TrekNation

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Ex Libris

von Simone

Kapitel 1

The dark, the dark
Turn off the lights father
The storm, the storm
Just see the flame in my eyes
The dark, the dark
I see through all wisdom
The storm, the storm
Baneful skies
- Dark at Dawn, „Baneful Skies“



Prolog

Tarik ging mit wiegenden Schritten den von Blumenrabatten gesäumten Weg zu seinem Haus entlang und pfiff vergnügt eine kleine Melodie vor sich hin. Ein unabhängiger Beobachter hätte aus seinem Verhalten vielleicht geschlossen, er sei verliebt, und dies traf auch durchaus in gewisser Weise zu. Jedoch war es keine Frau, die ihn dazu veranlasste, übermütig die drei Treppenstufen zu seiner Haustür mit einem Satz hinaufzuspringen, sondern ein kleines, in graues Papier eingepacktes Paket, das er unter dem Arm trug.
Tarik war angehender Historiker und der Inhalt des Päckchens schien ihm genau das richtige Thema für seine Diplomarbeit zu liefern. Vorsichtig, um seinen Schatz ja nicht zu beschädigen, schälte er ihn auf dem Tisch in seinem Arbeitszimmer aus seiner Verpackung und hielt schließlich ein in dunkles Leder gebundenes Büchlein in der Hand. Es war im günstigsten Falle unscheinbar zu nennen, und als er es vorsichtig aufschlug knackte das dicke Papier und der Geruch von Alter schlug ihm entgegen.
Er war in einem Antiquariat darauf gestoßen und sofort hatte es ihn in seinen Bann gezogen, denn die Seiten waren eng mit einer ordentlichen und sauberen Handschrift gefüllt. Leider jedoch in einer Schrift und Sprache, die ihm völlig unbekannt waren. Der Händler hatte ihm auf seine Frage hin erklärt, er habe das Buch in den Ruinen eines Dorfes ganz in der Nähe gefunden. In einer eisernen Truhe hatte es Jahrhunderte nahezu unbeschadet überdauert. Für einen leicht überhöhten Preis hatte Tarik dann das Buch erstanden. Wenn er Pech hatte enthielt es Kochrezepte.
Aber wenn er Glück hatte...
Er ließ die erste Seite aufgeschlagen, legte es vorsichtig neben seinen Computer und scannte die ersten fünf Seiten. Dann ließ er den Computer die Schrift mit allen bekannten Schriften vergleichen. Während die Maschine rechnete, wärmte er sich das übriggebliebene Essen vom Vortag auf und kaute abwesend darauf herum, während er sich alle Mühe gab, die Statusanzeige auf seinem Bildschirm zu hypnotisieren. Fünfzig Prozent und noch immer keinerlei Übereinstimmung.
Er spülte die Reste seiner Mahlzeit mit einem Schluck Wasser hinunter und nahm dann das Buch zur Hand. "Die Schrift sollte relativ einfach zu entziffern sein", überlegte er, die Zeichen wiederholten sich oft. Aber was für eine Sprache war das?
Die Analyse war fast komplett und noch immer hatte der Computer keine Ähnlichkeit gefunden. "Bei allen Göttern!", dachte er. Im Laufe der Geschichte hatte sein Volk über 7 000 verschiedene Sprachen gesprochen und diese mit immerhin 5 000 verschiedenen Schriften niedergeschrieben. Irgendeine musste da doch zutreffen. Konnte eine einzelne Person eine vollkommen neue Schrift erfinden? Der- oder diejenige musste doch von der Schrift, die er kannte, beeinflusst sein. Es musste zumindest eine entfernte Ähnlichkeit zu entdecken sein!
Der Computer teilte ihm mit, dass die Analyse vollständig war. Keine Übereinstimmung feststellbar. Eine geschlagene halbe Stunde verbrachte er damit, den Bildschirm anzustarren und zu überlegen, was er nun tun sollte. Dann stand er auf und benachrichtigte einen Studienkollegen, der sich auf alte Sprachen spezialisiert hatte. Der war sofort Feuer und Flamme und eine weitere halbe Stunde später stand er vor der Tür.
Den ganzen Abend und fast die ganze Nacht verbrachten sie damit, einen Algorithmus nach dem anderen zu entwerfen, aber es war schwierig eine Schrift zu entschlüsseln, wenn man die Sprache ebenfalls nicht kannte, und umgekehrt genauso schwierig eine Sprache zu übersetzen, wenn man die Schrift nicht lesen konnte.
Aber ihre Hartnäckigkeit zahlte sich aus: Um 3.30 Uhr morgens hatten sie endlich den richtigen Code gefunden und die ersten Seiten standen in klarem, verständlichen Klinianisch vor ihnen auf dem Bildschirm.
„Ein Tagebuch!“, rief Tarik freudig aus. "Genau so etwas habe ich mir erhofft!“
„Und was willst du mit den verflossenen Liebschaften und Familiengeschichten eines vollkommen Fremden?“, entgegnete sein Freund, Galror, nicht gerade begeistert, „Ich hatte eher eine Chronik erwartet oder etwas in der Art wenigstens!“
„Warte es ab! Willst du gleich mitlesen oder soll ich dir nächste Woche einen Ausdruck mitbringen?“
Galror gähnte und streckte sich. „Danke, mir genügt der Ausdruck, glaube ich. Ich will nur noch mein Bett!“ Mit diesen Worten stand er auf und wandte sich zum Gehen.
„Danke für deine Hilfe!“, rief Tarik ihm noch nach.
„Keine Ursache!“ Aber der Historiker war bereits in seine Lektüre vertieft.


