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Beim siebten Morgengrauen

von Martina Strobelt

Kapitel 2

Die Stille auf dem Dorfplatz war fast greifbar. Bareil kniete mit gesenktem Kopf auf dem Boden. Links und rechts neben dem Vedek hatten die Soldaten je einen hölzernen Pfahl in die Erde gerammt und die Handgelenke des Geistlichen daran gefesselt.

Mit einem zufriedenen Lächeln begutachtete der Hauptmann die Stricke, bevor er sich an die Dorfbewohner wandte: „Wenn irgendjemand von euch etwas über die gesuchte Terroristin weiß, dann ist dies der geeignete Moment, damit herauszurücken! Ihr wollt doch sicher nicht zuschauen, wie einer eurer geistigen Führer leidet, oder?“

Rulan stand neben ihrem Vater. Niemand hatte sie daran gehindert, aufzustehen und den Platz an seiner Seite wieder einzunehmen.

Für den Moment zumindest galt Satoks Aufmerksamkeit ausschließlich Bareil. Auf einen Wink des Hauptmanns trat ein Soldat hinter den Vedek, packte den Kragen seiner Robe und zerfetzte sie mit einem einzigen Ruck bis zur Taille. Ohne seinen Blick von den erstarrten Dorfbewohnern zu wenden, griff Satok zum Gürtel. Dort hing eine geflochtene Peitsche. Der Hauptmann nahm sie ab. Fast liebevoll ließ er den Lederriemen durch seine Finger gleiten.

„Nun, was ist? Ich fange langsam an, die Geduld zu verlieren!“

Dakar hatte seinen Arm wieder um die Schultern seiner jüngsten Tochter gelegt, spürte wie sie zitterte. Er hätte ihr gerne mit mehr als seiner bloßen Anwesenheit Trost und Mut gespendet, aber wenn er jetzt mit Rulan sprach, riskierte er, dass seine eigene Stimme ihn verriet, und das durfte auf keinen Fall geschehen. Dabei ging es nicht allein um Aislinn. Vielleicht wäre er fähig gewesen, seine geliebte Tochter für den Geistlichen zu opfern ...

Aber die Propheten hatten diese Freiheitskämpferin in Aislinns Obhut gegeben. Damit entsprach es ihrem Willen, dass seine Tochter nun entscheiden musste, ob sie bereit war, ihr Leben und das der Rebellin gegen das des Vedeks einzutauschen.

„Bildet ihr euch etwa ein, dass die Propheten die Macht haben, euren religiösen Führer vor dem Schmerz zu schützen?“ Wie beiläufig strich der Hauptmann mit der Peitsche über Bareils nackten Rücken. „Darauf würde ich an eurer Stelle besser nicht vertrauen!“

Aislinn fühlte, wie sich alles in ihr verkrampfte. Was sollte sie tun? Die Freiheitskämpferin auszuliefern, hätte unweigerlich deren Tod zur Folge. Aber sie konnte ebenso wenig zulassen, dass der Vedek gefoltert wurde ...

Plötzlich hob der Geistliche seinen Kopf und sah sie an. Der Blick seiner dunklen Augen war durchdringend und schien bis auf den Grund ihrer Seele zu reichen.

Bei den Propheten, durchzuckte es Aislinn. Er weiß, dass ich es bin, die sie versteckt hat und die nun sein Schicksal in den Händen hält ...

Bareils Stimme war sehr leise, doch in der Stille klang sie laut und die Bajoranerin hatte das Gefühl, dass er nur zu ihr sprach: „Im Angesicht der Propheten zählt jedes Leben gleich. Ich bitte euch, das meine nicht höher zu achten als das eines anderen. Keiner von uns hat das Recht ...“

„Sei still, du verdammter bajoranischer Hund!“ fiel ihm Satok ins Wort. Bebend vor Wut versetzte der Hauptmann dem Vedek eine harte Ohrfeige, dann trat er einige Schritte zurück. „Also schön, ihr habt es nicht anders gewollt!“ Damit holte er weit aus.

