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Der weiche Kern des Captains

von Colina

Der weiche Kern des Captains [xmas-KG]

Möglich, dass es medizinischer Unsinn ist :) Hoffe, das wird mir verziehen •u•
~•b29;b30; 1. Advent b30;b29;•~


Im Dunkeln der Nacht,
hier oben ist alles so friedlich.
[…]
Wir tragen alle dazu bei,
doch brechen unter der Last.
Wir hoffen … haben das Wunder verpasst.
[…]
Und beim Anblick dieser Schönheit,
fällt mir alles wieder ein.
Sind wir nicht eigentlich am Leben,
um zu lieben, um zu sein?
[…]
Nichts hält mich am Boden,
alles blass und grau.
Bin zu lange nicht geflogen
[…]
Der Rest verblasst im Grau,
ich hab Zeit und Raum verloren
– hier oben.

[Sido feat. Andreas Bourani]


Deltaquadrant, USS Voyager, 2370, Ende November

Chakotay wandte seufzend den Blick von den vorbeiziehenden Sternen ab und drehte sich mit dem Rücken zum Panoramafenster. Er fühlte sich auch nach zwei Wochen noch wie betäubt. Es war so … plötzlich passiert. Der Angriff der Kazon. Die durch einen Kampf mit einer unbekannten Spezies geschwächte Voyager, die sich kaum gegen den Ansturm des Waffenfeuers hatte schlängeln können, Kathryn, die ihm die Brücke überlassen hatte und in den Maschinenraum geeilt war, um B’Elanna zu unterstützen, die dringend Hilfe brauchte … der nicht gesicherte Träger, der durch einen Ruck des Schiffes umstürzte und den Captains des Schiffes unter sich begrub. Der Moment, den er schon immer gefürchtet hatte, war gekommen.


Chakotay erinnerte sich mit Schrecken an die folgenden Minuten, die unendlich zu sein schienen. Der Abbruch des Kazonangriffs, sein Kontaktversuch an Kathryn, die bewusstlos unter dem großer Träger lag, noch unbemerkt in der Hektik. B’Elannas angespannte, besorgte Stimme, die seinen Ruf entgegennahm, die Stimme die ihm berichtete, dass man den Captain unter einem der Träger hervorschneiden musste, weil er zu schwer zum Bewegen war, die endlosen Minuten, bis er von der Brücke in den Maschinenraum kam. Das MHN, das mit ernster Miene neben seinem bewusstlosen Captain kniete und mit angespannten Gesichtszügen die Maschinenraumcrew zur Eile antrieb.

Doch das Schlimmste war wohl die Hilflosigkeit, die Chakotay empfand. Er hatte nur daneben stehen und mit bangem Herzen die Bergungsarbeiten mitverfolgen können.

Und seitdem kämpfte er darum, dass Kathryn ihm nicht entglitt. Sie war nach zwei Tagen künstlichem Koma wieder zu sich gekommen und die Diagnose war zerschmettern – es waren Nerven eingeklemmt worden und der Doktor konnte sie nicht operieren.

Noch nicht. Er forschte mit Hochdruck an einer Möglichkeit seiner Vorgesetzten zu helfen. Doch bis dahin … blieb Kathryn nur der Rollstuhl.

Chakotay erinnerte sich noch genau an ihr Gesicht, als das MHN ihr die niederschmetternde Diagnose überbrachte. Chakotay hatte Kathryn noch niemals so … verzweifelt, resigniert und … ja, und ängstlich gesehen.

Insgeheim gab er sich die Schuld. Er hatte das Kommando innegehabt und Tom befohlen den verheerenden Kurswechsel einzuleiten. Natürlich war Chakotay klar, dass ihn keine Schuld traf, aber zwischen Gefühl und Wissen war ein großer Unterschied.


Und so stand er nun im Quartier seines Captains um sie für ihren Termin auf der Krankenstation abzuholen.


Kathryn blickte in den Spiegel und versuchte sich darin zu erkennen. Doch das einzige was sie sah war eine hilflose Frau, gefesselt an einen Rollstuhl und anhängig von ihrer Crew.

Sie presste die Lippen aufeinander und drehte mit einer geschickten Bewegung ihr Gefährt so, dass sie ihren Blick vom Spiegel abwenden konnte. Sie griff nach einem Handtuch und trocknete sich die Hände ab. Ihre Gedanken wanderten dabei zurück an den Tag vor zwei Wochen, der ihr Leben stark beeinflusste.

