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Hundert Jahre Zukunft

von Oriane

Hundert Jahre Zukunft

Langsam und ehrfurchtsvoll setzte Chen Kaylin das letzte Bauteil ein, hob den Hyperschlüssel und zog vorsichtig die winzigen Schrauben fest. Mit einem leisen Surren fuhr der Transporter hoch und Chen wagte nicht, sich zu bewegen, während die Kontrollen ordnungsgemäß aufleuchteten und anzeigten, dass sie bereit waren, diesen aus Ersatzteilen zusammengeschraubten Haufen zu bedienen.
»Er läuft!«, hauchte eine Stimme hinter ihr und Chen zuckte zusammen. Sie hatte nicht bemerkt, dass ihre Vorgesetzte das Labor betreten hatte. Mit C'Mora arbeitete sie nun schon einige Jahre gut zusammen und außerdem teilten die beiden Frauen das Schicksal, erst von dem bedeutendsten Projekt ihrer Karriere abgezogen und dann überraschend wieder darauf angesetzt worden zu sein.
»Nun, sagen wir, er arbeitet«, erwiderte Chen und beobachtete, wie die zierliche, weiße Caitianerin vorsichtig über die Komponenten strich. »Wir können jetzt mit der ersten Testphase beginnen.«
»Ich würde dieses Baby zwar am liebsten sofort austesten, aber lass uns damit bis morgen warten. Es ist schon spät, wir beide sind müde und außerdem würde Hoxx es uns nie verzeihen, wenn wir ohne ihn anfangen würden.«
C'Mora strich sich mit der Pfote über die Schnurrhaare und grinste Chen über die Schulter hinweg an, als sie den Bolianer erwähnte, der ebenfalls noch immer zu ihrem Team gehörte. Vor sechs Jahren, da waren sie noch zu viert gewesen. Ein Mensch hatte das Team vervollständigt, doch er hatte angefangen, Bauteile mitgehen zu lassen, um Zuhause an seinem eigenen Transporter schrauben zu können und Tests durchzuführen, die ihnen im Labor niemals genehmigt worden wären. Denn das, was die drei hier in mühevoller Kleinarbeit wieder zusammengesetzt hatten, war kein einfacher Transporter, sondern ein temporaler Transporter.
»An diesem Punkt waren wir schon einmal«, murmelte Chen. Irgendwie behagte es ihr nicht, wie C'Mora den Transporter ansah. »Diesmal sollten wir wirklich vorsichtig vorgehen.«
»Die Geschichte wird sich nicht wiederholen, Chen, mach dir keine Sorgen. Dieses Modell ist neuer, ausgereifter, wir sind erfahrener im Umgang mit der Zeit. Wozu hast du sonst Jahrelang an den Simulationen gesessen?«
Sie nickte und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. Danach hatte sie Mühe, ihren Blick wieder zu fokussieren – ein Zeichen dafür, wie lang sie in der Schlussphase gearbeitet und wie wenig sie geschlafen hatte. Chen hatte sich sehr gewundert, als man ihr das Projekt nach dem unglaublich missglückten ersten Versuch wiedergegeben hatte. Überhaupt war es verwunderlich, dass sie und das Team den Job am Erickson-Institut für Transporterforschung hatten behalten dürfen. Sie vermutete, dass jemand im Hintergrund mit sehr viel Einfluss und enormem Interesse am Projekt es fertiggestellt sehen wollte, koste es, was es wolle.
»Ich will nur sichergehen, dass wir den Transporter dieses Mal vor jedem Transport komplett durchchecken.«
C'Mora lachte. »Nach dem Vorfall mit Lenssen haben wir sogar die Auflage das zu tun, sonst nehmen sie uns das Projekt ein zweites Mal weg.«
Das Problem von Lenssens Wandschrankprojekt war gewesen, dass es ein Bauteil nur ein einziges Mal gab und offenbar hatte er sich nicht die Zeit nehmen wollen, es nachzubauen. Chen war nicht einmal sicher, ob er es geschafft hätte, immerhin hatte sie das Gerät konstruiert, das die Zeitreisefunktion des Transporters überhaupt erst möglich machte. Die Raum-Zeit-Generatorfixierung war das letzte Teil, dass Lenssen gestohlen und bei sich Zuhause eingebaut hatte. Nun hatte das Team im Labor den Fehler gemacht, den Transporter nicht doppelt durchzuchecken, somit fluktuierten die Raum-Zeit-Koordinaten, was zur Folge hatte, dass ein unschuldiger, unwissender Professor aus dem 19. Jahrhundert plötzlich in der Innenstadt aufgetaucht und dort auch gleich mitten in die Ermittlungsarbeiten eines Teams der Föderationssicherheit in einem Mordfall hineingeplatzt war.
Chen erinnerte sich ungern daran, wie sie, C'Mora und Hoxx sich auf die Suche nach dem unbekannten, hergebeamten Etwas gemacht hatten, denn sie hatten weder bestimmen können, was es war, noch, wo es gelandet war. Nun, zu guter Letzt war Lenssen aufgeflogen und verhaftet worden, aber die Arbeit von fast einem Jahrzehnt musste eingestampft, archiviert und in die Schublade gepackt werden.
»Na los, Chen, du hast für heute genug getan. Geh nach Hause, schlafe ein paar Stunden. Ich werde Hoxx Bescheid geben, aber auch erst morgen. Er hat sich die Pause genauso verdient, wie du. Gute Arbeit.« Die Caitianerin verzog ihr Maul zu einem aufmunternden Lächeln, das für Chen immer noch wie eine gruselige Fratze mit scharfen Zähnen wirkte, obwohl sie C'Mora lang genug kannte, um zu wissen, wie sie sich ausdrückte.
»Danke«, murmelte sie. »Ich werde hier noch aufräumen. Geh ruhig schon, ich schalte nachher alles ab.«
Wie du meinst. C'Mora tappte auf leisen Pfoten in Richtung Ausgang, zog währenddessen den weißen Laborkittel aus und hängte ihn in ihren Schrank. Dann winkte sie Chen zum Abschied und verschwand.

