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A Decade of Storm: Kapitel 6 - Legion

von Markus Brunner

Kapitel 2

Die Nächte auf Sherman’s Planet waren nicht so dunkel wie auf der Erde, obwohl kein einziger Mond am schwarzen Himmel stand. Stattdessen spannte sich ein leuchtendes Band über dem Horizont. Dabei handelte es sich um einen Ring aus Milliarden Gesteinsbrocken, die Sherman’s Planet umgab und der dank seiner exzentrischen Umlaufbahn auch zu später Stunde noch großflächig von der Sonne des Laurentianischen Systems beschienen wurde.
Das vom Ring auf den Planeten reflektierte Sonnenlicht war stark genug, so dass einem das Fehlen von Straßenlaternen überhaupt nicht störte. Abgesehen vom diffusen Licht des Rings sorgte die Beleuchtung der unzähligen Baustellen in der Kolonie für ausreichend Helligkeit, um durch die Straßen zu laufen, ohne zu riskieren, in einem von Baggern ausgehobenen Loch zu verschwinden oder über provisorisch verlegte Leitungen zu stolpern.
Die einzigen beiden Personen, die in dieser Nacht durch die Straßen liefen, waren Sarah Ondaii und Robert April und keiner von ihnen schenkte den Baustellen links und rechts Beachtung. Sarah, die auf Sherman’s Planet den Bau des neuen Krankenhauses überwachte, lief zielgerichtet auf ein niedriges Gebäude am Rand der neuen Kolonie zu. Dabei lachte sie überschwänglich und trieb den Ersten Offizier der Kelvin, den sie an der Hand hinter sich herzog, dazu an, noch schneller zu laufen: „Beeil‘ dich, Robert! Sonst kommen wir vielleicht zu spät!“
April hätte nie gedacht, dass er sich in eine so enthusiastische und lebenslustige Frau verlieben konnte. Aber Sarah hatte es innerhalb weniger Tage geschafft, ihm den Spiegel vorzuhalten und zu zeigen, was für ein mürrischer und lethargischer Mann er im Vergleich zu ihr doch war. Und dabei hatte er sich immer eingeredet, dass er seit dem Ende seiner Ehe vor einigen Jahren aus der Stagnation erwacht war. Sarah zeigte ihm nun, wie falsch er damit gelegen hatte. Wie zur Feier dieser Erkenntnis lief er noch schneller und schloss zur Frau, in die er sich verliebt hatte, auf.
„Wohin laufen wir eigentlich?“
„Das ist eine Überraschung“, erwiderte Sarah verschwörerisch.
April überlegte, welche Einrichtungen sich in diesem Bereich befanden, aber er musste sich eingestehen, dass er seit seiner Ankunft noch nie diesen Teil der neuen Kolonie betreten hatte. Die Besatzung der Kelvin hatte hauptsächlich damit zu tun gehabt, die Überreste der alten Kolonie zu sichern und beim Transport von schwerem Baumaterial von den Lagern zu den einzelnen Baustellen zu helfen. Die neu entstehende Kolonie grenzte direkt an den Ruinen der alten. Das Gebiet lag seit fünfzig Jahren brach, jedoch hatten die Sensoren der Kelvin jede Menge klingonischer Torpedos aufgespürt, die damals auf die alte Kolonie herabgeregnet, aber nicht detoniert waren. An der Gefährlichkeit dieser Torpedos hatten selbst fünfzig Jahre nichts geändert und unter Commander Colombos Aufsicht waren sie alle innerhalb der letzten Wochen fachmännisch entschärft und anschließend in einer sicheren Umgebung zerstört worden.
„Das ist unser Ziel, Robert!“, verkündete Sarah schließlich, als sie in Sichtweite eines völlig aus Glas bestehenden Gebäudes kamen. Er erkannte es sofort als eine Art Gewächshaus, allerdings war es keines von jenen, in dem die Nahrung für das auf Sherman’s Planet arbeitende Personal herangezogen wurde. Als Hauptnahrungsquelle dienten Protein-Synthetisierer, während die automatisierten landwirtschaftlichen Betriebe einige Kilometer entfernt noch eine ganze Weile brauchen würden, um nennenswerte Mengen abzuwerfen. Das einzige, was im eigentlich fruchtbaren Boden von Sherman’s Planet bisher wuchs, war Terzotritical, eine genetisch optimierte Kreuzung aus Weizen und Roggen. April konnte es den schwer schuftenden Bauarbeitern allerdings nicht verübeln, wenn sie am Ende des Tages ein synthetisch hergestelltes Steak vorzogen.
Gleich mehrere Türen standen offen und ließen abgesehen von der angenehm kühlen Luft auch die beiden nächtlichen Besucher ins Innere. Dort angekommen erkannte Robert anhand der Ausstattung sofort, welchem Zweck das Gebäude diente. „Das ist ein botanisches Labor!“
„Ja“, bestätigte Sarah. „Mehrere Agrarwissenschaftler untersuchen hier die heimische Flora. Ihr Ziel ist es, herauszufinden, welche nicht-heimischen Nutzpflanzen am besten geeignet sind, um auf Sherman’s Planet angebaut zu werden. Oder wie man diese Nutzpflanzen genetisch verändern muss, damit sie hier ideale Bedingungen vorfinden.“
Sarah führte ihren Begleiter an langen Regalen vorbei, in denen mit wildem Grün überwucherte Töpfe und Probenbehälter neben aktiven Biosensoranlagen standen.
