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Living in a tin can

von Oriane

Kapitel 1

Vorsichtig und mit Bedacht kletterte T'Reka auf einen Stuhl in ihrem Quartier. Sie hatte ihn so platziert, dass sie mit seiner Hilfe an die die Wand oberhalb des kleinen Bullauges herankam. Vorher hatte sie eine Art Gardinenstange repliziert, sie an der Wand befestigt und nun versuchte sie, die Lichterkette, die sie sich um den Hals gelegt hatte, ansehnlich darum herum zu drapieren. Das Problem war, dass der Stuhl von Sternenflottenstandard nicht besonders stabil war, was sie wiederum gefährlich zum Wanken brachte. Ihr vulkanischer Verstand kam in diesem Moment zwar auf einige Ideen, wie sie die Situation entschärfen konnte, aber dann siegte die Überlegung, dass sie mit dem Stuhl nun schon so weit gekommen war, dass sie es mit ihm auch zu Ende bringen konnte und dass eine Modifikation der Hilfsmittel bedeutend zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Tims Schicht würde nämlich jeden Moment vorbei sein und wenn er ihr gemeinsames Quartier betrat, wollte sie fertig sein.
Die kleinen Lämpchen der Kette leuchteten in einem geringfügig anderen Farbton als der Planet vor dem Fenster. Rotbraun, warm und staubtrocken zeigte sich die unwirtliche Welt. Die warmen Farben spielten für T'Reka keine besondere Rolle, anders als für Tim, der manchmal noch immer abends vor dem Fenster stand und fasziniert das Farbenspiel bewunderte. Sie wusste, dass ihr Mann hart arbeitete, so wie alle auf diesem Schiff, deswegen ließ sie ihm diesen merkwürdigen Genuss, ohne ein logisches Wort darüber zu verlieren.

Tim fühlte sich nicht wirklich wohl hier, das wusste sie und er hatte sich nur aus einem Grund für diese lange Mission im Tiefenraum gemeldet. Die U.S.S. Talamanca war T'Rekas Zuhause, ihr Leben spielte sich hier ab, ihr Job war einer der besten, den sie hätte bekommen können und wenn sie ehrlich zu sich war, musste sie zugeben, dass sie auf Alpha Centauri nicht zufrieden gewesen wäre. Sie war ein Kind des Alls und würde sich auf keinem Planeten wohlfühlen. Tim hatte ihr zuliebe alles zurückgelassen und war zu ihr in diese einsame Blechbüchse gezogen, wie er sie manchmal nannte, wenn er wütend war. Oft genug warf er ihr vor, dass sie nicht verstehen würde, wie er sich fühlte, ritt auf ihrer vulkanischen Erziehung herum und versuchte, sie wütend zu machen. Dass es ihm von Zeit zu Zeit gelang, gab sie natürlich nicht zu. Aus ihrer Sicht war es eine logische Entscheidung, dass er ihr gefolgt war. Seine Position hier an Bord war perfekt auf seine Fähigkeiten zugeschnitten und die wissenschaftlichen Phänomene dieses Planeten weckten seine unermüdliche Neugier, aber natürlich war ihr klar, dass es für ihn mehr eine emotionale Entscheidung gewesen war, die er im Strudel seines Gefühlsreichtums von Zeit zu Zeit bereute.
Gerade in den letzten Tagen war es wieder besonders schlimm und T'Reka meinte herausgefunden zu haben, warum er zu dieser Jahreszeit immer wieder den Wunsch verspürte, in seine Heimat zurückzukehren. Es hatte sie ein wenig Rechnerei gekostet, aber schlussendlich lautete ihre Diagnose: Weihnachten.
Sofort hatte sie sich an die Arbeit gemacht, die verschiedenen irdischen Bräuche in dieser Zeit studiert und dann beschlossen, ihrem Mann die Zeit zu erleichtern. Es hatte sich als sehr viel schwieriger herausgestellt, die richtigen Utensilien zu replizieren, als angenommen, da das Fest wohl auf sehr viele unterschiedliche Weisen gefeiert werden konnte und T'Reka keine Ahnung hatte, welche Option Tim am liebsten hatte. Seine Familie über Subraum zu kontaktieren hielt sie für keine gute Idee, denn aus irgendeinem Grund schien sie sie nicht zu mögen, was T'Reka als höchst unlogisch, aber nicht zu ändern abtat.

