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Punctus contra Punctus

von Syrinx

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»Hast du vergessen, dass ich die Schwelle bin, worüber du springen oder den Hals brechen musst? [...]
Versuch es, wenn du, lebendig tot, eine Turmhöhe tief unter dem Boden im Kerker liegst, wo die Nacht mit der Hölle liebäugelt und Schall und Licht wieder umkehren - rassle dann mit deinen Ketten und wimmre: Mir ist zuviel geschehen!«

(Friedrich Schiller, "Kabale und Liebe")


Der Orgasmus schlug wie eine riesige Welle über ihr zusammen, doch Kathryn gab keinen Laut von sich. Kein lustvolles Stöhnen, kein zufriedenes Seufzen kam über ihre Lippen. Allein ihre kurzen, heftigen Atemzüge waren Zeugnis ihrer Erleichterung. Denn das war es, Erleichterung, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Kashyk beugte sich wieder zu ihr hinunter und küsste sie, rauh und voller Verlangen. Kathryn ließ es gleichgültig mit sich geschehen. Als sich seine Zunge in ihren Mund zu bohren begann, brach sie den Kuss ab und drehte ihren Kopf zur Seite. Kashyk sah die Ablehnung nicht, die in dieser Geste steckte, sondern nahm die Einladung von Kathryns entblößter Kehle dankend an.

Während er mit seinem Mund eine feuchte Spur über ihr Schlüsselbein hinunter zu ihren Brüsten zog, richtete Kathryn ihren Blick auf die Sterne über ihr. Sie funkelten und strahlten in ihrem ewigen Licht, wie sie es seit Jahrtausenden getan hatten. Kathryn starrte sie an, während ein Gefühl der Einsamkeit über sie kam. Sie war allein.
Denn sie teilte zwar das Bett mit einem Mann. Doch dieser Mann würde, dessen war sie sich völlig sicher, nicht zögern, sie und die gesamte Crew der Voyager verraten. Vor allem sie.

Warum sie heute Nacht überhaupt hierher gekommen war, wusste sie selbst nicht so genau. Natürlich gab es genug rationale Gründe, nachts in Kashyks Quartier zu schleichen, so dass sie kein schlechtes Gewissen haben musste. Sie war der Captain dieses Schiffes und konnte sich keine Affäre mit einem ihrer Crewmitglieder leisten. Kashyk hingegen würde die Voyager morgen wieder verlassen, eine folgen- und risikolose Sache also. Außerdem war sie schließlich auch nur ein Mensch, mit Bedürfnissen, die befriedigt werden wollten. Was lag nun näher, als diesen Bedürfnissen nachzukommen, wenn sich die wahrscheinlich einmalige Chance dazu bot?
Doch die von Kathryn so sehnlichst erwartete Befriedigung blieb aus. Kathryn glaubte, dass Kashyk sie endlich wieder spüren lassen würde, wie sich eine richtige Frau fühlte, weiblich, begehrt, geheimnisvoll, ein bisschen verrucht vielleicht. Und vor allem, lebendig.
Während des Aktes hatte ihr Körper, ausgehungert nach Liebe und Zuwendung, die richtigen Berührungen an den richtigen Stellen und zur richtigen Zeit vorgenommen. Doch Kathryn selbst hatte das Gefühl, gar nicht anwesend zu sein. Ihr Körper tat, was getan werden musste, und sie kam sich wie ein Zuschauer vor, der passiv einen halben Meter über ihren beiden Leibern schwebte. Sie konnte sich selbst sehen, wie sie sich unter Kashyks Liebkosungen wand. Sie empfand nichts dabei. Es war, als stünde eine unüberwindbare Mauer zwischen Kashyk und ihr, zwischen dem Rest der Welt und ihr. Sie konnte schreien, weinen, lachen - es durchdrang die Mauer nicht, niemand hörte sie. Es würde auch niemand zu ihr gelangen. Chakotay hatte es versucht und war gescheitert, bei Kashyk würde es nicht anders verlaufen. Sie war mutterseelenallein und verlassen, und niemand konnte sie retten.
Die Schwärze, von der sie geglaubt hatte, dass sie ihr entkommen war, breitete sich wieder in ihr aus, bedeckte sie, verschluckte sie. Sie glaubte, den Boden unter den Füßen zu verlieren, sie fiel, in einem ewigen Fall, durch dunkle Strudel der Einsamkeit und beißende Wellen der Angst. Sie war verzweifelt. Sie hatte geglaubt, ihren nächtlichen Dämonen entkommen zu sein, sie wenigsten mit Hilfe von Kashyk endlich wieder ins Nichts verbannen zu können, wo sie hergekommen waren. Doch sie waren noch da, sogar stärker als zuvor.