Die Nächte auf diesem Planeten mochten zwar nicht pechschwarz sein, aber sie waren nicht hell genug, als dass auch nur eine der hier lagernden Pflanzen ihre Blüten offen zur Schau stellte. Mit einer Ausnahme.
„Das ist aber keine Blume, die normalerweise hier wächst, oder?“, fragte April verblüfft, als er und Sarah vor einem isolierten Bereich stehen blieben. Aus der schwarzen Erde wuchs eine bezaubernde kleine Blume mit drei großen, violett und bläulich glitzernden Blüten und vier kleineren Blättern in der Mitte, die im Licht des planetaren Rings in einem sanften Rosa schimmerten.
„Eine capellanische Orchidee“, erklärte Sarah. In ihrer Stimme schwang große Bewunderung mit. „Einer der Wissenschaftler muss sie mitgebracht haben. Ich bin erst heute auf sie aufmerksam geworden, aber das war ein echter Glücksfall. Capellanische Orchideen blühen nur einmal in ihrem Leben und dann nur für wenige Stunden. Sie ist wunderschön, nicht wahr?“
„Ja“, bestätigte April und wandte seinen Blick von der Blume ab und richtete ihn auf Sarah. „Wunderschön.“
Sie bemerkte, dass er damit nicht die Blume meinte und drehte sich ihm zu. Gerade weit genug, um sie zu küssen. Zu seiner Überraschung erwiderte sie seinen sanften Kuss mit großer Leidenschaft. Aber das hätte er vorausahnen können. Sarah kostete das Leben und die Liebe in vollen Zügen aus.
Doch gerade erst im siebten Himmel angekommen, brach für Robert April und Sarah Ondaii auf Sherman’s Planet die Hölle los.

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Captain Robau lehnte zufrieden in seinem Kommandosessel und blickte auf das Sternenfeld, das die Kelvin mit hoher Warp-Geschwindigkeit durchpflügte. Der Grund seiner Zufriedenheit war der technische Prüfbericht, den er gerade auf seinem PADD las. Die Inspektoren vom Sternenflottenhauptquartier lobten den Zustand des am längsten in Dienst stehenden Schiffes der Iowa-Klasse mit den höchsten Tönen. Allerdings bezweifelte Robau stark, dass auch nur einer der Inspektoren jemals einen Fuß an Bord eines anderen Schiffes der Iowa-Klasse gesetzt hatte und tatsächlich Vergleiche ziehen konnte. Für gewöhnlich wurden solche Inspektionen im Heimathafen der Kelvin – auf der Inferna-Station – vorgenommen. Obwohl Robau also allen Grund hatte, an den Fachkenntnissen der Inspektoren zu zweifeln, fand er die lobenden Worte doch sehr aufbauend und er würde vor Ende seiner Schicht runter in den Maschinenraum gehen und Chefingenieur Saang‘Shriaf den Prüfbericht übergeben. Der Axanar, der Lori O’Shannons alten Posten vor über zwei Jahren übernommen hatte, litt noch immer an unbegründeten Minderwertigkeitsgefühlen, war ständig mit seiner Leistung unzufrieden und zuckte unwillkürlich zusammen, sobald Lori O’Shannons Name fiel. Objektiv betrachtet musste Shriaf den Vergleich mit seiner Vorgängerin jedoch keineswegs scheuen. Nicht nur der aktuelle Prüfbericht war der Beweis dafür, dass er im Maschinenraum alles im Griff hatte. Aus sämtlichen Abteilungen hatte Robau nur lobende Worte für die Arbeit des Chefingenieurs gehört.
Robau deaktivierte das PADD und seufzte leise als er merkte, dass er sich selbst etwas vormachte. An Shriafs Fähigkeiten gab es nicht das Geringste auszusetzen und trotzdem würde er Lori nie ersetzen können. Ein Chefingenieur war ersetzbar – musste sogar ersetzbar sein. Aber eine Person konnte man nicht durch eine andere austauschen. Die Wahrheit – so schwer es Robau auch fiel, diese einzugestehen – lautete ganz simpel: Er vermisste Lori. Und was er über ihren weiteren Verbleib seit ihrer letzten Begegnung gehört hatte, ließ ihn einmal mehr bedauern, was er ihr angetan hatte. Er hätte sie niemals melden dürfen.
Da handle ich einmal streng nach Vorschrift und dann hadere ich jahrelang mit meiner Entscheidung. Es wäre beinahe amüsant, wenn es für Lori nicht so traurig wäre.
Bevor Robau zusammen mit Archer nach Riverside gebeamt war, hatte er die Gelegenheit ergriffen und sich beim Admiral nach Lori erkundig. Auch wenn sich Archer Mühe gegeben hatte, bei seinen Schilderungen möglichst sachlich zu klingen, hatte es keinen Zweifel daran gegeben, dass der Admiral missbilligte, wie schlecht mit Lori umgesprungen wurde. Das war spätestens dann klar geworden, als der Admiral zugab, Lori alle paar Tage im Gefängnistrakt zu besuchen, um sie auf dem Laufenden zu halten. Einen Feind der Föderation und in die Sternenflotte eingeschleusten Spion besuchte niemand alle paar Tage. Zumindest nicht, um ihm Informationen zu geben.