Sie hatte im Maschinenraum versucht B’Elanna zu helfen, als ein Träger sich aus seiner Verankerung löste und auf sie stürzte. Kathryn fehlten die weiteren Erinnerungen; ausgelöst vom unbändigen Schmerz in ihrem Körper und der danach willkommenen Schwärze.

Das nächste, woran sie sich dann wieder erinnerte, war, dass Chakotay an ihrem Biobett gesessen hatte, als sie erwachte und ziemlich mitgenommen aussah. Und dann die niederschmetternden Worte des MHNs. Kathryn hatte sich noch niemals so hilflos, bevormundet und zermürbt gefühlt. Bisher hatte sie immer Glück gehabt, mit wenigen Eingriffen hatte das Hologramm Wunder vollführen können. Doch dieses Mal war alles anders – dabei war die Diagnose des Arztes gar nicht so aussichtslos.

Sie hatte sich mehrere primäre Nerven eingeklemmt und so konnten die Befehle ihres Gehirns nur spärlich ihre Beine erreichen. Durch eine Therapie konnten die wenigen Kontakte, die noch vorhanden waren, gehalten und am Versiegen gehindert werden. Doch es waren anstrengende Übungen und Kathryns Motivation hatte sich nicht geändert – sie war nach wie vor wenig überzeugt von der Anweisung, auch vom Optimismus ihrer Crew.

Das MHN und sie kamen sich daraufhin immer häufiger in die Wolle und Kathryn hatte begonnen, sich zurückzuziehen. Einfache Alltagsaufgaben fielen ihr schwer, waren teilweise unerfüllbar für sie und trieben ihr immer wieder aufs Neue Tränen in die Augen.


Irgendwann, vielleicht zwei Tage später, war Kes vorbeigekommen und Kathryn wurde mit einem Mal klar, dass sie einen Counselor an Bord hatte. Die junge Ocampa hatte genau gewusst, wie sie ihrem Captain helfen konnte. Seitdem kümmerte Kes sich wie eine Mutter um Kathryn – und die fühlte sich tröstlich an ihre eigene Mutter erinnert.

Und noch etwas war Kes gelungen: Kathryn kämpfte. Sie wusste, es gab noch einen Hoffnungsschimmer, der Erfolg der Forschung des MHNs, und solange dieses Lichtlein brannte, würde sie nicht aufgeben.

Sollte man sich geändert haben und sie nie wieder gehen können, würde sie neu überlegen. Doch bisher konnte sie gut mit ihrer getroffenen Wahl leben.


„Kathryn, wir kommen zu spät zu Ihrem Termin und Sie kennen doch den Doc – er lässt wieder eine Schimpftriade über uns ergehen, die nie abreißt.“, rief Chakotay aus dem Nebenraum.

Kathryn lächelte leicht. Auch Chakotay kümmerte sich liebevoll um sie, auch wenn er behauptete, dass das seine Pflicht sei. Kathryn hatte noch immer den wagen Verdacht, dass er sich mit unnützer Schuldzuweisung belastete. Sie würde nochmal mit ihm reden müssen.

Aber jetzt genoss sie seine Fürsorge. Es kam täglich vorbei um sie für ihren Termin beim Doktor abzuholen; angeblich nur um dafür zu sorgen, dass die beiden sich nicht gegenseitig an den Hals gingen.

Obwohl sie es nur ungern zugab, war es beinahe eine Wohltat, nicht auf das Auftreten des unbesiegbaren Captains achten zu müssen, regelmäßig zu Essen und früher ins Bett zu gehen. Sie war offiziell krank geschrieben und Tuvok und Chakotay hatten sich gegen sie verschworen. Sie bekam nur noch die primären Berichtserstattungen auf den Schreibtisch und konnte diese in ihrer regulären Dienstzeit von etwa sechs Stunden abarbeiten. Und dann … hatte sie frei!

Es war für Kathryn eine komplett neue Erfahrung, Freizeit zu haben. Und es tat ihr gut. Sie bekam viel mehr mit vom gesellschaftlichen Leben an Bord – etwas, dass Chakotay ihr immer wieder indirekt vorgehalten hatte, sie aber niemals reagierte und sich in ihrer Isolation verbarrikadierte. Sie hatten zum Beispiel gar nicht gewusst, dass an Bord ihres Schiffes Plätzchen gebacken wurden. Zwar schmeckten Neelix Kreationen kaum genießbar, aber ging es nicht um den Gedanken; die Absicht? Und Tom Paris hatte vor, einen Tannenbaum aufzustellen – wieso war Kathryn diese Vorweihnachtsstimmung nie aufgefallen?

