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Im Namen des Kindes

von Gabi

Kapitel 1

„Energie!“

Die flimmernde Säule, die sich auf der Transporterplattform bildete, wurde von vier Augenpaaren angespannt beobachtet. Die Blicke, welche in etwa die Höhe eines erwachsenen Menschen fokussierten, gingen ins Leere.

Nach einem knappen Moment der Verwirrung war es Lieutenant Worf, welcher das Offensichtliche attestierte: „Sie wurde nicht erfasst, Captain.“

„Mr. O’Brien?!“ Picard wirbelte zum Transporterchief herum, der bereits hektisch dabei war, Einstellungen an der Transporterkonsole zu verändern. „Ich verstehe es nicht, Captain“, murmelte er, während er seine Augen nicht von den Anzeigen nahm, „ihr Signal war unverzerrt.“

„Was hieran liegen kann …“ Commander Riker trat einen großen Schritt nach vorne und bückte sich. Als er sich wieder aufrichtete, konnten alle anwesenden Offiziere den Kommunikator sehen, den er in der Hand hielt.

„Merde!“ Picard bedachte erst das Sternenflottenidentifikationszeichen und dann seinen Ersten Offizier mit einem finsteren Blick. Letzterer hatte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen können, was Picard in der momentanen Situation vollkommen unangebracht schien.

„O’Brien! Können Sie ihre Biozeichen isolieren?“

„Ich versuche es, Captain.“ Doch die gehetzte Miene des Iren deutete davon, dass es ein schwieriges Unterfangen zu werden versprach.

„Captain, ich denke, sie wollte nicht evakuiert werden“, grollte der klingonische Sicherheitschef, dessen Miene aufgrund des klingonischen Stirnkamms ohnehin stets finster wirkte.

„Was Sie nicht sagen, Lieutenant!“ Picards wütender Blick schloss nun auch seinen Sicherheitschef mit ein. „Diese Frau bringt mich eines Tags noch in mein Grab!“ Er strebte auf die Türen des Transporterraums zu. „Halten Sie mich auf dem Laufenden, Mr. O’Brien. Nummer Eins, veranlassen Sie die Wissenschaftsstation sich mit O’Brien kurzzuschließen und die Sensoren zu verstärken. Es muss doch möglich sein, ein humanoides Signal unter den Drichtai auszumachen. So ähnlich können wir uns nun auch wieder nicht sein.“ Während sich die Tür öffnete, wirbelte er noch einmal herum. Alle drei Männer nahmen unter dem wütenden Blick automatisch Haltung an. „Sobald Sie sie erfassen können, beamen Sie sie hoch.“

„Das wird ihr nicht gefallen …“, wagte Riker anzumerken.

„Das ist mir vollkommen gleichgültig, Nummer Eins! Ich bin in meinem Bereitschaftsraum!“

Als sich die Tür hinter dem erzürnten Captain wieder geschlossen hatte, lockerten die drei Offiziere wieder ihre Habachtstellung.

„Wird das ein Disziplinarverfahren zur Folge haben?“, brummte Worf.

Riker schüttelte den Kopf. „Nein, Lieutenant. Er ist nur so aufgebracht, weil er sich Sorgen macht. Darin ist der Captain gar nicht gut, glauben Sie mir.“



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Anzei, der Anführer der kleinen Gruppe Drichtai, starrte immer noch verwundert auf die Stelle, an welcher der Regen den Boden vom Grundgestein gewaschen hatte, und an welchem vor wenigen Sekunden die Brosche der Ärztin sich in einem bläulichen Flimmern aufgelöst hatte.

„Vorwärts!“ Dr. Crusher packte ihn am Ärmel. „Wenn wir nicht in Bewegung bleiben, und zwar in zügiger, bin ich die Nächste, die erfasst wird.“ Sie packte die medizinische Umhängetasche fester, warf ihre langen rotblonden Strähnen in den Rücken und machte sich daran, den anderen Drichtai zu folgen, welche sich bereits wieder in Bewegung gesetzt hatten.

Minoa, die junge Mutter, blieb mit ihrem Neugeborenen dicht an ihrer Seite.