„Verbringt sie die ganze Zeit im Arrest?“, hatte Robau gefragt. Die Antwort Archers hatte gelautet:
„Sie darf hin und wieder mal für ein paar Tage raus, wenn ihre Expertise für Missionsplanungen benötigt wird. Sie hat seither das Gelände des Sternenflottenhauptquartiers zwar nie verlassen, aber es ist besser als nichts. Ich hoffe immer noch darauf, dass die anderen Admiräle ein Einsehen haben und erkennen, dass O’Shannon eine große Hilfe ist.“
Was immer ihr in Zukunft noch blühen mochte, Robau wusste wie unwahrscheinlich es war, sie jemals wieder an Bord der Kelvin zu haben. Als Chefingenieurin hatte sie die meiste Zeit für ihn unsichtbar im Maschinenraum gewerkt. Aber um sie vor seinem inneren Auge zu sehen, brauchte er nur ihrem Nachfolger Shriaf in die Augen zu blicken und dort dessen Unsicherheit erkennen. Ein direktes Resultat von Loris Abwesenheit und für Robau jedes Mal ein Stich ins Herz.
Er fragte sich, wie viele solche Stiche er ertragen konnte. Zugegeben: Lori O’Shannons Abwesenheit – da von ihm verursacht – schmerzte am heftigsten. Doch sie war nicht die einzige Person, die Robau verloren ging.
Da waren die Lieutenants George und Winona Kirk natürlich. Robau beneidete die beiden nicht um die Karriereentscheidungen, die sie in absehbarer Zeit treffen mussten. Es war nur ein Gefühl, aber Robau bezweifelte, dass die beiden bald wieder einen Fuß auf das Deck der Kelvin setzen würden.
Beide hatten schon früher längere Zeit gefehlt. Doch Kri Caraatic hatte es nie geschafft, einen langfristigen Ersatz für den Leiter des Alpha-Sicherheitsteams und seinen inoffiziellen Stellvertreter zu finden. Robau wusste nicht einmal, wer derzeit diese Position inne hatte.
An der Kommunikationsstation gab es hingegen keine Nachfolgeprobleme – zumindest noch nicht. Ensign Stone hatte Winona Kirk – damals noch Winona Giles – auch früher schon hervorragend vertreten. Allerdings legte der junge Mann weniger Wert auf die Beherrschung von Fremdsprachen und vertraute auf die Technologie hinter dem Universalübersetzer, den er wie kein Zweiter bedienen konnte. Diese Fachkenntnisse hatten sich inzwischen rumgesprochen und wie Robau wusste, bestand großes Interesse, Stone als Spezialisten für Kommunikationsanlagen zur Starbase XI zu lotsen. Es war fraglich, wie lange Stone den Lockrufen der größten Raumschiffreparaturanlage der Föderation noch wiederstand. Ein weiterer Abschied stand also bevor.
Und als ob diese Personalfluktuation nicht schlimm genug wäre, fürchtete Robau auch um seinen Ersten Offizier. Noch war Roberts April Stuhl auf der Brücke der Kelvin nur für einen beschränkten Zeitraum leer, da er auf Sherman’s Planet weilte. Aber wie lange würde er sich mit seinem Posten als Erster Offizier noch zufrieden geben? Robau war recht stolz auf sich, dass er April aus seinem Schneckenhaus geholt hatte und der Erste Offizier verglichen mir früher heute wesentlich entschlussfreudiger und abenteuerlustiger war sowie weniger konservativ handelte. Die Zeiten, in denen Robert April sich darum gedrückt hatte, sich auch nur vorübergehend in den Kommandosessel zu setzen, waren längst vorbei.
Wahrscheinlich wird Robert ein viel besserer Captain sein als ich es je werden könnte, überlegte Robau ohne den Funken von Reue. Er wusste ganz genau, wo seine eigenen Fehler lagen, wann er zu aggressiv und direkt handelte und wann es besser gewesen wäre, einen kühlen Kopf zu bewahren anstatt mit ihm stur gegen die Wand – und meisten gleich durch die Wand – zu stürmen. Robert April hatte sich im Verlauf der Jahre von Captain Robau ein bisschen was abgeschaut. Aber er hatte seine schon vorher vorhandenen Qualitäten beibehalten, war diplomatisch, dachte in klaren Strukturen, nahm sich die Zeit, um die vernünftigste Lösung eines Problems zu finden.
„Wissen Sie, was mich sehr erfreut, Manuel?“, fragte Robau seinen Waffenoffizier. Dieser wirkte von der Frage völlig unvorbereitet getroffen und schüttelte nur ahnungslos den Kopf.
„Mich freut, dass Ihr Name von der Beförderungsliste geflogen ist und Sie hoffentlich noch sehr lange an Bord der Kelvin bleiben werden.“
Robau ergötzte sich an dem halbherzigen „Dankeschön“ und dem frustrierten Gesichtsausdruck Colombos, als dieser nicht wusste, ob ihm gerade ein Kompliment ausgesprochen oder er gerade ganz übel beleidigt worden war. Irgendetwas unverständlich vor sich her murmelnd wandte sich Colombo von seinem Captain ab und drehte seinen Sessel wieder seiner Konsole zu, was Robau die Gelegenheit gab, unbeobachtet zu grinsen.