Mit einem hässlichen Klatschen knallte die Peitsche auf Bareils Rücken, wieder und wieder, und hinterließ tiefe, rote Striemen, wo immer sie auf seine nackte Haut traf. Satok legte all seine Kraft in die Hiebe und obwohl der Geistliche sich mental auf die Schläge vorbereitet hatte, musste er sämtliche Beherrschung aufwenden, um nicht zu schreien.

Bareils beharrliches Schweigen stachelte den Cardassianer noch mehr an. Er wollte diesen hochmütigen Bajoraner jammern und um Gnade betteln hören. Stattdessen biss sich dieser verfluchte Vedek auf die Lippen, bis sie ebenso blutig wie sein Rücken waren, und erdreistete sich, keinen Ton von sich zu geben.

Inmitten des Schmerzes versuchte Bareil, sich auf die Propheten zu konzentrieren und sein mentales Selbst von seinem Körper zu lösen, der sich unter der Wucht der Schläge wandte. Der Vedek wusste nicht, wie lange er die Geißelung noch stumm ertragen konnte. Er wusste nur, dass er nicht schwach werden durfte. Unweit von ihm stand die junge Frau, in deren dunklen Augen er gelesen hatte, dass sie das Versteck der Freiheitskämpferin kannte. Bareil spürte, dass es allein seine unerschütterliche Haltung war, aus der die junge Bajoranerin die nötige innere Stärke bezog, sich und die Rebellin nicht um seinetwillen zu opfern.

Nein, er durfte nicht schwach werden ...

Mit diesem Gedanken versank sein Geist in einer gnädigen Ohnmacht.

Abrupt hielt Satok inne. Langsam glitt sein Blick über die reglose Gestalt des Vedeks. Wenn er jetzt weitermachte, würde dieser Bajoraner da sterben, ohne es überhaupt zu merken. Der Hauptmann nickte einem der Soldaten zu. „Hol mir einen Eimer kaltes Wasser!“

Nachdem der Mann den Befehl ausgeführt hatte, packte sein Vorgesetzter den Eimer mit beiden Händen und schüttete den Inhalt über seinem Gefangenen aus.

Prustend kam Bareil wieder zu sich.

Satok zögerte kurz, dann legte er dem Vedek den Griff der Peitsche unter das Kinn und hob Bareils Kopf leicht an. Nachdenklich musterte der Cardassianer die bleichen Züge des Geistlichen.

Das Wasser hatte diesen widerspenstigen Vedek zwar aufgemuntert. Allerdings, ihn weiter zu schlagen würde vermutlich dazu führen, dass er erneut das Bewusstsein verlor. Aber dieser Bajoraner sollte seine Qualen spüren. - Die Dorfbewohner mussten sehen, dass er litt...

„Oh, nein“, sagte der Cardassianer, während er die Peitsche zurückzog, zusammenrollte und wieder an seinem Gürtel befestigte. „So leicht werde ich es dir nicht machen! - Hört mir gut zu!“ wandte Satok sich nun an die übrigen Bajoraner, in deren versteinerten Gesichtern der Schock über das Geschehen lag, dessen sie gerade Zeuge geworden waren. „Euer Dorf gefällt mir.“ Sein Blick streifte Rulan, die sich sofort enger an ihren Vater schmiegte. „Daher habe ich mich entschieden, dass wir uns hier noch ein Weilchen aufhalten werden. Um genau zu sein.“ Er überlegte kurz. „Eine Woche“, fuhr er mit einem gemeinen Grinsen fort. „Sieben Cardassianer, sieben Tage. Ja, das scheint mir eine angemessene Frist zu sein. Bis sie verstrichen ist, habt ihr die Gelegenheit, mir die gesuchte Terroristin auszuliefern und so das Leben dieses religiösen Führers hier zu retten. Es liegt ganz bei euch. Ich werde ihn hier genau eine Woche hängen lassen und wenn ihr mir die Rebellin bis zum Morgengrauen des siebten Tages nicht übergeben habt, dann werde ich euren hochverehrten Vedek an ihrer Stelle exekutieren!“