„Sie haben sich den Anweisungen ihres Anführers widersetzt!“, rief Anzei ungläubig aus, während er sich nun ebenfalls anschickte, der kleinen Gruppe zu folgen, die sich im Schutz kargen Gestrüpps einen Weg den Felshang entlang nach oben suchte. „Sind Sie denn nicht der Direktive unterworfen, von der Captain Picard gesprochen hat?“, fragte er. Der ältere Mann war ein wenig außer Atem als er wieder zu seinen Leuten aufschloss, mehr jedoch aus schierer Verwunderung, denn aus Anstrengung.

„Theoretisch ja. Praktisch besitze ich als Ärztin einen gewissen Handlungsspielraum“, flunkerte Crusher, einen Teil der Aufmerksamkeit stets auf den Säugling gerichtet, den sie im Arm seiner Mutter schräg vor sich gut im Auge hatte.

„Wovon Ihr Captain jedoch nichts weiß“, folgerte Anzei. In seiner Stimme schwang eine gewisse Bewunderung mit.

„Kann sein“, gab Crusher zu ohne sich umzusehen. Sie zog den Kragen ihrer Jacke ein wenig höher, wie um dahinter Schutz zu suchen. Ihre Sternenflottenuniform hatte sie gegen Kleidung der Einheimischen getauscht. Ihre Verfolger mussten in ihrer Annahme bestärkt werden, dass sich die Sternenflotte wie vereinbart aus dem internen Konflikt zurückgezogen hatte. Wenn herauskäme, dass sich immer noch einer der Offiziere bei den Flüchtlingen befand, war Picards zu erwartendes Donnerwetter das kleinste Problem, dem sich Crusher gegenüber sehen würde.

Sie kletterten und stolperten an einem Späher vorbei, der mit einer Hand das Fernglas hielt, mit der anderen scheuchende Bewegungen den Pfad hinauf machte. „Schneller, ich kann sie bereits am Fuß des Berges erkennen.“

„Wir machen so rasch wir können“, keuchte Anzei. Er war nicht mehr der Jüngste und das letzte Mal, dass er einen solchen Gewaltmarsch unternommen hatte, lag Jahrzehnte zurück.

Crusher hatte zwar mit dem Marschtempo keine Probleme, ihre Brauen zogen sich dennoch besorgt zusammen. „Sehr viel weiter können wir auch nicht gehen“, gab sie zu bedenken, „der Kleine atmet wieder schwerer.“

Anzei nickte. Er winkte den Wachposten zu sich. „Geh und schau, ob es weiter oben einen Bereich gibt, an dem wir uns für einige Zeit verbergen können. Mach schnell!“

Der Angesprochene setzte das Fernglas ab und huschte davon.

Eine Viertelstunde später kauerte sich die kleine Gruppe in einer höhlenartigen Einkerbung im Fels zusammen. Sie hatten den Pfad zum Pass verlassen und waren in die Felsen aufgestiegen.

Während der Rest der Gruppe mit Ausnahme von zwei Spähern die Rast zu einem rituellen Gebet nutzte, machte sich Dr. Crusher daran, den Säugling zu untersuchen und ihm ein Hypospray zu verabreichen.

Dieses wenige Wochen alte Kind war der Grund, warum die Ärztin der Meinung gewesen war, einen direkten Befehl ihres Captains missachten zu müssen. Was als Höflichkeitsbesuch auf dem dritten Planeten des Devara-Systems begonnen hatte, hatte sich sehr bald als Gefahr einer internen Einmischung entwickelt, als die Crew der Enterprise mitbekommen hatte, dass die Regierung der Drichtai einen Haftbefehl gegen eine Familie erlassen hatte, bei denen die Mutter eine der ihren, der Vater jedoch ein Angehöriger der Neeki war, eines Volks, dessen Hoheitsgebiet hinter dem Pass begann, und das mit den Drichtai nicht auf gutem Fuß stand. Liebschaften zwischen den Völkern wurden extrem missbilligend betrachtet, Heirat war verboten und Fortpflanzung ohnehin. Den Vater hatten sie festsetzen können, doch Mutter und Kind gelang die Flucht, da sie von einer kleinen Gruppe tiefreligiöser Drichtai geschützt worden war, welche in der Frucht dieser Verbindung ein Zeichen für einen neuen Anfang ihrer beider Völker sah.