Das Lachen verging ihm, als sich Ensign Stone an ihn wandte: „Captain, wir empfangen eine Nachricht höchster Priorität von Sherman’s Planet.“
Eine solche Nachricht von einer im Bau befindlichen Kolonie am Rande des klingonischen Territoriums konnte nichts Gutes heißen. „Auf den Schirm!“, befahl Robau sofort. Doch statt des Abbilds eines Gesichts legte sich nur der grau-schwarze Schleier einer gestörten Bildübertragung über den Sichtschirm. Das Audio-Signal – wenn auch etwas verzerrt – drang hingegen verständlich durch die Lautsprecher. Zumindest anfänglich:
„Hier spricht Commander Robert April auf Sherman’s Planet. Wir werden von einer nicht identifizierten Streitmacht angegriffen. Die … Adriatic … zerstört. Mindestens … Schiffe … Feuer … eröffnet …“
In einem großen Knall und lautem Rauschen endete die Übertragung.
„Verdammter Mist!“, fluchte Colombo etwas lauter als es angebracht gewesen wäre.
„Wenn jemand auf meiner Brücke flucht, dann bin ich es, Commander“, tadelte Robau seinen Waffenoffizier, während er gleichzeitig aufstand und an die Seite von Steuerfrau Lin Tianyu trat. „Können andere Schiffe Sherman’s Planet vor uns erreichen?“
Die erfahrene Steuerfrau überprüfte blitzschnell die Navigationskarten und machte zwei Schiffe ausfindig: „Die Capricornus und die Revere sind eineinhalb Tage entfernt.“
„Und wie ist unsere eigene Position?“, fragte Robau sicherheitshalber, obwohl er schon wusste, dass die Kelvin deutlich länger benötigen würde. Sherman’s Planet lag weit entfernt vom Subraum-Highway, auf dem sich die Kelvin derzeit befand.
„Wenn Shriaf alles aus den Maschinen rausholt, können wir ihn fünf Tagen dort sein.“
Die Situation war für Robau wieder einmal prädestiniert dafür, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Die Revere und die Capricornus waren beide zusammen nicht einmal halb so gut bewaffnet wie die Adriatic und selbst die war von den Klingonen – für Robau gab es keinen Zweifel an der Identität der Angreifer – vernichtet worden. Am liebsten hätte er den beiden Schiffen befohlen, sich mit höchstmöglicher Geschwindigkeit aus dem Staub zu machen. Aber diesen Luxus konnte er sich nicht leisten. Es stand nicht nur das Leben seines Ersten Offiziers auf dem Spiel. An die eintausend Bürger der Föderation befanden sich auf Sherman’s Planet, bis zu diesem Angriff damit beschäftigt, Infrastruktur für die Militärbasis und später für die Kolonisten zu erschaffen. Sie konnten keinesfalls fünf Tage lang auf Rettung warten. Und so drehte sich Robau um und befahl Ensign Stone, eine Nachricht an die Revere und die Capricornus abzuschicken.
„Informieren Sie die Captains der beiden Schiffe über die Lage und fügen sie eine Kopie von Commander Aprils Notruf hinzu. Wenn sie in zwei Tagen Sherman’s Planet erreichen, sollen sie nur in die Umlaufbahn eintreten, wenn sie sicher sind, dass keine Angreifer mehr dort sind. Sollte eine feindliche Macht noch in der Nähe des Planeten sein, sollen sie sich zurückhalten, aus sicherer Entfernung beobachten und der Kelvin ständig Meldung erstatten.“
„Aye, Sir“, bestätigte Stone und machte sich sofort an die Arbeit.
Robau kehrte indes zu seinem Kommandosessel zurück. Kaum hatte er darin Platz genommen lehnte sich Colombo zu ihm rüber und fragte leise: „Sie sollen nicht eingreifen?“
„Wenn die verdammten Klingonen schon ein Schiff der Iowa-Klasse vernichtet haben, dann werden sie mit der Revere und der Capricornus auch kein Problem haben. Indem beide Schiffe einem möglichen Kampf fern bleiben, bleiben wenigstens deren fünfhundert Crewmitglieder am Leben. Tausend Tote auf Sherman’s Planet sind schlimm genug.“
Robau beendete die Diskussion, indem er auf den Intercom-Knopf auf seiner Sessellehne drückte: „Robau an Lieutenant Shriaf. Machen Sie ordentlich Dampf im Kessel, wir haben es in den nächsten fünf Tagen besonders eilig.“

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„Mindestens acht Schiffe haben das Feuer auf die Kolonie eröffnet. Zehn weitere sind … Hallo? Hört mich jemand? Mist!“
In einem für ihn völlig untypischen Wutausbruch schleuderte April das Mikrofon durch den Raum und durchquerte anschließend mit langen Schritten den Hauptkorridor des Verwaltungszentrums. Oder besser gesagt jener Baustelle, die einmal zum Verwaltungszentrum der Kolonie werden sollte. Aber acht feindliche Raumschiffe gaben sich derzeit redlich Mühe, den Kolonisationsversuch auf Sherman’s Planet schon im Keim zu ersticken.
Obwohl noch nicht fertiggestellt bot dieses Gebäude den besten Schutz vor Angriffen. Ein Schildgenerator, der eine schützende Energiekuppel über das Gebäude legte, war gleich zu Beginn der Bauarbeiten installiert worden. Jedoch war der Schutz nicht flächendeckend, denn immerhin mussten schutzsuchende Personen ja in das Gebäude gelangen können. Und so erzitterten die Mauern unter den Druckwellen von in der Nähe detonierenden Photonentorpedos während erst rund die Hälfte der eintausend Bewohner von Sherman’s Planet im Verwaltungszentrum Zuflucht gesucht hatten.
April musste sich überwinden, die vielen Menschen im Korridor zur Seite zu schieben. Es war gar nicht seine Art, sich so rüpelhaft Platz zu verschaffen. Aber mitten in einem Angriff konnte er es sich nicht leisten, Zeit für Höflichkeiten zu verschwenden.