* * *


„Wo ist sie, Aislinn?“ Dakars Stimme verlangte eine Antwort. Hauptmann Satok hatte den Dorfbewohnern gnädig erlaubt, den Platz vor dem Brunnen zu verlassen, worauf der Heiler mit seinen Töchtern in das kleine, etwas abseits gebaute Haus gegangen war, das sie gemeinsam bewohnten. Kaum dass sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, war Dakar stehengeblieben und hatte ohne große Umschweife diese Frage gestellt.

Aislinn sah an ihrem Vater vorbei auf Rulan, die mit blasser Miene an der Wand lehnte.

Eine stumme Warnung, die der Heiler sofort verstand. „Bitte geh nach nebenan, Rulan.“

„Warum?“ begehrte das Mädchen überrascht auf.

„Keine Widerrede, Rulan“, sagte Dakar scharf. „Sei vernünftig“, fügte er sanft hinzu, als sie unter seinen Worten zusammenzuckte. „Glaub mir, zu deinem eigenen Schutz ist es besser, wenn du den Aufenthaltsort dieser Frau nicht kennst, dann ...“

„Was dann, Vater“, unterbrach sie ihn leise. „Denkst du wirklich, dass die Cardassianer einen Unterschied machen werden, wenn sie erfahren, dass Aislinn und du der Freiheitskämpferin geholfen haben? -- Meinst du etwa, dass Sie nur euch beide töten und mich verschonen werden, weil ich von nichts gewusst habe?

Sein Schweigen war Antwort genug.

Aber ihre Schwester war nicht bereit, so schnell nachzugeben. „Bei den Propheten, sei doch nicht so stur, Rulan. Dieser Satok ist alles andere als ein Dummkopf. Je weniger etwas Genaues wissen, desto besser.“

„Ich weiß doch jetzt schon viel zu viel“, sagte das Mädchen. „Da macht diese Information wohl kaum noch etwas aus.“

„Also schön“, lenkte Aislinn ein. „Ich habe die Rebellin bewusstlos im Wald gefunden und ganz in der Nähe des Flusses in einer Höhle versteckt.“

„Ich vermute, dass du nicht beabsichtigst, sie an die Cardassianer auszuliefern, oder?“ fragte Dakar ruhig.

Aislinn senkte den Kopf. „Ich weiß es nicht“, antwortete sie ehrlich. „Vorhin da draußen auf dem Platz wäre ich fast soweit gewesen, sie zu verraten. Die Propheten mögen mir vergeben, aber wenn sie den Vedek weiter geschlagen hätten ...“ Ihre Stimme bebte. „Und nun wollen sie ihn exekutieren, sag mir, was ich tun soll, Vater?! Mit welchem Recht darf ich mir eine Entscheidung anmaßen, wer von ihnen sterben soll?! Und was ist mit dir und Rulan. Alle Leben sind gleichviel wert. Aber wiegen die von dreien nicht schwerer als das eines einzelnen, ja sogar dann, wenn es sich bei dem einzelnen um einen Vedek handelt?!“

„Vier Leben, Aislinn“, verbesserte der Heiler sanft. „Du vergisst dein eigenes!“

„Das zählt nicht“, widersprach sie leise. „Ich kannte das Risiko und bin es im vollen Bewusstsein eingegangen. Aber ihr beide seid völlig schuldlos in diese Sache verwickelt worden, genau wie der Vedek.“