Auch wenn den Föderationsangehörigen die Gesetze der Drichtai zu rigoros erschienen, handelte es sich eindeutig um eine völkerinterne Angelegenheit. Als die Regierung die Sternenflottenoffiziere gebeten hatte, den Planeten wieder zu verlassen, hatte es keine andere Reaktion geben können, als dem Gesuch nachzugehen.

Der Befehl zum Aufbruch war auch an Beverly Crusher ergangen, die es mittlerweile geschafft hatte, mit der Gruppe der Flüchtlinge in Kontakt zu treten, wobei sie festgestellt hatte, dass der Säugling sich in keinerlei Verfassung befand, einen längeren Marsch anzutreten. Das Kind gehörte dringend in ein Krankenhaus, was innerhalb des Gebiets der Drichtai jedoch nicht machbar war ohne augenblicklich verhaftet zu werden.

So hatte sich Crusher von Picard noch paar Minuten erbeten, in denen sie die nötigsten medizinischen Maßnahmen für den Säugling ergreifen konnte, während der Rest des Außenteams bereits wieder an Bord der Enterprise zurückkehrte. Hätte der Captain geahnt, was die Ärztin in Wahrheit vorgehabt hatte, hätte er ihr diesen Spielraum nicht eingeräumt.

Crusher bereitete die Injektion vor, die sie dann dem kleinen Wesen verabreichte. Fast augenblicklich begann sich die hastige Atmung zu normalisieren. Die Hautfarbe war selbst für einen Drichtai-Mischling noch zu hell, doch auch hier war sich die Ärztin sicher, dass in der nächsten halben Stunde eine Besserung eintreten würde. Das dankbare Lächeln der Mutter erwiderte sie mit derselben Intensität. Es waren Augenblicke wie diese, in denen Crusher Zweifel kamen, ob sie den richtigen Beruf erwählt hatte. Nicht denjenigen der Medizinerin, dies war für sie kein Beruf sondern eine Berufung. Doch den hippokratischen Eid mit den Direktiven der Sternenflotte in Einklang zu bringen war nicht immer einfach, und Crusher selbst nicht immer einsichtig. Dennoch bereute sie es nicht, in diesem speziellen Fall den Gehorsam verweigert zu haben. Das Kind wäre ohne ihre Hilfe auf alle Fälle auf der Flucht erstickt.

Als ihre Gestik deutlich machte, dass sie mit der Behandlung des Jungen fertig war, näherte sich auch der Rest der Gruppe, das Gebet nicht unterbrechend, vielmehr die Mutter und den Säugling mit einbeziehend, und auf eine gewisse Weise auch Crusher selbst. Die Ärztin war nicht religiös, in ihrem privaten Universum war kein Platz für eine Gottheit irgendeiner Art. Doch das hinderte sie nicht daran, einen gewissen Respekt vor denjenigen Völkern zu empfinden, die sich so offensichtlich in die Hände einer unfassbaren und wissenschaftlich irrelevanten Wesenheit gaben. Es gehörte eine Menge an Vertrauen und Selbstlosigkeit zu so einer Art von Glauben.

Es war ganz offensichtlich, dass das Kind von den Gruppenmitgliedern als etwas Besonderes angesehen wurde. Eine Verbindung der beiden verfeindeten Völker, die so, nach allem, was sie gehört hatte, noch nie geschehen war. Der Junge tat ihr leid. Was er benötigte, war Zuneigung und eine gute medizinische Versorgung, was er bekam war die überzogene Hoffnung einer Glaubensgemeinschaft und eine Bürde mit in sein junges Leben, die seine Schultern wahrscheinlich nie würden tragen können.