Schließlich erreichte er den provisorischen Kommandoraum, wo sich die ranghöchsten Offiziere und Kolonisierungsexperten eingefunden hatten. In diesem Raum befand sich auch eine Transporterplattform, die das Personal der etwas abgelegenen Terzotritical-Farmen hierher beamte. Robert bemerkte sofort, dass die neu eingetroffenen Personen verletzt waren. Ärzte – unter ihnen auch Sarah – kümmerten sich sofort um die Neuankömmlinge und führte sie von der Plattform, damit die nächste Farm evakuiert werden konnte. Für einen kurzen Moment trafen sich Roberts und Sarahs Blicke, lange genug, um Robert Sorgen zu zerstreuen und ihn wieder zuversichtlich zu stimmen, dass sie aus dieser Hölle wohlauf herauskommen würden. Zumindest was Sarahs Patienten anging, wusste Robert April ganz genau, so waren diese in den besten Händen. Immerhin hatte Sarah früher an Bord von Raumschiffen gedient und Erfahrung darin, Kampfverwundungen zu behandeln. Das Sammeln dieser spezifischen Erfahrung war ein Grund, warum sie die Flotte schließlich verlassen hatte. Sie hatte sicher darauf gehofft, nie wieder auf diese Erfahrungen zurückgreifen zu müssen. Heute wurde ihr keine andere Wahl gelassen.
„Sind Sie durchgekommen, Commander?“, fragte Colonel Laurent, als sie April, auf der Türschwelle stehend, beobachtete. Die Kommandantin der kleinen Sicherheitstruppe auf Sherman’s Planet hatte während dieser Krise rein formell das Sagen. Allerdings beschränkte sich ihre Befehlsgewalt auf April und einen völlig überfordert wirkenden Corporal. Der Rest ihrer Truppe war entweder noch draußen im Bombenhagel unterwegs oder genauso tot wie die gesamte Besatzung der Adriatic. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es keine Meldung von Überlebenden. Und das würde auf jeden Fall auch noch eine Weile so bleiben.
„Der Feind stört unseren Funk“, berichtete April, als er an einen großen Schreibtisch herantrat, auf dem entrollt eine große Landkarte lag, die vom Colonel studiert wurde.
Nur Gott allein weiß wohl, was sie auf dieser Karte zu finden hoffte, dachte April und setzte seinen Bericht fort:
„Ich habe aber zumindest den Teil eines Notrufs rausgekriegt. Keine Ahnung, ob dieser angekommen ist. Selbst wenn, können wir sicher nicht so schnell auf Verstärkung hoffen.“
„Das weiß ich selbst!“, erwiderte Laurent gereizt und fuhr sich mit der Hand nervös durch das graue Haar, während sie ihren Blick weiter auf die Karte gerichtet hielt. Erst jetzt bemerkte April, dass sie sich mit einem roten Stift Notizen darauf gemacht hatte.
„Fünf Kontakte bei der Adelphos-Farm“, meldete der Corporal von der anderen Seite des Raumes.
„Energie!“
Auf Laurents Befehl schob der Corporal die Schieberegler der Transporterstation nach oben und auf der Plattform materialisierten fünf Gestalten. Zwei männliche Menschen, ein weiblicher Mensch und zwei Zaraniten, deren Geschlecht wegen der weiten Kleidung und den Gesichtsmasken nicht erkennbar war. Die fünf Farmer waren allesamt in guter Verfassung und Laurent notierte neben dem Kreis, den sie um auf der Karte rund um die Adelphos-Farm gezogen hatte „5/5“. Fünf von fünf gerettet. Doch für wie lange? Ein weiteres Mal erzitterte das Verwaltungsgebäude, als ein Torpedo am Schutzschild zerbarst.
Einer der Zaraniten näherte sich dem Schreibtisch. „Colonel Laurent?“, fragte eine männlich klingende Stimme, die von der Atemmaske verzerrt wurde. Der Fluoranteil in der Atmosphäre von Sherman’s Planet war zu gering für sie, weshalb sie die Masken benötigten.
„Ja?“, entgegnete Laurent ohne dem Zaraniten besondere Beachtung zu schenken. Anstatt ihn zu Wort kommen zu lassen drehte sie sich um und rief dem Corporal die nächsten Transportkoordinaten zu.
„Was gibt es?“, fragte April stellvertretend für die Kommandantin. Mund, Nase und Augen waren von der Atemmaske zwar verdeckt, weshalb April die Mimik des Zaraniten nicht deuten konnte. Aber in seiner Stimme glaubte er eine gewisse Dringlichkeit vernommen zu haben.
„Die Adelphos-Farm ist nicht angegriffen worden“, bestätigte der Zaranit das, was April sich bereits gedacht hatte. „Aber eines der fremden Schiffe ist am Fuße des Mesa Celestial gelandet!“
Laurent schwang sofort zum Zaraniten herum und wiederholte erstaunt: „Gelandet?“
April war genauso erstaunt wie der Colonel. Er sah zum großen Bildschirm an der Wand, der zeigte, was die Sensoren auffingen. Das Störfeld, das den Funkverkehr behinderte, beeinflusste auch die Sensoren. Aber sie funktionierten gut genug um zu erkennen, dass die acht angreifenden Schiffe weiterhin über der Kolonie kreisten und im Tiefflug sporadisch, ohne erkennbares System dahinter, auf die Gebäude feuerten. Keines der Schiffe machte Anstalten, hier zu landen.