„Das ist nicht wahr, Aislinn“, mischte sich nun ihre Schwester ein. „Vater und ich hätten an deiner Stelle genau dasselbe getan und ich bin sicher, dass Vedek Bareil ebenso wenig fähig gewesen wäre, diese Frau da draußen im Wald einfach ihrem Schicksal zu überlassen. Und hat er uns alle nicht aufgefordert, sie ohne Rücksicht auf ihn zu schützen?“

Es war Rulan anzusehen, wie schwer ihr diese Worte fielen. Wie alle Bajoraner hatte sie einen fundamentalen Respekt vor den religiösen Führern ihres Volkes. In ihren Augen war ein Vedek eine heilige, unantastbare Person, ein Sinnbild ihres Glaubens. Hatte sie nicht selbst den Wunsch gehegt, ihr Dasein dem Dienst an den Propheten zu weihen? Der Himmel mochte ihr vergeben. Sie selbst wäre, ohne zu zögern, bereit gewesen, sich für den Geistlichen zu opfern. Aber sie liebte ihren Vater und ihre Schwester und wollte, dass die beiden lebten. -- Und wenn dies im Ergebnis ein Todesurteil für den jungen Vedek bedeutete, dann war sie bereit, diesen Preis zu zahlen.

„Wir dürfen sie nicht ausliefern, Aislinn!“ bekräftigte Rulan. Mochte sie auch ihre Seele verlieren, sie hatte keine andere Wahl ...

„Vater...?“ Aislinns dunkle Augen flehten Dakar stumm an, ihr die Entscheidung abzunehmen und er liebte sie zu sehr, als dass er ihre innere Qual noch länger ertragen konnte.

„Wir haben sieben Tage Zeit, um uns etwas einfallen zu lassen. Für den Moment droht dem Vedek keine unmittelbare Gefahr, daher sollten wir nichts überstürzen. Zunächst einmal müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir, oder besser gesagt wie ich, unbemerkt in diese Höhle komme. Denn wenn ich dich richtig verstehe, Aislinn, dann braucht diese Frau dringend Hilfe.“

Seine Tochter nickte. „Ja, sie ist ziemlich schwer verletzt. Genaugenommen war es fast ein Wunder, dass sie den Transport überlebt hat.“

„Demnach ist es also möglich, dass wir hier mittlerweile von einer Toten reden?“ Der Heiler runzelte die Stirn.

Das wäre vermutlich die einfachste Lösung ...

Dakar hatte diesen Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da durchflutete ihn heiße Scham.

Leben war heilig ...

„Die Cardassianer werden das Dorf bewachen, um zu verhindern dass einer von uns mit dem Widerstand Kontakt aufnimmt, aber ich denke, dass ich es schaffen kann, einen oder zwei von ihnen lange genug abzulenken, bis ...“

„Aislinn!“ unterbrach Dakar seine Tochter schockiert, als die Erkenntnis in sein Bewusstsein sickerte, was sie meinte. „Eher sterbe ich, als zuzulassen, dass du dich einem unserer Feinde ... freiwillig ...“, er schluckte und verstummte. Alles in ihm sträubte sich dagegen, das Entsetzliche auch nur auszusprechen.

„... hingibst“, beendete sie statt seiner den Satz. „Vater, das ist der einzige Weg! Wenn wir diese Frau retten wollen, dann musst du in diese Höhle! Ihr Leben steht auf dem Spiel! Wir dürfen nicht an uns denken oder uns von moralischen ...“

„Nein!“

Aislinn fuhr zu ihrer Schwester herum. „Rulan, bitte! -- Fang du nicht auch noch davon an!“

„Du verstehst mich falsch“, sagte das Mädchen tonlos. „Ich stimme dir zu, jedoch mit einer Ausnahme. Nicht du wirst für ein Ablenkungsmanöver sorgen, sondern ich!“

„Niemals!“ stießen ihr Vater und Aislinn fast gleichzeitig hervor.

