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Ein Mitglied der Familie

von Gunni Dreher

Kapitel 1

Lieutenant Brad Rowland wand sich durch ein paar weitere Sträucher hindurch und hielt dann an.
„Na bitte!“ rief er über die Schulter. „Ich wußte ja, daß ich sie wiederfinden würde. Hier, Arie, was hältst du davon?“
Der muskulöse Tresquodocer hatte Mühe, die widerspenstige Plane durch das Gestrüpp zu schaffen. Schließlich blieb er bei seinem Freund stehen und betrachtete etwas mißmutig die kleine Baumgruppe.
„Ich weiß ja nicht, Brad.“ brummte er. „Ihr Terraner könnt euch schon komisch damit anstellen. Bei uns auf Tresquodoc gibt es dafür jedes Jahr aktualisierte Hologramme in den neuesten Modefarben. Kein Mensch käme auf die Idee, sich geschmücktes Gemüse in die Wohnung zu stellen.“
„Das liegt daran, daß ihr genaugenommen keine Menschen mehr seid.“ antwortete Rowland spöttisch. „Euch fehlt einfach der Sinn fürs Ursprüngliche. Ein richtiger Weihnachtsbaum ist was zum Gernhaben, wie ein Mitglied der Familie, verstehst du? Wenn ich da an meine Kindheit zurückdenke...“
„Na schön!“ Arie kratzte sich am Kopf und blinzelte in die spitzen Baumkronen hinauf. „Und jetzt? Hast du irgendwelches Schneidwerkzeug mitgebracht, eine Säge oder sowas Ähnliches?“
„Nnnnnein, eigentlich nicht.“ mußte Rowland zugeben. „Ich dachte mir, wir ziehen einen aus dem Boden und pflanzen ihn nach den Feiertagen wieder ein. Ist menschlicher und dürfte auch dem Clanführer besser gefallen.“
„Rausziehen, wie?“ Arie schnitt eine Grimasse. „Ich vermute, daß der ursprüngliche Herr Terraner dabei an andere Leute gedacht hat. Na schön, ich versuch´s!“
Vier Versuche später und unzählige Flüche weiter richtete sich der Tresquodocer wieder auf und blickte auf seine verschrammten Hände. „Das Grünzeug sitzt wie einbetoniert.“ keuchte er. „Mir reicht´s!“
„Nicht aufgeben!“ redete ihm Brad gut zu. „Der da drüben ist nicht ganz so groß. Probier es mal mit ihm.“
Arie bückte sich und spannte abermals sämtliche Muskeln an, und tatsächlich gab der Baum seinen Kräften nach. Kurz darauf schlug der Tresquodocer ihn in die Plane ein, während sein Freund ihn mit Ratschlägen versorgte.
„Ausgezeichnet!“ meinte Brad zum Abschluß. „Dann bringen wir ihn mal rüber ins Habitat. Geh mir einfach nach, ich weiß, wo es zurückgeht.“
„Ich glaube, ich ahne, was du unter ‘wir’ verstehst.“ knurrte Arie, während er das Paket schulterte.

Etwas später stand der Baum fest in einen Container eingepflanzt auf der mittleren Föderationsebene. Der Tresquodocer betrachtete verdrossen die Erde unter seinen Fingernägeln, dann blickte er sich suchend nach seinem Freund um. Nach einer gewissen Wartezeit sah er den Terraner um die Ecke biegen.
„Nach endlich! Darf man fragen, wo du gesteckt hast?“
„Ich mußte noch das Leuchtnetz, synthetischen Weihnachtsduft und ein paar Kugeln replizieren, anspruchsvolle Sache, sage ich dir.“ Brad setzte das Paket vor dem Baum ab. „Komm, hilf mir mal eben, das Ding auszubreiten und über ihn zu hängen, du bist größer als ich.“
Es dauerte nicht lange, bis der geputzte Baum in der Halle vor der Habitatstreppe erstrahlte und sie mit weihnachtlichen Aromen erfüllte. Immer mehr Sternenflottenangehörige scharten sich andächtig um das Werk und schließlich kam auch Captain Pittoni heran
„Ihre Idee, Mr. Rowland?“ erkundigte sie sich lächelnd.
Brad strahlte. „Stimmt, Madam! Ich dachte mir, was fürs Herz...“
„Ein bezaubernder Gedanke, das muß ich sagen. Beachten Sie aber bitte die Sicherheitsvorschriften, indem Sie daran denken, das Leuchtnetz bei Beginn der Nachtruhe abzuschalten.“
„Ja, Captain, machen wir! Überhaupt kein Problem!“
„Ach, und plötzlich heißt es wieder ‘wir’.“ knurrte Aries Stimme leise im Hintergrund.