Erst jetzt fiel April auf, dass sich nicht mehr zehn, sondern nur noch neun weitere Raumschiffe in der Umlaufbahn befanden. Eines der Schiffe, die die Adriatic vom Himmel geholt hatten, war fort.
Aber warum sollte es beim Mesa Celestial landen?
Darauf konnte sich April keinen Reim machen. „Der Mesa Celestial ist doch der größte Berg auf Sherman’s Planet, oder?“, fragte er nach, obwohl er bereits dort gewesen war und sich kaum vorstellen konnte, dass es noch größere Berge auf dem Planeten geben konnte.
„Richtig“, kam Laurent dem Zaraniten zuvor. „Aber bestenfalls für Bergsteiger und Fotografen von Interesse. Ich will nicht hoffen, dass unsere Angreifer nur Touristen mit schlechtem Benehmen sind.“
„Dann beamen Sie mich hin und ich sehe mir an, was dort vor sich geht“, entschied April. Ohne auf Laurents Antwort zu warten, ging er zum bereits offen stehenden Waffenschrank und entnahm ihm eine Phaser-Pistole samt Halfter. Kurz überlegte er, ob er auch eines der mächtigen Phaser-Gewehre mitnehmen sollte, entschied sich aber dagegen. Das schwere Gewehr würde ihn nur behindern. Hilfreicher würde ein Tricorder sein. Er fand einen im gleich neben dem Waffenschrank stehenden Ausrüstungsspind.
„Wenn jemand geht, dann bin ich es, Commander“, erwiderte Laurent streng und stellte sich in Aprils Weg, als er zum Transporter gehen wollte. „Sie sind Raumfahrer, Commander. Kein Infanterist.“
„Deshalb bin ich im Gegensatz zu Ihnen auch entbehrlich“, konterte April mit der schlichten Wahrheit. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie am anderen Ende des Raumes Sarah ruckartig aufstand und ungläubig zu ihm herüber starrte. Sie musste ihn gehört haben. Bevor die Front gegen seinen Entschluss noch weiter anwuchs, fügte er hinzu: „Der Kampf findet hier statt, Colonel. Als ranghöchster Offizier ist es Ihre Aufgabe, hier die Stellung zu halten, die Evakuierungen zu organisieren und Ihre Leute zusammenzutrommeln. In der Zwischenzeit macht der Raumfahrer nur einen kleinen Ausflug und sieht sich dieses eine Raumschiff aus der Nähe an.“
Mit diesen Worten schob sich April entschlossen an Laurent vorbei, die keinen Versuch mehr unternahm, ihn aufzuhalten. Während April das Eintreffen der nächsten Evakuierungstruppe abwartete, erkundigte er sich beim Zaraniten, was er nach dem Beamvorgang vorfinden würde.
„Das fremde Schiff ist ungefähr zwei Kilometer hinter dem Erdwall auf der Nordseite der Farm gelandet. Sie sollten bis dorthin gelangen, ohne gesehen zu werden.“
„Und die Farm wurde nicht angegriffen?“, fragte Robert.
„Exakt. Das Schiff ist ganz dicht über uns hinweg geflogen. Aber es hat uns einfach ignoriert.“
Sarah führte die gerade eben materialisierten Neuankömmlinge von der Transporterplattform, während April die drei Stufen hinauf stieg. Sie sahen sich für einen kurzen Moment direkt in die Augen, sagten aber nichts zueinander.
Ihm fielen keine beschwichtigenden Worte ein, um zu verdeutlichen, dass ihm keine Gefahr drohte. Falls doch etwas schief ging, wollte er nicht, dass Sarahs letzte Erinnerung an ihn war, wie er ihr eine Lüge erzählt hatte.
Und auch Sarah schien keine Worte verschwenden zu wollen. Sie wusste sicher, dass nichts, was sie sagte, ihn an seinem Vorhaben hindern konnte. Er tat seine Pflicht, dafür hatte sie als ehemalige Chefärztin an Bord eines Sternenflottenschiffs Verständnis.
April nahm seine Position auf der Plattform ein und befahl dem Corporal, ihn zur Adelphos-Farm zu beamen. Bevor er die Vorrichtung aktivierte, Aprils Körper in seine Moleküle auflöste und in Sekundenschnelle zu einer Empfangsplattform auf der anderen Seite des Kontinents schicken konnte, fiel April noch eine Frage ein, die er dem Zaraniten stellen musste: „Wie sah das Raumschiff eigentlich aus?“
April würde es bald selbst herausfinden, aber er wollte sich so gut es geht vorbereitet wissen. Am Nachthimmel über der Kolonie hatte April nur sich schnell bewegende Schemen ausfindig gemacht und die Sensoren der Kolonie besaßen keine ausreichende Auflösung, um die Angreifer zu identifizieren.
„Feindselig“, antwortete der Zaranit mit bebender Stimme, die verzerrt durch die Atemmaske regelrecht unheilverkündend klang. „Wie ein Raubvogel, der jeden Augenblick auf seine Beute herabstürzen konnte.“
Mit diesem Bild vor Augen löste sich die Welt um Robert April in buntem Energieschimmern auf.

