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Sturm 9.04 - Grenze des Geistes

von Gabi

Verschollen

„Das ist jetzt nicht dein Ernst?“ Bareil ließ sich in den Sessel plumpsen. Alle Lebensgeister schienen aus seinen Gliedern gewichen zu sein. Sein attraktives Gesicht zierte ein Ausdruck tiefster Verzweiflung.

Kira musste sich sehr zusammen nehmen, um nicht zu grinsen. „Es ist doch nur ein Monat.“

Nur ein Monat?“ Seine Hand streckte sich ihrem leicht gewölbten Bauch entgegen. Sie presste sich und ihr ungeborenes Kind in die Wärme seiner Berührung. „Das überlebe ich nicht.“

„Ich habe vollstes Vertrauen in dich, mein Held.“ Kira beugte den Kopf nach vorne und küsste ihn auf die Nasenspitze. Bareils tiefdunkle Augen hatten den bettelnden Blick eines Welpen angenommen. „Reicht denn nicht Schokolade, Alkohol, Holoabenteuer, Barbesuche, Puddings … was weiß ich“, zählte er verzweifelt auf.

„Im Monat der Reinigung nehmen wir Abstand von allen weltlichen Genüssen, die uns auf der inneren Reise zu uns selbst ablenken können. Und Sex mit dir ist mit Sicherheit einer der ablenkendsten Genüsse, den ich jemals erlebt habe.“ Sie schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln und ließ sich neben ihm auf der Sessellehne nieder. Seine Hand bewegte sich nicht von ihrem Bauch fort, noch ließ er sich von der als Kompliment gemeinten Bemerkung beschwichtigen. „Nerys, ich flipp aus, wenn ich einen Monat lang nicht mehr mit dir schlafen kann.“

Sie küsste ihn abermals. Frustriert realisierte er, dass ihre Küsse zärtlich, aber nicht leidenschaftlich waren. „Ich würde mich freuen, wenn du mich diesen Monat begleitest. Wir fasten gemeinsam, meditieren gemeinsam und besuchen die Messen. Das würde mir viel bedeuten. Auf diese Weise finden unsere pagh stärker zusammen als durch rein körperliche Anziehung.“

„Ich mag rein körperliche Anziehung“, murmelte Bareil, dann hob er den Kopf und blickte in ihre wunderbaren warmen Augen. Ein leiser Hoffnungsschimmer regte sich in den seinen. „Gilt das überhaupt noch, jetzt, wo die Propheten irgendwie nicht mehr das sind, was sie waren?“

Kira nickte entschlossen. „Solange Kai Sarius keine anderslautende Proklamation erlässt, behalten unsere Traditionen ihre Gültigkeit. Und er hat heute Mittag explizit zur Vorbereitung auf den Monat der Reinigung aufgerufen.“

Bareil nahm ihre Hände in die seinen. Kiras lange, schlanke Finger wirkten so anschmiegsam in seinen leicht behaarten.

„Ich hasse eure Religion“, erklärte er aus tiefstem Herzen.

* * *

Lieutenant Peter Gaheris hatte sich im Wissenschaftslabor im Andockring mittlerweile häuslich eingerichtet. Die naturwissenschaftliche Belegschaft von DS9 war nicht mit der Größenordnung der großen Sternenflottenforschungsschiffe zu vergleichen, dafür lag die Betonung dieser Station zu sehr auf Seiten von Technik, Sicherheit und Diplomatie. Gaheris stand einer Gruppe von dreiundzwanzig Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Assistenten vor, welche sich auf drei Labore auf Deep Space Nine und den jeweils anfallenden Dienst auf der OPS verteilten. Der wissenschaftliche Schwerpunkt seines Teams lag in den Bereichen der Exobiologie und der Astrophysik. Mit zwei Wissenschaftlern aus dem zweiten Bereich hatte Gaheris die letzten Tage mit Messauswertungen im und um das Wurmloch verbracht. Sie hatten mehrere Sonden gestartet und die eintreffenden Werte mit den Referenzen aus der Zeit vor der permanenten Öffnung verglichen. Es gab leichte Schwankungen im unteren Bandbereich der Verteronstrahlung, jedoch nichts, was Gaheris und sein Team als bedenklich für einen Schiffstransit eingestuft hätten. Nach eingehender Besprechung hatte er eine dahingehende Empfehlung an das Oberkommando verfasst. Er selbst freute sich schon darauf, seine erste eigene Passage durch das Wurmloch fliegen zu können. Was an Aufzeichnungen zu diesem Phänomen vorhanden war, hatte der Lieutenant bereits mehrfach durchgearbeitet, doch nichts ersetzte eine eigene Erfahrung.

