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Nach Hause telefonieren

von VGer

Nach Hause telefonieren

Unmittelbar nach dem Ende von Die Begegnung im Weltraum (Episode 4x15 Galaxy’s Child)
Sternzeit 44614.6 – an Bord des Raumschiffs NCC-1701-D Enterprise bzw. in der Brahms'schen Wohnung in Utopia Planitia, Mars
Dr. Leah Brahms entkam ein beinahe unmerkliches Lächeln, als sie sich mit hastiger Verlegenheit entschuldigte und das Zehn Vorne entschlossenen Schrittes verließ. Sie eilte durch die nicht enden wollenden Korridore der Enterprise, von denen einer aussah wie der andere, und als sie vor der Türe ihres provisorischen Quartiers stand, war sie fast verwundert, dass sie sich diesmal nicht auf dem riesigen Schiff verlaufen hatte. Die Tage waren zu lang gewesen um wahr zu sein, ihr war nach Kollaps zumute, und das sobald die automatischen Türen sich nachdrücklich zischend hinter ihr geschlossen hatten.

„Computer, Transmissionsdaten anzeigen.“, befahl sie, während sie aus ihren Schuhen schlüpfte und sich höchst unelegant auf die Couch fallen ließ. Die einladenden sandfarbenen Polster, die wesentlich weicher aussahen als sie waren, knallten ihr so hinterhältig schmerzhaft in den Rücken wie ein Frekja – ein auf dem Planeten Trill einheimisches Tier, dessen Fell sich binnen Sekunden zu fiesen Stacheln verhärten konnte, wenn es sich angegriffen fühlte.
„Visuelle Ausgabe erfolgt. Bestätigen?“ Die Computerstimme schnarrte und beorderte sie zum Terminal, sie erhob sich umständlich und unwillig – obwohl Möbel auf Raumschiffen in erster Linie funktionell waren, erschien ihr diese Couch nach der Erkenntnis, dass es keine wirkliche Alternative dazu gab, und einem darauffolgenden Moment der Gewöhnung viel zu bequem, um sie wieder verlassen zu wollen – und drückte auf die blinkende Schaltfläche.
„Private Transmission, Autorisation erforderlich. Ausgangspunkt Sektor 0-0-1, Sol IV Mars, Utopia Planitia, Distrikt 13-Garden, Quayle Kanal Nordost, Rufnummer 87-64-960-55-2-91, Anruferidentifikation Janko Ambur Brahms.“
Sie rieb sich die müden Augen und kniff sie fest zusammen, die grellgelben Buchstaben verschwammen, doch sie kannte die angezeigten Verbindungsdaten zu gut um noch lesen zu müssen. Ob es an der Routine lag, mit der sie ihre Autorisation gab und dem Computer befahl, den Anruf anzunehmen, oder an dem ebenso genervten wie erschöpften Unterton in ihrer Stimme, oder einfach nur an der Prozessorleistung des Terminals, sie konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen (vermutlich jedoch an letzterem), doch die Verbindung baute sich piepsend und flimmernd auf. Sie setzte sich unbequem und etwas linkisch auf den Stuhl, der vor dem Tisch mit der Kommunikationskonsole darauf stand. Frustriert hatte sie festgestellt, dass die Konsole fest verbaut war, und sie sich deshalb nicht mit dem Computer auf dem Schoß entspannt auf die Couch legen und dort ihr Gespräch führen konnte, wie sie es üblicherweise nach Dienstschluss so gerne tat. Vermutlich, dachte sie nicht ohne den ihr eigenen Sarkasmus, hegte man die Befürchtung, dass irgendwelche dubiosen Würdenträger von unzivilisierten Planeten, die üblicherweise die Gästequartiere des Flaggschiffs frequentierten, das Gerät mitgehen lassen würde, wäre es nicht niet- und nagelfest verschraubt. Nach einem langen Tag, an dem sie bäuchlings in Jefferies-Röhren herumgekrabbelt war, schmerzte ihr Rücken, schließlich war sie ja Theoretikerin und kein Schraubenknecht, und der harte beige Stuhl auf dem sie sitzen musste verstärkte das noch mehr. Sie spannte ihre Schultern an, ließ wieder locker, der Schmerz persistierte erbarmungslos, sie knackte mit dem Kopf nach links und dann nach rechts, und dann gab sie sich geschlagen.
Das kleine Display flackerte auf, zuerst noch eine Reihe von Zahlenkombinationen, dann ein undefinierbares Flimmern, das sich allmählich zu einem Gesicht formte und ein Knacken in der Leitung, das allmählich den melodiösen Klang einer wohlbekannten Stimme annahm.
Sie lehnte sich zurück, jedenfalls so weit, wie diese Foltervorrichtung, die sich Stuhl nannte, es eben zuließ. Ein einziges Wort verschaffte ihr auf Anhieb mehr Entspannung als alle Versuche, ihren verspannten Nacken selbst zu massieren. Sie schloss die Augen, nur für einen kurzen Moment.
Das schmunzelnde Gesicht auf dem Display gehörte einem humanoiden Mann von etwa vierzig Standardjahren, und unter seinen unfrisierten schmutzigblonden Locken wurde es von dem charakteristischen dunklen Fleckenmuster der Trill-Zeichnung umrahmt. Sie kannte jeden einzelnen Punkt, und jede einzelne Lachfalte um die schelmisch blitzenden blauen Augen.