Stunden später, es herrschte nur noch die schwache Nachtbeleuchtung, kehrte Fähnrich Wilkinson von den romulanischen Ebenen zurück. Mittlerweile war das Habitat längst zur Ruhe gekommen, und darum spitzte die junge Frau auch irritiert die Ohren, als sie ein Geräusch in der Nähe ihres Quartiers wahrnahm. Etwas schien über den Boden gezogen zu werden und dazu ertönte leises Klingeln. Lauschend ging Wilkinson den merkwürdigen Tönen nach und erblickte im Dämmerlicht eine rote Weihnachtskugel, die langsam über den Boden auf sie zurollte. Ein Geruch nach Zimt hing in der Luft und in einiger Entfernung war etwas wie ein Vorhang zu erkennen, das gemächlich den Gang hinunterschleifte, um dann mit einem plötzlichen Ruck um die nächste Ecke zu verschwinden. Ein Schnaufen wurde hörbar.
Wilkinson zögerte einen Moment, doch dann bewegte sie sich langsam und vorsichtig auf die Biegung zu.

Habitatsingenieur Rilkar und Kommandant Talan hatten gerade die Sporthalle verlassen, als ein schriller Schrei sie augenblicklich zum Anhalten brachte. Gleich darauf kam auch schon jemand außer sich vor Schrecken die Habitatstreppe hochgerannt.
„Mrs. Wilkinson!“ rief Rilkar der jungen Frau entgegen, als er sie erkannte. „Was ist los, waren Sie das, der geschrien hat?“
„Kommandant, Mr. Rilkar!“ keuchte Wilkinson, als sie bei ihnen anlangte. „Auf der sechsten Ebene, da ist was, irgendwas Schreckliches; ein Ding, ein Vieh, sowas wie eine riesige Haarbürste!“ Sie schauderte entsetzt. „Es roch nach Zimt, und ich...“
Talan wirbelte ohne ein Wort herum und stürmte wieder zur Sporthalle. Nur einen Moment später war er zurück, diesmal jedoch mit einem Fechtstock bewaffnet.
„Du willst doch nicht...?“ fragte sein Freund beunruhigt.
„Sag Tarkin Bescheid!“ wies der Romulaner ihn entschlossen an. „Ich kümmere mich um das Etwas dort unten. Sie sagten, es ist auf der sechsten, Fähnrich?“
Wilkinson hatte kaum Gelegenheit zu nicken, als Talan auch schon auf dem Weg nach unten war. Wenig später wehte ihm ein penetranter süßlicher Geruch entgegen und leises Schnaufen wies ihm den Weg. Der Romulaner machte nur einen kurzen Umweg zur Beleuchtungskontrolle und tauchte die Etage in helles Licht, dann schlich er geduckt den Geräuschen nach. Hinter der nächsten Biegung hielt er überrascht an.
Mitten auf dem Gang stand ein mannshoher Baum, an dem noch ein paar bunte Kugeln hingen.

Tarkin umkreiste langsam den zerzausten Weihnachtsbaum.
„Kein Wunder, daß er stillhielt!“ sagte er dabei. „Quoogs verlassen sich tagsüber blind auf ihre Tarnung und wechseln erst bei Dunkelheit in die Grundform, um sich auf Nahrungssuche zu begeben. Es ist besser, Sie fragen uns, bevor Sie etwas ins Habitat bringen.“
„Das ist ein Tier?“ staunte Rowland. „Und Sie sind sicher, daß er harmlos ist?“
„Völlig sicher. Ich lasse ihn für Sie nach draußen schaffen.“
Rowland begann zu grinsen, als ihn ein ungewöhnlicher Gedanke überkam.
„Moment!“ hielt er den Clanführer hastig auf. „Könnten wir ihn nicht über die Feiertage behalten? Wir würden ihn abends abschmücken und morgens suchen und wiederherrichten. Er wird doch erst nachts munter, richtig?“
Tarkin musterte ihn überrascht. „Doch!“ sagte er. „Das stimmt.“ Er dachte kurz nach. „Na gut!“ sagte er entschlossen, hielt ihm aber warnend den Zeigefinger unter die Nase. „Sie persönlich sind mir für ihn verantwortlich. Sie müssen ihm Nahrung und Wasser bereitstellen. Und was das andere betrifft...“

„Du hattest recht!“ meinte Arie grinsend. „Er ist wirklich ein Familienmitglied, so richtig was zum Gernhaben. Kaum zu glauben, was er nachts für Strecke macht, oder?“
Rowland antwortete nicht. Er war seit Stunden damit beschäftigt, gewisse festgetrocknete Hinterlassenschaften vom Boden zu kratzen. Der Tresquodocer klopfte ihm auf die Schulter.
„Du hast ja den Clanführer gehört.“ fuhr er munter fort. „Es ist allein deine Sache, ganz davon abgesehen, daß mir hier leider der Sinn fürs Ursprüngliche fehlt. Mach´s gut, Brad, und vergiß vor allem nicht, den Weihnachtsbaum zu füttern.“


Ende
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