Gaheris setzte seine Signatur unter die Endfassung des wissenschaftlichen Berichts, bestätigte die Adresse und aktivierte die Sendung. Dann lehnte er sich gegen die Lehne seines Laborstuhls zurück und gönnte sich ein zufriedenes Lächeln. Unbewusst strichen seine Finger durch seine dunkelblonden Strähnen. Diese Geste hatte ihm auf seinen bisherigen Dienststellen bereits einigen Spott seiner Kollegen eingebracht. Er selbst würde sich nicht als eitel bezeichnen, doch er legte großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres, selbst unbewusst. Die Finger seiner Rechten wanderten über den akkurat gehegten Drei-Tage-Bart , während die Linke seinen privaten Code in die nun wieder freie Kommunikationseinheit tippte und die Botschaft aufrief, welche er gestern nach Dienstende in seinem Quartier vorgefunden hatte. Es handelte sich um eine recht neutral gehaltene Einladung zur Besichtigung des Hauptklosters, ausgestellt vom Sekretariat der Vedekversammlung. Die Worte waren sachlich und knapp, doch Gaheris konnte nicht aufhören, die Mitteilung immer wieder aufzurufen. Aufgrund Ihres Interesses an der bajoranischen Kultur würden wir Ihnen gerne eine geführte Besichtigung ausgesuchter Bereiche der Anlage möglich machen. Falls dieser Vorschlag mit Ihren Wünschen übereintrifft, kontaktieren Sie uns bitte wegen möglicher Termine.

Mit dem Grinsen eines ertappten Schuljungen deaktivierte er die Nachricht wieder. Mit keinem Wort wurde der Kai erwähnt und doch hoffte ein nicht unerheblicher Teil in ihm, dass er die Chance bekam, den Mann an diesem Termin wiederzusehen. Bereits gestern Abend hatte er die Daten sämtlicher freier Zeiten durchgegeben, soweit sein Dienstplan bereits stand – inklusive eines recht kurzfristigen in zwei Tagen - und nun ertappte er sich dabei, dass er im Halbstundenrhythmus seine privaten Mitteilungen nach einer Antwort überprüfte. Kindisch, kindisch, kindisch schalt er sich selbst, doch er tat es mit einem verstehenden Lächeln.

* * *

„Können wir einen längerdauernden Transport einschieben?“

Kasidy Yates betrachtete den dunkelhaarigen Bajoraner amüsiert. Er stand in ihrem Quartier und wirkte irgendwie … gejagt. „Habt ihr euch gestritten?“, folgerte sie das Naheliegendste. Yates hatte Bareils Rota für die nächste Monate extra so geschoben, dass er möglichst viel Zeit mit der schwangeren Kira verbringen konnte.

„Schlimmer!“

„Schlimmer?“ Sie unterdrückte das leichte Zucken in ihren Mundwinkeln. Bareil wirkte so verzweifelt, dass es beinahe wieder komisch war.

„Vor vier Tagen hat der Monat der Reinigung begonnen, das hält kein Mann durch.“ Bareil ließ sich auf das Sofa fallen, um die Ungeheuerlichkeit seiner Aussage zu unterstreichen.