„Ich komme.“ Mit einem letzten Blick in den Spiegel straffte Kathryn die Schultern und rollte noch etwas unbeholfen aus dem engen Badezimmer hinaus in den Wohnraum.

Chakotay hörte das Schaben der Rollen und drehte sich um. Und auch nach zwei Wochen brach es ihm immer wieder das Herz, Kathryn so zu sehen. Gebrochen, in einem Rollstuhl. Sein Herz setzte einen Schlag aus, ehe er ein Lächeln hervorbrachte und auf sie zutrat.

„Da sind Sie ja. Der Doktor wird schon ungeduldig werden. Sie wissen ja, wie er ist.“ Chakotay trat hinter ihren Rollstuhl und legte seine Hände auf die Griffe. Es war viel zu anstrengend für seine zierliche Vorgesetzte, den ganzen Weg den Rollstuhl zu fahren.

Sie hatten sich nach dem ersten Schock der Diagnose vehement gegen ein praktischeres Modell entschieden. Sie wollte den Rest der Würde und Eigenständigkeit nicht einem elektrischen Motor abtreten.

„Wie haben Sie geschlafen?“, fragte Chakotay, nachdem sie beide in wortloser Stille ihr Quartier verlassen hatten. Kathryn wirkte auf ihn immer ziemlich angespannt, wenn sie ihr Quartier verließen. Sie schien sich nicht wohl damit zu fühlen, dass ihre Offiziere sie jedes Mal übertrieben freundlich grüßten, einen großen Schritt zur Seite machten, damit sie platz hatte und ihr ihre Hilfe anboten.

Kathryn Janeway war ein eigenständiger Mensch, dem die Eigenständigkeit gestohlen wurde und die nun abhängig von jenen war, die sie seit Jahren zu schützen versuchte. Sie war sozusagen von der Spitze auf die unterste Ebene gerutscht.

Und Chakotay machte sich große Sorgen um sie. Natürlich empfand sie niemand als Last oder brachte ihr nicht mehr den nötigen Respekt entgegen – im Gegenteil. Jeder zollte ihr Anerkennung, dass sie sich scheinbar nicht unterkriegen ließ und nach wie vor der Fels in der Brandung symbolisierte.

Doch Chakotay wusste es besser.

„Ganz in Ordnung.“, war die knappe Aussage. Chakotay seufzte innerlich. Was hatte er auch erwartet? Die zarten Banden des Vertrauens verschwanden immer dann im Nebel, wenn sie die Sicherheit der eigenen vier Wände verließ. Dann glich sie vielmehr einem kaltherzigen Eisbrocken.

„Gibt es irgendetwas nennenswertes?“, fragte sie beinahe im gleichen Atemzug, um von ihrem Befinden abzulenken. Sie wollte vermeiden, dass Chakotay weiter nachhakte und vielleicht einen wunden Punkt berührte. Kathryns Selbstbeherrschung und Stärke war dünn wie Pergament. Jeder Schritt in Richtung Normalität verlange viel von Kathryn ab.

Und sie begann Gespenster zu sehen. Jedes Mal, wenn sie einem Crewmitglied begegnete, meinte sie Mitleid in dessen Augen zu lesen, die Erkenntnis, dass der Captain schwach und nutzlos geworden ist. Die Frage nach der Zukunft; wann Chakotay endlich ihren Posten besetzte und Kathryn nur noch eine Erinnerung war, eine Erinnerung, die auf dem Schiff lebte, sich um kleinere Dinge kümmerte und die man duldete; weil sie einmal der Captain gewesen war.

Der große Fels hielt den Wellen nicht mehr stand und zerbrach in Abermillionen kleine, nutzlose Splitter.

„Nein, Ma’am. Keine nennenswerten Ereignisse. Seven hat einige interessante Planetenkonstellationen mit den Scannern erfasst. Sie könnten sich diese ja einmal ansehen.“, schlug er vor, nicht ohne Hintergedanken. Seven war so etwas wie Kathryns „zweites Kind“. Das erste war unbestreitbar Harry, der aber nicht mehr ihrer Fürsorge und weisenden Hand bedurfte. Seven aber schon. Die seit zwei Jahren vom Kollektiv getrennte Ex-Borg benötigte Janeway, um ihren Weg zur Menschlichkeit zu beschreiten. Doch leider stand Seven seit dem Unfall mehr oder weniger allein da. Zwar gab der Doktor ihr Unterricht in menschlichen Beziehungen, Anlässen und Dingen, aber der Doc war eben auch ‚nur‘ ein Hologramm.