17. Januar 2375

Ich habe beschlossen, unseren Aufenthalt auf diesem Planeten, den seine Bewohner Klinia nennen, möglichst vollständig aufzuzeichnen, nachdem ein beunruhigendes Vorkommnis in dem Dorf, in dem wir nach dem Absturz unseres Shuttles Zuflucht gefunden haben, mich an unserer sicheren Rückkehr zur Voyager zweifeln lässt. Ich hoffe, dass diese Aufzeichnungen irgendwie in die Hände meiner Crew gelangen, für den Fall, dass Commander Chakotay und ich nicht auf das Schiff zurückkehren können.

Tarik pfiff leise durch die Zähne. Das war mehr als nur interessant! Das war eine Sensation! Der Beweis, dass jemand, der nicht von diesem Planeten stammte, Klinia schon vor Hunderten von Jahren besucht hatte! Das erklärte natürlich die völlig fremde Schrift und Sprache. Aber konnte es sein, dass er einem Schwindel aufgesessen war? Bisher hatte schließlich niemand den Beweis für die Existenz von intelligentem Leben außerhalb dieses Sonnensystems gefunden. Mit Spannung nahm er die Lektüre wieder auf:

Ein elektrischer Sturm zwang Chakotay und mich zu einer Notlandung auf der Oberfläche des Planeten. Leider verlief das Manöver alles andere als glatt. Der Warpkern des Shuttles war schwer beschädigt und ein Bruch stand unmittelbar bevor. Außer zwei Phasern und Tricordern und einem Notfallset mit Proviant und Wasser für drei Tage konnten wir nichts retten. Vor allem den Subraum-Transmitter hätten wir bitter nötig. Nur zwei oder drei Minuten nachdem wir das Schiff verlassen hatten, explodierte der Kern. Die Druckwelle erfasste uns und ich weiß nicht, welchen Göttern wir es zu verdanken haben, dass wir nur bewusstlos wurden und ansonsten keine größeren Verletzungen davontrugen.
Wir erwachten in einer Holzhütte, die dem Schmied eines Dorfes etwa fünfzehn Kilometer von unserer Absturzstelle entfernt, gehörte. Der Köhler hatte Chakotay und mich gefunden und hierher gebracht. Die Leute sind sehr freundlich, obwohl wir wie Aliens auf sie wirken müssen (was wir genaugenommen auch für sie sind). Sie sind etwa auf dem technischen Entwicklungsstand der dem irdischen, europäischen Mittelalter entspricht, zeichnen sich jedoch nicht durch dieses in der ebengenannten Gesellschaft fest verankerte Misstrauen gegenüber allem Fremden aus. Ich habe zumindest noch keine Anzeichen dafür feststellen können, dass man uns als Teufel verbrennen will, oder etwas Ähnliches.
Der Schmied, Gilmorel, und besonders seine Frau, Fiara, versorgen uns mit allem, was wir brauchen, Unterkunft, Essen und Trinken, ohne uns mit zu vielen Fragen zu behelligen. Ich kann nicht behaupten, dass ich böse darum wäre, ich wüsste nicht, wie ich ihm etwa unsere Herkunft erklären sollte.
Den ersten Tag verbrachten Chakotay und ich damit, lange, allerdings fruchtlose Gespräche über die Oberste Direktive zu führen und uns im Dorf und seiner Umgebung umzusehen.
Gilmorel schien sehr darauf bedacht, dass wir noch vor Einbruch der Dunkelheit auf jeden Fall zurück in sein Haus kommen sollten. Den Grund dafür erfuhren wir noch am selben Abend.
Die Hütte des Schmiedes ist in zwei Stockwerke unterteilt, das untere enthält Küche, Speisekammer und einen Raum für allerlei Gerätschaften, das obere ein Zimmer für die zwei Kinder und eines für Gilmorel und Fiara. Trotz unserer Proteste bestanden die beiden darauf, ihr Zimmer für uns zu räumen und während der Zeit unseres Aufenthaltes bei den Kindern zu schlafen. Chakotay und ich bewohnen jetzt also zusammen diesen Raum, der etwa vier Meter im Quadrat misst und dessen Fenster auf die Straße hinausgeht. Zunächst war es mir etwas unangenehm, mit Chakotay in einem Raum zu schlafen, nach den Ereignissen der vergangenen Nacht jedoch bin ich froh, nicht alleine zu sein.