„Sie kommen!“, riss der leise Ruf eines Wachpostens Crusher aus ihren Gedanken und die anderen aus ihrem Gebet. Der Mann hetzte den Höhlengang entlang. „Sie haben sich nicht täuschen lassen, sie sind ebenfalls vom Weg abgebogen und steuern auf diese Höhle zu.“

Die Drichtai blickten sich entsetzt nach ihrem Anführer um. Es gab keine Möglichkeit, unbemerkt aus diesen Felsen zu entkommen. Ihre ganze Hoffnung hatte darauf beruht, dass ihre Häscher den Weg zum Pass weiter gehen würden.

Anzei seinerseits warf einen ängstlichen Blick zu der Sternenflottenärztin. Seit sie bei ihnen war, erwartete der ältere Mann irgendwie Wunder von ihr.

„Wenn wir jetzt alles zusammenpacken und uns beeilen, sind wir dann schnell genug?“, wollte Crusher wissen.

„Ich fürchte nicht“, informierte sie der Wachposten, der seinen Blick über die Frauen und Männer wandern ließ, die vom zurückliegenden Gewaltmarsch bereits gezeichnet waren. „Der Pass ist nur noch zwei Stunden entfernt, doch die Verfolger sind auf jeden Fall schneller und besser ausgerüstet als wir.“

„Wir können jetzt nicht aufgeben!“, bestimmte Anzei. „Das würde für Minoa und den Jungen schreckliche Konsequenzen haben.“

„Also verteidigen wir uns?“, fragte der Wachposten. Ein paar der versammelten Männer und Frauen reckten ihre Arme in die Luft und wiederholten die Worte. „Wir verteidigen uns.“

Crusher betrachtete die Weggefährten, die das Schicksal ihr zugewürfelt hatte. Keiner von ihnen erschien ihr mit der nötigen Erfahrung oder Ausrüstung für einen Kampf ausgestattet zu sein. Und sie selbst durfte sich unmöglich in einen solchen hineinziehen lassen. Zwar trug sie noch ihren Phaser bei sich, der bei Besuchen auf fremden Planeten Standard war, doch sie würde ihn nicht benutzen können, ohne die unerlaubte Anwesenheit der Sternenflotte damit preiszugeben.

Während sich in der Höhle das Gemurmel der zu allem bereiten Hoffnungslosen erhob, schob sie sich zu Anzei hinüber. „Ich wüsste noch eine dritte Variante. Bekommen Sie es hin, dass Ihre Leute sich für mindestens eine halbe Stunde vollkommen ruhig verhalten?“

Er musterte sie. „Was sollen wir tun? Uns verstecken? Hier?“ Er bedeutete mit dem Arm einen Kreis, der die Höhle umfasste. „Hier gibt es kein Versteck.“

Crusher schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Noch nicht.“

Eine Viertelstunde später hockte die kleine Gruppe dicht gedrängt in einem toten Seitenarm, welcher gerade so ihre Anzahl beherbergen konnte. Crusher befand sich mit Anzei an der Schnittstelle zur Hauptkammer. Zu ihren Füßen hatten sie ein kleines, circa faustgroßes Gerät aufgestellt, das sie nun aktivierte. „Ab jetzt ist es lebensnotwendig, dass sich jeder hier absolut still verhält!“

Die Luft vor ihr flimmerte kurz, doch es schien sich nichts zu verändern. Einer der Wartenden wollte auf diesen Umstand hinweisen, sein Mund wurde jedoch sofort von mehreren Umstehenden zugehalten.

„Das ist ein holographisches Schutzschild“, informierte Crusher flüsternd. „Es gehört zur Standardausrüstung beim Betreten fremder Planeten. Es sorgt dafür, dass wir uns in einer beobachtenden Position aufhalten können, ohne durch unsere Entdeckung die Entwicklung der einheimischen Kultur zu stören …“

„Wie gemacht für Spionage“, merkte Anzei nachdenklich an.

„Oder so …“ Sie lächelte entschuldigend. „Unsere Verfolger werden von ihrer Seite lediglich eine Verlängerung der Felswand sehen. Es dämmt jedoch Töne nur sehr wenig, daher müssen wir uns unbedingt leise verhalten.“

Ein Geräusch aus Richtung des Eingangs ließ sie alle die Luft anhalten. Gedämpft konnten sie Stimmen vernehmen und den Tritt von Stiefeln. Die zusammenkauernden Drichtai wichen noch weiter an die hintere Wand zurück, als die ersten Verfolger in Sicht kamen. Die Männer und Frauen trugen Uniform und schwere Waffen im Anschlag. Eine Verteidigung ihrer Position hätte sicherlich nur wenige Minuten überlebt.