„Vielleicht werde ich das tun.“, kam es wage von Kathryn, ehe erneut die Stille sich wieder über sie breitete. Chakotay seufzte leise und schob seine Vorgesetzte zum Turbolift.

Dort begegneten sie prompt zwei Crewmitgliedern – Fähnrich Novotna und Lieutenant Staby. Die beiden Offiziere nahmen augenblicklich Haltung an und traten eilig aus dem Lift, um Kathryn und Chakotay platz zu machen.

Der Indianer konnte förmlich spüren, wie Kathryn sich noch mehr versteifte und furchtsam an ihrer Captainsmaske festhielt.

„Captain.“, kam es respektvoll von den beiden Offizieren. Kathryn nickte den beiden jungen Leuten knapp zu. Die unsicheren Blicke der beiden trafen Chakotay und er schenkte ihnen ein ermunterndes Lächeln. Innerlich aber schlug er die Hände vors Gesicht. Niemand von der Crew wollte Kathryn schneiden oder sie herabsetzen, aber niemand, der sie nicht privat etwas näher kannte, wusste, wie er ihr begegnen sollte. Selbst diejenigen, die sie – wie er und Tom, Lanna und Tuvok zum Beispiel – näher kannten, waren sich nicht sicher.

Der Lift fuhr die beiden Kommandooffiziere von Deck 3 auf Deck 5, wo sich die Krankenstation befand.



Krankenstation

Nachdenklich stand Kes im medizinischen Labor an einem der langen, hohen Regale und hatten ihren Blick in die Unendlichkeit geschickt. Ihre Gedanken kreisten wie sooft um Captain Janeway.

Niemanden an Bord war entgangen, wie sehr die rothaarige, hübsche Frau mit sich selbst rang. Der pflichtbewusste Captain und Offizier gegen die Frau, die Jahrelang zurückgesteckt hatte. Leider wusste auch niemand, welche der beiden Seiten für was kämpfte.

Kes seufzte. Sie respektierte Captain Janeway und schuldete ihr sehr viel. Durch die Zerstörung der Phalanx hatte sie ihren Heimatplaneten Ocampa gerettet. Das Wohl vieler überwiegt das der wenigen oder des einzelnen, hatte sie damals zu Kes gesagt, als diese und Neelix in ihrem Bereitschaftsraum um Asyl auf dem Föderationsschiff gebeten hatte.

Doch stimmte diese Weisheit immer? Kes bezweifelte es. Das Wohl des Captains war sehr wichtig und wirkte sich auf das Wohl aller an Bord aus. Seit dem Unfall vor zwei Wochen war die Stimmung an Bord bedrückt und angespannt. Teilweise fürchteten sich die Offiziere davor Captain Janeway zu begegnen, weil sie einfach nicht wusste, wie sie mit ihr umgehen sollten. Und Kes konnte es ihnen nachempfinden.

„Kes? Alles in Ordnung?“ Der holografische Arzt, von allen ‚Doc‘ genannt, betrat das medizinische Labor. Seine Krankenschwester stand an einem der Regale mit Nährstoffböden und blickte starr die Wand an.

„Ja, Doktor. Alles in Ordnung.“ Sie lächelte das Hologramm an und griff nach einem Nährstoffboden.

Kes Tätigkeitsspektrum an Bord war groß. Sie ließ sich auf der Krankenstation vom Doktor ausbilden, kümmerte sich fast alleine um das Arboretum der Voyager, wurde täglich von Tuvok in Meditation unterrichtet – um ihre psychischen Fähigkeiten weiter auszubilden - und seit knapp einem Monat arbeitete sie sozusagen als Counselor.

Wie erwartet waren die Offiziere, trotz dass sie Kes kannten und schätzten, misstrauisch. Selenklempner, wie Counselor oft genannt wurden, waren bei Offizieren nicht unbedingt beliebt. Seit dem Unfall aber hatte sie regen Zulauf.

Das sich öffnende Zischen der Schotts der Krankenstation erstickte die aufkommende Unterhaltung im Keim. Das Hologramm warf Kes einen vielsagenden Blick zu und ging dann mit großen Schritten in den Behandlungsraum.

„Ah, Captain. Da sind Sie ja endlich.“, begrüßte er seine Vorgesetzte übertrieben enthusiastisch.

Kathryn Janeway hob eine Augenbraue und nickte knapp.