Tief durchatmend wandte sich die Wissenschaftlerin wieder dem temporalen Transporter zu, der ihr noch immer unheimlich sachlich anzeigte, dass er betriebsbereit war. Sie verband so viele Gefühle mit diesem Projekt, dass sie fast angenommen hatte, das Gerät würde sie mit einer freudigen Umarmung begrüßen, doch es listete ihr nur ungeahnte Möglichkeiten sachlich und alphabetisch geordnet auf der leuchtenden Kontrolltafel auf. Wie in Trance zappte sie durch die Einstellungen. Sie kannte die Parameter wie ihre Kitteltasche, schließlich hatte sie sie konfiguriert und doch erschien ihr in diesem Moment alles so neu, so unbekannt. Chen hatte nie richtig realisiert, was der Bau des temporalen Transporters bedeutete. Er war so lang ihr Projekt, ihr Baby gewesen, nie fertig gestellt, immer gab es Probleme, die gelöst werden wollten, Theorien, die bestätigt werden wollten, doch so in seiner Vollkommenheit, wie er nun im sterilen Weiß des Labors stand, erst jetzt wurde ihr bewusst, was sie erschaffen hatte.
Fast unbewusst gab sie Raum-Zeit-Koordinaten ein. Der vierte Oktober des Jahres 2486. Sternzeit 163756,33, genau hundert Jahre in der Zukunft. Hundert Jahre, das klang so wenig in ihren Ohren. Was waren schon hundert Jahre in einem Universum, das Milliarden Jahre alt war und ihren läppischen hundert vermutlich keinen Blick schenken würde. Und doch, wenn sie daran dachte, wie die Erde vor hundert Jahren ausgesehen hatte, dann zog sich der kleine Zeitraum vor ihrem inneren Auge extrem in die Länge. Wenn sie bedachte, was alles passiert war, was jedem einzelnen Bürger der Föderation, jedem Bewohner des Quadranten widerfahren war, verflochten sich die hundert Jahre zu einem gigantischen, fragilen Netz an Ereignissen.
Natürlich sah Chen dieses Bild nicht zum ersten Mal, immerhin hatte sie sich sechs Jahre lang mit diversen Theorien über die Zeit, ihre Relativität und den Auswirkungen beschäftigt, die eine Zeitreise haben könnte. Sie konnte teilweise auf die Tests zurückgreifen, die das Team mit dem ersten temporalen Transporter hatte durchführen können, aber trotzdem lag vieles im Dunkeln.

