TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Advent

von Gabi

Kapitel 1

Subcommander T’Pol öffnete ihre Quartierstüre, und bevor sie einen Schritt auf den Korridor hinaus trat, blickte sie sich rasch zu beiden Seiten um. Es war niemand zu sehen, wie jedes Mal. Ihr Blick glitt zu Boden. Dort lag ein kleines, dekoriertes Säckchen – wie jedes Mal. Sie nahm es auf, überprüfte noch einmal den Korridor und trat dann in ihr Quartier zurück.

So ging es nun bereits seit zwölf Tagen.

Am ersten Tag hatte sie noch gedacht, dass ein Mitglied der Crew etwas verloren hätte, auch wenn es der Vulkanierin etwas seltsam vorgekommen war, dass jemand mit einem hübsch verpackten kleinen Dekostein auf der Enterprise herumlaufen sollte.

Sie hatte herumgefragt, und einige von denjenigen, die sie angesprochen hatte, hatten dermaßen unschuldig Ahnungslosigkeit vorgetäuscht, dass sie rasch von einem jener völlig sinnfreien, zeitvergeudenden Streiche ausging, an welchen Terraner ein kindisches Vergnügen zu haben schienen. Ohne weitere Fakten zu kennen, extrapolierte sie alleine aus der Datenlage der Vergangenheit eine fünfundneunzig prozentige Wahrscheinlichkeit, dass es sich beim Anstifter um den Chefingenieur handelte.

Nach dem zweiten Tag hatte T’Pol beschlossen, die morgendlichen Funde nicht mehr zu erwähnen. Ein Streich hatte nur dann einen Sinn, wenn sich diejenige Person, welche sich am falschen Ende der Aufmerksamkeit wiederfand, auch aufregte. Terraner waren wie Kleinkinder: Die wirksamste Bestrafung war für sie der Aufmerksamkeitsentzug.

Die Vulkanierin bemerkte sehr wohl die erwartungsvollen Mienen, wenn die entsprechenden Crewmitglieder glaubten, dass sie nicht in deren Richtung blickte. Ebenso das Getuschel hinter vorgehaltener Hand, welches abrupt verstummte, sobald sie einen Raum betrat. Doch weit besser als ihre menschlichen Kollegen war sie darin, vollkommene Gleichgültigkeit auszustrahlen.

Am vierten Tag hatte sie ein Gespräch unter vier Augen mit Captain Archer erbeten, doch auch ihm und seiner beteuernden Unschuldsmiene hatte sie angemerkt, dass er in das Komplott eingeweiht war. Sie hatte sich beschwert, dass sie derart kindisches Verhalten nicht logisch fände, er hatte ihr versichert, dass bestimmt niemand aus der Crew ihr einen Streich spielen wolle – und dabei war es dann geblieben.

Seither entfernte sie jeden Morgen die Kleinigkeiten von ihrer Türschwelle und vollführte ihren Dienst als ob nichts gewesen wäre.

Auf dem Weg zur Brücke bog sie in den Korridor ein, an welchem die Messe lag. Etwas streifte ihren Kopf und sie blieb verwundert stehen. Links und rechts des Gangs hingen Verzierungen in Rot-, Grün- und Goldtönen und behinderten das Vorwärtskommen. Sie wollte eben die Hand heben um eines der Hindernisse zu entfernen, als sich die Tür zur Messe öffnete und Lieutenant Reed auf den Korridor hinaus trat. Wie so oft hielt er noch einen Teil seines Essens in der einen Hand, während er mit der anderen bereits wieder in irgendwelchen Berichten las. Es war T’Pol bereits früher aufgefallen, dass der Lieutenant nicht die Fähigkeit besaß, sich der einen Sache, die er im Augenblick tat, mit ganzer Konzentration zu widmen. Ein Teil seines Bewusstseins war immer mit Waffensystemen und Ähnlichem beschäftigt. Während sie seine Arbeitsmoral löblich fand, irritierte sie der Umstand, dass er bei etwas so Wichtigem wie der Instandhaltung seines Körpers durch regelmäßige und konzentrierte Nahrungszufuhr so unaufmerksam war.

Im Vorbeigehen hob er nur kurz den Blick von seinen Aufzeichnungen um sie zu grüßen.

„Lieutenant Reed!“

Er blieb stehen, wandte sich um und schenkte ihr nun seine volle Aufmerksamkeit. „Subcommander?“

T’Pol deutete zur Decke. „Was soll das hier vorstellen?“

Reeds Blick folgte ihrem Finger. Er nickte kurz, so als ob ihm die Verzierungen erst jetzt aufgefallen seien, was, wie T’Pol mutmaßte, sehr wohl auch den Tatsachen entsprechen dürfte.

