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Überleben

von Oriane

Überleben

„Du hast es ihm also gesagt“, stellte Jiddin Bernstein resigniert fest. „Du hast ihm verraten, dass ich der Maulwurf bin.“
Sie blickte in das leere Gesicht von Alzey Crowd, aber es war nur scheinbar leer. Jiddin wusste, wie gut er darin war, alle anderen über seine wahren Gefühle zu belügen. Wie hatte sie nur so naiv sein können, zu glauben, er würde sie nicht belügen?
Sie folgte seinem Blick, den er über sie wandern ließ. Sie saß mit dem Rücken an die Zellenwand gelehnt, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Ihre Füße hatte man ebenfalls zusammengebunden und ein zusätzliches Kraftfeld um sie herum errichtet. Sie kam sich vor wie ein hünenhafter, vor Kraft strotzender Klingone, oder vielleicht eine Borgdrohne, bei den Sicherheitsvorkehrungen, die man für sie getroffen hatte. Dabei musste ihre kleine, schlanke Gestalt unter dem Kraftfeld winzig und verloren wirken.
Der Mann ihr gegenüber hatte noch kein Wort gesagt, seit er den Zellentrakt betreten hatte.
„Schon gut, ich hätte damit rechnen müssen. Du warst sehr nützlich Alzey, weißt du das?“
Sein Nicken war die erste Reaktion darauf, dass er sie überhaupt gehört hatte. Er wandte den Blick kurz nach rechts, wahrscheinlich um zu sehen, wo der Wachposten sich befand, dann trat er einen Schritt näher an das erste Kraftfeld, welches die beiden voneinander trennte.
„Ich weiß“, antwortete er. Jiddins betazoidische Hälfte empfing widersprüchliche Gefühle von ihm, nur ganz leicht, wie ein Echo. Alzey konnte seine Gefühle perfekt in sich einschließen und damit selbst vor ihren Augen verbergen. Die andere Möglichkeit war, dass er keine empfand. Jiddin war sich nicht ganz sicher, was das anging.
Was bei ihr ankam, deutete sie als eine Mischung aus Verrat und Mitgefühl. Letzteres wunderte sie. Eigentlich müsste er sich von ihr ausgenutzt fühlen, wütend und enttäuscht sein oder sich schämen, weil er es erst so spät bemerkt hatte, nachdem viele Informationen aus seiner Organisation an Sektion 31 gegangen waren. Luther Sloan war sehr zufrieden mit Jiddin gewesen – bis jetzt, vermutete sie. Aber Sloans Urteil war im Moment zweitrangig, viel interessanter würde werden, wie die Organisation mit ihr umgehen würde. Die Organisation – einen anderen Namen gab es offenbar nicht. Jiddin hatte sich die ganzen sechs Monate größte Mühe gegeben, den richtigen Namen herauszufinden, aber niemand wusste es, oder schwieg darüber. Alzey tat letzteres. Dass sie glimpflich davon kam, bezweifelte sie. Sogar dass sie lebendig davonkam, war höchst unwahrscheinlich.
„Ich kann mir denken, was mir bevorsteht“, sagte Jiddin, um ihren Gedanken Ausdruck zu verleihen.
„Das kannst du nicht.“ Er antwortete so prompt, dass er ihr beinahe ins Wort viel. „Du hast keine Ahnung, wozu er fähig ist.“
„Die Spinne führt die Befragungen selbst durch?“, fragte sie verwundert. In ihrer ganzen Zeit bei der Organisation hatte sie nicht einmal mit ihm gesprochen, geschweige denn ihn getroffen. Der Kopf der Organisation blieb unerkannt, selbst für seine treusten Anhänger. Einzig Alzey traf ihn gelegentlich, was der ausschlaggebende Grund gewesen war, etwas mit ihm anzufangen. Doch Jiddin musste zugeben, dass es nicht der einzige Grund war.