Seine Arbeitgeberin sah ihn einen Moment nur überrascht an, dann erhellte sich ihr Blick. „Oh, kein Alkohol, keine Süßigkeiten …“

„… kein Sex.“

Yates wandte sich ab, indem sie vorgab, eine Schale auf der Anrichte zurecht rücken zu müssen. Als sie ihn wieder anblickte, schaffte sie es, ihre Miene neutral zu halten. „Du kannst ja mit mir so lange vorlieb nehmen, Antos. Ich hatte auch schon seit einiger Zeit keinen Sex mehr.“

Das brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er starrte die zierliche Terranerin mit der dunklen Mähne an, wie sie vor ihm stand, die Hände in die Hüften gestützt, und ihn mit amüsiertem Blick musterte. Ihre vollen Lippen schürzten sich dabei ein wenig spöttisch.

„Meinst … meinst du das jetzt ernst?“, brachte er stotternd hervor.

„Was, wenn es so wäre?“, wollte sie herausfordernd wissen.

„Nerys würde mich umbringen!“

Lachend ließ Yates sich neben ihn auf das Sofa fallen. Bareil rutschte sicherheitshalber ein wenig von ihr fort, was ihr Lachen noch verstärkte.

„Antos, bleib ruhig sitzen. Natürlich meine ich das nicht ernst.“ Sie legte ihm die Hand freundschaftlich auf die Schulter. „Ich habe dich für diesen Monat für einen Wochentrip nach Cardassia eingetragen, ansonsten hast du Lagerdienst. Und das habe ich nicht vor zu ändern.“ Ihre Züge verloren den Spott und nahmen einen eher mütterlichen Ausdruck an. „Es ist wichtig, dass du jetzt viel Zeit mit Nerys verbringst. Die Erwartung eines eigenen Kindes schweißt mehr zusammen als vieles andere. Sie braucht dich hier, auch wenn sie das nie zugeben würde. Sie braucht die Gelegenheit mit dir zu sprechen. Nutze diesen Monat für eure Beziehung, Antos.“ Sie seufzte. „Ich hätte vieles darum gegeben, wenn der Vater meines Kindes während der Schwangerschaft bei mir gewesen wäre. Glaub mir, es macht einiges leichter, wenn der Partner in Reichweite ist.“ Sie lächelte reuig und wischte damit gleichzeitig das Thema beiseite. „Sex ist toll, keine Frage, aber alleine darauf hat noch nie eine funktionierende Beziehung aufgebaut.“

Er betrachtete sie mit zusammengezogenen Augenbrauen, so als wolle er ihre Aussage aufs Energischste bezweifeln. Doch dann glätteten sich seine Züge ein wenig. Im Prinzip konnte er überhaupt nicht mitreden, wenn es um langanhaltende Beziehungen ging. Diejenigen, die er bisher in seinem Leben gehabt hatte, hatten ausschließlich auf sexueller Anziehung – oder im Fall der Intendantin auch Nötigung – beruht. Bevor er dieses Universum und diese Kira Nerys kennengelernt hatte, war ihm überhaupt nie der Gedanke an so etwas wie eine Familie gekommen. Seinen Vater hatte er nicht gekannt, seine Mutter hatte er in jungen Jahren verloren. Familie war kein Begriff, mit dem er irgendetwas Positives verband. Und doch wollte er genau das jetzt mit Nerys aufbauen, ohne Erfahrung, ohne Referenz, doch mit all der Macht einer Vision.

„Du meinst, man kann in einer Beziehung einen Monat ohne Sex überleben?“, fragte er vorsichtig nach, den Gedanken im Geiste hin und her rollend, ob er sich in irgendeiner Position sinnvoll anfühlte.