„Wie jeden Tag zu dieser Zeit.“, meinte sie trocken und holte tief Luft, als müsse sie sich für die Untersuchung und nachfolgende Therapiestunde innerlich wabnen. Der Doktor und Chakotay tauschten einen vielsagenden Blick zu.

„Na dann … beginnen wir.“, meinte er und holte seine medizinischen Geräte, während Chakotay sie aus dem Rollstuhl hob und auf ein Biobett setzte. Kes schob das Gefährt beiseite. Der Doktor hatte sie gebeten, bei den Untersuchungen und der Therapie anwesend zu sein. Kes hatte eine beruhigende Wirkung auf Kathryn und überhaupt war die Feinfühligkeit der Ocampa von Vorteil.

Der Doktor scannte seine Vorgesetzte gründlich von Kopf bis Fuß. Der einzige Vorteil ihrer täglichen Visite war, dass er sie nicht mehr für die vierteljährliche Routineuntersuchung mehr zwingen musste und ihm die jedes Mal von neuem beginnende Diskussion erspart blieb. Wenn er aber so seinen Captain musterte und ihre Werte besah, wünschte er sich, alles wäre beim Alten.

„Ihre Nährstoffwerte haben sich verschlechtert, Captain.“, tadelte der Arzt und versuchte Blickkontakt mit der Frau vor ihm aufzunehmen. Die aber wich seinem Blick gekonnt aus.

„Allerdings scheint die Therapie Ihnen zu helfen. Die Werte der synaptischen Bahnen sind zufriedenstellend.“, meinte das Hologramm zufrieden und klappte schwungvoll den Trikorder zu.

Seine Laune gewann an Aufschwung.

„Sie meinen die, die überhaupt noch funktionieren.“, kam es bissig vom Tisch. Aufschwung guter Laune ade.

„Nun … ja.“ Was sollte er auch anderes antworten? Er hätte niemals gedacht, dass Kathryn Janeway sich in eine Zynikerin verwandeln könnte, aber gerade eben wurde er etwas besserem belehrt.

Sein Blick wanderte von Chakotay zu Kes. Der Arzt hatte schon lange den Verdacht, dass der Captain in Depressionen abrutschen könnte. Bisher allerdings waren weder ihre körperliche Verfassung noch – so Kes – ihr geistiger Zustand beweisend für eine Depression. Allerdings wussten die drei, wie gut Kathryn Janeway schauspielern konnte. Es wäre gut möglich, dass sie schon längst mitten in einer Depression steckte und niemand davon wusste. Und das konnte gefährlich werden – oftmals wollten Depressionsopfer sich das Leben nehmen.

„Es wird Sie freuen zu hören, dass meine Forschungen Fortschritte machen. Ich denke, in absehbarer Zeit werde ich Sie operieren können, ohne den … Sachverhalt zu verschlimmern.“, versuchte der Doktor sie aufzumuntern. Allerdings hatte seine Vorgesetzte wirklich schlechte Laune.

„Vorausgesetzt, die Nerven sind nicht irreparabel beschädigt, wollten sie doch noch sagen, nicht, Doktor?“ Chakotay seufzte leise. Wie schaffte diese Frau es immer, jede gute Nachricht in ein schlechtes Licht zu rücken?

„Dass werden wir dann herausfinden, wenn der Doktor die Forschung vollendet hat.“, beendete Kes mit sanfter, aber nachdrücklicher Stimme die Diskussion. Janeway nickte nur knapp.

„Sie haben Recht, Kes. Doktor.“ Auffordernd sah sie das Hologramm an. Kathryn wollte die Krankenstation so schnell wie möglich wieder verlassen. Zwar warteten keine wirklichen Verpflichtungen auf sie, doch die Krankenstation war ihr selbst jetzt suspekt. Wie sagte ihre Großmutter immer? Damals waren es die Krankenhäuser, wo die Menschen hin sind, um zu sterben. Heute sind es medizinischen Zentren und Krankenstationen. Doch das Ergebnis ist dasselbe!

Der Doktor begann schweigend mit den Übungen. Er zog ihr die Schuhe aus und begann ihre einzelnen Fußglieder in alle Richtungen zu dehnen und zu bewegen. Dann tastete er ihren Fuß hinauf bis zum Knie. Dieses bewegte er auch und tastete es ab. Dass wieder holte er zehn Mal, ehe er sich an das andere Bein wagte. Während der Doktor sich dem anderen Bein widmete, massierte Kes eine Creme ein, um die Haut elastisch zu halten und die Durchblutung der noch intakten Synapsen anzuregen.

