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Vereint in der Verdamnis

von Gabi

Kapitel 1

Sie hatten sich geirrt.

Das wurde ihnen in dem Moment klar, in welchem die ersten Detonationen hoch gingen, in dem Moment, in welchem es zu spät für einen Abbruch der Aktion war.

Er sah Lupazas ihm zugewandtes Gesicht nur wenige Meter von seiner Stellung entfernt und ihm war bewusst, dass das Entsetzen im Gesicht der rothaarigen Bajoranerin nur einen Bruchteil dessen ausdrückte, was er selbst im Augenblick fühlte. Unwillkürlich flackerte sein Blick zu dem jungen Mädchen an der Seite seiner langjährigen Kampfgefährtin hinüber. Kira Nerys bestritt erst seit wenigen Monaten aktive Einsätze im bajoranischen Widerstand, seit sie und Lupaza ihn dermaßen bearbeitet hatten, dass er nicht mehr „nein“ hatte sagen können.

Er konnte nicht erkennen, ob auch in ihren Zügen die Erkenntnis dessen, was geschehen war, durchbrach. Ihr rotes Haar, heller im Ton als dasjenige Lupazas, doch ebenso wild, ließ lediglich die Spitze ihrer Nase erahnen.

Auch wenn ihm die Sinnlosigkeit der Geste bewusst war, riss Shakaar Edon den Arm in die Höhe und brüllte: „Aufhören!“ über den Lärm der Waffen hinweg.

Es war in der Tat eine unnötige Geste. Sobald die ersten Personen schreiend das von ihnen in Beschuss genommene Gebäude verließen, stellten seine Leute das Feuer ein. Sie hatten die verhassten Cardassianer erwartet, bereit diese aus ihren Stellungen heraus ins Visier zu nehmen. Doch was sie nun durch ihre Zielerfassungen erspähten waren bajoranische Gesichter, verzerrt in Angst, Schmerz und Verständnislosigkeit.

Immer mehr Blicke wandten sich Shakaar zu, Frauen und Männer, die ihm ihr Leben anvertrauten, ihm folgten im Guerilla-Kampf gegen die übermächtigen cardassianischen Besatzer Bajors, mit ihm gemeinsam die Toten besangen und die noch viel zu spärlich gesäten Erfolge bejubelten. Sie alle hatten sich überwinden müssen um das erste Mal zu töten. Die bajoranische Seele war eine Farmerseele, nicht diejenige von Soldaten. Doch sie hatten es gelernt, unter Schmerz, unter Scham, unter dem Verlust eines Teils ihres pagh, getrieben durch das Feuer des aus Erniedrigung geborenen Hasses und des Glaubens, dass nichts anderes mehr half, um die Eindringlinge von ihrer Erde zu vertreiben. Sie waren zu den Helden derjenigen aufgestiegen, die es nicht wagten, eine Waffe in die Hand zu nehmen, zu einem Symbol für die Freiheit Bajors und gegen die Willkürherrschaft Cardassias. Für sie alle hatten sie gelernt Leben zu nehmen und nichts mehr dabei zu fühlen: cardassianisches Leben – nicht jedoch bajoranisches.



„Wie hat das passieren können?“, Lupaza starrte ihn an, als ob er die Antwort wüsste. Shakaar hatte seinen Leuten augenblicklich den Rückzug befohlen, er selbst musste jedoch zu dem Gebäude hinüber, welches sie soeben bombardiert hatten, musste sich mit der Gewissheit quälen, was sie angerichtet hatten. Seine treusten Gefährten waren bei ihm. Er hatte es lange zuvor aufgegeben, sie in Sicherheit zu schicken, wenn er sich selbst in Gefahr begab. Sie würden ihm auch in die Feuerhöhlen folgen, wenn er jemals den Wunsch verspüre sollte, sich dort hinein zu stürzen. Seite an Seite rannten sie auf das brennende Gebäude zu, aus dem immer noch ihre Landsleute strömten.

„Mobara ist daran schuld“, entschied Nerys in jugendlicher Logik. Sie gab sich unbeeindruckt, hielt sich jedoch auffällig nahe an Shakaars Seite.