Tarik sah auf die Uhr auf seinem Schreibtisch. Es war kurz nach 4 Uhr und seine Augen brannten von der Anstrengung. Er saß seit zwölf Stunden fast ununterbrochen am Computer. Er seufzte und legte die Stirn auf die auf der Tischplatte verschränkten Arme. Nur für einen Moment die Augen schließen und entspannen...

Als er wieder erwachte, schien die Sonne hell in das Zimmer. Es war neun Uhr morgens, sein Rücken schmerzte von der unbequemen Haltung und sein Magen machte ihn lautstark darauf aufmerksam, dass er seit dem gestrigen Nachmittag nichts mehr gegessen hatte. Rasch druckte er die bereits entschlüsselten Tagebuchseiten aus und machte sich auf den Weg in sein Stammcafé, um dort ein ordentliches Frühstück zu sich zu nehmen. Während er aß und trank, las er bereits weiter:

Aber das war es offensichtlich nicht, was die Bewohner des Dorfes so erpicht darauf werden ließ, bei Dunkelheit nicht mehr außerhalb ihrer Häuser zu sein. Etwa eine halbe Stunde lang wurde der Laut langsam immer lauter, dann begannen die Tiere in ihren Stallungen zu toben, die Kinder weinten, all diese Geräusche vereinten sich zu einer unglaublichen Kakophonie, als wären sämtliche Kreaturen der Hölle losgebrochen. Diese Worte mögen seltsam klingen aus meinem Mund, aber das war es, was ich in diesem Moment empfand.
Dann ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen, ein erstickter Schrei und die Tiere verstummten, während das seltsame Knirschen und Zischen sich langsam wieder entfernte. Die anschließend eintretende Stille war fast materiell.
Der Schmied und seine Frau sahen sich an. „Tallib“, sagte Gilmorel und Fiara ging rasch aus dem Raum, um die Kinder ins Bett zu bringen.
Chakotay und ich verspürten nach diesem Erlebnis kein Bedürfnis nach Schlaf, weshalb ich mich entschloss, dieses Tagebuch zu beginnen. Gilmorel überließ mir hierfür freundlicherweise eines der Bücher, die er normalerweise für seine Buchführung benutzt.
Ich meine, mich erinnern zu können, dass Tallib der Name des Gerbers ist, der seine Werkstatt am Ortseingang hat.

Dieser erste Eintrag war unterzeichnet mit „Cpt. K. Janeway“. Tarik lehnte sich zurück, schloss die Augen und versuchte, sich zu dem Namen ein Gesicht vorzustellen, aber es wollte ihm nicht einmal ansatzweise gelingen. Wie stellte er sich den Captain eines fremden Raumschiffes vor? Groß, natürlich, und muskulös, leicht ergraute Haare und einen Backenbart. "Lächerlich!", dachte er gleich darauf. Er wusste nicht einmal, ob seine Spezies Haare hatte oder Bartwuchs. Er beschloss, seine Lektüre fortzusetzen.