Yates lachte laut auf. Es war ein schönes Lachen, eines das Bareil schon lange nicht mehr von ihr gehört hatte. Er grinste dümmlich. Wenn seine persönlicheren Sorgen wenigstens diesen Effekt hatten, dann konnten sie gar nicht so schlimm sein. „Ja, man kann es, Antos. Du wirst plötzlich ganz andere Aspekte erleben, wenn du dich nicht mehr ausschließlich auf Nerys‘ Körper konzentrierst.“

„Und wenn wir dann merken, dass wir doch gar nicht so zusammen passen …?“, formulierte er seine größte Sorge. Er hatte bisher stets mit intimeren Handlungen Kiras Wohlwollen erreicht, auch in Fällen, in welchen sie wütend auf ihn war, weil er so unvorsichtig gewesen war, sich bei einer nicht völlig legalen Aktion erwischen zu lassen. Tief verwurzelt in ihm war nach wie vor die Angst, dass sein eigentlicher Charakter überhaupt nicht ausreichte, um das zu erfüllen, was sich Kira von einer Partnerschaft wünschte.

„Dann“, Yates lächelte ihn gütig an, „ist auch das eine wertvolle Lektion, die besser früher als später gelernt wird.“

„Na prima …“ Bareil verzog den Mund. Irgendwie hatte er sich eine etwas aufmunterndere Antwort erhofft. Sie setzte an noch etwas hinzuzufügen, doch er hatte keine Chance zu erfahren, ob es sich um einen abwiegelnden Zusatz gehandelt hätte, denn das Kommunikationsterminal meldete sich in diesem Augenblick.

Sie klopfte ihm noch einmal auf die Schulter, dann erhob sie sich um den Anruf entgegen zu nehmen. Bareil stemmte sich ebenfalls aus den Polstern hoch und machte sich auf den Weg zur Tür. Die Terranerin wandte sich halb zu ihm um, nachdem sie die Signatur des Gesprächsteilnehmers gesehen hatte, und gestikulierte ihm zu, dass er ruhig bleiben könne. Es handelte sich um kein Gespräch persönlicher Natur.

„Captain Yates“, erklang die Stimme von Melin Rinan, dem Sekretär der bajoranischen Wirtschaftsministerin, „bitte entschuldigen Sie die Störung. Laut unseren Unterlagen ist der nächste Cardassia-Trip der Xhosa erst für nächste Woche terminiert. Ist es Ihnen möglich einen kurzfristigen Transport nach New Bajor einzuschieben? Die Dependance wartet schon sehnsüchtig auf zurückgestellte Lieferungen.“

Yates warf Bareil einen raschen Blick unter erhobenen Brauen zu, bevor sie antwortete. „Guten Tag, Mr. Melin, Ihren Worten entnehme ich, dass das Sternenflottenoberkommando die Passage durch das Wurmloch wieder frei gegeben hat?“

Der Bajoraner am anderen Ende der Übertragung nickte. „Vor einer Stunde kam die Empfehlung. Wir dürfen wieder fliegen und da sich die Güter bereits seit vor der Vereinigung der Propheten auf Deep Space Nine befinden, wäre es der logistisch einfachste Weg, wenn die Xhosa den Transport übernimmt. Wenn es nicht möglich ist, können wir natürlich auch einen anderen Frachter fertigmachen und ihn zur Station entsenden.“

Yates überlegte einen Moment. Ihre Crew hatte diese Woche frei, Pardshay und Rins‘kin befanden sich nicht auf Deep Space Nine und der Rest hatte sich die Erholung verdient. Ihr erster Gedanke war es also abzulehnen. Doch dann bedachte sie noch einmal die Route. Es würde durch das Wurmloch gehen. Sie war noch nie die Passage in den Gamma-Quadranten geflogen, durch jenen Verteron-Tunnel, der nach allem, was sie wusste, sehr wohl der derzeitige Aufenthaltsort von Benjamin Sisko sein konnte, dem Mann, den sie mehr als alles andere in ihrem Leben vermisste. Ihr Zögern dauerte nur wenige Sekunden. „Die Xhosa übernimmt, wenn Sie fünf Prozent auf den üblichen Tarif drauflegen, weil ich meine Crew aus dem Urlaub holen muss…“ Als sie merkte, dass Melin bei Erwähnung der finanziellen Seite die Stirn runzelte, fügte sie rasch hinzu: „Das kommt Sie immer noch billiger als einen Frachter von Bajor aus fertig zu machen und hier her zu schicken.“