Auch Crusher ertappte sich dabei, wie sie das Atmen für einen Moment einstellte. Es war eine Sache, die Theorie der Ausrüstung zu kennen, eine ganz andere, sich im entscheidenden Moment darauf verlassen zu müssen.

Ihre Verfolger marschierten an dem Seitenarm vorbei und blieben in der Hauptkammer der Höhle stehen, von welcher kein weiterer Weg ausging.

„Hier ist niemand!“

„Ich hätte schwören können, dass sie hier hochgestiegen sind!“

„Vielleicht sind sie an der Höhle vorbeigeklettert?“

„Dann können sie noch nicht weit sein. Das Gelände wird dort oben immer ungängiger.“

„Was war das?!“

Die Uniformierten stoppten in ihrer Bewegung, die Flüchtlinge erstarrten. Mehrere der hinter dem Schutzschild Verborgenen versuchten einen der Ihren zu beruhigen, der in dieser engen und bedrohlichen Situation einen verängstigten Laut von sich gegeben hatte.

Crusher blickte sich alarmiert um. Sie hielt demonstrativ den Finger vor die Lippen, was natürlich überflüssig war, jedoch im Augenblick die einzige Möglichkeit darstellte, die ihr als Reaktion blieb. Der Rest der Drichtai hielt den Atem an, als die Uniformierten in der Kammer ausschwärmten.

„Ich habe etwas gehört.“

„Ich auch.“

Sie begannen damit, ihre Waffen auf die Wände zu richten, um mit den darauf montierten Richtleuchten den Fels Stück für Stück nach einem bisher unentdeckten Zugang abzusuchen. Es blieb dabei nicht aus, dass zwei von ihnen die Waffen direkt auf den Schutzschild hielten. Für ihre Verfolger war es nur eine weitere Wand, an deren Struktur sich der Strahl brach, die dahinter Versteckten blickten jedoch direkt in die todbringenden Läufe. Crusher musste der Szene ihren Rücken zuwenden. Sie fühlte sich überhaupt nicht wohl bei dieser Haltung, doch ihr war bewusst, dass ihrer Aller Sicherheit davon abhing, dass jetzt niemand auch nur einen Ton von sich gab. Also war es wichtiger, dass sie ihre Mitflüchtlinge mit ernster, überzeugte Miene zum Durchhalten animierte. Sie spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufrichteten. Sie versuchte sich in Erinnerung zu rufen, ob es möglich war, durch den Schutzschild hindurch zu schießen oder ob dieser Strahlenwaffen abblockte. Es wollte ihr nicht einfallen, was ihre Nervosität verstärkte.

Dann hörte sie den Satz, den sie gefürchtet hatte.

„Irgendwas mit der Wand hier scheint nicht zu stimmen … das Licht scheint sich anders …“

„Ich hab was!“ Es dauerte sich lange hinziehende Sekunden, bis den Flüchtlingen klar wurde, dass der Ruf nicht aus ihrer Nähe stammte. In der großen Kammer deutete einer der Uniformierten an eine Stelle an der Decke, die sie von ihrem Versteck nicht ausmachen konnten. Derjenige Verfolger, der sich direkt vor ihnen befunden hatte, musterte den Schutzschild noch einmal mit fragendem Blick, dann wandte er sich jedoch auch ab, um zu sehen, was seine Kameraden gefunden hatten.

„Da oben ist eine Öffnung im Gestein. Von dort müssen die Geräusche gekommen sein. Das heißt, dass sie tatsächlich nach oben gestiegen sind.“ Ein kurzes Lachen war zu vernehmen. „Dann haben wir sie bald. Für eine Klettertour sind wir wesentlich besser ausgerüstet. Los, mir nach!“

Der Trupp stürmte aus der Kammer hinaus. Lediglich einer der Uniformierten zögerte ein wenig und blickte noch ein letztes Mal auf die projizierte Wand. Dann schüttelte er den Kopf und folgte den anderen.