„Liebling!“ Leah lächelte, zum ersten Mal an diesem Tag lächelte sie wirklich und sie hatte auch allen Grund dazu.
Dieses Gesicht würde sie immer zum Lächeln bringen, unerschütterlich, egal was ihr auch widerfahren mochte. Sie waren seit zwölf Jahren zusammen, neun davon verheiratet, und auch wenn ihre Berufe bedingten, dass sie häufig und für längere Zeit räumlich voneinander getrennt waren, gaben ihre allabendlichen Subraumgespräche jedem ihrer Tage eine vertraute Routine. Leah war Ingenieurin, ein analytischer Geist, sie mochte und brauchte klar definierte Strukturen nicht nur in ihrer Arbeit sondern auch in ihrem Leben. Selbst am monotonsten ihrer Tage war es ein Fixpunkt, auf den sie sich freuen konnte auch wenn sie sich nichts wirklich zu erzählen hatten, und am wahnsinnigsten Tag von allen – und das war definitiv heute gewesen – gaben sein Lächeln und seine Worte ihr Geborgenheit und ein Gefühl von Normalität, also genau das, was sie jetzt dringender benötigte als alles andere.
„Du klingst müde. Was ist los, Liebling?“ Er fackelte nicht lange, er kannte sie zu gut um Ausweichmanöver einzuleiten und sie kannte ihn zu gut um ihre Schilde zu aktivieren.
„Ich bin müde, Janko.“ Sie seufzte nur, versuchte ein letztes Mal vergeblich ihren steifen Hals mit einer kreisenden Bewegung knacken zu lassen. Dann gab sie auf, widmete sich stattdessen ihrem immer widerspenstigen Haar, aus dem sie zielgerichtet drei Klammern zog und es in die Freiheit entließ.
„So schlimm?“
„Viel schlimmer.“ Leah seufzte. „Janko, das hier ist ein Narrenschiff.“
„Liebling ...“ Janko lachte und strubbelte sich durch seine Locken, dann erhob er sich, wohl um sich etwas vom Replikator zu holen, doch dabei sprach er immer weiter. Leah folgte ihm mit den Augen, auch wenn sie ihn nicht mehr sehen konnte, kannte sie den Weg, den er ging, in- und auswendig, und auch wenn sie nach dem unbeholfenen Abendessen mit Commander LaForge im Zehn Vorne keinen Hunger mehr hatte, wollte sie ihn wie automatisiert fast schon bitten, ihr doch etwas mitzubringen, obwohl er so viele Parsecs weit weg war. „Die Enterprise ist das Flaggschiff der Sternenflotte, besser geht’s nicht. Du bist Zivilistin ...“
„Nein, komm mir jetzt nicht mit der ‚Du bist Zivilistin, du verstehst das alles nicht’-Rede, Captain Brahms!“, rief Leah gereizt aus, und es war ihr egal, dass sie dabei seinen Redefluss unterbrach. „Ich meine das ernst, wenn es nicht besser geht, dann will ich lieber nicht wissen, was ‚schlimm’ ist!“
„Leah ...“ Janko pausierte, bevor er wieder im Blickfeld erschien, und als er sich mit einer dampfenden Tasse in der Hand hinsetzte, fixierte er sie eindringlich bevor er den ersten Schluck nahm. „Was ist passiert?“
Leah sah ins Nichts, zwirbelte eine der metallenen Haarklammern so lange zwischen den Fingern, bis sie brach. Erst das schnappende Geräusch und der plötzlich fehlende Widerstand des Materials brachten sie in die Realität zurück.
„Narrenschiff ...“, murmelte sie unbestimmt.

Janko Brahms sagte lange nichts mehr, er schlürfte nur genüsslich seinen Tee und betrachtete mit liebevollem aber besorgtem Blick das Gesicht seiner Frau auf dem Display. Er sah die müden Schatten um ihre sonst so klaren Augen, die verhärmten Linien um ihren Mund, das nervöse Knacken ihrer schmalen, langen Finger. Im großen Fenster hinter ihm, auf der anderen Seite des Wohnzimmers, spiegelten sich die charakteristisch pudrigen Pastelltöne eines langgezogenen, spätsommerlichen Sonnenuntergangs auf dem Mars. Das Haus, in dem sie wohnten, lag im dreizehnten Distrikt ganz weit draußen am Stadtrand, die atmosphärische Kuppel zum Greifen nah; im Laufe der Nacht würden in der Ferne ein paar Lichter aus Elysium herüberfunkeln und der Schein der Werft über und der Hauptstadt hinter ihnen würden die Dunkelheit erhellen, doch noch durchbrach nichts das Orange und Blau und Silber am Horizont über der rostroten Oberfläche ihres Heimatplaneten. Es gab viel spektakuläreres im Universum, so viel war sicher, aber kaum etwas schöneres und beruhigenderes. Bei dem Anblick seufzte Leah Brahms tief, sie wäre jetzt nirgendwo lieber als zuhause.
Keiner von beiden sprach, minutenlang nicht, und es war doch genug.

„Ist die Mission gut verlaufen?“, fragte er schließlich, beinahe beiläufig.
„Sehr gut.“ Sie nickte zuerst nur, und dann schien es, als würden ihre Lebensgeister wieder erwachen, während sie mit wachsendem Enthusiasmus von der Rettung dieser seltsamen neugeborenen Lebensform, diesem Kind der Galaxie, erzählte und von der Rolle, die sie dabei gespielt hatte.
Janko lächelte nur, nickte und brummte, mal zustimmend und mal bewundernd. Als Sternenflottenoffizier im Rang eines Captains wusste er natürlich auch über das Ingenieurwesen bestens Bescheid, aber eben nur so viel wie nötig war, um ein Raumschiff nebst Mannschaft sicher zu führen; seine ursprüngliche Spezialisierung war im Bereich Sicherheit und Taktik gewesen. Mit dem Fachwissen einer Expertin von Leahs Kaliber konnte er nicht einmal ansatzweise mithalten, und er versuchte es gar nicht erst, doch er hörte geduldig zu und ließ sie reden. Am Beginn ihres Gesprächs hatte sie ziemlich verstört gewirkt, doch er kannte sie gut genug um zu wissen, dass es ihr gut tat über ihre Arbeit zu reden, dass die inhärente Logik von Formeln und Zahlen ihr ebenso viel Sicherheit verlieh wie die Strukturen und Protokolle der Sternenflotte ihm. Je mehr sie erzählte, desto normaler klang sie, also ließ er ihr Zeit und sie reden, wohl wissend, dass sie bald selbst so weit sein würde, das eigentliche Problem, den Grund für ihre Agitation und seine Besorgnis, anzusprechen. Was auch immer vorgefallen war – er wusste, dass es sinnlos war, sie zu bedrängen und mit Fragen zu löchern.
„Dieser Commander LaForge ...“ kommentierte er irgendwann, nachdem der Name schon ein paar Mal gefallen war und sein Interesse geweckt hatte. „Will hat ihn öfters erwähnt, als wir uns das letzte Mal getroffen haben. Der Chefingenieur? Ein guter Mann, ja?“
Als Leahs Blick sich schlagartig verdüsterte und sie verächtlich schnaubte war Janko klar, dass sein metaphorischer Phaserstrahl mitten ins Schwarze getroffen hatte und Leahs persönliche Schilde kollabierten.
„Ein guter Ingenieur, das ist er, das muss ich zugeben.“, knurrte sie, während sie Jankos Blick auswich und nervös ihre Haare zu einem dicken Strick zwirbelte. „Ein guter Mann ... das bezweifle ich.“
„Liebling?“ Jankos blitzblaue Augen fixierten sie mit einer eindringlichen Strenge, die durch die fragend zusammengezogenen Brauen und die tiefen Sorgenfalten in der Stirn nur verstärkt wurde.
Leah seufzte, wollte sich zurücklehnen und zuckte unbequem zusammen als sie erkennen musste, dass man sich in dem harten Stuhl, auf dem sie saß, unmöglich zurücklehnen konnte. Sie gab sich geschlagen und verschränkte die Arme vor der Brust, bevor sie antwortete.
„Einer der grusligsten Typen, die mir je begegnet sind.“, sagte sie kühl.
„Was ist passiert, Leah?“, wollte er besorgt wissen.
„Du wirst es nicht glauben, Liebling, aber ...“ Leah seufzte und schüttelte den Kopf, als könne sie es selbst nicht glauben, es war auch zu unglaublich. „Er ist besessen! Er wusste alles über mich, er hatte sogar ein Hologramm von mir.“
Janko konnte nicht anders, als zu schmunzeln, dann überschlug er die Beine und nahm die Teetasse wieder in die Hand. „Liebling, jeder Ingenieur in der ganzen Föderation kennt dich, und Hologramme mit deinem Gesicht und deiner Stimme erklären Kadetten im ersten Jahr wie ein Warpantrieb funktioniert, anhand der Maschinenschemata und deines Buches. Ich kann mir gut vorstellen, dass er ganz hin und weg war, dich persönlich zu treffen. Ich war auch beeindruckt, und sprachlos, und habe mich vermutlich verhalten wie ein Idiot, als Will mich bei dieser Konferenz auf Rigel IV mit Captain Picard bekannt gemacht hat, als sei nichts weiter dabei ...“
„Das ist es nicht, Janko.“ Leah schüttelte nochmals entschieden den Kopf. „Mit ein bisschen Heldenverehrung kann ich leben, das bin ich gewöhnt und um ehrlich zu sein finde ich das sogar ganz lustig und schmeichelhaft außerdem. Aber dieser LaForge, der war zu hin und weg, der hat eindeutig eine Grenze überschritten.“
„Das musst du mir jetzt aber erklären.“, bat Janko, denn er sah Leahs Zorn überdeutlich in ihrer Mimik flackern und konnte sich das zugrundeliegende Problem nicht recht erklären.
„Das Hologramm von mir, das war nicht einfach irgendeins ...“, raunte sie, und plötzlich wirkte sie noch viel verwundbarer als vorher. „Er hat es selbst erstellt, hat in den Datenbanken über mich recherchiert und alles ... und es war nicht nur zu Bildungszwecken.“
„Bitte?!“ Beinahe hätte Janko die Tasse fallengelassen und seinen Tee über den Computer gespuckt, so fassungslos war er. „Ich höre wohl nicht richtig!“