„Habt ihr nicht gesehen wie dieser Satok mich angegafft hat?“ Rulan lächelte bitter. „Glaubt ihr, dass er sich sieben volle Tage lang damit begnügt, mich lediglich anzustarren? Nein, er wird sich nehmen, was ihm gefällt. Ich weiß es - und ihr wisst es auch! - Es ist nur eine Frage der Zeit. Und da ich ohnehin keine Wahl habe, würde ich es vorziehen, wenn diese Erniedrigung wenigstens einen Sinn hätte. Aislinn, bitte! Satok will mich! Wenn er mich bekommt, bringe ich ihn unter Umständen dazu, seine Männer von dir und den anderen Frauen fernzuhalten. Und vielleicht gelingt es mir ja sogar, dem Hauptmann das Leben des Vedeks auf diese Weise abzukaufen.“

Und das eure, falls Satok die Wahrheit erfahren sollte ...

Dakar atmete tief durch. „Keine von euch wird so etwas tun, ich verbiete euch, auch nur daran zu denken! Wenn der Hauptmann sich für dich interessiert, Rulan, dann wirst du versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen, hast du mich verstanden! Dasselbe gilt für dich, Aislinn! -- Im Gegensatz zu den Cardassianern kenne ich dieses Dorf und seine Umgebung sehr genau. Ich bin sicher, dass ich es auch ohne ein Ablenkungsmanöver schaffen werde, an den Wachen vorbei in den Wald und zu dieser Höhle zu gelangen.“

„Und falls doch nicht?“ fragte Aislinn beklommen.

Der Heiler zog sie und ihre Schwester in seine Arme. „Dann war es der Wille der Propheten, dem wir uns alle beugen müssen.“

* * *


Kira wünschte sich, ihren rechten Arm wenigstens weit genug bewegen zu können, um das Messer in ihrem Stiefel zu erreichen. Mittlerweile war die Bajoranerin fast überzeugt, dass es doch die Cardassianer gewesen waren, die sie hierher gebracht und einfach ihrem Schicksal überlassen hatten, damit sie langsam und qualvoll an ihren Verletzungen zugrunde ging. Sie wusste nicht, wie lange sie hier nun schon hilflos lag. Die Schmerzen und die Dunkelheit, die sie umgab, hatten ihr Zeitgefühl beeinträchtigt. Sie vermutete, dass es einige Stunden waren, doch genauso gut konnten es auch einige Tage sein. Kira fürchtete den Tod nicht, doch wenn sie schon hier in diesem Loch sterben sollte, dann nicht auf diese elende Weise.

Erneut spannte sie die Muskeln. Sie musste es schaffen, ihr Messer zu ziehen und damit die einzige Hoffnung auf einen schnellen, sauberen Tod. Unter Aufbietung all ihrer Kraft gelang es ihr, die Position ihrer rechten Hand ein wenig zu verändern. Nur einige Millimeter, aber sie kamen der erschöpften Freiheitskämpferin wie Lichtjahre vor.

Millimeter um Millimeter arbeitete die Bajoranerin sich vor, bis sie unter ihren Fingern den Griff der Waffe spürte. Kira fühlte, wie ihr Tränen der Erleichterung in die Augen stiegen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal geweint hatte, es musste Ewigkeiten her sein. Vermutlich war es der Moment gewesen, als sie bei ihrem ermordeten Vater gewacht hatte. Taban war so verdammt sinnlos gestorben. Wer hätte gedacht, dass es seiner Tochter nun genauso ergehen würde. Aber zumindest hatte sie dank ihres Messer nun die Möglichkeit, den Zeitpunkt ihres Todes selbst zu bestimmen ...

Ihre Hand schloss sich um die Klinge, als sie plötzlich das Geräusch sich nähernder Schritte vernahm. In einem Akt der Verzweiflung gelang es Kira, die Waffe zu ziehen. Sie wusste nicht, ob sie in der Lage war, ihr Messer einzusetzen, vermutlich nicht. Aber sie hatte zu viel kriegerisches Blut in ihren Adern, um es nicht wenigstens zu versuchen. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, als sie die Waffe mit letzter Anstrengung so vor ihrer Brust platzierte, dass ein Stoß genügte, um die Klinge demjenigen in den Körper zu rammen, der sich als erster über sie beugen würde. Zumindest hoffte sie es ...