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Als das Energieschimmern verblasste und April seine Umgebung wieder deutlich wahrnehmen konnte, stand er auf einer Transporterplattform, die jener im Verwaltungszentrum in jeder Hinsicht glich. Der Raum, in dem die Plattform aufgestellt worden war, hatte aber nichts mit Colonel Laurents Kommandoraum gemeinsam. Dieser Ort erinnerte mehr an eine düstere, aus Holzplanken zusammengezimmerte Scheune. Und genau das war dieser Ort auch. April trat von der Plattform herunter und auf weichen, erdigen Boden. Links und rechts hingen Gerätschaften an der Wand, die alle eindeutig einer landwirtschaftlichen Verwendung dienten, wenn auch April nur bestenfalls ein Zehntel davon eindeutig zuordnen konnte.
Die Tür der Scheune führte zu den Feldern hinaus. Da die Adelphos-Farm östlich von der eigentlichen Kolonie lag und der am weitesten davon entfernte Terzotritical-Anbaubetrieb war, dämmerte es hier bereits. Der Himmel hatte schon eine gräuliche Farbe angenommen und das Band des plantaren Ringes verblasste in Richtung Horizont. Die Lichtverhältnisse waren gut genug, so dass April auf den Feldern die automatisierten Saatmaschinen ausmachen konnte, die von der Evakuierung ihrer Besitzer unbeeindruckt ihre Arbeit fortsetzten.
Und auf der anderen Seite der Scheune wurde April vom eindrucksvollen Anblick des Mesa Celestial begrüßt. Auch bekannt als der Pickel, der das Antlitz von Sherman’s Planet verunstaltete.
Ähnlich wie der Ayers Rock auf der Erde ragte der Mesa Celestial inmitten eines Flachlands gerade in die Höhe. Wie ein graubrauner Felsklumpen, den man einfach irgendwo hatte liegen lassen. Im Gegensatz zum Ayers Rock ragte der Mesa Celestial aber nicht nur 350 Meter auf, sondern stolze eineinhalb Kilometer vom Fuß bis zur abgeflachten Spitze des Tafelbergs. Nach seiner Ankunft auf Sherman’s Planet hatte April vergeblich nach geologischen Analysen gesucht, die erklärten, wie sich ein solches Ungetüm von Berg, fernab jedes Gebirgsmassivs, bilden konnte.
April zweifelte daran, dass die Angreifer an geologischer Forschung interessiert waren.
Wie er erwartete hatte, konnte er den Fuß des Mesa Celestial von hier aus nicht sehen. Der vom Zaraniten angesprochene Erdwall versperrte die Sicht. April rannte quer über den Innenhof zwischen den Gebäuden der Farm und stieg den Wall hoch. Die Erde unter seinen Stiefeln war recht weich, was ihm den Aufstieg erschwerte. Der Wall war offenbar nur aus loser Erde aufgeschüttet worden, die bei Aushubarbeiten für die Errichtung der Gebäude und deren Kellerabteile angefallen war.
Schlussendlich kam April oben an und legte sich sofort flach auf den Boden, um nicht aus der Ferne entdeckt zu werden. Er spähte vorsichtig über die Kuppe des Walls hinweg. Mit allem hätte er gerechnet, aber nicht mit jenem Anblick, der sich ihm nun bot.
Das Raumschiff, von dem der Zaranite erzählt hatte, war tatsächlich ungefähr zweihundert Meter von der Steilwand des Mesa Celestial entfernt gelandet … und feuerte aus allen Rohren auf den Berg. Gelbe Energiestrahlen aus mindestens drei separaten Kanonen schossen unaufhörlich auf ein und dieselbe Stelle und pulverisierten das Gestein.
Die Farbe der Waffenentladung war ein erster Hinweis für April, dass er mit seiner bisherigen Annahme falschgelegen hatte: Nach der Beschreibung durch den Zaraniten, war April felsenfest davon überzeugt gewesen, dass es sich bei dem Raumschiff um einen klingonischen Bird of Prey handeln musste. Aber die Farbsignatur klingonischer Disruptoren war nicht gelb. Und durch den sich von der Einschlagstelle ausbreiteten Staubschleier erkannte April doch deutlich, dass es sich auch nicht um einen Bird of Prey handelte. Ja, die Hüllenfarbe war grünlich. Und ja, das Raumschiff verfügte über weite Schwingen und eine nach vorne ragende Halssektion. Aber die Farbe eines Schiffes war kein eindeutiges Identifikationsmerkmal und die Flügelkonfigurationen von Raumschiffen, die auch innerhalb der Lufthülle eines Planeten größtmögliche Manövrierfähigkeit ermöglichen sollte, ähnelten sich grundsätzlich. Nach allem was April von seiner Position aus sehen konnte, handelte es sich ganz sicher um kein klingonisches Schiff.
Aber wem gehört es dann, verdammt noch mal!
Das Schiff stellte das Feuer ein und der Staubnebel legte sich langsam. Eine Minute verstrich und April befürchtete bereits, dass jemand an Bord des Schiffes mit dessen Sensoren die Gegend abgetastet und den heimlichen Beobachter entdeckt hatte.
Doch wäre es so gewesen, hätten sich die drei Lichtsäulen unmittelbar neben April und nicht direkt bei der Einschlagstelle gebildet. Ein fremdartiger Transporterstrahl materialisierte drei Personen. Selbst aus zwei Kilometer Entfernung waren die drei eindeutig zu unterschieden. Einer war ziemlich groß und hager, während ein anderer klein und untersetzt schien. Die dritte Person war von der Größe her irgendwo in der Mitte und hatte eine Statur wie ein Schrank, breite Schultern, an denen ein weiter, brauner Umhang ganz gerade herunterhing. Weitere Unterscheidungsmerkmale konnte April nicht erkennen, aber er hatte ja einen Tricorder mitgebracht. In Abwesenheit eines Feldstechers war das handliche Sensorgerät ebenfalls dazu geeignet, seinem Benutzer ein klares Bild zu vermitteln.