18. Januar 2375

(Früh am Morgen.)
Die Sonne ist gerade aufgegangen und hat die Schatten der Nacht endgültig vertrieben. Ich finde keinen Schlaf mehr und brenne darauf, mehr über die Ereignisse des gestrigen Abends herauszufinden. Meine Unruhe ist gewichen und durch Neugier ersetzt worden. Die Dorfbewohner glauben zweifelsohne an eine Art Geist, aber ich bin sicher, es muss eine natürliche Erklärung geben.
(Später Nachmittag.)
Meine Vermutung ist bestätigt worden. Chakotay und ich haben den Morgen und frühen Nachmittag damit verbracht, die Umgebung des Dorfes nach Spuren abzusuchen, unsere Tricorder waren dabei eine unschätzbare Hilfe. Wir fanden Reste von Silikon und organischen Verbindungen, die auf Motoröl oder Schmierfett schließen lassen, wir haben es also offensichtlich mit einer sehr materiellen Maschine zu tun; ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Geist Silikonspuren hinterlässt.
Tallib, der Gerber (meine Erinnerung hat mich nicht getrogen), ist der Maschine offenbar gestern zum Opfer gefallen. Er war kurz nach ihrer Ankunft im Dorf nach draußen gelaufen, um eines seiner Weidetiere, das in seiner Panik aus den Stallungen ausgebrochen war, zu retten. Seine Leiche wurde nicht gefunden.
Das Wetter war den ganzen Tag über drückend und schwül, ein Gewitter zieht auf. Ob die Maschine uns heute abend trotzdem heimsucht? Ich möchte in jedem Fall einen Blick darauf werfen. Den ganzen Tag schon frage ich mich, wer wohl dahinter stecken könnte.

(Gegen Mitternacht.)
Meine Hände zittern noch immer während ich diese Zeilen schreibe. Welches kranke Hirn sich dieses Gerät ausgedacht hat, und welchen Zweck es verfolgt, wage ich mir nicht einmal ansatzweise vorzustellen! Chakotay und ich blieben, während die Maschine das Dorf heimsuchte, in unserem Zimmer, um vom Fenster aus genau verfolgen zu können, was draußen vorging:
Ein massiger Leib aus dunklem Stahl, getragen von drei dürren Beinen, die dem ganzen ein wenig das Aussehen eines misshandelten Insekts verleihen; angetrieben von einem primitiven Kernreaktor, aber mit der Sturheit eines Steinblocks bahnte es sich seinen Weg durch das Dorf. „Osris“ nennen es die Dörfler: Todbringer. Die Elektronik, die die Beine bewegt, ist sehr grob, weshalb sein Gang schleppend wirkt. Die Geräusche werden allerdings künstlich erzeugt: Auf seinem Rücken habe ich einen Lautsprecher entdeckt.
Das Schrecklichste jedoch konnte ich mich bisher nicht überwinden, wiederzugeben. Ein Mann rannte plötzlich aus einer der Hütten, gerade als die Maschine den zentralen Dorfplatz überquerte und auf das Haus des Schmiedes zustapfte. Ich konnte sein Gesicht sehen und der pure Wahnsinn sprach daraus. Er begann, vor dem „Osris“ auf und ab zu springen und ging mit einer alten Heugabel darauf los.
Die Maschine verlangsamte noch nicht einmal; als sie über ihren Infrarotsensor den Mann entdeckte, fuhr sie zwei Greifarme aus und packte den Mann. Als sie die Greifer ruckartig auseinanderriss, wandte ich den Blick ab. Aber die Schreie des Mannes, den die Angst in den Wahnsinn getrieben hat, hallen noch jetzt in meinen Ohren nach.


