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Das Licht einer Kerze

von Oriane

Kapitel 1

Gedankenversunken betrachtete Kathryn Janeway die Kerze auf dem Sims vor dem Fenster in ihrem Bereitschaftsraum. Regentropfen prasselten gegen die Scheibe, was zu der Situation etwas absonderliches, aber sehr gemütliches beitrug und außerdem ein seltenes Phänomen war. Sie hatte den Befehl gegeben, die Voyager auf diesem unbewohnten Planeten zu landen, da ihre Chefingenieurin eine Generalüberholung für das überanstrengte Schiff angeordnet hatte. Das gab Kathryn ausnahmsweise ein wenig Zeit für sich. Nicht, dass sie nicht genügend Papierkram nachzuholen hätte – Tuvoks wöchentliche Sicherheitsberichte stapelten sich mal wieder – aber als es draußen zu regnen begonnen hatte, hatte sich ein anderes Gefühl ihrer bemächtigt, das sie von der Arbeit abhielt. Regelrecht überrascht hatte sie reagiert, denn dieses gleichmäßige, gemütliche Prasseln war längst in Vergessenheit geraten. Andere Dinge von höherer Priorität waren an seine Stelle getreten. Sie hatte ein Schiff zu führen, dass mutterseelenallein seinen Weg durch den Delta-Quadranten suchte, ihre Crew zählte auf sie.
Aber seit die Kerze brannte, beschäftigten sie andere Gedanken. Das Flackern des kleinen Lichts, das sich in den Regentropfen auf der Scheibe spiegelte, schob Dinge, nein, Menschen in den Vordergrund, die sie über die Jahre im Delta-Quadranten vergessen hatte.

