ein derartiges Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit seine sämtlichen Hoffnungen auf den Gamma-Quadranten mit einem Schlag zunichtemachen würde.“

Kira schwieg, doch während sie ihren Blick jetzt von seinem Gesicht abwandte und auf die Mitte der Halle richtete, wich die Besorgnis in ihren Augen einer Mischung aus Ehrfurcht, Glück und Dankbarkeit. „Odo, Sie ahnen gar nicht, wie tief ich in Ihrer Schuld stehe. Sie haben mir und dem gesamten bajoranischen Volk einen unschätzbaren Dienst erwiesen.“

Der Sicherheitschef folgte ihrem Blick. Dort in der Mitte des Tempels, eingefasst in eine jahrhundertalte Granitplatte glitzerte und funkelte ein ovaler rubinroter Kristall. Im Licht der aufgehenden Sonne schien es fast so, als würde das Auge der Propheten auf geheimnisvolle Weise von innen heraus leuchten. Der Widerschein seines sprühenden Strahlenfeuers spiegelte sich auf den Marmorwänden und auch auf den Gesichtern der Bajoranerin und des Wandlers.

Letzteres verzog sich nun zu einer etwas schiefen Imitation eines menschlichen Lächelns. „Glauben Sie mir, Major, ich habe Ihnen gern geholfen. Um ehrlich zu sein“, Odo zögerte kurz, „Ich habe es sogar genossen.“ Im Geiste sah er einen erbosten Quark vor sich, wie er in hilfloser Wut, händeringend und jammernd den erlittenen finanziellen Verlust beklagte. Eine Vorstellung, die ihn mit ungeheurer Befriedigung erfüllte. Sein Lächeln vertiefte sich. „Oh ja, das habe ich“, wiederholte er. „Sie ahnen gar nicht, wie sehr.“

- ENDE -
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