Plötzlich bemerkte sie, dass ihr Finger über dem Startfeld des Transporters schwebte, darauf wartend, dass ihr Verstand einen Moment aussetzte und das Verlangen nach der Lösung des Rätsels so groß wurde, dass sie es schaffte, auf das Feld zu tippen und zu sehen, wie ihre Zukunft in hundert Jahren aussehen würde.
Dass sie es nicht tat, hatte nichts mit der strikten Anweisung zu tun, bis morgen zu warten. Nein, Bedenken schossen durch ihren Kopf, die ihr in dieser Form vorher nie begegnet waren. Jetzt, wo der temporale Transporter einsatzbereit vor ihr stand und sie nur einen weiteren Schritt benötigte, um hundert Jahre hinter sich zu lassen, fragte Chen sich auf einmal, ob es richtig war, was sie getan hatte. Die Zukunft, ein komplexes Geflecht aus getroffenen Entscheidungen, war etwas, das sie gleichzeitig faszinierte, wie frustrierte. Wie oft hatte sie schon überlegt, in welche Richtung sich ihre Zukunft gewandelt haben könnte, nur weil sie rechts, statt links gegangen war; nur weil sie vulkanisch und nicht andorianisch Essen gegangen war; nur weil sie hundert Jahre eingegeben hatte und nicht hundertundeins. Das Frustrierende daran lag in der Tatsache, dass sie niemals alle Aspekte der Zukunft erforschen konnte. Es ließ sich nicht jeder Zeitstrom verfolgen, nicht jede Version betrachten. Und nun brachten diese Überlegungen Chen dahin, dass sie nicht einmal mehr wusste, ob sie oder irgendjemand anders überhaupt dazu bestimmt war, irgendeine Zukunft zu sehen.
Die Zeit war so fragil und Chen und ihr Team hatten vor, Risse hineinzusprengen, nur um zu sehen, was hinter dem Milchglas lag. Vielleicht hatte es das Schicksal so gewollt, dass ihnen das Projekt abgenommen und eingefroren worden war, oder es war jemand aus der Zukunft daran beteiligt gewesen? Vielleicht sogar ein zukünftiges Ich von ihr selbst?

Chen schüttelte den Kopf, um die wirren Gedanken loszuwerden. Die eigentliche Frage lautete doch: Dürfen wir mit unserer Zukunft spielen? Dürfen wir dieses Ding weiterentwickeln, sodass es vielleicht in ein paar Jahren Sternenflottenstandard wird? Können wir verhindern, dass alles außer Kontrolle gerät?
Je mehr von der Zukunft bekannt ist, desto mehr manifestiert sich diese eine Zukunft, dessen war Chen sich sicher. Aber was, wenn sich dadurch eine unausweichliche Katastrophe festigte, nur weil drei kleine, verrückte Wissenschaftler gerade diesen Zeitstrom und nicht den daneben erwischt haben?
Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr erfüllte sie die Unsicherheit. Und sie ließ den Finger weiter über dem Startfeld schweben, wenn es sein musste, die ganze Nacht. Diese hundert Jahre Zukunft? Waren sie es wirklich wert?
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