Die ganze Prozedere wurde mehrmals wiederholt, bis circa eine Stunde um war. Chakotay setzte Kathryn wieder in den Rollstuhl.

„Wir sehen uns dann morgen um dieselbe Zeit. Und vergessen Sie nicht, morgens und abends ihre Beine so gut es geht selbst zu bewegen und zu dehnen. Ich habe Ihnen ja gezeigt, wie Sie das bewerkstelligen müssen.“, erinnerte der Arzt seine Patientin, ehe er die neusten Daten in den Computer eintrug.

„Ich weiß.“, kam es knapp von Kathryn. Jedes Mal, wenn sie auf der Krankenstation ihrer Therapie unterzogen wurde, verschlechterte sich ihre Laune.

Sie hielt es keine Sekunde länger mehr aus. Sie drehte den Rollstuhl und rollte aus der Krankenstation. Für den Moment blieb Chakotay irritiert zurück – schob er sie doch immer, weil sie erschöpft wurde durch die Therapieübungen – ehe er ihr eilig folgte. Inzwischen konnte sie mit dem Stuhl gut umgehen und hatte ein ziemliches Tempo drauf.

In der Krankenstation verabschiedete sich der Doktor von Kes. Er wollte im medizinischen Labor weiter an einer Möglichkeit zur Genesung des Captains arbeiten.




Astrometrisches Labor

Kathryn hatte lange gezögert, Seven aufzusuchen. Doch ihre Neugier und den Wunsch zur Abwechslung trieb sie letztendlich aus ihrem Quartier. Der Weg von Deck 3 nach Deck 7 war ziemlich anstrengend gewesen und hatte gut zwanzig Minuten gedauert, obwohl sie nur bis zum Turbolift hatte fahren müssen und von dort dann vier Stockwerte weiter unten im Schiff ans andere Ende des Decks.

Sie holte ein letztes Mal Luft und rollte in das Labor. Die Sensoren hatten sie trotz ihrer verringernden Größe registriert und glitten beiseite. Rechts von ihr waren an der Wand Stationen mit Schirmen integriert, links ging der Raum etwas in die Länge und auch dort befanden sich etliche Stationen, Kontrollen und Schirme. Vor ihr ragte der große Hauptschirm des Labors auf und davor drei Konsolen auf einer Anhöhe. Die Anhöhe war glücklicherweise auch mit dem Rollstuhl zu bewältigen. Stufen in einem Raumschiff waren eher selten.

Kathryn atmete tief ein und rollte vollends in den Raum. Die Schotts hinter ihr schlossen sich wieder und etwas der Anspannung fiel von ihr. Hier, wo sie nur Seven vermutete, konnte sie entspannen. Die Ex-Borg würde sie sicher nicht bemitleiden.

„Seven?“, rief sie fragend in den Raum. Im Rollstuhl konnte sie den Raum nicht mit einem Blick bemessen.

„Captain.“, kam Sevens kühle Stimme von links und Kathryn drehte den Kopf. Die schlanke Blondine stand mit einem Padd in der Hand und erhobener linker Augenbraue vor einer Konsole, von der sie aufgesehen hatte, als Kathryn sie suchend rief.

„Was kann ich für Sie tun?“, wollte Seven wissen und ließ ihren Blick langsam über die Erscheinung ihrer Kommandantin wandern.

Kathryn wurde nervös unter dem abschätzenden Blick und ihr lief es eiskalt über den Rücken. Der Blick Sevens war beinahe so … sie konnte es nicht beschreiben, aber sie fühlte sich unwohl unter der Musterung, als ob ein Borg, und nicht ein Mensch sie musterte.

„Chakotay berichtete mir von Ihrer interessanten Entdeckung.“, meinte Kathryn, als sie sich von ihrem unguten Gefühl – ein Hase im Anblick der Schlange – losreisen konnte.

„Ich wollte mir das einmal ansehen.“ Seven nickte knapp und ging voraus auf die Erhöhung vor dem Hauptschirm. Kathryn folgte ihr im Rollstuhl; etwas langsamer.

Schon wieder meinte sie den missbilligenden Blick der Ex-Borg auf sich zu spüren.

„Die Sensoren haben diesen Sektor abgetastet. Die Planetenkonstellation weicht allem bekannten der Sternenflotte ab. Die Borg kannten dies natürlich schon.“ Sevens Stimme klang nicht abfällig, viel mehr neutral. Natürlich kannten die Borg dieses Phänomen schon – sie assimilierten andere Spezies und eigneten sich deren Wissen an.