„Weihnachtsdeko“, erklärte er knapp und machte sich bereits wieder daran weiterzugehen.

„Weihnachtsdeko?“, wiederholte die Vulkanierin das Wort, welches ihr rein gar nichts sagte. „Würden Sie das bitte entfernen lassen?“

„Ich?“ Reed stoppte noch einmal in seinem Schritt. „Was habe ich damit zu tun?“

„Sie sind doch für die Sicherheit hier an Bord zuständig, richtig?“

Reed nickte.

„Das hier ist ein Sicherheitsrisiko. Die Gefahr, sich darin zu verfangen, besteht.“

Der Lieutenant betrachtete erst T’Pol nachdenklich, dann die Dekoration, dann schüttelte der den Kopf. „Gehen Sie in der Mitte des Korridors, dann kommen Sie damit nicht in Berührung, Subcommander.“ Damit widmete er sich wieder seinem Bericht und verschwand um die nächste Ecke.

Ein wenig irritiert, ohne sich das natürlich äußerlich anmerken zu lassen, betrat T’Pol nun ihrerseits die Messe für ein leichtes Frühstück. Mit dem Tablett in der Hand ließ sie den Blick durch den halbbesetzten Raum schweifen, wie stets in den letzten Tagen die erwartungsvollen Mienen ignorierend, die sich von ihr eine wie auch immer geartete Reaktion auf die morgendlichen Funde erhofften. Sie bemerkte Ensign Sato an einem Tisch sitzen und steuerte auf sie zu. Von den Offizieren der Brückcrew war die Frau in den Augen der Vulkanierin diejenige Person, mit welcher man am vernünftigsten reden konnte.

Kaum hatte sie sich gesetzt, eröffnete sie das Gespräch: „Ensign Sato, darf ich Ihnen eine Frage stellen?“

Die Japanerin blickte auf. In den ansonsten recht neutralen Zügen glaubte T’Pol ebenfalls einen Anflug dieses Verschwörerblicks zu erkennen, doch sie beschloss es zu ignorieren. „Ja, natürlich, Subcommander.“

„Um was handelt es sich bei Weihnachtsdeko?“ So wie sie das Wort betonte war klar, dass sie es in keinen Kontext einordnen konnte.

Sato stutzte einen Moment, dann erhellte sich ihre Miene. „Ach, Sie meinen die Girlanden, welche jemand draußen auf dem Korridor aufgehängt hat?“

T’Pol nickte.

„In zwölf Tagen ist das Datum, an welchem ein Teil der Menschen das Fest Weihnachten feiern …“

Die Vulkaniern hob die Augenbrauen. „Nur ein Teil?“

„Nun ja“, Sato zuckte mit den Schultern. „Gefeiert wird es mittlerweile von einem recht großen Teil der Menschen, aber der eigentliche religiöse Sinn dahinter stammt nur von einer der verschiedenen Glaubensströmungen auf der Erde.“

„Sie feiern kein Weihnachten?“, mutmaßte T’Pol korrekt.

Sato schüttelte den Kopf. „Nicht im engen Sinn. Meine Leute sind Shintoisten, aber auch das nur auf dem Papier. Ich finde die Stimmung jedoch sehr nett. Und dazu gehört in der Zeit vom ersten bis zum vierundzwanzigsten Dezember eben auch festliche Dekoration.“

„Aha.“ T’Pol widmete sich ihrem Frühstück, während ihr Hirn die erhaltenen Informationen ablegte.

Als sich die beiden Frauen nach dem Essen zu ihren jeweiligen Diensten trennten, merkte Sato noch mit einem Zwinkern an. „Informieren Sie sich doch einmal über Advent und damit zusammenhängende Bräuche, Subcommander.“

Auch diese Information speicherte die Vulkanierin zum späteren Gebrauch ab. Im Augenblick wusste sie mit dem Hinweis nichts anzufangen.

Als sie nach Dienstende in ihrem Quartier saß und die Datenbank nach den Stichworten durchsuchte, die Sato ihr genannt hatte, begannen ihr die Zusammenhänge aufzugehen.

Auch die folgenden zwölf Tage sammelte sie morgens die Kleinigkeiten vor ihrer Türe ein und ließ mit keiner Miene durchscheinen, dass sie Bescheid wusste. Ihre Erziehungsmethode für Menschen beruhte darin keinerlei positive Rückmeldung für kindisches Verhalten zu geben.

Am vierundzwanzigsten Dezember hatte Captain Archer in der Messe eine kleine Feier vorbereiten lassen. Das abendliche Büffet bestand aus traditionellen Gerichten verschiedener menschlicher Volksgruppen, insofern die Küchenvorratshaltung die Zubereitung zuließ. Die Technik-Crew hatte einen künstlichen Weihnachtsbaum aus denjenigen Teilen erstellt, die ihnen zur Verfügung standen. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen und gewann auf jeden Fall den ersten Preis in Sachen Einfallsreichtum.