Bis zu diesem Moment hätte Janko wetten wollen, dass es sich nur ein ungeschicktes Missverständnis handelte. Er selbst war von Natur aus ein geselliges und empathisches Wesen mit viel Intuition für die Interaktionen zwischen Lebensformen, gerade das machte ihn zu einem guten Captain – doch er kannte die Spezies der Ingenieure, vor allem aber kannte er seine Frau, und er wusste genau, dass sie nicht der umgänglichste Mensch war und gerade soziale Situationen zuweilen falsch interpretierte und überdramatisierte. Er hatte es oft erlebt, dass es zu unbeabsichtigten Schwierigkeiten kommen konnte, wenn Wesen aufeinandertrafen, die einerseits sehr von sich und ihren Fähigkeiten überzeugt waren und andererseits mit Maschinen besser umgehen konnten als mit anderen Lebensformen. Meistens handelte es sich dabei um Kleinigkeiten, über die nach ein bisschen Imponiergehabe und ein paar beruhigenden Worten herzlich gelacht werden konnte ... doch wenn er das, was er gehört hatte, richtig verstanden hatte, dann war das beileibe keine Kleinigkeit und auch nicht zum Lachen.

„Doch. Leider.“ Leahs Stimme war scharf und zynisch, dann sackte sie stammelnd in sich zusammen. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie benutzt ich mich fühle ... verfolgt und verletzt ... vergewaltigt.“
„Liebling ...“ Janko schluckte, und nur Jahre der Sternenflottenausbildung und der Kommandoerfahrung ermöglichten ihm, seiner Emotionen zum Trotz weiterzusprechen. „Er hat doch nicht ...? Er hat dich nicht ...?“
„Nein.“ Leah schüttelte wieder den Kopf, unsicher diesmal. „Sagt er zumindest.“, fügte sie leise hinzu. „Aber, macht das wirklich einen Unterschied?“
„Nein! Natürlich nicht, Liebling.“ Janko stotterte noch immer, zum ersten Mal seit er ein Kadett war wusste er wirklich nicht, was er sagen sollte.
Als Captain eines Raumschiffs war er selten um Worte verlegen, doch wenn es seine Frau betraf, dann sah die Sache gleich ganz anders aus. Als Captain einer Raumschiffs war es seine Aufgabe, seine Mannschaft nach bestem Wissen und Gewissen zu beschützen. Leah jedoch war kein Mitglied seiner Mannschaft, und ganz bestimmt auch keine hilflose Lebensform, die seines Schutzes bedurfte. Leah Brahms war eine erwachsene Frau, eine Koryphäe ihres Fachgebiets, deren Selbstbewusstsein er ebenso bewunderte wie ihren regen Geist, und er hatte mehr als nur einmal live miterlebt, wie sie sich vor einem ganzen Plenum an Kritikern überlegen verteidigte. Und doch war sie mehr als das, sie war ihm das Wichtigste und Liebste im Universum, und in diesem Moment wollte er nichts lieber, als sie in seine Arme zu nehmen und zu beschützen, auch wenn er nicht wusste, wie das funktionieren sollte.
„Dieser Typ wusste wirklich alles über mich, sogar meine Lieblingsspeise, und wie ich meine Haare üblicherweise trage, und er glaubte wohl, dass wir beste Freunde oder ... oder mehr als das, meine Güte! ... sein können, nur weil das Hologramm von mir, das er als Spielerei seiner kranken Phantasie programmiert hat, ihm schöne Augen und zweideutige Kommentare gemacht hat – vermutlich, weil er mich ... sie ... es ... dazu programmiert hat.“ Leah hatte sich richtiggehend in Fahrt geredet, der Blick hart und die Stimme scharf vor Empörung, dann pausierte sie und schlug hilflos die Hände vor dem Gesicht zusammen.
Unzweifelhaft gab es einen großen Unterschied zwischen Dr. Brahms – der Wissenschaftlerin, welche die Forschungsgruppe für Theoretische Antriebe am Daystrom-Institut leitete und deren rational-kühler Verstand selbst auf Vulkan respektiert wurde – und Leah – der Frau, die er Liebling nannte. Er hatte im Laufe der Jahre gelernt, mit dieser Dichotomie des Absurden umzugehen – vor allem dann, wenn sie mit dem Kopf noch immer im Labor war während er schon längst ins Bett gehen wollte – doch jetzt fiel ihm diese Differenzierung schwerer als sonst. Er konnte kaum glauben, was er hörte, stotterte ebenso hilflos wie sie, obwohl er gerade ihr zuliebe nicht hilflos sein wollte.
„Das ist eine Frechheit sondergleichen, und du hast absolut recht, er hat eine Grenze überschritten. Das ist ein Eingriff in deine Persönlichkeitsrechte, und auch wenn es nicht explizit gesetzlich verboten ist, wenn ich mich recht entsinne, ist es doch ein moralisches Tabu.“ Als Janko seine Stimme wiedergefunden hatte, war die Wut darin unüberhörbar. „Hat der Typ irgendein ... Problem?“
„Er ist Ingenieur, natürlich hat er ein Problem. Ich kenne jedenfalls niemanden, der in einem Maschinenraum wohnt und den ganzen Tag den Kopf in einen Warpkern hält und keinen bleibenden Schaden davonträgt, so er den nicht vorher schon hatte.“ Leah lachte auf, die sonst so humorvoll-neckende Selbsterkenntnis klang bitter und zynisch. „Aber es gibt in dem Fall kein dokumentiertes medizinisches oder psychisches Problem, falls du das meinst, keine Holosucht oder irgendetwas objektiv diagnostizierbares. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste, und ich habe das gleich nachgeprüft.“
„Umso schlimmer.“, kommentierte Janko mit einem Anflug von Traurigkeit, dann riss er sich wieder zusammen. „Sei es wie es sei, es ist vorbei, Liebling, und ich kenne dich ... er hat hoffentlich seine Lektion daraus gelernt, und so sehr er sich das auch verdient hat, ich möchte nicht in seinen Schuhen stecken, wenn Will und Captain Picard ihn gehörig zusammenscheißen.“
„Das ist es ja ...“ Leah zögerte und biss sich unsicher auf die Unterlippe, erst Jankos skeptisch zur Seite geneigtes geflecktes Gesicht motivierte sie dazu, nach Worten zu suchen und weiterzusprechen. „Das ist nicht geschehen, Janko.“
„Bitte?!“ Janko stotterte wieder, und als er die Teetasse auf dem Couchtisch abstellte, klirrte es hörbar in der Leitung.
„Geordi LaForge wurde nicht zusammengeschissen, im Gegenteil. Es gab allseits überschwängliches Lob, weil die Mission erfolgreich war, sonst nichts.“ Leah schnaubte wieder und ihre Lippen verzogen sich zu einer typisch verächtlichen Grimasse. „Ich bin ja nur Zivilistin und habe keine Ahnung wie die Sternenflotte so etwas wie Disziplinarmaßnahmen üblicherweise handhabt, aber zu mir ist nichts durchgedrungen ... nicht einmal eine Entschuldigung, im Gegenteil.“
„Was meinst du mit im Gegenteil?“, fragte Janko, der anders als seine Frau die Protokolle in Bezug auf Disziplinarmaßnahmen nur zu genau kannte, sofort.