19. Januar 2375

Wir nutzten den heutigen Tag, um Erkundungen über „Osris“ bei den Dorfbewohnern einzuholen, dabei machten wir einige unangenehme Entdeckungen:
Die Frage, die uns am dringendsten auf der Zunge brannte war die, wie lange das Dorf bereits heimgesucht wurde und vor allem, warum niemand floh. Wir erhielten als Antwort, dass der Schrecken vor etwa einer Mondphase (das entspricht hier ungefähr 45 Standardtagen) begonnen hat. Bisher starben fünfzehn Dorfbewohner, zehn davon allein in den letzten vierzehn Tagen, und vier dieser zehn starben, als sie versuchten, das Dorf zu verlassen. Die nächste Siedlung ist mehr als drei Tagesreisen von hier entfernt, keiner von den wenigen, die versucht haben, sie zu erreichen, ist durchgekommen. Ihre Überreste wurden von der Maschine auf den Dorfplatz geschleift und achtlos liegengelassen.
Auf unsere Frage, woher das Gerät gekommen ist, erhielten wir eine Antwort, die unsere eigenen Vermutungen bestätigte: Gilmorel zog mich zum Fenster und deutete auf den Himmel. „Ein heller Lichtblitz kam vom Himmel herunter, am Abend bevor Osris uns das erste Mal heimsuchte. Böse Himmelsdämonen haben ihn geschickt!“, erklärte er mit todernster Miene.
Ich wünschte, wir wüssten mehr über die Bewohner dieser Region des Alls, dann könnten wir vielleicht herausfinden, wer dahintersteckt. Ich wünschte außerdem, wir hätten die Unterstützung der Voyager, aber bisher blieben unsere Kommunikatoren stumm.

Tarik war froh, dass draußen vor dem Fenster die Sonne hell und freundlich auf die Welt herniederschien. Trotz der Wärme fröstelte er und er war froh, die Lektüre für einige Zeit unterbrechen zu müssen, während der Computer die nächsten Seiten entschlüsselte. Obwohl ihn die unheimliche Atmosphäre schaudern machte, brannte er doch darauf weiterzulesen und wartete ungeduldig bis der Computer die Analyse beendet hatte.


20. Januar 2375

Das Wetter hat sich über Nacht rapide verschlechtert. Ein elektromagnetischer Sturm ist losgebrochen und das Thermometer ist auf 5 Grad Celsius gefallen. Das Unwetter verhinderte, dass wir unsere Nachforschungen fortsetzen konnten. Es war uns noch nicht einmal möglich, das Haus zu verlassen. Die Dorfbewohner sehen das schlechte Wetter als Vorboten von Unheil und ich bezweifle, dass sich derjenige, der hinter den Angriffen auf das Dorf verbirgt, die Gelegenheit entgehen lassen wird, die unheimliche Atmosphäre für sich zu nutzen. Auch Chakotay und ich befürchten, dass die „Heimsuchung“ - ein besseres Wort fällt mir nicht ein - heute abend wahrscheinlich noch mehr Opfer fordern wird.
(Früher Abend.)
Unsere Befürchtungen sind noch übertroffen worden. Die Maschine ist in eines der Häuser eingedrungen; wir haben die Fensterläden in unserem Zimmer geschlossen, um nichts mehr hören zu müssen, aber dennoch... Nein, meine Hand weigert sich, diese Zeilen zu schreiben. Chakotay und ich flüchteten uns in das untere Stockwerk, wo die gesamte Familie versammelt war. Wir hielten es alleine in unserem Zimmer nicht mehr aus. Eines der Kinder sagte diesen Satz, den ich mein Lebtag nicht vergessen werde: „Ich kann morgen nicht mehr mit Larya spielen, nicht wahr?“ Nur ein Kind kann dem Tod mit solcher Einfachheit begegnen! „Nein“, antwortete seine Mutter nur und das kleine Mädchen fragte: „Geht es ihr jetzt gut? Sie wird mit anderen Kindern spielen, stimmt's?“ Und Fiara sagte „Ja.“ Aber sie sah ihrer Tochter dabei nicht in die Augen.

(Mitternacht.)
Wir sind wieder in unserem Zimmer, die Geräusche sind verstummt. Jedoch keiner von uns kann Ruhe finden. Wir suchen Trost und Stärke in der Anwesenheit des jeweils anderen, aber die Bedrohung liegt wie ein schwarzer, dunkler Schatten über uns. Nicht einmal in den Häusern ist man jetzt noch sicher. Ich frage mich beständig, was bezweckt der Erbauer dieser Maschine? Oder hat sie sich längst seiner Kontrolle entzogen? Ein Experiment, das fehlschlug? Wie angenehm diese Erklärung wäre! Und doch kann ich sie nicht glauben. Die Abgründe in der Seele einer „höheren Lebensform“ sind tiefer und dunkler als das Universum selbst. Oh, könnte ich doch die Augen schließen, damit mir der Schlaf nur für ein paar Stunden Erleichterung und Vergessen schenke! Doch mein Geist ist noch in Aufruhr und Hilflosigkeit schnürt mir die Kehle zu. Wo bleibt nur die Voyager?