„Hallo?“ drang eine sanfte, dunkle Stimme an ihr Ohr.

Kira entspannte sich. Das klang nicht nach einem cardassianischen Soldaten. Trotzdem hielt sie ihr Messer weiter umklammert und gab keinen Laut von sich. Sie hatte gelernt, keinem zu vertrauen. Wer misstrauisch war, der lebte länger - obwohl es in ihrer Situation eigentlich darauf nicht mehr ankam.

„Hören Sie“, ertönte es erneut. „Ich habe einiges riskiert, um hierher zu kommen. Dieses Höhlensystem ist recht verzweigt. Sie sind verletzt, und ich möchte nicht länger hier verweilen als unbedingt nötig. Daher liegt es in unser beider Interesse, dass ich Sie möglichst schnell finde. Falls Sie also noch nicht tot sein sollten, wäre es hilfreich, mir Ihren genauen Standort mitzuteilen.“

Kira kämpfte mit sich, dann traf sie eine Entscheidung. Freund oder Feind, die Chancen standen fünfzig zu fünfzig. Damit entsprachen sie dem üblichen Verhältnis, mit dem sie im Kampf gegen die Cardassianer jedes Mal zu rechnen hatte, wenn sie auf der anderen Seite einer Wegbiegung auf jemanden stieß, den sie nicht kannte.

„Hier!“ Bei den Propheten, war dieses heisere Krächzen wirklich ihre Stimme ...

Kira räusperte sich. „Hier bin ich“, wiederholte sie eine Spur fester und kräftiger. In der Dunkelheit konnte sie nur die Umrisse der Gestalt erkennen - oder besser erahnen - , die nun näher trat und sich neben ihr auf den Boden kniete. Immerhin schien es kein Cardassianer zu sein. Sie ließ das Messer sinken und gab ein unterdrücktes Stöhnen von sich, als seine Finger ihre Verletzungen nun ebenso vorsichtig wie geschickt zu ertasten begann.

„Wer sind Sie?“

„Ich heiße Dakar Jaron und Sie?“

„Kira, Kira Nerys. Haben Sie mich hierher gebracht?“

„Nein. Können Sie Ihre Beine spüren?“

„Ja. Wer war es dann?“

„Das spielt keine Rolle. Sie haben großes Glück gehabt. Ihre linke Schulter und ein paar Rippen sind gebrochen, aber daran stirbt man nicht. Die Propheten müssen mit Ihnen gewesen sein, dass Sie den Sturz von den Klippen überlebt haben.“

„Woher wissen Sie, dass ich ...“, die Bajoranerin stöhnte erneut. „Verdammt, sind Sie sicher, dass ich mir nicht mehr gebrochen habe?“

„Prellungen und Quetschungen sind nicht minder schmerzhaft als Knochenbrüche, und davon haben Sie sich jede Menge zugezogen.“

Kira dachte daran, wie nahe sie gewesen war, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen. Wenn dieser Mann nur zehn Minuten später aufgetaucht wäre ...

„Was ist mit der cardassianischen Patrouille, die mich verfolgt hat?“

„Machen Sie sich keine Sorgen, hier wird Sie niemand finden“, sagte er ruhig, während er verschiedene medizinische Utensilien aus einem mitgebrachten Korb nahm, ihre Knochen schiente, die Wunden säuberte und verband. All das tat er ungeachtet der herrschenden Dunkelheit und mit einer Sicherheit, die sehr viel Übung verriet.

„Bei den Propheten.“ Kiras Stimme klang ehrfürchtig. „Sie sind ein Heiler!“

„Ja“, erwiderte Dakar schlicht, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.