Der Türmelder ertönte und sie zuckte zusammen. Gleich danach schalt sie sich dafür. Sie wusste, wer vor der Tür stand – Chakotay hatte sich vor ein paar Minuten angekündigt und wollte ihr einen Zwischenbericht geben. Sie bat ihn herein.
»Wie sieht es aus?« Bemüht energisch stand sie auf und zog die Uniform glatt.
»Gut, Captain. Die Wartungsarbeiten an den Warpspulen gehen voran.Laut B'Elanna wird es zwar dank dieses toxischen Regens etwas länger dauern, aber sie ist zuversichtlich, dass wir in ein paar Stunden wieder starten können.«
»Der Regen ist toxisch?« Sie war nicht dazu gekommen, sich die Beschaffenheit des Planetens genauer anzusehen und im gleichen Moment, in dem sie die Frage stellte, war es ihr peinlich. Gerade sie als Captain sollte so etwas doch am besten wissen. Falls Chakotay es bemerkt hatte, ließ er sich nichts anmerken.
»Ja, oben in den Wolken bindet das Wasser ein toxisches Gas, das freigesetzt wird, sobald die Tropfen die Erde berühren. Einen Spaziergang sollten Sie also besser nicht unternehmen. Sobald es aufhört zu regnen, ist es allerdings ungefährlich.«
»Gut.« Sie drehte kurz den Kopf weg und sofort nahm das Glitzern an der Scheibe ihren Blick in Beschlag.
»Captain, ist alles in Ordnung?«
Sie zuckte zusammen und drehte ruckartig den Kopf zu ihrem Ersten Offizier. »Aber natürlich.«
»Kathryn?« Wie sie es hasste, wenn er merkte, dass sie log. Dieser Mann kannte sie definitiv zu gut und war manchmal viel zu eifrig, wenn es darum ging, sich Sorgen um seinen Captain zu machen. »Für wen ist die Kerze?«, fragte er sanft. Sie seufzte. »Niemand bestimmtes. Möchten Sie etwas trinken?«, fragte sie dann, nach einer Weile. Er würde sowieso nicht gehen, bevor er nicht das Gefühl hatte, ihr geholfen zu haben. Eigentlich genoss sie die privaten Gespräche mit Chakotay, nur wusste sie selbst noch nicht, ob sie heute nicht lieber allein wäre.
»Tee, bitte.«
Sie stand auf, replizierte ihm eine Tasse Tee, sich selbst einen Kaffee und bot ihm dann den Platz neben ihr auf dem Sofa an.
»Kennen Sie das Gefühl, wenn Ihnen plötzlich jemand einfällt, an den Sie lange nicht gedacht haben?«
Chakotay nickte und nippte bedächtig an seinem Tee. »Sehr gut sogar. Seit wir im Delta-Quadranten sind, passiert es oft.«
Die folgenden Worte waren eher indirekt an Chakotay und eher an sie selbst gerichtet. »Ich denke, es ist der Regen. Plötzlich waren diese Menschen in meinem Kopf und versuchten, mir ein schlechtes Gewissen einzureden, weil ich sie vergessen habe. Und dann fällt mir auf einmal ein, dass sie tot sind.« Sie hielt inne und starrte aus dem Fenster in die Dunkelheit. Neben dem Licht der Kerze spiegelte sich nun auch Chakotays verwirrtes Gesicht in der Scheibe.
»Tot?«, fragte er.
»Mein Vater, alle die wir auf unserer Reise verloren haben. Ich habe sie vergessen und das verdienen sie nicht«, versuchte sie zu erklären. »Zumindest glaube ich das. Ich habe es selbst noch nicht herausgefunden. Alles was ich weiß ist, dass es einen Grund gibt, warum ich plötzlich das Bedürfnis hatte, die Kerze anzuzünden.«
»Kathryn, ich glaube nicht, dass die Toten es uns übel nehmen, wenn wir von Zeit zu Zeit anderes im Kopf haben. Lassen Sie sich das von einem spirituellen Menschen gesagt sein, der sehr viel von den Geistern der Toten hält. Sie sind in der Lage uns eine Hilfe, ein Leitfaden zu sein, wenn wir sie brauchen. Und ja, Sie haben Recht damit, dass sie es merken, wenn wir den Glauben in sie verloren haben. Aber ich denke, dass sie verstehen, dass die Lebenden manchmal wichtiger sind, als die Toten.«
Sie antwortete eine ganze Weile nicht. Die schlanken Hände um die heiße Tasse geschlungen saß sie da und sah in die Flamme. Was Chakotay sagte, klang einleuchtend, aber es traf nicht ganz den Kern der Sache.
»Jeder von uns hat in seinem Leben Freunde oder Verwandte verloren und ich glaube, jeder von uns vergisst das von Zeit zu Zeit. Wir haben hier draußen so viel damit zu tun zu überleben, den nächsten Tag zu überstehen. Und dann, wenn wir ihn überstanden haben und uns auf den nächsten vorbereiten, sollten wir an diejenigen denken, die es nicht geschafft haben, die nicht mehr bei uns sein können. Ich tue das viel zu selten, Chakotay. Und in diesem Augenblick schäme ich mich dafür.«
»Wissen Sie«, begann ihr Erster Offizier, während er seine Tasse auf dem Tisch abstellte, »die Kerze wird ihr Gewissen nicht beruhigen, ganz im Gegenteil. Und schon gar nicht wird sie die Toten wieder zum Leben erwecken.«
Irritiert wandte Kathryn sich vom Fenster ab und sah ihn an. »Worauf wollen Sie hinaus?«
»Aber der warme Schein des Feuers kann uns ihre Geister näher bringen. Das ist es, was Sie spüren, nicht wahr?«
Sie war sehr nah dran, ihm zuzustimmen, doch ihr analyisch denkender Geist hinderte sie daran. »Ich glaube nicht an diese Art von Übernatürlichem«, begann sie. »Aber vielleicht haben Sie trotzdem Recht. Und vielleicht sitze ich hier vor dem Fenster, gerade weil ich nicht sehen kann, was Sie sehen, Chakotay. Eventuell warte ich darauf, dass sie auch zu mir sprechen.«
Er schmunzelte. »Wenn Sie daran glauben, werden sie Sie irgendwann kontaktieren. Auf welche Art auch immer das geschehen wird.«
Hätte jemand anders so etwas zu ihr gesagt, wäre sie sich vermutlich lächerlich vorgekommen. Selbst wenn Chakotay in einer anderen Situation so mit ihr gesprochen hätte, hätte sie es innerlich als albernen Aberglauben abgetan. Doch in diesem Moment – wer wusste es schon, vielleicht war es der Regen, der in diesem Augenblick vom Wind getrieben noch stärker gegen das Fenster prasselte. Das Licht der Kerze blieb davon unberührt. Es schien im Gegenteil sich für einen kurzen Moment vollständig zu beruhigen, bevor es wieder flackernd zu einer Seite ausschlug.
»Ich würde mich gerne bei einigen von ihnen entschuldigen«, murmelte sie. Dann spürte sie, wie sich eine warme Hand zärtlich um ihren Arm legte. »Glauben Sie mir, sie wissen das Kathryn, sie wissen das.«
Mit diesen Worten stand er auf und ließ sie nach einem kurzen, warmen Lächeln allein. Sie würde ihm später danken. Vorerst würde sie hier sitzen bleiben an all diejenigen denken, die diesen und den nächsten Tag nicht mehr mit ihr gemeinsam erleben durften.


ENDE
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