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Alte Wunden

von Oriane

Der Tote im Kornfeld

„Leute, wisst ihr, was mir gerade auffällt?“
Ganz plötzlich hielt Baqh inne, als er nach der Tasche mit Ausrüstung greifen wollte und drehte sich zu den anderen um, deren Reaktion zu seinem Bedauern eher mäßig ausfiel – mäßig bis nicht existent. Seine Atempause war wohl länger ausgefallen als erwartet, doch er merkte erst, dass er wie eingefroren in der Gegend herumstand, als Maurizio antwortete: „Sprich Baqh. Gedankenlesen ist etwas, das uns leider nicht vergönnt ist.“
„Zum Glück“, frotzelte Lynna. „Wenn ich pausenlos deine Gedanken lesen müsste, wäre ich längst reif für die Irrenanstalt.“
Der schlaksige, blonde Mann schnitt eine Grimasse. „Haha“, machte er. „Dabei bin ich so durchschaubar. Samaks Gedanken würden mich viel mehr interessieren.“
„Ich denke nicht, dass Sie etwas für Sie Sinnvolles aus meinen komplexen Gedankenstrukturen entnehmen könnten“, erwiderte der Vulkanier trocken. Er ließ den Blick lange auf Maurizio ruhen, dann huschten seine Augen zu der Andorianerin, die sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte.
„Heute vor einem Jahr bin ich ins Team gekommen“, stellte Baqh völlig unvermittelt fest, ohne eine Reaktion auf das Gespräch der anderen zu zeigen.
„Glückwunsch.“ Lynna zuckte mit den Antennen und warf sich dann die Ausrüstung über die Schulter. Der Bolianer warf ihr nur einen konfusen Blick zu. „Ein ganzes Jahr schon“, murmelte er dann. „Meine Güte!“
„Von mir aus gehen wir heute Abend einen darauf trinken. Gibst du uns aus?“ Grinsend klopfte Maurizio ihm auf die Schulter.
„Das hättest du wohl gerne.“
„Eins muss man dir lassen. Du warst naiver, als du bei uns angefangen hast.“
„Und heute bin ich immer noch naiv“, seufzte Baqh. „Ich unterschätze euren Hang zu einem fiesen Charakter immer wieder.“
Vielsagend schielte Lynna zu Maurizio hinüber, während der Bolianer sich auf den Weg zum Transporterraum machte, wo Mikael sie samt vollständiger Ausrüstung herbestellt hatte. Sie würden ihn schon dazu bringen, heute Abend eine Runde auszugeben.