„Bitte, Sie dürfen sich nicht meinetwegen in Gefahr bringen. Es gibt andere Bajoraner, die Ihre Fähigkeiten dringender benötigen als ich. Wenn die Cardassianer Sie dabei erwischen, dass Sie einer Widerstandkämpferin helfen, dann ...“

„Diese Entscheidung müssen Sie schon mir überlassen“, fiel er ihr fast schroff ins Wort. „Nur weil ich es als Heiler ablehne, eine Waffe in die Hand zu nehmen, bin ich nicht weniger bereit, mein Leben für die Freiheit unserer Heimat zu wagen.“

„Es tut mir leid, so habe ich es nicht gemeint.“ Kira versuchte sich aufzurichten. „Ich wollte Sie damit nicht ...“ Eine Schmerzwelle brachte sie zum Verstummen.

„Ich bin es, der um Verzeihung bitten muss, weil ich Ihnen nichts gegen Ihre Schmerzen zu geben vermag.“ Dakar lachte bitter. „Kürzlich sind auf Befehl des Provinzgouverneurs alle meine Vorräte an Arzneien beschlagnahmt worden. Man wollte wohl sicherstellen, dass ich sie nicht den Terroristen überlasse. Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit, einen neuen Vorrat anzulegen.“

„Das macht nichts.“ Kira dachte an das Flüchtlingslager, aus dem sie vor so vielen Jahren geflohen war, an ihre tote Mutter, an Taban. „Ich habe schon Schlimmeres ertragen.“

„Das bezweifle ich nicht.“ Der Heiler hatte den letzten Verband befestigt. Nun stand er auf und griff nach seinem Korb. „Ich muss jetzt gehen.“

„Wohin?“ Die Bajoranerin fürchtete keinen Cardassianer, doch alles in ihr sträubte sich dagegen, allein und hilflos hier in dieser dunklen, feuchten Höhle zu bleiben, die sie auf erschreckende Weise an eine Gruft erinnerte. Was, wenn Dakar da draußen getötet wurde, wenn er nicht wiederkam? „Helfen Sie mir hoch!“ sagte Kira entschlossen. Sie würde es schon irgendwie schaffen, sich zu Shakaar und seinen Leuten durchzuschlagen ...

Erneut versuchte sie, sich aufzurichten, um sofort wieder von grässlichen Schmerzen geschüttelt, zurück auf den Boden zu sinken.

„Haben Sie den Verstand verloren?! Sie werden diesen Ort erst dann verlassen, wenn Ihr Zustand sich soweit gebessert hat, dass ich es verantworten kann und nicht eine Minute früher!“

Dakars Tonfall duldete keinen Widerspruch, und wenn die Bajoranerin ehrlich war, dann fühlte sie sich viel zu schwach und elend, um Einwände zu erheben. „Also schön“, lenkte sie daher ein. „Sie haben gewonnen, ich werde so lange hierbleiben, bis ich mich ausreichend erholt habe, um in der Verfassung zu sein, zu meiner Gruppe zurückkehren zu können, ohne unterwegs vor Schwäche umzufallen.“

Der Heiler war dankbar, dass die Dunkelheit seine Gesichtszüge vor ihr verbarg. Sonst hätte sie vielleicht die Verzweiflung bemerkt, die ihn erfüllte. Sie vertraute ihm, und er ...

Dakar bezweifelte, dass er fähig sein würde, den Vedek sterben zu lassen. Mochte dieser es auch selbst verlangt haben. Der Geistliche war noch so jung ... Himmel, sie beide waren noch so entsetzlich jung ... und Aislinn und Rulan ebenfalls...

Während der Heiler nun mit schnellen Schritten dem Ausgang der Höhle zustrebte, flehte er die Propheten an, ihm einen anderen Ausweg aus dieser Lage zu zeigen, als den, ein Leben für ein anderes opfern zu müssen.
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