„Das war ganz seltsam.“ Leah begann wieder, Strähnen ihrer Haare zu zwirbeln. „LaForge hat nicht einmal versucht, sich zu rechtfertigen. Er hat mir sofort Vorwürfe gemacht, dass ich so unnahbar und unkooperativ sei und so weiter, und natürlich wollte ich professionell mit der Situation umgehen. Ich bin vielleicht kein Sternenflottenoffizier, aber auch keine Dilettantin, verstehst du? Und er hat es tatsächlich geschafft, mir ein so schlechtes Gewissen einzureden, dass ich mich entschuldigt habe ... wofür auch immer.“
„Leah ...“ Janko rollte mit den Augen. „Das ist so typisch du!“
„Ich weiß. Aber du weißt ja selbst, wie es ist. Theorie und Praxis, die realitätsfremden Wissenschaftler, die in ihren abgeschotteten Laboren alles besser wissen, und die stupiden Schraubenknechte, die nicht über den Horizont ihres Maschinenraums hinaussehen können ... dieser Konflikt ist so alt wie die ältesten Sektionen der Werft über Utopia, wenn nicht sogar noch viel älter.“, grunzte Leah unwirsch. „Natürlich hatte ich meine Vorurteile, was das angeht, und das wollte ich klarstellen, dass das nicht der Grund für meine ... wie sage ich das jetzt am besten? ... für meine Unzufriedenheit mit dieser ganzen Scheiße ist. Schließlich ist LaForge ein guter Ingenieur und das hat er in der Krise auch beweisen können, das meinte ich, nicht das andere. Aber irgendwie ist das völlig falsch rübergekommen, fürchte ich. Ich wusste echt nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte, also habe ich versucht souverän zu bleiben und habe gelächelt. Das war blöd, oder?“
„Bitte, rede dir jetzt nicht ein, dass es deine Schuld wäre. Du bist eben, wie du bist.“, brummte Janko gutmütig, während die Relais in seinem Kopf unermüdlich weiter arbeiteten. „Dennoch, du musst dich für nichts entschuldigen, wirklich nicht.“
„Ich hätte mich aber wehren sollen. Stattdessen habe ich so getan, als wäre alles in Ordnung. Ich habe alles heruntergespielt und ... ich bin ein Idiot!“ Leah schnaufte wieder frustriert und ließ sich zurückfallen. „Ich war so unbeschreiblich wütend, und er besitzt tatsächlich die Unverfrorenheit, mich als die Schuldige hinzustellen. Dass diese Phantasie legitim ist, weil ich so hartherzig und arrogant bin, dass ich ihm Dankbarkeit und Freundschaft schulde, weil er sich trotz meiner unmöglichen Art mit mir auseinandersetzt ...“
„Wie unreif ist das, bitte?“ Janko schüttelte fassungslos den Kopf. „So eine Reaktion erwarte ich von Monin, aber Schmollen und Ausreden suchen ist legitim wenn man erst sieben Jahre alt ist, oder bestenfalls von einem Kadetten. Von einem Erwachsenen, einem Führungsoffizier sogar? Niemals!“
„Eben das.“ Leah lächelte beim Gedanken an ihren jüngsten Neffen, der sich mit seinen riesigen blitzblauen Knopfaugen und einem unschuldigen Klimpern seiner dichten Wimpern – etwas, das er mit seinem Lieblingsonkel Janko, dem kleinen Bruder seiner Mutter, unverkennbar gemeinsam hatte – aus jeder noch so misslichen Lage irgendwie herauslavieren konnte, und dann schauderte sie, weil sie tatsächlich Monins Niedlichkeit mit Geordi LaForge in Verbindung hatte bringen wollen. Sie schloss kurz aber fest die Augen und versuchte, die Bilder aus ihrem Kopf zu verbannen, dann stöhnte sie entnervt, weil ihre Synapsen schneller feuerten als ihr das lieb war, und sie sich wieder über sich selbst ärgern musste.
„Ich hätte etwas darauf sagen sollen, hätte ihn zurechtweisen müssen ... aber ich war so perplex, Janko, so zornig und trotzdem wie gelähmt, weißt du? So, als sei ich im falschen Holoroman gelandet. Aber das war keine dubiose Fehlfunktion des Holodecks, das war wirklich ein Hologramm von mir, das Dinge sagte wie ‚Jedes Mal wenn du die Maschine berührst bin ich es’, und LaForge hat nicht einmal ansatzweise kapiert, was daran falsch ist und warum mich das stört.“
„Mach dir deshalb bitte keine Vorwürfe, Liebling.“ Janko, immer noch fassungslos, rieb sich die gefleckte Schläfe, weil er über die Entfernung nicht über die Schulter seiner Frau streicheln konnte. „Um ehrlich zu sein, ich wüsste auch nicht, wie und ob ich reagieren würde, wenn ich in deiner Situation wäre – und das, obwohl der Dienst in der Sternenflotte mich darauf trainiert hat, auf jede Situation, und sei sie noch so extrem, angemessen zu reagieren. Das hat nichts mit Intelligenz oder Integrität zu tun, also bitte, zweifle nicht an dir.“
„Danke.“, sagte Leah leise. „Das bedeutet mir viel, dass du das sagst.“
„Obwohl ich nur ein Pakled mit einem Raumschiff bin?“, wagte Janko zu scherzen. Er rettete sich oft in heiteren Kalauer um Selbstbewusstsein vorzutäuschen, wenn er nicht mehr weiter wusste, und jetzt wusste er trotz der Erfahrung von fünf Leben wirklich nicht mehr weiter. Seine Frau so verzagt zu sehen ließ ihn selbst verzweifeln, und er wollte nichts lieber tun, als sie aufzuheitern, wenn er sie schon nicht in den Arm nehmen konnte.
„Gerade deshalb, Liebling, gerade deshalb!“, gab Leah kichernd zurück, und die Entlastung in ihrem beinahe mädchenhaften Lachen war unüberhörbar. Tatsächlich war es die so völlig andere Perspektive ihres Mannes, die ihr das Leben oft erleichterte, und das war mit einer der Gründe, warum sie ihn liebte.
„Vermutlich ist es ziemlich respektlos, das zu sagen, schließlich kann ich mich nicht einem Jean-Luc Picard vergleichen ...“, sagte Janko irgendwann, nachdem sie beide länger beredt geschwiegen und vor sich hin gegrübelt hatten. „Aber wenn dieser LaForge mein Chefingenieur wäre, wenn das auf der Lamarr unter meinem Kommando passiert wäre, ich hätte das niemals auf sich beruhen lassen, dessen kannst du dir sicher sein.“
„Janko? Wie meinst du das?“ Leah wurde plötzlich wieder aufmerksam, fast schon besorgt, und Janko atmete tief durch.
„Das kann nicht sein, dass so eine ... Verfehlung“ – er hatte kurz pausiert und sich mit langen Fingern durch die Locken gewühlt, während er nach der passenden Formulierung suchte – „völlig ohne Konsequenzen bleibt. Nicht nur deinetwegen, Liebling, sondern aus Prinzip. Ich rede mit Will, er muss mit diesem Ekel LaForge reden und ihm den Kopf zurecht rücken.“
„Mach dir bitte keine Umstände. Und wenn er dir noch einen Gefallen schuldet, dann spar’ dir das doch bitte auf.“, bat Leah peinlich berührt, doch Janko wollte nichts von ihrem flauen Protest wissen.