Aber nach einigem Suchen glaubte sie gefunden zu haben, was Tim gefallen könnte. Sogar eine kleine Tanne hatte sie repliziert und mit bunten Kugeln und Holzfiguren geschmückt. Einen Adventskalender oder -Kranz hielt sie für unangebracht, da Weihnachten nur noch 8 Tage auf sich warten ließ. Auch über ein Geschenk hatte sie sich noch keine Gedanken gemacht, aber dazu würde ihr schon noch etwas einfallen. Da ihr Quartier keinen Kamin besaß, war sie sich nicht sicher, ob sie einen Strumpf auch irgendwo anders aufhängen durfte, also ließ sie den kurzerhand auch weg.
Ihren ausnahmsweise freien Nachmittag hatte sie damit verbracht, den Baum aufzustellen und das Quartier mit Lichterketten zu schmücken. Die Tätigkeit an sich war schon eine neue Erfahrung für sie und was ihr das größte Problem bereitete, war ihr und Tims verschiedenes ästhetisches Empfinden. Nie hatte sie ihren Mann zu dieser Art von Dekoration befragen können und immerhin wollte sie, dass es ihm gefiel und nicht ihr.
Sie hielt in ihren Gedanken inne, als sie hörte, wie jemand den Code zum Quartier eingab.

Missmutig betätigte Tim das Türschloss. Nachdem sein Quartier ihn eingelassen hatte, verschränkte er die Hände hinter dem Rücken, zog die Arme lang und bog mit geschlossenen Augen den Oberkörper ein paar Mal vor und zurück, sodass er spürte, wie seine Sehnen, Muskeln und Wirbel zurück an ihre Plätze sprangen. Mit verzogenem Gesicht massierte er seine Nackenmuskeln. Die künstliche Schwerkraft hatte ihm von Anfang an Probleme bereitet und sein Körper protestierte auch nach Jahren noch dagegen. Erst als er die Schuhe grob in Richtung Fußmatte gekickt hatte, sah er, dass irgendetwas anders war. Jemand, ganz offensichtlich seine Frau, hatte einen etwa ein Meter großen Nadelbaum auf dem Couchtisch drapiert, über und über mit knatschbuntem Zeug behangen, von Kugeln über kleine Holzengelchen bis hin zu kitschigen vergoldeten und glitzernden Sternen. Eine solche Farbexplosion von Weihnachtsbaum hatte Tim in seinem Leben noch nicht gesehen und das sollte eine Menge heißen, immerhin war er mit vielen unterschiedlichen Weihnachtsbräuchen aufgewachsen. Er erinnerte sich gut daran, wie seine Großeltern sich immer mit seiner Tante stritten, weil ihnen die Dekoration zu ausladend und bunt war. Er würde ein Holobild machen und es ihnen zukommen lassen, sobald er den Übeltäter gefunden hatte, denn der hatte sich das Recht ergattert, mit aufs Foto zu kommen.

Innerlich grinsend bewegte er sich langsam durchs Quartier, auf der Suche nach Veränderungen. Aber bis auf den Baum und die Lichterketten, die Zentimetergenau angebracht worden waren und nur mit viel Fantasie eine Spur gemütlichen Durcheinanders aufwiesen, schien T'Reka sich zurückgehalten zu haben. Aber wo war sie?
Die Antwort erhielt er, als er das kleine Schlafzimmer betrat. Die schmale Gestalt seiner Frau stand ein wenig wackelig auf einem Stuhl. Mit einem Knie stützte sie sich an der Wand ab und sah ihn erstarrt an, wie ein verschrecktes Kaninchen. Eine Lichterkette hatte sich um ihren Hals und Oberkörper verheddert, was sie offensichtlich gerade hatte entwirren wollen. Die kleinen Lämpchen ließen sie selbst leuchten wie den schönsten Christbaumschmuck.