„Auf den Schirm.“, wies Kathryn an. Beinahe widerstrebend kam Seven ihrem Befehl nach. Auf dem großen Sichtschirm erschienen circa zwölf Planeten, die allerdings nicht um die Sonne kreisten, sondern jeweils drei Planeten um einen einzelnen. Die Sonne stand auch hier im Mittelpunkt.

So etwas hatte Kathryn noch nie gesehen.

„Faszinierend.“, meinte sie ehrlich.

„Gibt es dort leben?“, wollte sie weiter wissen und betätigte einen der Regler, um die Sichtposition zu verändern. Seven ließ ihre Vorgesetzte dabei nicht aus den Augen, als fürchte sie, Kathryn könne etwas kaputt machen.

„Ja. Mikroorganismen, die sehr widerstandsfähig gegen Wetterbedingungen sind.“, bejahte die Blondine.

Kathryn nickte.

„Da wünscht man sich glatt, die Zeit vordrehen zu können, um zu erfahren, ob diese Mikroorganismen sich weiterentwickeln und ob vielleicht intelligentes Leben in diesem System entstehen könnte.“

„Das ist unmöglich.“, meinte Seven nasal und tippte etwas auf ihrem Padd.

„Ihr Wunsch ist unlogisch, Captain. Die Wahrscheinlichkeit, dass Leben entsteht, liegt bei etwas siebenundsechzig Prozent. Diese rauen Wetterumschwünge und Temperaturbedingungen sind kein idealer Lebensraum für komplexes Leben.“

Kathryn spürte, wie Röte sich über ihre Wangen zog. Seven behandelte sie als blutige Anfängerin! Langsam machte sich Ärger in Kathryn breit. Sie war von Seven taktloses und verletzende Äußerungen gewohnt – die Ex-Borg kannte es einfach nicht anders. Aber so hatte sie noch nie mit ihr geredet!

„Seven, dürfte ich erfahren, was in Sie gefahren ist?“, wollte Kathryn daher gereizt wissen. Die Blondine hob eine Augenbraue.

„Captain?“, fragte sie, scheinbar total irritiert.

„Ihre Äußerung war fachlich korrekt, aber menschlich beleidigend.“, stellte Kathryn klar und sah Seven an. Auch wenn es ein komisches Gefühl war, die langbeinige hübsche Frau von unten anzufunkeln. Seven schien das ähnlich zu empfinden.

„Ja, Captain. Ich … entschuldige mich.“ Kathryn nickte nur knapp.

„Gut. Machen wir weiter.“, ordnete sie an und richtete ihren Blick wieder auf den Schirm. Es verging einige Zeit, ehe sie wieder das Wort erhob.

„Wie wäre es, wenn Sie sich einen Namen hierfür überlegen? Es ist Ihre Entdeckung, Seven.“, schlug Kathryn vor und lächelte.

Seven, die an der Konsole gearbeitet hatte, sah nicht einmal auf.

„Das ist irrelevant, Captain-“ Seven verstummte abrupt. Kathryn riss ihren Blick los und sah Seven an.

„Irgendetwas brennt Ihnen doch auf der Zunge, Seven.“, meinte Kathryn und rollte den Stuhl etwas herum, sodass sie gerade aus zu Seven sehen konnte.

„Was ist los?“ Seven verlagerte nervös – eine Errungenschaft des menschlich Seins – ihr Gewicht.

„Sie sind beschädigt.“, kam es letztendlich doch über Sevens Lippen. Kathryn erstarrte; ihr wurde eiskalt.

„Ihr Nutzen wurde dezimiert. Eine Reparatur ist geringfügig möglich; aktuell gar nicht.“ Seven holte tief Luft.

„Der Logik zufolge müssten Sie Ihren Posten zeitnah an Commander Chakotay abtreten.“ Sie sah Kathryn ohne Gefühlsregung an.

„Bei den Borg werden beschädigte Drohnen deaktiviert.“, fügte sie hinzu, als sei das ein Trost.

Kathryn war erstarrt. Sie spürte die Hitze der Verlegenheit und Unfassbarkeit in sich aufsteigen, während ihr Körper gänzlich zu Eis erstarrt zu sein schien.

Seven sprach aus, was alle anderen wohl dachten: wann würde sie endlich ihren Posten an Chakotay abgeben? Sie war, in Borgsprache, beschädigt und ihr Nutzen dezimiert. Sie war es nicht mehr wert, Captain des Schiffes zu sein.

„Captain?“ Seven schien nervös zu sein ob der langen Stille und Erstarrtheit ihrer Vorgesetzten.