An der Sternenflottenakademie waren Janko Ambur und Will Riker im selben Jahrgang gewesen, im ersten Jahr hatten sie sogar ein Quartier im Kadettenwohnheim geteilt. Danach waren sie getrennte Wege gegangen, hatten jeder für sich ein neues Leben begonnen (in Jankos Fall sogar noch radikaler, schließlich wurde er kurz nach Abschluss der Akademie mit dem 160 Jahre alten Brahms-Symbionten vereinigt), aber seither verband den Trill und den Menschen dieses vage aber unzerstörbare Band der Kameradschaft, wie sie nur unter Waffenbrüdern bestehen konnte. Leah war nie ein Bestandteil dieser Verbindung gewesen, sie hatten sich nur auf ihrer Hochzeit gesehen und danach auf ein paar offiziellen Anlässen, und vermutlich war das etwas, was sie als unbeteiligte Zivilistin wirklich nicht verstehen konnte.
„Das sind keine Umstände. Das ist Gerechtigkeit.“, konstatierte Janko aus dem Brustton der Überzeugung heraus, und Leah kannte ihn gut genug um zu wissen, dass aus einem spontanen Einfall feste Entschlossenheit geworden war, dass er sich ohne einen wirklich triftigen Grund nicht mehr davon abbringen lassen würde.
„Danke.“ Sie atmete dennoch auf. „Es tut gut zu wissen, dass du auf meiner Seite bist, dass du meine Sicht der Dinge unterstützt. Ich dachte schon, ich wäre unnötig hysterisch.“
„Ich bin immer auf deiner Seite, Liebling, und sollte ich einmal nicht auf deiner Seite sein können, bin ich trotzdem an deiner Seite.“ Janko lächelte beruhigend und streckte seine Hand in Richtung des Aufnahmegeräts am Kommunikationsterminal aus, als könne er nur durch diese Geste die Fingerspitzen seiner Frau berühren. „Immer. Vergiss das bitte nie.“
„Ich wäre jetzt so gern bei dir.“, gestand Leah zerknirscht. „Wieder zuhause, runter von diesem Narrenschiff, und bei dir.“
Janko schwieg lange, bevor er wieder sprach, und sein Blick war gleichermaßen liebevoll wie besorgt. „Geht es dir gut, Liebling?“
„Nein.“ Leah pausierte, räusperte sich. „Jetzt schon, weil wir gesprochen haben, jetzt geht es mir besser, aber es geht mir nicht gut. Ich kann das nicht einfach beiseite schieben und so tun als wäre nichts passiert, dafür ist zu viel passiert. Ich würde gerne, aber es gelingt mir nicht. Ich weiß, dass du weißt, was ich meine.“