„Puh!“, dachte Tarik, „Starker Tobak!“ Für einen Moment legte er die Ausdrucke beiseite und fuhr sich über die von der Anstrengung geröteten Augen. Das Schicksal dieser vor einigen hundert Sonnenläufen auf seinem Planeten gestrandeten Fremden, die offenbar zur falschen Zeit am falschen Ort gelandet waren, ging ihm durchaus nahe, und sein Interesse an dem Tagebuch war längst nicht mehr nur fachlicher Natur. Immer mehr beschäftigte ihn auch die Frage, wer diese Fremden gewesen waren. Wo kamen sie her? Wie lebten sie?
Als er das Original-Tagebuch wieder in die Hand nahm, um die nächsten Seiten übersetzen zu lassen (die Rechenzeiten waren mittlerweile um fast 200 Prozent gesunken) hätte er fast vor Enttäuschung aufgeschrien: Die nächsten drei Seiten waren herausgerissen worden! Zu seinem Erstaunen, aber auch zu seiner Erleichterung war das nächste Datum jedoch trotzdem der



21. Januar 2375

Die Sonne scheint wieder auf das Dorf, völlig unberührt offensichtlich von dem, was letzte Nacht geschehen ist. Die Felder dampfen, es riecht nach feuchtem Gras. Wie idyllisch könnte dieser Ort sein!
Ich habe meine Eintragungen vom Vortag noch einmal gelesen und jetzt, bei Licht betrachtet, fällt es mir schwer, zu glauben, dass ich diejenige war, die diese düsteren Zeilen geschrieben hat.

"Hoppla!", dachte Tarik, "Der Captain des fremden Schiffes war offensichtlich eine Frau!" Wie selbstverständlich war er immer von einem männlichen Captain ausgegangen. Eine sehr interessante Spezies, was gäbe er alles darum, ihnen in Natura begegnen zu können! Gespannt las er weiter.

Chakotay und ich haben beschlossen, etwas zu unternehmen. Warum ist uns dieser Gedanke noch nicht früher gekommen? Ich kann es mir nicht erklären. Wir haben unsere Scans, die der Tricorder aufgezeichnet hat, genauer untersucht. Die Maschine ist nicht sehr hoch entwickelt, einige Phaserschüsse auf ihre Servomotoren sollten genügen, um sie bewegungsunfähig zu machen. Nachdem wir auch die Sensoren zerstört haben, können wir gefahrlos den Reaktor bergen und das Dorf sollte zu seiner früheren Ruhe zurückkehren können. Vielleicht finden wir auch endlich ein paar Hinweise darauf, wer hinter der ganzen Sache steckt und was er bezweckt.

(spät am Abend.)
Sieg! Sieg auf ganzer Linie! Es ist uns gelungen, den „Osris“ zu bezwingen, er ist nur noch ein Haufen nutzloses Metall! Doch der Sieg schmeckt trotz allem bitter. Es war leicht, er hatte unseren Phasern nichts entgegenzusetzen. Wenn wir nicht wertvolle Tage damit verschwendet hätten furchtsam mit den Dorfbewohnern im Zimmer zu sitzen, sondern gleich gehandelt hätten, so hätte die Maschine einige Opfer weniger gefordert. Dennoch, die Erleichterung und Dankbarkeit der Dörfler ist deutlich zu spüren. Heute Nacht werden wir alle ruhiger schlafen.

Tarik lehnte sich zurück. Auch er spürte absurderweise Erleichterung, dass die Fremden es geschafft hatten, sich und das Dorf zu retten. Nun mussten sie nur noch auf ihr Schiff zurückkehren und alles würde gut ausgehen. In Gedanken arbeitete er bereits am Aufbau seiner Abhandlung. Zunächst würde er natürlich die Echtheit des Dokuments bestätigen müssen, aber das sollte kein Problem sein.
Rasch kehrten seine Gedanken jedoch wieder zu dem Tagebuch zurück. Es sollte jetzt nicht mehr lange dauern, bis die Autorin und ihr Begleiter auf ihr Sternenschiff zurückgehen konnten. Der nächste Eintrag war der letzte.