„Was haben wir?“, fragte Mikael und hob blinzelnd seine Hand, um seine Augen zu schützen. Die morgendliche Septembersonne stand hoch und blendete ihn. Sie befanden sich etwas abseits einer Wohnsiedlung in einem Feld, wo das Getreide bereits hoch stand, sich leicht im Wind bewegte und ein stetiges Rauschen erzeugte.
Der eine der beiden Polizisten, die man zum Fund des Morgens gerufen hatte, zeigte etwas weiter in das Feld hinein. Eine Schneise aus abgeknickten Ähren führte hinein und Mikael schickte Samak und Baqh hinein, um die Spuren zu sichern. Maurizio war in der Zentrale geblieben, Lynna befragte bereits einen Mann mit Hund an der Leine, der ein paar Schritte weiter auf dem Feldweg stand.
„Ein Anwohner, beziehungsweise sein Hund hat die Leiche heute früh gegen acht entdeckt und uns hergerufen.“
Mikael nickte und folgte seinen Mitarbeitern in das Feld hinein. „Haben Sie schon einen Namen?“, fragte er den Beamten, doch der schüttelte den Kopf. „Der Tote liegt auf dem Rücken und wir wollten den Tatort möglichst unberührt lassen, bis Sie eintreffen. Einen Ausweis trägt er nicht bei sich, soweit wir das feststellen konnten.“
Der Tote lag ausgestreckt mit dem Gesicht voran im Feld, ein Bein angewinkelt, die eine Hand unter seinem Oberkörper vergraben, die andere nach vorne gestreckt, als wollte er nach irgendetwas greifen. Er war groß, dürr und die Haare am Hinterkopf begannen bereits auszufallen.
„Irgendwelche Zeugen außer dem Mann, der ihn entdeckt hat?“
„Nein, zumindest haben der Zeuge und wir niemanden gesehen. Aber es ist relativ leicht, sich in diesem Kornfeld ungesehen aus dem Staub zu machen.“
„Nicht wirklich. Spätestens auf Luftbildern ist man unweigerlich zu sehen“, murmelte Mikael und kam näher, um sich die Leiche anzusehen. „Hast du die Holobilder, Baqh?“
Der Bolianer nickte.
„Samak, helfen Sie mir, ihn umzudrehen.“
Zusammen mit dem Vulkanier wuchtete er den Mann vorsichtig herum. Als sein Gesicht zum Vorschein kam, konnte Mikael ihn nicht sofort einordnen, doch Samaks eindringlicher Blick, den er auf sich spürte und schließlich erwiderte, bestätigte seine Vermutung. Unwillkürlich drehte er den Kopf in Richtung der Andorianerin, die noch immer mit dem Zeugen sprach.
„Er ist es, nicht wahr?“, fragte Mikael leise. Baqh, der den Blickwechsel mitbekommen hatte und wissen wollte, was er wieder einmal übersehen hatte, ging ebenfalls in die Hocke und versuchte, eine strenge Miene zu machen, damit ihm nichts vorenthalten wurde.
„Ja“, antwortete Samak schlicht. „Das ist Maximilian Becker.“
„Der Zeuge hat niemanden gesehen“, begann Lynna, während sie sich ihren Weg durch das Feld zu den anderen bahnte. „Wie jeden Morgen ist er mit seinem Hund spazieren gegangen und hat ihn hier laufen lassen. Als das Tier nicht aus dem Feld zurückkam und auch auf Rufe nicht reagierte, ist er ihm gefolgt und hat die Leiche entdeckt. Die Schneise existierte bereits, sie muss vom Toten und und seinem Mörder sein. Gibt es schon irgendwelche Theorien...“
Sie stockte, als sie die letzte Kurve genommen hatte und der Leiche, sowie dem besorgt dreinblickenden Mikael und Baqhs irritiertem Gesichtsausdruck gewahr wurde. Langsam weiteten sich ihre Augen, die Antennen bogen sich erst nach vorn, dann nach hinten. Vorsichtig kam sie näher, während Mikael aufstand und ihr entgegen ging. Den Blick starr auf die Leiche gerichtet, blieb sie einige Sekunden vor ihr stehen, als müsse sie sich das Bild einprägen; sichergehen, dass es keine Halluzination war.
„Lynna“, begann Mikael, doch sie machte drei Schritte rückwärts, drehte sich um und rannte davon.
„Lassen Sie sie gehen“, sagte Samak, als er Anstalten machte, ihr zu folgen. „Sie wird wiederkommen.

„Würde mich vielleicht jemand aufklären?“, fragte Baqh sichtlich genervt in die schweigsame Runde, die in die Zentrale zurückgekehrt war. Es tröstete den Bolianer zwar ein wenig, dass Maurizio genauso ratlos schien wie er, aber die vielsagenden Blickwechsel zwischen Samak und Mikael gingen ihm langsam aber sich auf die Nerven. Er hasste es, außen vor gelassen zu werden.
„Samak, beschaffen Sie mir Luftbilder, falls welche existieren. Maurizio, ich will jedes Detail zu Max Becker, das du finden kannst. Baqh, bring die gesammelten Proben runter zu Rokur ins Labor.“
Der Bolianer wollte zu Widerworten ansetzen, aber Mikael brachte ihn mit einer schneidenden Handbewegung zum Schweigen. „Wir werden diesen Fall so behandeln, wie jeden anderen auch. Es gibt nichts, das ihr wissen müsst, um ihn lösen zu können, verstanden?“ Streng huschten seine Augen zwischen Baqh und Maurizio hin und her, die beide nach einer Weile ergeben nickten und sich an die Arbeit machten.