Leah kannte nicht nur Janko, sie kannte auch die Lebensgeschichten der vier vorigen Brahms-Wirte bis ins kleinste Detail, und deshalb wusste sie ohne Zweifel, dass er verstand. Und wenn Janko Brahms nicht verstand, dann würde der Teil von Astri Brahms, der noch in ihm resonierte, das auf jeden Fall tun. Es war schon zwei Lebenszeiten her, da hatte Astri, eine versierte Politikerin und Sprecherin des damaligen Föderationspräsidenten, das, was Leah jetzt durchmachte, selbst erlebt – wenn auch unter völlig anderen Umständen und mit einem Romulaner, einem fanatischen Undercover-Agenten des Tal-Shiar, an der Stelle eines verkorksten menschlichen Ingenieurs und ohne die abstrahierende Zwischenstufe eines holographischen Duplikats.
Für einen kurzen Moment nur war Leah unheimlich dankbar, dass sie nicht Astri war, doch das war ein schwacher Trost. Ein Blick in Jankos sonst so lebensfroh funkelnde Augen verriet, dass auch er an Astri und ihr Schicksal dachte, denn seine fröhlich tanzenden Lachfalten waren gänzlich aus seinem Gesicht verschwunden. Obwohl sie sich bewusst dazu entschlossen hatte, ihr Leben mit einem Trill zu verbringen – und nicht mit irgendeinem Trill, mit einem vereinigten Trill obendrein, denn Janko und Brahms hatten sich erst kennen gelernt kurz bevor Leah und Janko Brahms sich in jener Bar in Damaskus kennen gelernt hatten – und sich seither stets bemüht hatte, seine Kultur zu verstehen, blieb ihr vieles rätselhaft. Die Funktionsweise des symbiotischen Gedächtnisses gehörte dazu, und das nicht zu verstehen belastete sie, die als Wissenschaftlerin immer Antworten auf alles finden konnte. Doch Emotionen waren nicht ihre Stärke, nie gewesen. Für gewöhnlich überließ sie das Janko, der das besser konnte, doch jetzt konnte sie nicht.

„Weißt du, was das absurdeste ist?“, fragte Leah dann in die erstickende Stille hinein.
„Was denn?“ Janko richtete sich wieder auf, kratzte sich am Hals und machte ein skeptisches Gesicht, als erwarte er die nächste Hiobsbotschaft.
„Persönlichkeitsrechte und das alles, das ist eigentlich gar nicht so wichtig, damit kann ich irgendwie umgehen ... die Sache ist die, LaForge hat seine Annäherungsversuche erst dann unterbunden, als ich ihn explizit darauf hingewiesen habe, dass ich verheiratet bin. Das hat ihn wohl völlig aus dem Konzept gebracht, erst dann hat er begonnen, darüber nachzudenken, was er mir angetan hat.“ Leah schien zunächst nur vor sich hin zu plappern, dann richtete sie sich auf und ihre Stimme wurde wieder zornig und empört. „Und ich frage mich, macht das wirklich einen Unterschied?“
„Es sollte keinen Unterschied machen.“ Janko schüttelte den Kopf und knackte nachdenklich mit den Fingerknöcheln. „Das Einverständnis eines Individuums ist so viel wichtiger, oder genauer gesagt: das Einverständnis aller beteiligten Individuen ... du weißt ebenso gut wie ich, was wir vereinbart haben als wir geheiratet haben. Ich würde dich niemals mit irgendjemandem teilen wollen, und mit diesem LaForge schon gar nicht, aber wir zwei sind nicht das Maß aller Dinge. Wenn das Einverständnis gegeben ist, dann ist der Beziehungsstatus nur eine Formalität.“
„Danke!“, rief Leah freudig aus. „Ich fand das ... bedenklich?“
„Es ist bedenklich.“, bestätigte Janko, denn er hatte ihr Zögern natürlich bemerkt. „Es ist ein archaisches Denkmuster. Hilf mir auf die Sprünge, bitte, wann wurde bei euch Menschen festgelegt, dass Frauen selbstständige Lebewesen sind und nicht das persönliche Eigentum eines Mannes?“
„Noch in der düsteren Präwarpzeit.“ Leah zuckte mit den Schultern und grinste. „So genau kenne ich mich mit der Geschichte der Menschheit auch nicht aus, aus terrazentrischem Blickwinkel bin ich ja auch ein Alien, aber ein paar Jahrhunderte sicher. Und im pangalaktischen Vergleich war die Erde spät dran, so wie mit fast allem.“
„Vielleicht sollte ich einfach so tun, als sei ich ein eifersüchtiger Präwarpmensch, und diesem LaForge gehörig eine reinhauen weil er mir meine Frau stehlen wollte?“, scherzte Janko, doch er meinte es halb ernst. „Wenn er sich nicht vor deinem Zorn fürchtet, dann vielleicht vor meinem?“
„Als ich sagte, dass ich mich in Gesellschaft von Menschen – und ich meinte LaForge, auch wenn er das nicht verstanden hat – unwohl fühle, meinte er, das läge daran, dass ich noch nicht die richtigen Menschen kenne – und er meinte sich, so viel habe ich verstanden.“ Leahs ausdrucksstarke Augen blitzten wieder auf und ihr Grinsen wurde breiter. „Ich darf das sagen, weil ich ein Mensch bin, aber die meisten Menschen sind trotz allem Gerede von Völkerverständigung so unheimlich selbstfixiert und terrazentrisch. Wer rechnet schon mit einem Marstrill?“
„So lange einer der genialsten Köpfe der Föderation mit einem Marstrill rechnet, soll mir das recht sein.“, konterte Janko.
„Und wer soll das sein?“, gab Leah ohne mit der Wimper zu zucken zurück.
„Ich weiß auch nicht ...“ Janko lachte frech, dann seufzte er. „Schön, dass du deinen Sinn für Humor wieder gefunden hast, Liebling.“
„Ich habe ihn nie verloren.“ Leah protestierte. „Ich fand es bloß nicht lustig, das ist alles.“
„Ich auch nicht, Liebling, wirklich nicht.“, fügte Janko hinzu. „Ich will dich wirklich nicht bevormunden, aber ich kann mir nicht helfen, ich bin schließlich auch nur ein Trill. Ich weiß gar nicht, was ich lieber tun würde: dich in den Arm nehmen, oder diesem LaForge gründlich die Meinung sagen, oder aber ihm eine reinhauen.“
„Nimm mich in den Arm, Janko.“, verlangte Leah mit einem sehnsüchtigen Unterton in der Stimme, und für einen viel zu langen Moment hoffte sie, dass es wirklich möglich wäre. „Du bist schließlich auch nur ein Trill, und kein Präwarpmensch. Und was auch immer passiert, du bist mein Trill.“
„Und du bist mein Warpmensch.“ Janko lachte schallend, die komplett unbeabsichtigte Analogie war auch einfach zu passend, seine Frau fiel unbekümmert mit ihm ein, und sie lachten gemeinsam weiter bis der Bauchschmerz drohte – in einem Fall das seitenstechende Zwerchfell, im anderen Fall der nicht amüsierte Symbiont.