»Reka, was um alles in der Welt machst du da?« Es gab sich große Mühe seine Belustigung zu verbergen. Sie hingegen war sichtlich bemüht, ihre Unsicherheit nicht zu zeigen.
»Du bist zu früh«, stellte sie fest. »Ich bin nicht fertig.«
»Meine Schicht ist zu Ende, ich bin zur gleichen Zeit zurück wie sonst auch.«
»Ich ... ich habe nur versucht ...« Ohne vom Stuhl hinunterzusteigen begann sie, sich selbst von der Lichterkette zu befreien, was ihr in der Unsicherheit und Instabilität nicht gelang.
Bevor noch etwas schief gehen konnte, trat Tim auf sie zu. »Wie wäre es, wenn du erst einmal herunterkommst und dir helfen lässt?«
Sie tat, wie ihr geheißen und ließ sich von Tim vom Stuhl hinunterhelfen. Während er bedächtig begann, sie zu entwirren, suchte sie verstohlen in seinem Gesicht nach einer Reaktion auf ihre Dekoration, fand aber keine. Das beunruhigte sie, immerhin hatte sie sich die ganze Mühe nur gemacht, um eine emotionale Reaktion bei ihm hervorzurufen und dass diese ausblieb, konnte sie nicht einordnen.
»Kannst du mir erklären, warum du auf unsere instabilen Küchenstühle steigst, um Lichterketten aufzuhängen?«, fragte Tim und konnte nicht anders, als ein Grinsen sehen zu lassen. Die Situation schien ihm einfach zu surreal.
»Du hast es also bemerkt«, entgegnete sie.
»Natürlich, glaubst du, ich bin blind? Dein Weihnachtsbaum blendet einen von hundert Metern Entfernung aus.«
»Ich hätte ihn weglassen sollen«, murmelte sie. »Ich wusste nicht genau, wie deine Vorstellung von Weihnachten aussieht.«
»Aber nein, nein.« Tim schüttelte den Kopf und musterte die Tanne. »Ein Baum ist toll, er ist nur ein wenig überladen.«
T'Reka half ihm, die letzten Lämpchen zu befreien, die sich in ihren Haaren verhakt hatten, dann rollte sie die Lichterkette sorgfältig zusammen und legte sie auf den Stuhl, der noch immer unterm Fenster stand.
»Was hast du dir dabei gedacht?« Er sah sich um. Die Dekoration wirkte in dem spartanisch eingerichteten Sternenflottenquartier einfach nur fehl am Platz, als hätte sich jemand einen Scherz erlaubt. Sie verbrachten beiden wenig Zeit hier, weswegen sie nie dazu gekommen waren, es sich gemütlich zu machen. Aber Vulkanier trieben keine Späße und dass T'Reka plötzlich diese Art von Humor entwickelt haben sollte, erschien Tim unwahrscheinlich.
»Gefällt es dir?«, fragte sie plötzlich. »Löst es ... besinnliche Gefühle in dir aus?«
Ruckartig fuhr sein Kopf herum. Ihr Gesicht blieb vollkommen ernst und ausdruckslos, aber Tim kannte seine Frau und wusste um den unsicheren Ausdruck in ihren Augen, in denen sich die Lichter der zusammengerollten Kette spiegelten.
»Deswegen hast du geschmückt? Du wolltest Weihnachten zu mir in den Weltraum bringen?«
»Nein, bestimmt nicht. Ich halte das Fest für eine Reihe an unlogischen Ritualen.«
Noch während sie sprach nickte Tim enttäuscht und drehte sich weg. Er hatte es geahnt. Sie war in ihrem Herzen viel zu sehr Vulkanierin, als dass sie zugeben würde, etwas aus emotionalen Gründen getan zu haben. Umso mehr überraschte es ihn, als sie weitersprach.
»Aber du nicht. Für dich ist es ein Fest, das du mit deiner Familie verbindest. Hinter euren Ritualen versteckt sich der Wunsch nach Nähe und Geborgenheit – und bevor du fragst, diese Interpretation stammt nicht von mir, aber ich denke doch, dass sie zutrifft. Ich bin der Grund, warum du an Weihnachten nicht bei deiner Familie sein kannst.«