Die Flüchtlinge warteten noch ein paar Sekunden, bevor sie es wagten wieder auszuatmen. In ein paar Gesichtern war bereits beginnender Sauerstoffmangel zu erkennen.

„Die Götter waren uns hold!“, flüsterte Anzei mit tiefster Überzeugung. „Sie haben sie geschickt, Dr. Crusher.“

Die Angesprochene lächelte lediglich, während sie den Holoemitter deaktivierte und bei ihrer restlichen Ausrüstung verstaute. Sie stellte sich einen kurzen Moment durch die Augen der Flüchtenden vor, als vom Himmel gesandte Heilsgestalt mit wundersamen Werkzeugen. Unwillkürlich schüttelte sie sich. Sie hoffte, dass die Ereignisse dieser Nacht in späteren Erzählungen durch Fakten und nicht durch Verklärungen bestachen.

„Jetzt aber rasch, es wird nicht lange dauern, bis die merken, dass sie Geistern nachjagen.“

Anzei nickte, dann ermunterte er seine Leute mit Gesten, alles zusammenzuraffen und sich im Laufschritt zur Höhle hinaus zu begeben.

„Wird er durchhalten?“, wollte die besorgte Mutter wissen, als sie mit ihrem Säugling auf dem Arm neben Crusher in Schritt fiel.

Die Ärztin schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. „Er muss. Wir können jetzt nicht mehr anhalten. Doch auf der anderen Seite wartet ein Krankenhaus auf ihn.“ Als sie den zweifelnden Blick der jungen Frau sah, fügte sie hinzu. „Wir schaffen das!“

Die nächsten zwei Stunden waren anstrengend und nervenaufreibend. Die Flüchtenden, deren erschöpfte Kraftreserven durch die kurze Rast in keinster Weise aufgefüllt worden waren, holten alles aus sich heraus, was sie noch mobilisieren konnten. Wenn einer von ihnen stürzte, waren sofort zwei andere an seiner Seite, um ihn zu stützen, bis er den Rhythmus des raschen Laufs wieder aufnehmen konnte. Die Wachposten trieben sie unentwegt zur Eile an, denn sie hatten ausgemacht, dass ihre Verfolger bereits ihren Irrtum bemerkt hatten und sich nun wieder auf dem richtigen Weg befanden.

Crusher konnte erkennen, dass einige ihrer Begleiter am Ende ihrer Kräfte waren. Es stolperten immer mehr von ihnen, manche Gesichter hatten sich von der rötlichen Farbe der Anstrengung bereits in die bleiche der Erschöpfung verfärbt.

„Ich kann sie sehen!“, rief einer derjenigen aus, die am Ende ihrer Gruppe liefen.

Wie als ob dies ein Kommando gewesen wäre, brannte der erste Schuss der Strahler an ihnen vorbei. Der Winkel war noch zu steil, um einen von ihnen zu treffen, doch alleine die Tatsache, dass sie sich in Schussweite befanden, führte zu aufkeimender Panik.

„Schneller!“, feuerte Anzei seine Leute überflüssigerweise an. Dass er noch auf den Beinen war, schrieb Crusher lediglich dem Adrenalin zu, oder jenem Hormon, welches in der Physiologie der Drichtai die entsprechende Rolle übernahm.

„Der Pass!“, erscholl der Hoffnung verbreitende Ruf von der Spitze ihres Zuges. In das Aufbäumen der letzten Kräftereserven mischte sich ein schmerzverzerrter Schrei vom anderen Ende ihrer Gruppe her. Die ersten Strahlenwaffen hatten ein Ziel gefunden. Crusher stockte. Alles in ihr verlangte danach, dass sie zurückblieb, um sich um den Gefallenen zu kümmern, doch gleichzeitig war ihr bewusste, dass sie dann unweigerlich die Nächste wäre. Sie hätte auf diese Weise den flüchtenden Drichtai den entscheidenden Zeitvorteil erkaufen können, doch sie fand es nicht in sich, ihre Freiheit, oder möglicherweise ihr Leben für diese Gruppe zu opfern. So fiel sie ein in die aufpeitschenden „Vorwärts“-Befehle, während sie versuchte, die leise Stimme, die ihr Feigheit vorwarf, zum Schweigen zu bringen.