„Er hat mich damit beauftragt.“
Jiddin seufzte. „Nicht einmal jetzt, wo meine wahre Identität bald kein Geheimnis mehr ist, bekomme ich ihn zu sehen. Du wirst sicher deinen Spaß daran haben, mich zu foltern. Dann kannst du es mir heimzahlen. Auch das persönliche.“
„Nur weil ich es gut kann, bedeutet es nicht, dass ich Spaß daran habe, dich zu foltern.“ Er schüttelte langsam den Kopf. Seine Augen bekamen einen traurigen Glanz, ganz seicht und kaum zu entdecken. Doch da er es nicht schaffte, das Gefühl dazu zu unterdrücken, nahm Jiddin es stärker wahr. Sie stockte. Er musste wissen, dass sie fühlte, was er fühlte. Mit Sicherheit war dies eine Botschaft von ihm, ausschließlich für sie bestimmt, denn er war niemals unkontrolliert gewesen in der ganzen Zeit, in der sie ihn kannte.
„Dann tu's nicht.“ Sie schmunzelte. Einen Versuch war es wert.
„Ich werde nur die Fragen stellen und nicht die Geräte bedienen. Dafür habe ich Leute, die sich gern die Hände schmutzig machen.“
„Ich weiß, ich weiß.“ Resigniert nickte sie und ließ den Kopf auf die Brust sinken, sodass ihr die losen dunklen Locken ins Gesicht fielen.
„Es ist wirklich schade, dass du ein Maulwurf bist. Du hast gut zu uns gepasst.“
Sie hob den Kopf wieder und sah ihm in die Augen. Auf einmal kam ihr ein Schwall Verzweiflung entgegen, der sie dazu brachte, überrascht die Augen aufzureißen. Er sprach überhaupt nicht über die Organisation, sondern über sie und ihn. Was er ihr gerade mitteilte, bedeutete in Alzeys üblichen Kommunikationswegen so viel wie »Ich will dich nicht verlieren!«. Natürlich wusste sie, dass er etwas für sie empfand, ihre Beziehung war kein reiner Informationsaustausch gewesen. Andererseits war es in einer Verbrecherorganisation nicht leicht, eine normale Beziehung zu führen, deswegen hatten sich die beiden Alternativen einfallen lassen müssen. Oft hatte Jiddin wochenlang keinen Kontakt zu ihm gehabt, weil entweder sie oder er einen Auftrag erledigen mussten, der Diskretion forderte. Sie beide hatten einfach die Nähe des anderen genossen, wenn es sich ergab und trotzdem fühlte es sich für Jiddin bei jedem weiteren Treffen wie eine Rückkehr an – vielleicht sogar eine Rückkehr nach Hause. Genauer wollte Jiddin darüber nicht nachdenken.
Aber nun stand er hier, würde sie in den nächsten Tagen, Wochen, vielleicht Monaten foltern müssen, um Informationen aus ihr herauszukriegen, und teilte ihr mit, dass er das nicht wollte? Für Alzey Crowd stand nichts über seiner Loyalität zur Organisation und zur Spinne. Konnte es sein, dass sie es geschafft hatte, zum echten Alzey vorzudringen, der irgendwo unter den vielen Masken schlummerte? Oder spielte er mit ihr? Er war nicht so sehr der Typ für Spiele, die Spinne dachte sie sich aus und Alzey war nur der Arm, der sich ausstreckte, um die Figuren zu bewegen. Und Gefühle gehörten nie zu einem Spiel dazu, zumindest nicht die eigenen. Du bist halb Betazoidin, schalt Jiddin sich selbst. Du kannst erkennen, wenn jemand versucht, Gefühle vorzutäuschen.
Alzey täuschte in diesem Moment gar nichts vor. Er wartete auf eine Antwort. Aber konnte Jiddin zugeben, dass sie genauso empfand wie er? Es war ihre Schwachstelle, eine von vielen, das wusste sie. Würde er sie ausspielen? Was war stärker, seine Loyalität, oder seine Gefühle? Andererseits würde er sie töten, falls sie nicht auf seine diskrete und für niemanden sonst sichtbare Frage antwortete.
Also schenkte sie ihm ein langsames, fast unsichtbares Nicken und durchbohrte seinen Stahlblick mit ihren dunklen Augen. Mittlerweile empfing sie von ihm wieder nur Fetzen von Gefühlen, so wie sie es gewohnt war. Er hatte also seine Masken alle wieder angelegt.
»Ich hätte niemals eine von euch werden können«, antwortete Jiddin, aber es wirkte, als hätte sie es nur so dahingesagt, so viel Zeit war zwischen seiner Aussage und ihrer Reaktion verstrichen.