„Danke, Seven.“, sagte Kathryn schließlich, unendlich langsam und mit stoischer Stimme.

„Das musste ich wissen.“

„Captain?“, wiederholte die Blondine, nun sichtlich unwohl. Hatten ihre logischen Worte sie verletzt? Seven hatte nur ausgesprochen, was bei den Borg war. Sie kannte es nicht anders. Und sie hatte ihre Lehrerin in Menschlichkeit danach gefragt. Natürlich war ihr klar gewesen, dass besagte Lehrerin die Betroffene war, doch Seven hatte darauf vertraut, eine typische Janeway-Antwort zu erhalten – doch die blieb aus.

„Weitermachen!“ Kathryns Stimme klang erstickt. Sie musste die aufkommenden Tränen unterdrücken. So tief war sie nicht gesunken, dass sie vor ihrem Crewmitglied in Tränen ausbrach. So tief nicht!!!!

„Captain-“, versuchte Seven es erneut, der langsam aufging, dass sie einen Fehler gemacht hatte.

„Weitermachen !“, herrschte Kathryn sie an und drehte ihren Rollstuhl, zu den Schotts ehe sie ihn aus dem Astrometrischen Labor rollte.

Sie wollte nur noch weg! Kathryn ignorierte Naomi Wildman, die ihr zufällig über den Weg lief und ihr etwas sagen wollte. Sie ignorierte Tuvok, der überrascht stehen blieb und ihr mit hochgezogener Augenbraue nachsah.

Kathryns Gedanke wurde von Flucht beherrscht. Flucht in ihr Quartier. Weg, weg von allem. Der Wunsch, nicht beschädigt – dieses Wort setzte sich in ihrem Hirn fest – sondern deaktiviert geworden zu sein, erschreckte sie selbst. Doch im Angesicht der aktuellen Situation war es selbst für sie nicht verwunderlich.


Als sie ihr Quartier erreichte, gab sie hektisch den Code ein, der die Schotts öffnete. Sie rollte in ihr Quartier und verriegelte es. Sie brauchte Luft! Eine Pause! Sie wollte ihre Ruhe.

Nur langsam beruhigten sich ihr Herzschlag und ihr Puls. Sie rollte neben ihr Bett und wuchtete sich mit einiger Mühe hinein. Wütend auf ihre Schwäche versetzte sie ihrem rollenden Gefährt einen Schubs, sodass dieses außer Reichweite rollte. Gut so. Nur weg!

Kathryn zog die Bettdecke über sich und blickte starr an die Wand. Das Licht war deaktiviert und die Sterne waren die einzige Lichtquelle. Das Zittern ihres Körpers ließ langsam nach. Seven hatte einen wunden Punkt berührt. Kathryn fühlte sich nutzlos und fehl auf ihrem Posten. Es allerdings aus dem Mund eines Crewmitglieds zu hören war ein deftiger Schlag.

„Ganz ruhig, Kathryn.“, murmelte sie und schlug die Decke beiseite. Angestrengt blickte sie auf ihre Beine, als wollte sie sie beschwören, wieder richtig zu funktionieren.

Mehr als jeden einzelnen Zeh zu bewegen, gelang ihr aber nicht. Frustriert warf sie sich die Decke wieder über und ließ den Tränen doch noch ihren Lauf, bis sie in einen traumlosen Schlaf sank.




Brücke

Chakotay drehte den Kopf, als die Schotts der Brücke aufglitten und Seven mit einem Padd in der Hand hereintrat.

„Der Bericht, Commander.“ Chakotay sah auf.

„Danke, Seven.“ Er nahm ihr das Padd ab und begann es zu lesen. Erst Toms dezentes Räuspern ließ ihn aufsehen. Seven stand nach wie vor an derselben Stelle.

„Ist noch etwas, Seven?“, wollte er wissen. Die Blondine nickte; ihr schien etwas auf der Seele zu liegen und es erstaunte Chakotay, dass sie damit zu ihm kam – war Kathryn doch in solchen Sachen ihr Ansprechpartner.

„Dann … raus damit.“ Seven hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt.

„Nicht hier. Im Bereitschaftsraum.“ Mit großen Schritten lief die schlanke Blondine die Stufen zum Bereitschaftsraum hinauf; Chakotay blieb nichts anderes übrig als ihr zu folgen.


Wenig später konnte man den Commander bis auf die Brücke mit entsetzter Stimme etwas rufen hören:

„Sie haben Ihr WAS gesagt ?“
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