Der Sekretär wandte sich zur Seite und überprüfte offensichtlich etwas auf einem neben ihm liegenden Gerät. Dann nickte er. „In Ordnung, Captain Yates, das ist machbar. Ich sende Ihnen jetzt die Lagerdaten und Freigabecodes der Ladung sowie die Empfängerkoordinaten. Wenn Sie für die zusätzlichen fünf Prozent so rasch wie möglich machen könnten, wären wir und die Kolonisten auf New Bajor Ihnen sehr verbunden. Melin, Ende.“

Sie wartete noch einen Moment, bis die eingehenden Daten auf ein Padd übertragen waren, dann wandte sie sich mit einem Zwinkern zu Bareil um. „Du hast es mitbekommen, Antos, einen Tag hast du schon einmal eine ablenkende Beschäftigung. Informier bitte die anderen, wir treffen uns in einer Stunde an Frachtraum …“, sie konsultierte ihr Padd, „… 5, und beginnen mit dem Verladen. Ich werde in der Zwischenzeit die Lagerverwaltung kontaktieren.“

Während Bareil nickte, ehrlich froh darüber, etwas zu tun zu bekommen, das ihn von seinem selbstzweiflerischen Grübeln ablenkte, rief sie in den Nebenraum hinüber. „Jerry! Komm, wir machen einen kurzen Trip. Es geht durchs Wurmloch!“

Wie ein Blitz kam der Junge aus seinem Zimmer geschossen. Normalerweise folgte einer solchen Aufforderung stets eine Variante von „ich muss erst noch …“, „ja …. gleich ….“, „hab grad keine Zeit …“ oder Ähnlichem, aber die Erwähnung des Wurmlochs wirkte wahre Wunder. Auch wenn die Gegenwart der pah Geister glücklicherweise aus dem Jungen heraus getrieben worden war und er sich seitdem tatsächlich in einer für Terraner völlig normalen Weise entwickelte, war die Faszination für die Götter Bajors ungebrochen bei ihm.

„Wir fliegen ins Wurmloch?“, fragte er mit leuchtenden Augen nach. Sein Blick glitt dabei von seiner Mutter zu dem an der Tür wartenden Bareil und zurück. Als der Junge das Nicken des Bajoraners sah, hüpfte er aufgeregt auf und ab.

„Ja, Jerry, wir fliegen durch das Wurmloch“, bestätigte seine Mutter lächelnd. „Und du darfst auf dem Captainsessel sitzen.“

* * *

Von der Nähe war das Schauspiel noch beeindruckender als von den Fenstern der Station aus betrachtet. Da sich das Wurmloch seit dem Aufeinandertreffen von Propheten und pah-Geistern nicht mehr geschlossen hatte, entfiel die Phase des sich öffnenden Ereignishorizonts bei Annäherung eines Raumschiffs. Stattdessen steuerte die Xhosa nun geradewegs auf einen sich stetig vergrößernden Malstrom aus lilafarbenen Energiewirbeln zu. Die Färbung hatte sich als solche stabilisiert und bildete nun zu gleichen Anteilen die optische Mischung der beiden Seiten der Verteronwesen. Auch Captain Yates konnte sich der Faszination dieses Schauspiels nicht entziehen. Zwar musste sie vor sich selbst eingestehen, dass es ihr nicht gänzlich wohl bei dem Gedanken war, ihr Schiff, ihre Mannschaft und vor allem ihren Sohn in wenigen Augenblicken diesen unkontrollierbaren Wirbeln anzuvertrauen, doch vor ihren Leuten würde sie das natürlich nicht äußern. Jeremiah seinerseits hatte keinerlei Bedenken. Der fünfjährige Junge saß im Captainsessel, hatte den Monitor auf maximale Vergrößerung stellen lassen und fieberte regelrecht dem Durchtritt entgegen. Der Bolianer Brathaw, ihr Steuermann und Chefingenieur in Personalunion saß an der Conn, Bareil besetzte die Sensorenstation. Außer ihnen befand sich nur noch die Lageristin Jane Kilby an Bord. Für einen solch kurzen Trip empfand Yates die Minimalbesetzung als ausreichend. Auf Bitten des wissenschaftlichen Leiters, Lieutenant Gaheris, lief für den Durchtritt eine automatische Logbuchaufzeichnung zur späteren Auswertung mit.