Er ging, ohne ein weiteres Wort, oder einen Blick. Jiddin wusste, sie würde ihn jetzt eine lange Zeit nicht wiedersehen und wenn doch, dann würde sein Anblick ihr schreckliche Schmerzen bereiten. Er war ihre einzige Chance, hier lebendig rauszukommen.



Erschöpft sackte Jiddin auf dem Boden ihrer Zelle zusammen. Endlich ließ man sie in Frieden. Sie wollte nichts lieber als schlafen, doch sie vermutete, dass dieses Vorhaben in den gleichen Albträumen enden würde, die sie schon seit Monaten plagten. Also legte sie den Kopf auf den kalten Boden, schloss die Augen und versuchte die Gegenwart auszublenden, ohne einzuschlafen.
Das, was sie seit ihrer letzten Begegnung mit Alzey durchmachen musste, war schlimmer als alles, was sie sich hatte vorstellen können. Sie wurde immer wieder an den Rand des Todes oder des Wahnsinns getrieben, je nachdem, welche neue perfide Strategie ihren Folterern einfiel. Zuerst hatten sie ihr, ganz klassisch, körperliche Schmerzen zugefügt. Ein Gerät verabscheute Jiddin am meisten. Sie musste ihren linken Arm in eine Fassung legen. Während der Prozedur spürte sie nichts, aber der Schmerz kam später, sobald der Arm wieder frei war. Am Anfang hatte es Stunden gedauert und sie hatte sich noch gewundert, was diese merkwürdige Prozedur sollte, doch die Abstände wurden kürzer und die Schmerzen stärker. Niemand hatte ihr erklärt, wie das Gerät funktionierte, aber sie vermutete, dass es irgendwie ihre Nervenbahnen anzapfte und mit Zeitverzögerung falsche Informationen hindurchschickte. Die Schmerzen kamen und nichts konnte sie lindern.
Irgendwann, als ihre körperliche Belastungsgrenze erreicht war, ließen sie von ihrem Körper ab und wandten sich ihrem Geist zu. Da sie natürlich um ihre Betazoidische Seite wussten, spielten sie sie gekonnt gegen sie aus. Jiddin hatte dabei zusehen müssen, wie andere Personen gefoltert und getötet wurden. Sie hatte sogar unter Androhung weiterer körperlicher Schmerzen die Befragungen selbst durchführen müssen. Aus dieser Zeit stammten ihre Albträume hauptsächlich. Keinen Tag hatten sie sie in Ruhe gelassen. Irgendwann ging es so weit, dass sie nicht mehr schlafen durfte. Jedes mal, wenn sie wieder geweckt wurde, schreckte sie aus einem ihrer Albträume hoch und konnte sich an jedes schreckliche Detail erinnern. Es war, als würde sie alles noch einmal von vorn erleben. Hinzu kam, dass sich die Schmerzen in ihrem Arm jetzt ohne das Zutun der Maschine meldeten. Erst nur dumpf und kaum zu beachten, wurden sie immer schlimmer und breiteten sich aus.
Heute hatten sie ihren anderen Arm in das Gerät einspannen wollen. Das war das erste Mal gewesen, dass sie sich gewehrt hatte. Natürlich wurde die Prozedur trotzdem durchgeführt, aber danach wurde sie wider erwarten wieder in ihre Zelle zurückgebracht und in Ruhe gelassen. Jiddin wertete das als schlechtes Zeichen, aber sie musste wieder halbwegs zu Kräften kommen, wenn sie diese Behandlung weiterhin durchhalten wollte. Die Frage war nur, wollte sie das wirklich? Wäre es nicht einfacher, alle Informationen preiszugeben und sich dann töten zu lassen? Wie oft hatte sie sich diese Frage schon gestellt und war immer wieder zum gleichen Ergebnis gekommen. Andererseits hatte man ihr bisher nicht eine einzige Frage gestellt. Vermutlich würden sie ihr nicht den Gefallen tun, sie zu töten, sondern würden sie zu Sloan zurückschicken. Und was der dann mit ihr anstellen würde, das wollte sie sich nicht vorstellen. Also blieb sie krampfhaft verzweifelt standhaft. Ihre Ausbildung bei Sektion 31 half ihr dabei, aber die damaligen Test waren nichts gegen die Methoden der Organisation.