"Halt mich! Ich falle..." Sie merkte gar nicht, dass die letzten Worte wie ein Hauch über ihre Lippen gekommen waren.
Kashyk zog sie in eine feste Umarmung.
"Ich bin da."
Kathryn spürte, wie sich seine starken Arme um sie schlossen, und glaubte plötzlich, keine Luft mehr zu bekommen. Es war unerträglich, seine körperliche Nähe zu spüren, und gleichzeitig zu wissen, wie unendlich weit entfernt sie beide voneinander waren.
Kashyk schien ihren Unwillen zu spüren.
"Was ist los?"
Kathryn antwortete nicht. Sie versuchte, sich aus der Umarmung zu lösen.
Kashyk sah sie verwirrt an.
"Was ist denn los?"
Oh Gott, sie konnte ihn nicht ertragen! Seine Fragen, seine Arme um ihren Körper, sein Atem auf ihrem Gesicht, den hungrigen, animalischen Ausdruck in seinen Augen, wenn er sie betrachtete...
Kathryn wollte ihn wegstoßen, doch er hielt sie fest.
"Habe ich etwas falsch gemacht? Kathryn, bitte sag etwas!"
Sie hatte das Gefühl, seine Hände wären überall auf ihrem Körper, bedeckten jeden Zentimeter ihrer nackten Haut, beschmutzten sie. Was tat sie hier eigentlich? Was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Sie war nicht besser als eine billige Hure, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Beine breit machte.
Kathryn raffte all ihre Kräfte zusammen, um Kashyks Umarmung zu entkommen. Sie verließ das Bett und begann, ihre Unterwäsche zu suchen und sich anzuziehen.
Kashyk betrachtete sie vom Bett aus.
"Es ist wegen Chakotay."
Kathryn wusste nicht, ob dies nun eine Frage oder nur eine Feststellung war. Zugegeben, seine Beobachtungsgabe war gut, aber noch lange nicht perfekt. Sonst hätte er gemerkt, dass Chakotay es längst aufgeben hatte, sich ernsthaft um sie zu bemühen, sondern nur noch aus alter Gewohnheit hin und wieder mit ihr flirtete. Inzwischen hatte sie ihre Uniformhose wieder angezogen und war nun auf der Suche nach ihrer zweiten Socke. Wo war die nur?
Kashyk hatte sie nicht aus den Augen gelassen, er verfolgte jede ihrer Bewegungen.
"Du hattest nie Sex mit ihm."
Wieder konnte Kathryn seiner Stimme nicht entnehmen, ob es nur eine Ahnung seinerseits war. Doch seine Beobachtungsgabe hatte sie wohl unterschätzt. Er hatte erkannt, wie es wirklich zwischen ihr und ihrem ersten Offizier stand. Nicht wie ein Großteil der Besatzungsmitglieder der Voyager, die sich die wildesten und romantischsten Szenen ausmalten, welche hinter den geschlossenen Türen des Quartiers des Captains schon stattgefunden haben sollten. Sie hatte die Socke unter dem Bett gefunden, ihre Stiefel angezogen und ging in den Wohnbereich hinüber, um ihr Turtleneck zu holen.
"Tut mir leid für dich."
Kathryn erstarrte inmitten ihrer Bewegung. War er verrückt geworden? Sie konnte sehr wohl selbst entscheiden, was ihr leid tat und was nicht. Es war ihre Entscheidung gewesen, dass nichts aus ihr und Chakotay werden würde, und zu dieser Entscheidung würde sie bis an ihr Lebensende stehen. Und Mitleid wollte und brauchte sie gleich zweimal nicht. Sie presste die Lippen zusammen, bückte sich, hob das Turtleneck vom Boden auf und zog es sich über den Kopf.
"Es muss hart sein."
Kathryn wandte ihm abrupt den Kopf zu. Was sollte das nun wieder bedeuten? Doch Kashyk machte keine Anstalten, ihr seine letzten Worte zu erklären. Kathryn schlüpfte in das Uniformjacket, zog den Reissverschluss zu und sah ihm noch einmal prüfend in die Augen.
Dann verließ sie sein Quartier.