April richtete das fingerhutgroße Sensormodul auf der Vorderseite des Tricorders auf die Personengruppe, während er einige Knöpfe drückte, die das Gerät darauf einstellten, Bilder aufzuzeichnen und Bildausschnitte zu vergrößern. Das Ergebnis präsentierte sich April auf dem kleinen Display auf der ihm zugewandten Rückseite des Geräts.
Die drei Unbekannten waren nun deutlich zu erkennen. Sie alle trugen Zivilkleidung in Erdfarben verschiedener Nuancen. Und leider wandten sie April nicht nur den Rücken zu, sondern trugen auch noch Kapuzen und – ihrer Armhaltung nach zu schließen – hielten sich Schutzmasken vor die Gesichter, die ihre Atemwege vor dem immer noch in der Luft hängenden Staub schützten. Zumindest konnte April aber erkennen, was sie taten.
Die kleine, dickliche Person hielt in der freien Hand ein großes, plump aussehendes Gerät, aus dessen Stirnseite lange Antennen ragten. Ein Tricorder Marke Eigenbau, mutmaßte April. Die Sternenflotte wird wegen ihrer modernen Sensorgeräte von so ziemlich jeder anderen raumfahrenden Spezies im Quadranten beneidet. Nicht einmal die Klingonen waren bisher fähig gewesen, eine Sensortechnologie zu entwickeln, die auch nur annähernd die Fähigkeiten von Sternenflottensensoren vorweisen konnten.
Welchen Ursprung das Sensorgerät, das dort unten auf die Einschlagstelle gerichtet wurde, auch immer hatte, es schien dem Benutzer zu genügen. Die hochgewachsene, schlanke Person – April vermutete, dass es sich um eine Frau handelte, so wie sich ihr sandfarbener Umhang um ihren Körper legte – beugte sich hinüber und schien die Anzeigen des Sensorgeräts abzulesen, während der dritte Neuankömmling passiv ein paar Meter entfernt stand. Bis er hustete!
Die breitschultrige Gestalt beugte sich vor, von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt. Er wandte sich von seinen beiden Begleitern, die keinen Blick für ihn übrig hatten, ab und April konnte nun trotz Kapuze und Atemschutz – ähnlich der Atemmaske des Zaraniten – erkennen, mit welcher Spezies er es zu tun hatte.
„Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet“, murmelte April erstaunt vor sich hin, ehe ihm der Atem stockte. Der Unbekannte sah genau in seine Richtung. Aber es konnte nur ein Zufall gewesen sein. Nur eine Sekunde später schüttelte er sich unter einer neuen Hustenattacke – und nahm seine Maske ab.
Wenn April schon zuvor überrascht gewesen war, gab es in seiner Sprache jetzt kein Wort mehr für den Zustand, in dem er sich jetzt befand. Er erkannte den Mann, der da vor sich hin hustete und nach einigem Würgen mehrmals schmutzigen Speichel auf den Boden spuckte.
„Danke für deine DNS-Probe“, sagte April leise zu sich selbst und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sollte es Zweifel an der Klarheit seiner visuellen Aufzeichnungen geben, wusste er zumindest, wo er von dem Mann eine Speichelprobe herbekommen konnte.
Als sich die drei Gestalten wieder in Lichtsäulen verwandelten und verschwanden, ärgerte sich April darüber, dass er nicht aufgepasst hatte, was die anderen beiden Personen in der Zwischenzeit gemacht hatten, während der andere mit Husten beschäftigt gewesen war. Was immer sie mit ihrem seltsamen Sensorgerät gefunden oder auch nicht gefunden hatten – es bewog sie nun die Triebwerke ihres Schiffes zu aktivieren und sich startbereit zu machen.
„Zeit aufzubrechen“, forderte sich auch April auf, obwohl er gerne noch weiter auf der Lauer gelegen wäre. Jedoch konnte er nicht riskieren, dass das Schiff bei seinem Abflug das tat, was es bei seinem Anflug unterlassen hatte. Nämlich die Adelphos-Farm zu zerstören. Und für den Fall, dass er das Bombardement überlebte, wollte er nicht zu Fuß zur Kolonie zurückkehren. Das konnte immerhin zwei Tage dauern. Ohne die Adriatic oder geeignete Sensorsatelliten im Orbit, war ausschließlich das Beamen von einer Transporterplattform zur anderen möglich. Er konnte nicht von einem beliebigen Ort auf dem Planeten wieder zur Plattform im Verwaltungszentrum zurück gebeamt werden.
Das fremde Raumschiff hatte sich noch nicht von der Stelle bewegt, als es April schaffte, seine Neugier und seine Vorliebe für Gründlichkeit und Vollständigkeit beiseite zu schieben und zur Scheune zurück zu rennen. Den Tricorder mit den gespeicherten Aufzeichnungen hielt er fest umklammert. Er durfte nicht aufs Spiel setzen, dass die von ihm gewonnenen Erkenntnisse verloren gingen. Das Wissen, dass die Orioner hinter dem Angriff auf die Kolonie steckten, musste gerettet und so schnell wie möglich der Sternenflotte bekannt gemacht werden. Das konnte nur gelingen, wenn er diesen Angriff überlebte.
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