Ein anderer Gedanke hielt sie ebenfalls wach. Es war die winzige Hoffnung, dass Alzey ihr helfen würde, sobald er konnte.

»Hallo Jiddin.« Eine Stimme riss sie aus der Ruhe, die sie schon fast vergessen hatte. Sie erschien ihr merkwürdige sanft, aber vielleicht war sie einfach keine freundlichen Stimmen mehr gewohnt. Zum Glück hatte sie das Gesicht zur Wand gedreht, sodass er nicht sah, wie sie die Augen aufriss. Ihre rechte Hand schloss sich um den schmerzenden Linken Arm, dann holte sie tief Luft. »Was willst du, Alzey?« Überrascht von der Rauheit ihrer eigenen Stimme räusperte sie sich und schluckte trocken. Nur einmal am Tag bekam sie Wasser, das musste sie sich gut einteilen. Ihre Ration für heute war fast leer, aber durch ihren Widerstand war ihr Körper ein wenig ausgetrocknet. Trotzdem war sie sparsam, denn das Wasser musste noch für ein paar Stunden reichen.
Wann hatte sie das letzte Mal gesprochen? Sie erinnerte sich nicht mehr.
»Steh auf. Es ist vorbei.«
Ihre Gedanken stockten. Das klang zu schön, um wahr zu sein. Jiddin glaubte ihm kein Wort. Er würde sich nicht herbemühen, um sie ohne weiteres entweder freizulassen oder zu töten, denn alles andere kam bei der Aussage »Es ist vorbei« nicht in Frage.
»Ich bleibe lieber hier.«
»Jiddin, ich versuche dir zu helfen«, kam prompt seine Antwort. »Wenn du ein wenig kooperativer bist, wird es dir bald besser gehen.«
»Das letzte Mal, als ich kooperativ war, hat man angefangen, mich zu foltern. Du versteht sicher mein Misstrauen.«
Alzey seufzte. Jiddin versuchte, ihre emotionalen Fühler nach ihm auszustrecken, stieß aber nur auf seine altbekannten, gut ausgebauten Barrieren. Er schien sie noch bedeutend weiterentwickelt zu haben, denn kein einziger Fetzen einer emotionalen Regung drang zu ihr durch. Oder vielleicht war sie einfach zu abgestumpft durch die Behandlung, die sie hatte durchmachen müssen. Resigniert ließ sie es bleiben, nach seinen wahren Absichten zu suchen.
»Ich verstehe«, begann er. »Wärst du ein beliebiger Gefangener, dann würde ich dir jetzt ein paar Tage Zeit lassen, es dir zu überlegen, aber ich kenne dich, Jiddin. Irgendwann siegt deine Neugier und dann wirst du zu mir kommen. Im Umkehrschluss heißt das, du kannst auch einfach jetzt sofort mitkommen.«
Das Gemeine war, er hatte vermutlich recht. In Jiddins Kopf drehten sich schon die Gedanken und schließlich schaffte sie es, sich zu überwinden und den Kopf in seine Richtung zu drehen. Wie oft hatte sie sein Gesicht in den letzten Monaten vor sich gesehen. Wie oft hatte sie ihn in Gedanken angeschrien, ihn geschlagen, weil er ihr das antat und wie oft hatte sie sich vorgestellt, dass alles anders wäre. Dass er kein Mitglied der Organisation und sie keiner von Sloans Rekruten war. Wie oft hatte sie ihn in Gedanken geküsst.
Er zeigte keine Reaktion, als sie sich langsam aufrichtete. Ein wenig schief stand sie da, gepeinigt von der Folter, aber immerhin hatte sie keine gravierenden dauerhaften körperlichen Schäden hinterlassen.
Alzey wurde von zwei Wachen begleitet. Es waren dieselben, die sie immer abgeholt und zurück in die Zelle gebracht hatten – eine graue Caitianerin und ein Tellarit. Auch jetzt nahmen sie Jiddin von beiden Seiten, legten ihr Handschellen und Fußfesseln an, auf die sie in der Zelle mittlerweile zum Glück verzichteten und führten sie Alzey hinterher.