Captain Archer stand neben dem Baumersatz, ein Glas in der Hand, betrachtete seine Crew und strahlte mit den Lichtern um die Wette. T’Pol gesellte sich zu ihm.

„Sehen Sie nur, Subcommander“, er beschrieb mit dem Glas einen Halbkreis, „wie sich die Leute wohlfühlen. So etwas sollten wir öfters machen. Das hebt die Stimmung und fördert das Zusammengehörigkeitsgefühl.“

T’Pol betrachtete ihn fragend. „Wie oft im Jahr feiern Sie denn Weihnachten?“

„Äh …“ Archer wandte sich irritiert zu seiner Stellvertreterin um. „Nicht Weihnachten, T’Pol“, bemerkte er dann mit leichtem Kopfschütteln. „Feiern zu anderen Anlässen auch. Haben Sie so etwas auf Vulkan nicht auch?“

„In anderer Form“, erwiderte sie. Einen Moment lang standen die beiden ranghöchsten Offiziere Seite an Seite und beobachteten ihre Leute. Schließlich sprach T’Pol wieder: „Ich habe mich übrigens kundig gemacht, was es mit dem Brauch des Adventskalenders auf sich hat, Captain.“

Archer nickte zufrieden. „Ich wusste, dass Sie dahinter kommen.“

„Sie hätten mir den Brauch auch erklären können, als ich Sie gefragt habe“, bemerkte sie mit rügendem Unterton.

Der Captain schüttelte den Kopf. „Nein, wir waren der Meinung, dass es auf diese Weise viel spannender für Sie ist. War es nicht überraschend jeden Morgen zu sehen, wie jemand an Sie gedacht hat?“

Sie bedachte ihn mit einem Blick, der deutlich verriet, dass ihr die Logik hinter diesem Vorgehen entging. „Und wer ist jemand?“

„Jeden Tag hat sich ein anderes Crewmitglied etwas ausgedacht. Es ist doch fantastisch, wie sehr alle Sie in ihrer Mitte aufgenommen haben. Das ist der wahre Geist der Weihnachtszeit.“

T’Pol musterte ihren Captain. Archer war ihr von all den Menschen, mit denen sie zusammenarbeitete, der rätselhafteste geblieben. Während Personen wie zum Beispiel Mr. Tucker recht einfach gestrickt , andere wie Reed und Sato ihr durch deren Identifikation mit ihrer Arbeit angenehm im Umgang waren, besaß der Captain eine Mischung aus kindlicher Begeisterung und Integrität, die sie immer wieder aufs Neue verblüffte. Wie er jetzt vor ihr stand, ehrlich berührt von einem Brauch, der für die Vulkanierin lediglich durch seine Unlogik bestach, wusste sie nicht genau, was sie ihm antworten sollte.

„Es ist also ein Zeichen von Respekt“, begann sie vorsichtig, „wenn andere Personen einem im Alltag völlig unbrauchbaren Zierkram zukommen lassen, mit welchem man rein gar nichts anfangen kann?“

„Ganz genau!“ Der Captain hatte offensichtlich beschlossen, sich den heutigen Abend nicht von ihrer Emotionslosigkeit verderben zu lassen. „Nun kommen Sie, Subcommander, jetzt erklären Sie mir nicht, dass Sie sich nicht jeden Morgen darauf gefreut haben, was heute vor der Türe steht?“

„Ich …“, setzte sie an, um ihm zu versichern, dass Freude keine Emotion war, mit welcher sie sich im Allgemeinen abgab. Im Anblick seiner offensichtlichen Begeisterung und des Sinns der Weihnacht, den sie in den Datenbanken nachgelesen hatte, bog sie ihre Antwort jedoch im letzten Moment ab: „Ich fühle mich geehrt.“

Die Hand, die ihr nun auf die Schulter fiel, akzeptierte sie nur aufgrund des besonderen Moments. „Das ist die richtige Einstellung T’Pol. Das ist die richtige Einstellung!“

Später am Abend kehrte die Vulkanierin mit einer Menge neuer Eindrücke in ihr Quartier zurück und der Gewissheit, dass sie die menschliche Spezies niemals begreifen würde. Bevor sie sich für ihr Bett fertig machte, trat sie an ein kleines Wandregal heran, auf welchem vierundzwanzig gänzlich überflüssige Kleinigkeiten peinlichst genau ausgerichtet standen. Mit dem Finger fuhr sie sanft darüber. Das leichte Lächeln, das dabei ihre Lippen umspielte, würde sie natürlich nie jemanden sehen lassen.


Ende
Rezensionen