21. Januar 2375

Oh, verfluchter Hochmut! Wie großartig kamen wir uns vor, Chakotay und ich, dass wir den „Todesengel“ besiegt hatten! Und wie töricht erscheint es uns nun, zu glauben, dass der Drahtzieher so einfach zusehen würde, wie wir sein Spielzeug auseinandernehmen!
Doch ich will trotz allem der Reihe nach berichten:
Chakotay und ich genossen unsere neugewonnene Freiheit und sahen uns ein wenig in der Umgebung des Dorfes um. Vielleicht könnten wir noch etwas von dem abgestürzten Shuttle finden, das sich verwenden ließ. Doch was wir schließlich fanden, war etwas ganz anderes.
Wir liefen ihnen praktisch direkt in die Arme: Eine ganze Horde der Höllenmaschinen lag gut versteckt und inaktiv im Unterholz. Wir zählten fünfundzwanzig von ihnen. Natürlich dachten wir dieses Mal sofort daran, sie unschädlich zu machen, zumal sie offensichtlich nicht in Betrieb waren. Doch kaum hatten wir uns der ersten Maschine genähert, um den Reaktor zu entfernen, da lösten wir offenbar eine Art Alarmsystem aus: Mit einem Schlag erwachten die metallischen Riesen zum Leben und bewegten sich auf uns zu.
Wir mussten vor diesem ungeheuren Ansturm fliehen, denn obwohl wir im Laufen beständig feuerten, konnten wir nicht mehr als zwei von ihnen unschädlich machen. Sie hatten aus dem Fehler ihres „Kameraden“ gelernt und schützten ihre empfindlichen Systeme jetzt mit verstärkten Metallplatten, die unsere Handphaser nicht so einfach durchdringen konnten.
Zu unserer Überraschung folgte die Horde uns nicht bis ins Dorf. Mittlerweile wissen wir jedoch warum: Sie haben einen Ring um das Dorf gezogen; der „Todbringer“ greift immer in der Dämmerung an, so würde es auch weiterhin sein, wenn er, mit nunmehr zweiundzwanzig weiteren „Osris“ als Begleitung, zu seinem letzten, vernichtenden Schlag gegen das wehrlose Dorf ausholt. Ich kann nicht umhin, mich zu fragen, ob die Hintermänner mich und Chakotay als Bedrohung für ihre Pläne ansehen und wir es waren, die durch unsere Rettungsaktion vom gestrigen Abend die Apokalypse über das Dorf gebracht haben.

Tarik starrte fassungslos auf das Papier in seiner Hand. Er hatte so auf ein Happy-End gehofft und war nach dem letzten Eintrag auch überzeugt gewesen, ein solches lesen zu dürfen. Doch nun kam ihm ein furchtbarer Verdacht, warum dieser Eintrag der letzte war.

(später Nachmittag.)
Chakotay und ich bereiten uns auf die finale Schlacht vor. Es mutet fast lächerlich an, dass wir uns zu zweit, nur mit Handphasern bewaffnet einer zehnfachen Übermacht entgegenstellen werden, aber ich werde auf keinen Fall tatenlos mitansehen, wie die Maschinen alle Bewohner des Dorfes niedermetzeln. Wir werden vorher noch einige von ihnen mitnehmen.
Wenn irgendjemand von meiner Crew diese Aufzeichnungen findet, dann möchte ich, dass Sie folgendes tun: Setzen Sie Ihren Weg in den Alpha-Quadranten in jedem Fall fort, es wird sinnlos sein, nach mir und Chakotay zu suchen. Aber bevor Sie dieses System verlassen, versuchen Sie herauszufinden, wer hinter alldem steckte und führen Sie ihn seiner gerechten Strafe für die Auslöschung wehrloser und friedlicher Dorfbewohner zu. Dies sind Sie Ihrem Captain Ihrem Ersten Offizier schuldig.
Wenn Sie es bis zur Erde schaffen, und daran zweifle ich nicht, dann sagen Sie meiner Familie, dass ich sie liebe und an sie denke. Sagen Sie auch Mark, dass ich seine Gesellschaft in den letzten Jahren vermisst habe, und dass es mir leid tut, ihm dies nicht mehr persönlich sagen zu können.
An meine Crew: Ich bin stolz, in den vergangenen Jahren Ihr Captain gewesen zu sein. Auch Commander Chakotay wünscht Ihnen viel Glück auf Ihrer Reise in den Alpha-Quadranten.