»Das ist nicht wahr!«, unterbrach Tim sie, doch sie ließ sich nicht beirren.
»Es ist wahr. Du hast sie verlassen, um bei mir zu sein und darunter leidest du. Glaube nicht, dass mein logisch denkender Verstand das nicht merken würde.«
Betroffen sah Tim zu Boden. Es stimmte, was sie sagte, obwohl er versuchte, es vor ihr zu verbergen, so gut es ging. Wie hatte er nur einen Moment annehmen können, dass ihre scharfen Sinne das nicht erkannten? T'Reka mochte durch und durch Vulkanierin sein, aber sie war seine Frau, sie liebte ihn, sonst hätte sie ihn nicht ihrem Versprochenen vorgezogen. Tim vergaß zu oft, dass keine Gefühle zu zeigen nicht bedeutete, dass keine Gefühle im Spiel waren.
»Ich möchte nicht, dass du leidest«, sagte sie leise.
»Es war eine logische Entscheidung, mit dir hierher zu kommen. So würdest du es zumindest formulieren. Wenn ich sage, es war eine emotionale Entscheidung, dann weiß ich, dass wir im Grunde das gleiche meinen. Aber du hast Recht, manchmal macht mir diese endlose Weite zu schaffen. Die Kälte des Raums lässt sich nicht so einfach wegheizen, nicht auf einem kleinen Schiff wie diesem.«
T'Reka schluckte. Die nächste Frage kam ihr schwer über die Lippen. »Möchtest du zurück?« Beide wussten, dass das eine Trennung bedeutete. Sie würde das Schiff nicht verlassen. Sie war ein Kind des Alls und anders als ihm fiel es ihr sehr viel schwerer, immer an einem Ort zu bleiben. Wenn er also ging, dann war es für immer.
Tim hob den Kopf und sah ihr in die Augen. »Aber nein. Ich meine, natürlich vermisse ich meine Familie, aber es hat einen Grund, dass ich heute hier mit dir bin und nicht auf Alpha Centauri. Ich liebe dich, du bist meine Frau und damit die Familie, die mir am nächsten steht. Und auch, wenn ich manchmal so wirke, als würde ich am liebsten gehen und nie zurückkehren, ich werde dich ganz bestimmt nicht in dieser Blechbüchse allein lassen.« Er schmunzelte und suchte in ihrem Gesicht nach einer Reaktion. Aber das jahrelange Training und die vulkanische Art, immer ein ausdrucksloses Gesicht zu zeigen, siegte. Tim seufzte. Er wusste, dass seine Worte sie berührt hatten, zumindest hoffte er jedes Mal, dass es so war.
»Ich wollte dir eine Freude machen«, sagte T'Reka tonlos. »Dieses Fest bedeutet dir etwas und ich wollte, dass du dich wohlfühlst, obwohl du von deiner Familie getrennt bist.«
Auf einmal verstand er. Dies war ihre Art ihm zu zeigen, dass er Gefühle in ihr auslöste. Seine Unzufriedenheit hatte sie dazu getrieben, diesen Zustand ändern zu wollen – wenn das kein Beweis dafür war, dass sie ihn von ganzem vulkanischen Herzen liebte, dann wusste er auch nicht weiter.
»Und ich freue mich darüber«, antwortete er warm und bestimmt. »Wie wäre es, wenn ich dir zeige, wie ich Weihnachten kenne?«, fragte er dann, drehte sich um und besah sich den Baum. »Vielleicht gefällt es dir auch?«
»Das halte ich für eine logische Folgerung.« Glücklich beobachtete sie, wie wieder das Lächeln auf Tims Gesicht erschien, das der Grund gewesen war, weshalb sie ihn geheiratet hatte, auch wenn sie das natürlich niemals zugeben würde. Sorgfältig schloss sie das Bild und das dazugehörige Gefühl in sich ein, so wie sie es immer tat. Sie würde es gut behüten und nicht vergessen. »Fangen wir an!«


ENDE
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