Gerne hätte Shakaar ihrer Einschätzung zugestimmt. Doch er konnte die Schuld nicht von sich weisen. Mobara hatte ihnen den Tipp mit dem cardassianischen Undercoverstützpunkt gegeben. Doch auch er war von seiner Quelle getäuscht worden. Shakaar hätte besser recherchieren müssen, hätte Kundschafter schicken müssen statt blind auf die Sensorauswertungen zu vertrauen.

„Nein, ist er nicht!“ Shakaar zwang sich dazu, nicht auf die entsetzten Augen in den blutverschmierten Gesichtern zu achten, die ihnen entgegenkamen. Wer es auf eigenen Füßen hier hinaus geschafft hatte, würde auch weiterhin durchkommen. Sein Augenmerk lag auf dem mittlerweile heftig brennenden Gebäude.

„Was soll das? Was habt ihr getan?!“, brüllte ihnen ein Frau entgegen. „Mögen die Propheten euch verfluchen!“

Shakaar merkte, dass Nerys etwas darauf entgegnen wollte, daher packte er sie am Arm, um sie weiter mit sich zu ziehen. „Nicht“, rief er ihr zu. „Das hat keinen Sinn.“

Sie erreichten das Gebäude, weiteren anklagenden Blicken und schmerzhaften Flüchen ausgesetzt.

Lupaza zog den kleinen Handscanner hervor, den sie bei ihrem letzten Überfall erbeutet hatten. „Dieses Mistding funktioniert nicht“, fluchte sie. „Ich erhalte immer noch cardassianische Lebenszeichen.“

„Ich glaube kaum, dass dein Scanner und unsere Sensoranlage die selbe Fehlfunktion aufweisen“, bemerkte Shakaar frustriert. „Such nach der Quelle des Signals.“ Er stieg über die Trümmer des durch die Detonation völlig zerstörten Eingangsbereichs. „Nerys? ...“

„Ich komm mit dir.“ Das Mädchen machte einen gefassten Eindruck, doch er spürte, dass es sich in seiner Nähe momentan am sichersten fühlte. Er nickte.

Bereits im ersten Raum stolperten sie über die Leichen zweier Bajoraner, welche von den umherfliegenden Explosionstrümmern getroffen worden waren. Shakaar kniete sich nieder, in der aussichtslosen Hoffnung, noch einen Puls zu fühlen. „Mögen die Propheten über sie wachen“, flüsterte er, als er dem ersten der beiden mit der flachen Hand die Augen schloss. Nerys folgte seinem Beispiel und tat das Gleiche bei der zweiten Leiche. Abermals musste Shakaar sich zurückhalten um nicht laut zu fluchen. Nerys war zu jung. In einer normalen Welt hätte sie so etwas nicht sehen müssen, und das Schlimmste war, dass sie nach außen hin den Eindruck erweckte, als würde ihr das alles hier nicht halb so nahe gehen wie ihm. Shakaar wusste nicht, was dem Mädchen alles im Singha-Flüchtlingslager passiert war, sie sprach nie darüber. Doch dieses Leben hatte sie schneller erwachsen werden lassen als ihn, der das Privileg gehabt hatte, in der relativen Freiheit einer Dorfgemeinschaft aufzuwachsen, bevor er sich dem Widerstand angeschlossen hatte.

„Weiter.“ Seine Stimme hörte sich in seinen eigenen Ohren ungewohnt brüchig an. Sie hatten keine Zeit hier zu verweilen, genaugenommen hätten sie überhaupt nicht hier sein sollen. In dem Augenblick, in welchem ihm klar geworden war, dass etwas nicht stimmte, hätte er für die gesamte Gruppe den Rückzug anordnen sollen. Doch dafür war er zu wenig Soldat und zu sehr Bajoraner. Mit Nerys auf den Fersen eilte er den brennenden Korridor entlang weiter, von der Hoffnung getrieben, eine Seele zu finden, der er noch helfen konnte, um damit seine Schuld zu verringern. Doch alles, was sie sahen, waren vereinzelte tote Körper, grotesk dahin geschleudert. Bis in einem Raum endlich ein erleichterndes „helft mir!“ zu vernehmen war. Es war kaum mehr als ein Hauch, und doch veranlasste es Shakaars Puls rascher zu schlagen. Die leise Hoffnung hielt sich solange, bis er um die Ecke bog und die Frau erblickte, die mit aufgerissenem Bauch und weggetretenem Blick an der Wand lehnte. Die einzige Hilfe, die er hier noch bieten konnte, war ein rascher Tod. Ein Schrei wollte sich in seiner Kehle bilden, doch er unterdrückte ihn mit aller Anstrengung.