Leah zappelte und wand sich wieder auf dem unbequemen Stuhl, tief durchatmend. Solange sie noch agitiert und angespannt gewesen und auf der Vorderkante des Sessels hin- und hergerutscht war bis die Polsterung nachgab, war es halb so schlimm gewesen, doch jetzt wollte sie sich zurücklehnen und den Abend mit gemütlichem Plaudern und Vergessen ausklingen lassen. Neidvoll sah sie ihren Mann an, der zuhause in Utopia inzwischen rücklings ausgestreckt auf der gemütlichen Couch lag, mit dem Kopf auf einem Polster und dem Computer auf den Bauchmuskeln balanciert. Sie wollte auflachen, denn die seltsam unnatürliche Neigung seines Kopfes und die Perspektive der Transmissionskamera verliehen ihm ein dreifaches Doppelkinn und ließen die Flecken an seinem Hals wie einen schlampig aufgemalten durchgehenden schwarzen Strich erscheinen. Sie verkniff sich das Lachen, nahm stattdessen ihre schweren silbernen Ohrringe ab – ein Geschenk Jankos zum fünften Hochzeitstag, wenn sie sich richtig erinnerte, oder vielleicht zum siebten? – und spielte kurz gedankenverloren mit ihnen, bevor sie davon abließ und sie beiseite legte. Dass sie müde war konnte sie nicht leugnen, und sie hatte viel zu viel geredet.

„Genug von mir, wie geht’s dir?“, fragte sie also.
„Nichts besonderes.“ Janko zuckte mit den Schultern, und das Bild wackelte bedrohlich, weil die abrupte Bewegung auch seine Bauchmuskeln instabil werden ließ. „Die Lamarr liegt noch immer da oben“ – er deutete mit einem ausgestreckten Finger unbestimmt in Richtung der Wohnzimmerdecke – „in der Werft und bereitet den Ingenieuren Kopfzerbrechen, ich bin mit dem ersten Shuttle zur Erde und mit dem letzten wieder zurück, und zwischendrin musste ich mich mit der Admiralität auseinandersetzen.“
Leah lachte leise, denn ihr war klar, dass er untertrieb, doch sie stellte keine Fragen. Selbst wenn sie sich für Sternenflottenangelegenheiten im Detail interessiert hätte, wusste sie genau, dass er selbst wenn er es wollte nichts darüber preisgeben dürfte. Sie schätzte ihre Kooperation mit der Sternenflotte, doch sie wusste deshalb umso besser, dass die Realität nicht unbedingt mit den Parolen von Fortschritt und Forschung und Frieden übereinstimmte. In erster Linie war sie ein Marsmensch mit offenen Augen und klarem Verstand, der die Nachrichten verfolgte, und was sie sah beunruhigte sie zunehmend. Im Vergleich dazu schienen ihre Probleme plötzlich klein und unbedeutend.
„So schlimm?“, fragte sie also und konzentrierte sich auf Janko statt auf die unangenehme Erinnerung an Geordi LaForge. Würde sie ihre Gedanken ansprechen, würde Janko ihr bestimmt noch einmal versichern, dass ihre persönlichen Gefühle mindestens ebenso legitim und wichtig waren wie die politischen Verstrickungen im Quadranten, doch das musste sie nicht hören.
„Viel schlimmer.“ Janko seufzte und richtete sich auf, rieb seine gefleckte Schläfe und bemerkte frustriert, dass seine Teetasse längst leer war. „Frage nicht. Viel zu viele Bürokraten, und ein störrischer alter Diplomat, der glaubt er könne mich einfach so um den Finger wickeln, nur weil er einst mit Sirid Brahms geschlafen hat ...“
„Ernsthaft? Curzon Dax?“ Leah lachte mitfühlend auf, sie kannte die alten Geschichten nur zu gut, und dann begannen ihre Synapsen wieder zu feuern. „Ihr kriegt es also mit Klingonen zu tun, wenn ihr wieder losfliegt? Muss ich mir Sorgen um dich machen, Liebling?“
„Leah ...“, mahnte Janko, und dann entschloss er sich doch, statt einer Erklärung, die bestimmt jegliche Geheimhaltungsklausel kompromittiert hätte, den leichten Weg eines dummen Scherzes zu nehmen, denn er wusste, dass seine Frau verstehen würde. „Nicht wegen Curzon, falls du das meinst. Keine Sorge. Was auch immer Sirid damals an ihm gefunden haben mag, du bist viel schöner als er.“
„Und du bist ...“, knurrte Leah, doch sie konnte den begonnenen Satz nicht beenden, weil Janko ihr unbarmherzig ins Wort fiel, fast so als wüsste er schon, was sie eigentlich sagen wollte. Nach all der gemeinsamen Zeit wusste er es vermutlich auch nur zu genau.
„... mit der schönsten und klügsten Frau im Universum verheiratet.“, grinste er, keck mit den Augenbrauen wackelnd.

Leah ließ es dabei bewenden. Sie liebte es über alle Maßen, ihm rein aus Prinzip zu widersprechen, und auch ihre manchmal ernsthaften und öfters scherzhaften Wortgefechte – doch wenn er ausnahmsweise einmal Recht hatte, dann wollte sie ihm diesen Triumph durchaus gönnen, vor allem wenn das zu ihren Gunsten ausfiel. Sie hörte den zärtlichen Unterton, der durch den Sarkasmus schimmerte, und ein Anflug von Glück spiegelte sich in ihrem Lächeln wieder, so wie die fernen Lichter von Elysium in der Fensterscheibe und auf der Kuppel hinter Jankos Kopf. Sonnenuntergänge auf dem Mars dauerten ungewöhnlich lange, wahrscheinlich hatte sie deshalb gar nicht bemerkt, dass inzwischen stockfinstere Nacht über Utopia hereingeschlichen war, während sie geredet hatten. Vor dem Ausguck ihres Gästequartiers auf der Enterprise peitschten nur die Silberstreifen der Sterne im immergleichen Warpflug. Zum ersten Mal sah sie ganz bewusst hinaus, und dann hörte sie auf das dumpfe Grollen und Brummen der Maschinen und überlegte, ob sie wohl mit Warp 6.5 oder Warp 7 unterwegs waren – ein Gedanke, der für eine Ingenieurin wie sie selbstverständlich war, und doch viel zu lange andauerte.
Worüber auch immer sie nachdachte, so lange es nicht LaForge und die Ereignisse des vergangenen Tages betraf, war es gut. Die Erinnerung daran würde sie zweifelsohne noch länger verfolgen, doch selbst das geniale Gehirn einer Leah Brahms brauchte zuweilen eine Pause und im Moment war sie wirklich zu müde für alles. Basale Warpphysik und Jankos Klagen über die Admiralität und klingonische Politik, das war normal und gerade die richtige Abwechslung, also fokussierte sie ihre wüsten Gedanken darauf und nur darauf.