„Wir passieren jetzt den Ereignishorizont“, meldete Bareil von den Sensoren. „Verteronkonzentration auf 5,4.“

Yates versteifte sich, obwohl im Inneren der Xhosa keinerlei Veränderung auszumachen war. „Brathaw, ruhig und gleichmäßig.“

„Aber immer, Captain“, entgegnete der Bolianer. Die Xhosa überflog den äußersten Ring und fand sich nun auf allen Seiten eingeschlossen von den lilafarbenen Verteronknoten.

„Das ist irre!“, ließ sich Jeremiah beeindruckt vernehmen. „Wie lange fliegen wir da durch?“

„Den Anzeigen nach 35 Sekunden, beeil dich also mit dem Genießen“, foppte Bareil, und fügte dann hinzu: „Der Anblick ist wirklich ziemlich verrückt.“

Yates wandte kurz ihre Aufmerksamkeit vom Monitor. Sie konnte während der Passage ohnehin nichts tun außer abwarten. „Bist du auch noch nie durch das Wurmloch geflogen?“

„Wann denn?“ Er hielt mit halbem Auge die Anzeigen im Blick. „Seit ich hier bin, arbeite ich für dich.“

„Und in deinem Universum?“

Bareil lachte trocken auf. „In meinem Universum haben die Götter uns verlassen.“

„Wir sind gleich durch“, lenkte Brathaw die Aufmerksamkeit der beiden wieder auf den Schirm, wo die Verteronknoten allmählich wieder in die übelkeitbereitenden Wirbel übergingen, durch welche die Dunkelheit des Alls hindurch schimmerte.

Yates verspürte Erleichterung und Enttäuschung zugleich. Sie hatte von anderen gehört, dass die Passage durch das Wurmloch manches Mal mit einem spirituellen Erlebnis verbunden war. Sie hatte auf etwas in der Richtung gehofft. Mit leisem Seufzen gab sie Benjamin Sisko noch eine Chance für den Rückflug.

Als die Energiespiralen sich auflösten wurde deutlich, dass das, was ihnen auf der anderen Seite begegnete, nicht das All war. Der Raum, in den sie eintraten war erfüllt von transparent irisierenden Filamenten, welche die Dunkelheit wie Streifen von Morgentau zu durchziehen schienen. Sterne in der ihnen bekannten Form waren nicht auszumachen.

„Verdammt, wo sind wir?“, wollte Yates wissen. „Das ist doch nicht der Gamma-Quadrant, oder?“ Sie verließ ihre Position neben dem Captainssessel und eilte an die Wissenschaftsstation, welche sich auf der langgezogenen Brücke in Nähe der Tür befand.

„Ich habe keine Ahnung.“ Bareils Finger flogen über die Bedienfelder der Konsole. „Die astrometrische Datenbank findet keine Übereinstimmung.“

„Hat das Wurmloch den Austrittspunkt gewechselt?“

„Wenn, dann nirgendwo in den Alpha-, Beta- oder Gamma-Quadranten.“

„Delta?“

„Keine Ahnung, hierfür sind keine Sternenkarten vorhanden.“

„Verdammt!“, fluchte Yates erneut, „Mir reicht schon eine vage Peilung. Wo sind wir?“

Sie beugte sich über Bareils Schulter, um selbst die Anzeigen zu überprüfen. Der Bajoraner war kein Raumfahrer. Alles, was er über Raumschiffe und den Umgang mit den Sensoren wusste, hatte er im letzten Jahr von der Crew der Xhosa gelernt. Da die Xhosa ausschließlich Transporte flog, war die wissenschaftliche Station ohnehin die meiste Zeit über verwaist. Das wenige Wissen, das sie für die Navigation von dort brauchten, ließ sich mit dem Computer bewerkstelligen. Jedenfalls bis jetzt.