„Hilf mir.“ Die Hand, die sich zu ihm erhob, war verschmiert mit Blut und anderen Dingen, über die Shakaar nicht näher nachdenken wollte.

„Es tut mir leid. Es tut mir so leid“, flüsterte er. Den Kampf gegen die Tränen versuchte er erst gar nicht anzutreten. Dann hob er den Phaser. Im Augenwinkel bemerkte er, wie Nerys hinter ihm den Raum betrat. Sie war die letzte Zeugin, die er bei seiner Tat haben wollte.

„Verschwinde!“, brüllte er sie über die Schulter hinweg an. „Mach, dass du rauskommst!“

Im ersten Moment glaubte er, dass sie seinem Befehl Folge leisten würden, wie sie das stets tat. Doch dann bemerkte er, dass ihre Bewegung sie weiter in den Raum hineintrug, nicht daraus entfernte.

„Ich will nicht, dass du das hier siehst!“ Der harte Ton seiner Stimme begann zu kippen. Dann spürte er ihren mageren Körper nah an seiner Seite. Ihr Arm hob sich und ihre Finger legten sich dicht um die seinen am Auslöser.

„Wir sind füreinander da, immer! Schon vergessen.“ Selbst ihre Stimme klang älter als sie das hätte sein dürfen. In diesem Moment wurde ihm klar, dass keine Macht auf Bajor ihm die Fähigkeit verleihen würde dieses Mädchen vor der Realität zu bewahren. Sie hatte ihn an Erkenntnis bereits überflügelt. Das Mindeste, was er tun konnte, war sie als Gleichberechtigte anzuerkennen. Er hätte später nicht sagen können, wessen Impuls es war, der den Auslöser gedrückt hatte. Er spürte ihre Finger auf den seinen und für diesen Moment bildeten sie eine Einheit in der Verdammnis.

Sie ließ seine Hand nicht sofort los. Das einzige Zeichen dafür, wie es tatsächlich hinter ihrer Maske aussah. Beide hielten den Blick auf den Boden gerichtet, nicht gewillt, die nun tote Frau oder sich selbst anzusehen. Erst der Klang eiliger Schritte ließ sie aus ihrer Erstarrung erwachen und herumfahren. Lupaza kam atemlos um die Ecke gerannt. In ihrer Hand hielt sie ein armlanges Gerät, dessen eines Ende ein sanftes rhythmisches Blinken erkennen ließ.

„Diese Bastarde!“, fluchte sie ohne die Atmosphäre der gerade vergangenen Szene aufzunehmen. „Hiervon hab ich drei im Perimeter des Gebäudes gefunden. Sie erzeugen cardassianische Muster und haben damit unsere Sensoren genarrt.“

„Und wir Idioten sind darauf hereingefallen“, zischte Shakaar durch zusammengebissene Zähne.

„Das war eine Falle!“ Nerys’ Stimme klang weniger frustriert, eher zornig.

„Schlimmer!“ Shakaar wirbelte herum und bedeutete den beiden Frauen ihm zu folgen. „Dafür hätten die Cardies wissen müssen, wann wir angreifen. Doch das brauchten sie überhaupt nicht.“

Als sie das Gebäude wieder verließen und sich den verachtenden Blicken derjenigen Bajoraner gegenüber sahen, welche sie tags zuvor noch als Helden gefeiert hatten, wurde auch den beiden Frauen klar, dass der angerichtete Vertrauensverlust wesentlich schwerer wog.

Sie hatten sich geirrt. Und nun klebte das Blut der eigenen Leute an ihren Händen.



Ende

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