Ihr Ziel war ein kleiner Raum mit einem Tisch und zwei Stühlen. Alzey setzte sich auf den einen und Jiddin wurde der andere angeboten, den sie ohne zu zögern annahm. Was blieb ihr auch anderes übrig?
»Nun«, fing Alzey an, als die beiden Wachen gegangen waren. »Ich vermute, du bist bereit zu reden.«
»Wie kommst du darauf?«
»Willst du ein Glas Wasser?«
»Ja!«
»Dann sag mir, für wen du arbeitest.«
»Nein.«
»Pass auf.« Er beugte sich nach vorne und stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch ab. »Wir können das hier schnell erledigen, oder fürchterlich in die Länge ziehen. Letzteres wird für uns beide unangenehm, also wie wäre es, wenn wir die ganze Sache beschleunigen? Du musst diesen unnötigen Kampf nicht auch noch durchstehen, dafür hast du nicht mehr die Kraft.«
Er hatte recht. Aber trotzdem würde Jiddin nicht aufgeben. Hier ging es nicht darum, dass sie ab einem gewissen Grad Sloan verraten würde, nein, es ging allein ums Überleben. Natürlich war sie Sektion 31 treu und wusste, was für die Föderation auf dem Spiel stand, wenn sie redete, aber darum ging es ihr schon lang nicht mehr. Alles wofür sie die Folter ertrug war die Möglichkeit, lebend hier herauszukommen. Alzey hatte diesen Hoffnungsschimmer in ihr gesät, als er sie das erste Mal nach ihrer Gefangennahme besucht hatte, aber bisher sah Jiddin nicht, dass er ihr helfen würde. Vielleicht hatte sie ihn damals falsch verstanden und ihre ganze Beziehung war doch eine einzige Lüge gewesen.
»Ich habe mehr Kraft, als du glaubst. Ich kann alles durchstehen.«
»Wenn das so ist, werden wir zwei mehr Zeit zusammen verbringen, als uns lieb ist«, sagte Alzey und lehnte sich wieder zurück.
»Eigentlich habe ich die Zeit mit dir immer genossen«, widersprach sie ihm vehement. »Hast du zugesehen, als sie mich gefoltert haben? Hast du es genossen, Alzey Crowd?« Nun brach die ganze Wut auf ihn aus ihr heraus, die sie in sich aufgestaut hatte. »Hast du dir nicht gewünscht, selber die Hebel zu ziehen, die Knöpfe zu drücken und die Leute zu töten?« Ihre Stimme wurde unglaublich abfällig und zischend. Ihr Blick war steinern und auf ihn fixiert.
»Oh, Jiddin.« Er dagegen wurde beinahe fürsorglich. »Ich habe dir in unserer gemeinsamen Zeit nie etwas vorgemacht. Was hast du denn gedacht? Und außerdem habe ich dir schon gesagt, dass ich es nicht genieße, Gefangene zu foltern. Manchmal ist es einfach nötig.«
»Ich fürchte, wir beide haben uns nichts mehr zu sagen.«
Es sollte für eine lange Zeit das letzte mal sein, dass sie mit ihm sprach.




Gelangweilt saß Jiddin in ihrer Zelle. Seit die Folter aufgehört hatte, musste sie wieder mit Fesseln hier sitzen, aber das war ihr tausend Mal lieber, als wieder unendliche Schmerzen. Jeden Tag aufs neue wurde sie zu Alzey ins Verhörzimmer gebracht und jeden Tag blieb sie stumm, in Gedanken dabei, mit den wenigen Informationen, die sie hatte, einen Fluchtplan zu entwickeln. Nicht, dass sie damit besonders weit gekommen war. Es scheiterte bereits hinter den beiden Kraftfeldern, die sie umgaben. Auch eine Flucht aus dem Verhörzimmer war schlecht möglich, da die beiden Wachen vor der Tür standen und außerdem Alzey mit im Raum war. Langsam fragte sie sich, was passieren würde, wenn er die Geduld verlor. Sie war noch nicht außer Lebensgefahr und wie lange ihr Herz noch schlagen durfte, das lag allein in Alzeys Händen. Wochenlang schwiegen sie sich schon an. Hin und wieder versuchte Alzey, sie zum Reden zu bringen, aber Jiddin blieb stur. Nur war sie sich langsam nicht mehr sicher, ob das die richtige Strategie war, um am Leben zu bleiben. Sie konnte ihm auch Lügen auftischen. Oder sie konnte herausfinden, was er bereits wusste und diese Fakten mit irrelevanten Details ausschmücken. Oder sie konnte weiter schweigen und auf den Tod warten.