Am nächsten Tag

Kathryn sah Kashyk fassungslos an. Sie standen in ihrem Bereitschaftsraum, Kashyk hatte seinen Betrug offen gelegt und die Devore-Inspektoren durchsuchten die Voyager nach illegal transportierten Telepathen. Innerlich hatte Kathryn gespürt, dass sie Kashyk nicht trauen konnte, doch die Bestätigung ihrer Ahnung traf sie trotz allem hart.
Kashyk bedeutete Prax, Kathryn und ihm einen Kaffee aus dem Replikator zu holen. Er nahm eine der Tassen, trank und beobachtete Kathryn über den Rand seines Bechers.
Kathryn drehte die Tasse unruhig zwischen ihren Handflächen. Ihr gefiel der Blick Kashyks nicht, mit dem er sie betrachtete. Außerdem wusste sie nicht, was genau er geplant hatte.
Kashyk nahm noch einen tiefen Schluck, bevor er sprach.
"Es muss hart sein."
Kathryn runzelte die Stirn. Das hatte er gestern auch schon gesagt, als er ihr beim Anziehen zugeschaut hatte. Sie blickte ihn auffordernd und ungeduldig an.
"Es ist einsam an der Spitze, nicht wahr, Kathryn? Man ist allein mit sich und seinen Entscheidungen. Ganz allein. Es muss hart sein."

Kathryn drehte sich weg von ihm und starrte durch den Viewport in die endlosen Tiefen des Weltraumes. Ihre Gedanken fuhren Achterbahn. Woher kannte er ihre Gefühle, woher wusste er, wie es in ihr aussah? Niemand wusste das, und das hatte verdammt noch mal auch so zu bleiben! In Kathryn brodelte es. Wie hatte er zu ihr durchdringen können? Wie hatte er es schaffen können, ihre Verteidigung zu umgehen und in ihr Innerstes zu blicken? Was Chakotay jahrelang nicht geschafft hatte, sollte ihm in wenigen Tagen gelungen sein? Und warum ausgerechnet Kashyk? Warum ausgerechnet Kashyk?

Ohne dass sie es merkte, war er hinter sie getreten.
"Niemand kann das besser verstehen als ich, Kathryn. Niemand kann dich besser verstehen als ich."
Sie sah den Triumph in seinem Gesicht in der Reflexion auf dem Glas. Sie verabscheute ihn dafür. Dafür, und dafür, dass er sie durchschaut hatte. Sie fühlte sich nackt, entblößt, wie ein Frierender, dem man das letzte Hemd geraubt hatte. Sie verdammte sich selbst, dass sie so dumm und leichtsinnig gewesen war, in der letzten Nacht zu ihm zu gehen.
Kashyk hob beide Hände und legte sie auf Kathryns Schultern. Dann senkte er sein Gesicht und küsste ihren Nacken. Sie spürte, wie ein Zittern durch ihren Körper lief. Keine Lust, das war es nicht, sondern pure Abscheu.
"Begleite mich auf die Brücke."
Die letzten Worte hatte Kashyk ihr ins Ohr geflüstert. Kathryn war sich Prax und der Devore-Soldaten bewusst, welche die Szene mit Gleichgültigkeit verfolgt hatten, und sie hielt es für klüger, nichts zu tun, was Kashyks Unwillen erregen könnte.
Sie stellte ihre Tasse auf den Couchtisch und folgte dem einzigen Mann, der sie wirklich verstand, den sie nie lieben konnte und der dies genau wusste. Und dafür hasste sie ihn.



ENDE
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