„Vom Weg runter!“, konnte sie weiter vorne die Befehle hören, „in die Deckung der Felsen.“

Die Ersten aus ihrer Gruppe hatten den Pass überschritten. Zwar würden sich die Soldaten der Drichtai nicht körperlich auf das Gebiet der Neeki begeben, doch ihre Waffen konnten den wieder nach unten führenden Weg problemlos überstreichen.

Als sie in der Dämmerung die Stelle vor sich erkennen konnte, wo sich ihrer geraden Sicht nicht mehr weiterer Fels präsentierte sondern Himmel, fasste Crusher sich ein Herz und blieb stehen. Die hinter ihr Laufenden packte sie an den Armen, um ihnen mit ihrer Kraft einen letzten Schwung zur Überwindung des Passes zu geben. Anzei, der das Gleiche auf der anderen Seite des Weges tat, nickte ihr dankbar aus seinem bleichen Gesicht zu.

„Los, los, los!“ Crusher hatte das Gefühl, dass sie Person um Person nicht gerade sanft über die Grenze zwischen Drichtai und Neeki schubste. In ihren Ohren rauschte es von der Anstrengung des Marsches, ihr Puls schlug heftig.

Ein weiterer Strahl durchschnitt die Dunkelheit, unangenehm nah an ihren ausgestreckten Armen vorbei.

Als der Letzte ihrer Gruppe über dem Pass war, packte sie Anzei und riss ihn mit sich in einer uneleganten Rolle über die Grenze. Die Rufe der Verfolger waren nun deutlich zu hören und die vereinzelten Schüsse hatten sich zu einem flächendeckenden Teppich verbreitert. Ohne auf die Schmerzen in Händen und Knien zu achten robbten sich diejenigen Flüchtenden, die sich noch bewegen konnten, zu beiden Seiten des sich nach unten schlängelnden Pfads in die Felsen. Dort blieben sie alle liegen, unfähig sich noch weiter zu bewegen und hofften darauf, dass bald Hilfe von Seiten der Neeki kommen würde.



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„Der Captain möchte Sie sofort sehen, Doktor!“ Lieutenant Worf begrüßte die Ärztin mit seiner üblichen schroffen Art, als sie im Transporterraum der Enterprise materialisierte. „Und ich möchte hinzufügen, dass er keineswegs erfreut ist.“

Crusher konnte lediglich den Kopf schütteln, als sie von der Plattform trat. Ihre Kleidung war schmutzig, ihr Haar zerzaust, doch in ihrer Seele leuchtete ein Licht. Sie hatten fast alle heil zu den Neeki bringen können. Der Säugling war rechtzeitig in ein Krankenhaus gelangt und diejenigen Neeki, mit denen sie hatte sprechen können, hatten auf sie gewirkt, als ob sie der Hoffnung auf eine friedvolle Wirkung des Kindes weit offener gegenüberstanden als die Drichtai.

Vom Krankenhaus aus war die Enterprise auf einem gesicherten Kanal kontaktiert worden, um endlich das letzte verräterische Zeichen einer Einmischung von Seiten der Sternenflotte aus den Geschichtsbüchern des Planeten zu streichen.

„Das Baby hätte die Flucht ohne mich nicht überlebt“, gab Crusher lediglich als Erklärung an, ohne große Hoffnung, dass Worf ihre Beweggründe verstand.

Der Klingone enttäuschte sie nicht. „Sie können sich wegen eines Kindes nicht einfach über einen direkten Befehl hinwegsetzen.“

Crusher trat zur Tür. Dort angelangt, wandte sie den Kopf noch einmal um, was ihren rotblonden Haaren für einen Moment einen unwirklichen Schimmer verlieh. „Wenn alle Menschen der Erde vor 2400 Jahren Ihrer Meinung gewesen wären, Lieutenant, hätte sich meine Kultur vollkommen anders entwickelt.“


Ende
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