Aber heute stimmte etwas nicht, das spürte Jiddin. Die Gefühle, die sie aus der Ferne empfing waren aufgeregt, teilweise angsterfüllt. Außerdem war heute weder jemand mit ihrer täglichen Ration erschienen, noch kam jemand, um sie zur Schweigestunde mit Alzey abzuholen. Irgendetwas war im Gange, aber was? Seit sie aus ihren Albträumen aufgewacht war, hatte sie ihre Fühler ausgestreckt, um herauszufinden, was vor sich ging, nur waren ihre Mittel natürlich begrenzt, sodass sie bald nur noch frustriert den Vorgängen lauschte. Es schienen immer mehr Mitglieder der Organisation das Hauptquartier zu verlassen. Jiddin hoffte nur, dass sie nicht auf dem sinkenden Schiff vergessen wurde – falls das Schiff überhaupt dabei war, zu sinken. Kurz bevor sie aufgeflogen war, hatte sich das Hauptschiff der Organisation am äußersten Rand zum Betaquadranten befunden. Mittlerweile konnte es überall sein.
Gerade hatte sie sich erlaubt, die Augen zu schließen und ein bisschen zu dösen, um die Träume der vergangenen Nacht zu vergessen und sich davon auszuruhen, als sie geflüstert ihren Namen hörte.
»Jiddin!« Es war Alzey, der vor den Kraftfeldern stand, sich umsah und gleichzeitig erst das äußere und dann das innere Kraftfeld deaktivierte. Verblüfft sah Jiddin ihm dabei zu, bewegte sich aber einen Zentimeter. Es war zur Gewohnheit geworden, ihm nicht zu antworten, geschweige denn mit irgendjemandem zu sprechen.
Er kam auf sie zu, griff nach ihren Händen und Füßen und löste die Fesseln. Sie ließ es geschehen, ohne ihm dabei behilflich zu sein, schaute ihn nur fragend an. Ihr Vertrauen in ihn war verständlicherweise fast ins Bodenlose gefallen.
»Komm schon, du musst aufstehen. Ich bringe dich hier raus.« Er versuchte, nach ihren Händen zu greifen und sie hochzuziehen, aber ihre Finger blieben schlaff und ohne Gegenhalt konnte selbst er ihr geringes Gewicht nicht einfach hochheben.
»Jiddin, bitte! Du musst mir vertrauen! Nur dieses eine Mal! Ich versuche gerade, dein Leben zu retten!«
»Du hast mein Leben zerstört.« Ihre Stimme war nur ein Flüstern, zu mehr war sie nach wochenlangem Schweigen nicht in der Lage.
»Ich werde es dir erklären, wenn du mit mir kommst«, versprach er. Endlich setzte Jiddins Überlebensinstinkt ein und sie stand auf, ohne seine helfenden Hände in Anspruch zu nehmen. Er griff sie am Arm und zog sie durch den Zellentrakt, hinaus in die Gänge, die sie wiedererkannte. Sie hatte selbst schon Gefangene hier abgegeben und dabei jedes Mal gehofft, nie hinter dieser Tür zu landen. Nun kam ihr diese Hoffnung lächerlich vor.
Alzey führte sie immer weiter weg vom Zentrum des Schiffes, durch Wartungsgänge und Jeffriesröhren, damit ihnen niemand begegnete, bis sie schließlich bei den Rettungskapsel ankamen. Die ganze Zeit über hatte Jiddin das Getrappel vieler eiliger Füße über und neben ihr gehört, aber dieser Gang war leer. Vielleicht hatte Alzey ihn verriegelt, sie hatte nicht darauf geachtet, was er tat. Tief in ihrem Innern steckten immer noch Zweifel, dass er sie wirklich retten würde.