„Wann bist du eigentlich wieder zuhause, Liebling?“, wollte Janko irgendwann wissen, die Stimme schon ganz schläfrig.
Sie hatten lange und noch länger gesprochen, über alles Mögliche und das Unmögliche außerdem (und die Geheimhaltungspolitik war nebensächlich), es war spät und immer später geworden. Leahs Rücken schmerzte dank des harten Stuhls inzwischen selbst dann, wenn sie sich nicht bewegte, und Jankos Hände waren immer noch viel zu viele Lichtjahre weit weg, um ihr mit kreisenden Berührungen die nötige Entspannung und Erleichterung zu verschaffen.
„In drei Tagen, voraussichtlich, wenn die Sternenflotte will.“ Sie rollte einmal mehr theatralisch mit den Augen, als sie sich an die Aufregung des vergangenen Tages – die seltsame Lebensform an der Außenhülle, nicht die seltsame Lebensform im Maschinenraum – erinnerte. „Man kann ja nie wissen, vielleicht muss ja wieder das Universum gerettet werden oder so.“
„Leah ...“, knurrte Janko, denn für heute Abend hatte er genug vom ewigen, gutmütig-frotzelnden Konkurrenzkampf zwischen der Sternenflotte und dem Bodenpersonal (und ehe er den Gedanken fertig gedacht hatte, wurde ihm klar, dass seine Frau ihn für immer und noch länger mit eiskalter Missachtung belegen würde, sollte er sie jemals als Bodenpersonal bezeichnen).
„Entschuldige. Morgen Abend irgendwann Rendezvous mit der Le Guin, die bringt mich zurück auf die Sternenbasis 313, und von dort nach Hause. Ich muss erst die Flugpläne checken, ob gerade irgendein Schiff der Flotte in die richtige Richtung fliegt, oder ob ich einen zivilen Transport nehmen muss.“ Leah überprüfte mit einem raschen Seitenblick die Reisedaten, die sie auf ihrem persönlichen PADD abgespeichert hatte. „Bleibt es dabei, dass die Lamarr planmäßig erst in drei Wochen wieder ablegt? Du bist also zuhause wenn ich ankomme, und wir haben die Chance auf ein paar entspannte Tage?“
„Ich hole dich sogar von der Schleuse ab, wenn du möchtest.“ Janko nickte bestätigend, dann zog er überrascht die Augenbrauen nach oben. „Die Le Guin, sagtest du? Weißt du, wer die Sicherheitschefin auf diesem Schiff ist?“
„Nicht die geringste Ahnung, aber du wirst es mir bestimmt gleich sagen.“, grinste Leah wohl wissend.
Janko Brahms erfüllte alle Klischees, die über seine Spezies im Umlauf waren; er war überaus kommunikativ und meist zum Feiern aufgelegt, und er hatte Freunde in jedem noch so entlegenen Winkel des Quadranten, in jedem noch so insignifikanten Sternensystem, auf jedem noch so kleinen Raumschiff. Manchmal fragte sich Leah, die von Natur aus eher eine Einzelgängerin war, wie sie es mit ihm und seiner übersprudelnden Geselligkeit überhaupt aushielt, doch die Liebe und der Respekt waren immer stärker gewesen als ihre Unterschiede und im Laufe der Jahre hatten sie sich einfach arrangiert.
„Zhadra th’Valan.“ Als er ihr verständnisloses Gesicht bemerkte, fügte er mit einem raschen Lächeln eine Erklärung hinzu. „Du weißt schon, wir waren gemeinsam auf der Sentinel, als wir noch Fähnriche waren. So eine kleine, dicke Andorianerin mit einem mörderischen linken Haken – okay, das kannst du nicht wissen, dich hat sie ja nie beim Nahkampftraining malträtiert, aber ... vor ein paar Jahren hat sie uns einmal mit der ganzen Familie besucht, als sie einen Aufenthalt oben in der Werft hatten.“
„Ich erinnere mich.“ Leah rollte theatralisch mit den Augen. „Eine ihrer Partner ist doch diese Bolianerin, die schneller als Lichtgeschwindigkeit reden kann obwohl sie keine Ahnung von irgendwas hat, und sie haben ungefähr siebenundzwanzig Kinder ohne Manieren. Was mich, nur so nebenbei bemerkt, doch sehr verwundert, wenn man gestandene Sicherheitsoffiziere zur Mutter und zum Vater hat.“
„Genau die.“ Janko nickte schmunzelnd. „Lass sie grüßen, alle miteinander, aber vor allem Zhadra. Und lass dich bloß nicht irritieren, keins der siebenundzwanzig Kinder beißt ... jedenfalls nicht fest. Außerdem glaube ich, dass es nur neun sind, vielleicht aber auch elf, die Zeit vergeht so schnell.“
„Werde ich machen.“ Jetzt lachte auch Leah, dann begann sie wie selbstverständlich, sich ihres enganliegenden violetten Blousons zu entledigen, doch ihre Bewegungen entbehrten jedes Subtexts, sie waren zielgerichtet und praktisch. „Ich glaube, ich werde jetzt schlafen gehen, Liebling. Nach heute bin ich völlig kaputt, und morgen ist planmäßig noch einmal ein langer Tag. Diese ganze Angelegenheit mit dieser Lebensform hat unseren Zeitplan schrecklich durcheinander gebracht, und die Schiffssysteme ...“
„Ist gut. Lass dich nicht unterkriegen.“, murmelte Janko, und er konnte sich nicht helfen, er musste ihr einfach aufmerksam bei ihrer abendlichen Routine zusehen und lächeln. Nur noch drei Tage, bis keine Subraumleitung mehr zwischen ihnen stand, drei lange Tage ... „Wir hören uns morgen?“, fragte er dann, die Stimme bewusst ganz neutral.
„Sicher doch, ich ruf’ dich an sobald ich auf der Le Guin bin.“, sagte Leah und fügte hinzu, „Könnte aber spät werden. Ich liebe dich.“
„Ich dich auch, und ich freu’ mich auf dich.“, lächelte Janko. „Schlaf gut.“
„Du auch, mein Herz.“

Der Tag war ein Alptraum gewesen, doch die Nacht war keiner. Nicht mehr.
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