Yates hoffte, dass Bareil lediglich die Anzeigen nicht richtig interpretierte, doch der erste Blick belehrte sie eines Besseren. „Die Sensoren funktionieren überhaupt nicht richtig.“

Der Bajoraner hob entschuldigend die Achseln. „Das etwa wollte ich auch sagen.“

Yates klopfte ihm einmal auf die Schulter, um ihm zu versichern, dass sie nicht ihm die Schuld daran gab. „Versuch es weiter. Brathaw, Maschinen vollen Stopp. Ich übernehme das Steuer. Schau, ob du das Problem mit den Sensoren beheben kannst. Jane!“, adressierte sie die Luft, „komm auf die Brücke, wir brauchen dich hier.“

Auf dem Captainssessel wirbelte Jeremiah herum. „Und ich, Mama, was mach ich?“

Yates eilte an ihm vorbei zur Conn, während Bradshaw sich in die andere Richtung zur Technikstation machte. Im Vorbeigehen wuschelte sie Jeremiah rasch durch das Lockenhaar. Er schien keine Angst zu verspüren, was sie sehr erleichterte. „Du hältst den Monitor im Auge und berichtest uns sofort, wenn sich dort etwas verändert. Das ist sehr wichtig.“

„Aye, Captain Mama!“

* * *

„Colonel! Wir erhalten eine Nachricht von New Bajor.“ Die Diensthabende an der Kommunikation rief die Mitteilung quer durch OPS, da Kira soeben vor die Tür ihres Büros getreten war. „Die Xhosa ist überfällig.“

„Die Xhosa?“ Kira sprang die Treppenstufen hinunter und durchmaß das Kontrollzentrum der Station mit wenigen weiten Schritten. Ihr erster Offizier, Commander Erika Benteen, schloss sich ihr von der internen Kontrolle aus an. Der Frachter hatte vor einer Stunde das Tor des Himmelstempels passiert. Er hätte sich bereits im Orbit um New Bajor befinden sollen.

„Colonel Kira hier“, übernahm sie die Transmission. Die Kommunikationsoffizierin war sicherheitshalber zwei Schritte zur Seite getreten. Die Kommandantin neigte dazu, sich ihren Weg ohne rechts und links zu blicken zu bahnen, wenn sie agitiert war. „Was ist passiert?“

„Das wollten wir eigentlich von Ihnen erfahren, Colonel“, entgegnete ein leicht verärgert wirkender Gesprächspartner, „wir hatten eine Zusicherung des Transports vor einer Viertelstunde und die Xhosa ist nirgendwo auf unseren Tiefensensoren auszumachen. Wissen Sie eigentlich, wie lange wir bereits auf die Ersatzteile warten? Unsere Ernte hängt davon ab!“

Kira ignorierte den zweiten Teil. „Wie weit reichen Ihre Tiefensensoren?“

Ihre harte Stimme ließ den anderen in seiner Empörung innehalten. „Etwa die halbe Strecke zwischen New Bajor und dem Himmelstempel …“

„Verdammt!“ Kiras flache Hand klatschte auf die Konsole, so dass ihr Gesprächspartner unwillkürlich von der Übertragungseinheit zurückzuckte. „Wir melden uns, wenn wir etwas wissen. Kira, Ende.“ Sie richtete sich auf und sah sich der gesamten Aufmerksamkeit der OPS-Crew entgegen. „Commander Benteen“, adressierte sie die neben ihr stehende Offizierin, „lassen Sie die Defiant fertig machen. Volle Krisenbesatzung. Da ist etwas passiert, und wer immer die Xhosa abgefangen hat, bekommt es jetzt mit uns zu tun.“

Bei den letzten Worten befand die Kommandantin sich bereits auf dem Weg zum Turbolift. Commander Benteen schloss sich ihr an, während sie über Interkom die entsprechenden Befehle weitergab.
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