»Hier rein.« Mit einigen Handgriffen öffnete er eine der Kapsel und schob sie hinein. »Draußen ist ein Sternenflottenschiff. Im Gefecht werden sie die kleine Kapsel kaum bemerken. Lass dich von der Sternenflotte mitnehmen, hörst du?«
Jiddin hatte sich von ihm abgewandt, als sie durch das Frontfenster der Kapsel die Sterne sah. Ein Anblick der Freiheit und Schönheit, den sie schon fast vergessen hatte.
»Sternenflotte, ja«, murmelte sie. Sie hatte nicht jedes seiner Worte gehört, aber ihr geschulter Verstand hatte den Fluchtplan bereits begriffen.
»Du hast wieder etwas gemacht, hab ich recht? Du hast das alles eingefädelt!« Langsam kam der Klang ihrer Stimme zurück.
»Ich habe nichts gemacht.« Er schüttelte den Kopf. »Wieso denkst du das immer?«
»Weil es stimmt!« Plötzlich fing ihr Verstand wieder an zu arbeiten. »Wieso erst jetzt? Du hättest diesen Plan jederzeit durchführen können, wieso hast du mich monatelang verrotten lassen?«
Alzey seufzte und Jiddin glaubte, so etwas wie Schuldgefühle von ihm zu empfangen. »Es tut mir Leid, aber hierbei ging es nicht darum, dich wohlbehalten zurückzubringen. Es ging einzig und allein darum, dass du überlebst. Du bist der Maulwurf. Mehr konnte ich nicht für dich tun.«
Verständnislos sah Jiddin ihn an. »Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass du mir zur Hilfe kommst. Du warst meine einzige Chance. Warum habe ich angenommen, dass dir etwas daran liegt, mich mehr als nur lebendig auszuliefern?«
»Ich wusste, dass du alles überstehen kannst und habe dir die beste Hilfestellung gegeben, die ich erübrigen konnte ohne mich zu verraten, erinnerst du dich?«
Natürlich erinnerte Jiddin sich. An dem Tag, als sie gefangen genommen wurde, hatte er ihr ein Gefühl geschickt.
»Niemand hat unseren Weg im Schiff verfolgt und niemand wird je wissen, dass ich es war, der dich befreit hat, dafür habe ich gesorgt«, erklärte Alzey, als plötzlich ein Ruckeln durchs ganze Schiff ging und ganz in der Nähe funkensprühend eine Leitung platzte.
»Verschwinde jetzt, Jiddin!« Das sonst war alles umsonst hing zwischen ihnen in der Luft. Mittlerweile war sie wieder wach und ihr Überlebensinstinkt voll einsatzbereit, sodass sie schnellstmöglich die Startvorkehrungen für die Rettungskapsel traf. Kurz bevor Alzey die Luke ganz hinter ihr geschlossen hatte, hielt sie ihn auf. »Irgendwann danke ich dir vielleicht dafür. Ich weiß, dass du dein Leben für mich riskiert hast.«
Er nickte und lächelte ihr zu. Dann schloss er die Luke und Jiddin startete die Kapsel. Sie genoss das Gefühl der Beschleunigung als sie aus der Halterung schoss und lenkte die Kapsel in wirren Bahnen in Richtung des Sternenflottenschiffs. Das Schiff der Organisation war beschädigt und sie würde in den abgeplatzten Hüllenteilen nicht weiter auffallen, wenn sie sich wie ein Trümmerteil verhielt. Obwohl ihre Energiesignatur auffallen müsste, aber offensichtlich war die Organisation mit anderen Dingen beschäftigt. Das Sternenflottenschiff dagegen registrierte sehr schnell, dass sich jemand abgesetzte und rief die Kapsel.
»Mein Name ist Jiddin. Ich konnte vom Schiff der Organisation fliehen, können Sie mir helfen?«
»Jiddin Bernstein, schön, Ihre Stimme zu hören. Genau deswegen sind wir hier.«
Sie erkannte die Stimme nicht auf Anhieb wieder, aber als ihre Kapsel mit dem Traktorstrahl ins Hangardeck gezogen wurde und das Sternenflottenschiff so schnell es konnte auf Warp ging, stand sie dem Mann gegenüber, der im Flottenkommando ab und an ein gutes Wort für Sektion 31 einlegte.
»Admiral Casado, gut dass Sie hier sind.«
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