Den Kopf voller Misstrauen war Baqh auf dem Weg hinunter ins Labor, um die Proben abzugeben. Er war es gewöhnt, von den anderen als naiv bezeichnet zu werden, oder dass er manchmal Dinge erst später kombinierte, als Samak oder Lynna. Er würde sich selbst nicht als begriffsstutzig bezeichnen, doch er musste zugeben, dass er in manchen Dingen nicht der schnellste war. Er hatte sich daran gewöhnt, der neue im Team zu sein und fand, dass er sich nicht schlecht eingelebt hatte. Im Gegenteil, seine vier Kollegen waren ihm mehr ans Herz gewachsen, als er es für möglich gehalten hätte, damals, vor einem Jahr, als er alles darum gegben hatte, diese Stelle zu bekommen. Samak sprach nicht viel, behielt seine Gedanken lieber für sich, aber Baqh glaubte, dass der Vulkanier ihn schätzen gelernt hatte. In Maurizio glaubte er sogar einen echten Freund gefunden zu haben. Er setzte sich für ihn ein, wenn Lynna mal wieder ausfallend wurde – meistens jedenfalls. Und Mikael hatte ihm bereits gesagt, dass er ein guter Agent und auf dem besten Wege sei.
Ausgehend davon verstand er nicht, warum sich plötzlich alle so geheimnisvoll gaben. Zwar wusste er, dass Lynna nicht gerade eine blühende Vergangenheit vorweisen konnte, aber was brachte die kleine, persistente Andorianerin dazu, ohne wenn und aber davonzulaufen? Nie hatte er erlebt, dass Lynna schwach wurde. Es lag irgendwie in ihrer Natur, stark zu sein, oder zumindest diese Fassade aufrecht zu erhalten. Er wusste, dass sie Mauern um sich errichtet hatte, aber nie hatte er über den Grund dafür nachgedacht.
Der große Klingone begrüßte ihn mit einem Lächeln, dass man auch als Zähnefletschen hätte deuten können. Anfangs hatte Baqh sich vor ihm gefürchtet, bis er herausgefunden hatte, dass Rokur im Grunde sehr handzahm war.
„Lange nicht hier unten gesehen, Baqh.“
„Tut mir Leid, die da oben haben wohl Angst, dass ich durch meine alleinige Anwesenheit das komplette Hauptquartier in die Luft sprenge, wenn ich mich nur in die Nähe des Labors begebe.“
Mit einem Schmunzeln stellte er die Kiste mit den sichergestellten Beweismitteln auf einem Tisch weit ab von jeder Apparatur hin.
„Wo haben Sie Ihr Selbstvertrauen gelassen? So schlimm kann es nicht sein, immerhin lassen sie auch mich hier unten arbeiten“, ging der Klingone auf den Scherz ein.
„Natürlich, sehen Sie die dicken Mauern? Keine Fenster. Hier unten lässt sich ein Klingone besser festhalten.“
„Nicht, wenn er alles hier hat, um den schönsten Sprengstoff der Welt herzustellen. Was gibt es denn diesmal?“, fügte er hinzu und ging zum aktuellen Fall über.
„Ein Toter in einem Kornfeld.“
Rokur zog einen Beweismittelbehälter mit Getreidekörnern heraus. „Ich könnte Müsli draus machen.“
„Besser nicht." Baqh schmunzelte. „Das Blut, das an den Körnern klebt, ist vermutlich nicht sehr schmackhaft und außerdem unidentifiziert.“
„Wo Sie recht haben.“ Rokur zuckte mit den Schultern und packte weiter Beweismitteltütchen aus der Kiste aus. Der Bolianer blieb neben ihm stehen, beobachtete die großen, rauen Hände, dessen Geschick jeder unterschätzte und hing seinen Gedanken nach, bis der Klingone plötzlich inne hielt und ihn prüfend von der Seite musterte.
„Kommen Sie Baqh, was geht Ihnen im Kopf herum? Sie dürfen auch mit mir sprechen, anstatt wie eine Salzsäule in der Gegend herumzustehen.“
„Irgendwas geht dort oben vor“, seufzte er. „Etwas, über das Mikael und Samak sich Sorgen machen, das aber anscheinend irrelevant für die Lösung des Falls ist. Nichts ist jemals irrelevant, wenn dadurch ein Verbrechen schneller aufgeklärt werden kann, aber ich werde nicht eingeweiht. Es hat mit Lynna zu tun.“
„Nun, ich kann Ihnen zwar nicht sagen, worum es sich handelt, aber Sie sind Agent. Es ist Ihre Aufgabe, Dinge herauszufinden. Nutzen Sie Ihre Talente.“
Irritiert sah Baqh ihn an, dann hätte er sich am liebsten die flache Hand gegen die Stirn geschlagen. Wie schon gesagt, in manchen Dingen war er nicht der schnellste. „Danke, Rokur.“ Er nickte dem Klingonen zu und machte sich auf den Weg zurück nach oben. Vielleicht hatte Maurizio etwas herausgefunden, das etwas Licht in die ganze Sache brachte.
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