(früher Abend.)
Dies wird mein letzter Eintrag sein. Wir sitzen zusammen am Fenster unseres Zimmers, von wo aus wir den Waldrand sehen können. Dunkle Schemen bewegen sich dort, doch noch greifen sie nicht an.
Ich hätte gerne noch einmal die Sonne am San Francisco Bay aufgehen sehen. Oder den Mond und die vertrauten Sternbilder über Indiana.
Der kühle Abendwind bringt den Geruch des Waldes mit sich. Es wird dunkel.


Epilog

Tarik stand auf einer Waldlichtung. Hie und da ragten verwitterte Häuserruinen aus der Wiese empor. Wie anklagende Finger wiesen ihre Kamine in den Himmel. Dies war das Dorf gewesen, das vor vielen hundert Jahren von Unbekannten aus dem All besucht und das von anderen Unbekannten aus dem All zerstört worden war. Was hatten sie bezweckt? Woher waren sie gekommen? Wohin gegangen?
Niemand konnte ihm diese brennenden Fragen beantworten. Der Antiquariatshändler hatte ihm beschrieben, in welchem Haus er die Kiste gefunden hatte und Tarik betrat dieses nun durch die Überreste der Tür. In einer Tasche hatte er eine Kopie seiner Diplomarbeit über dieses namenlose Dorf und seines Diploms, das er dafür erhalten hatte. Seine Arbeit hatte erwartungsgemäß großes Aufsehen erregt und einen Forschungsschub auf seiner Welt ausgelöst. Man war jetzt fest entschlossen, mit mehr Elan nach außerirdischem Leben zu suchen. Auch, um zu verhindern, dass man wieder einmal angegriffen wurde. Auch wenn außer dem Dorf und seiner direkten Umgebung damals offenbar niemand zu Schaden gekommen war. Was wiederum ein neues Rätsel war.
Doch Tarik war heute nicht gekommen, um Rätsel zu lösen, nein, er war gekommen, um dem fremden Captain und ihrem Begleiter zu danken und vielleicht auch um ihnen eine letzte Ehre zu erweisen. Immerhin hatten sie ihm den beruflichen Aufstieg geebnet, wenn auch nicht bewusst.
Er legte die Tasche mit den Dokumenten in die Ecke des Hauses, in der er den Kamin vermutete und beschwerte sie mit einem Stein. Dann überlegte er es sich anders und nahm die Dokumente heraus. Er stand noch eine Weile da und dachte an diese Fremden, an deren Schicksal er Anteil genommen hatte, und die er niemals wirklich kennenlernen würde. Dann kehrte er der Ruine den Rücken und mit ihnen einem Stapel geheftetem Papier, auf dessen erster Seite zu lesen stand:

Wir sind nicht allein
Leben im All - Gefahr oder Chance für die Zukunft?

von Tarik Golray
gewidmet: Captain K. Janeway und Commander Chakotay

Author's Coda:
Das Leben ist erloschen,
das Land versank im Meer,
vom Himmel stürzten Flammen,
ein toter, kalter Stern.
Schwarz wurde die Sonne,
dunkel der Tag.
Ein Schrei ging durch den Wald,
bis der Baum am Boden lag.
- Eisheilig, „Wolfzeit“

Author's note II:
So, herzlichen Glückwunsch, wenn Ihr bis hierher gekommen seid *g*! Frustrierend, so eine Story, die mehr Fragen aufwirft als sie beantwortet, gell? Deshalb würde mich folgendes interessieren: Welche Fragen kommen Euch so in den Sinn und noch viel wichtiger: Wie sieht Eure Antwort aus? Vor allem Eure Vorstellungen darüber, wie die Geschichte ausgeht, würden mich interessieren. Schreibt mir Eure Ideen, und wenn es nur drei kurze Zeilen sind.

Author's note III:
Der eine oder andere wird sich vielleicht auch fragen „Warum ist das eine J/C-Story?“ Zugegeben, es kommt noch nicht einmal eine Kussszene (furchtbares Wort in der neuen Rechtschreibung!) drin vor, aber die Hauptpersonen sind eindeutig Janeway und Chakotay *g*. Und, mal ehrlich, würde Janeway in ein Tagebuch, von dem sie ausgeht, dass ihre Crew es findet, irgend etwas von einer Liebesaffäre mit ihrem Ersten Offizier schreiben? Sicher nicht. Aber Ihr erinnert Euch doch, dass einige Seiten herausgerissen wurden; vielleicht findet Ihr diese ja. Wenn das der Fall sein sollte, erzählt mir doch etwas über den Inhalt. Bin gespannt auf Eure Vorschläge!
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