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Die Nebel von Ashan

von Martina Strobelt

Kapitel 2

Sonnenlicht stach schmerzhaft durch Bashirs geschlossene Lider. Blinzelnd öffnete der Mediziner seine Augen und setzte sich auf, wobei er sich an einem Stein abstützte. Julian ignorierte den stechenden Kopfschmerz, der diese Aktion begleitete, und sah sich vorsichtig um.
Die Nebel waren verschwunden und der Himmel wieder so blau und wolkenlos, wie er bei ihrer Ankunft gewesen war. Anscheinend befand er sich immer noch an demselben Ort zwischen den Felsen, an dem er das Bewusstsein verloren hatte. Auch Kira und Dax waren noch da, wie er erleichtert feststellte. Beide lagen in unmittelbarer Nähe am Boden. Offenbar waren auch sie ohnmächtig geworden.
Bashir zog den medizinischen Trikorder aus seiner Tasche. Doch was auch immer in diesem Nebel gewesen war, es hatte anscheinend nicht nur sie drei so gründlich außer Gefecht gesetzt. Es hatte auch die Funktionsfähigkeit des Gerätes beeinträchtigt. Außer einigen wirren Anzeigen erschien nichts im Display. Stöhnend robbte der Arzt auf Händen und Knien erst zu Kira, dann zu Dax. Beide waren bewusstlos, so wie er es vermutet hatte. Puls und Atmung waren gleichmäßig. Nichts deutete auf Verletzungen hin. Sie müssten ihr Bewusstsein längst wieder erlangt haben.“
„Jadzia!“ Bashir schüttelte die Trill. „Wachen Sie auf, Jadzia!“ Nach einem kurzen Zögern holte er aus und schlug Dax mehrmals leicht ins Gesicht. „Jadzia, Sie müssen wach werden!“
„Wer sind Sie?“
Julian fuhr herum ...
... und sah mitten in zwei tiefblaue Augen, die ihn so intensiv musterten, als wollten sie bis auf den Grund seiner Seele blicken.
Die Augen gehörten einer jungen Bajoranerin, die an einem der Felsen lehnte. Ihr Körper schien mit dem grauen Stein in ihrem Rücken zu verschmelzen. Ein Eindruck, den Bashir nach einer Schrecksekunde jedoch als reine Sinnestäuschung einstufte. Hervorgerufen durch ihr knöchellanges, ärmelloses Gewand, dessen Farbe derjenigen der Felsen glich. Im Gegensatz dazu hoben ihre blasse Haut und die langen blonden Locken sich stark von der steinigen Umgebung ab. Noch niemals zuvor hatte der Arzt eine Frau, und schon gar keine Bajoranerin gesehen, die ihr Haar so lang trug. Es wurde in der Mitte ihres Kopfes durch eine Spange zusammengehalten. Im gelösten Zustand würde es wahrscheinlich nicht wie jetzt nur bis zu den Knien, sondern bis zu den Fesseln der Frau reichen.
„Wer sind Sie?“, wiederholte die Unbekannte. Ihre Stimme klang voll und melodisch, mit einem singenden Unterton.
„Mein Name ist Bashir, Julian Bashir. Ich bin Arzt und ...“
„Sie sind kein Bajoraner“, unterbrach sie ihn. „Und diese Frau“, sie deutete auf Dax, die sich immer noch nicht rührte, „ebenfalls nicht!“
„Nein, ich bin kein Bajoraner. Ich komme von der Erde, und Jadzia Dax ist eine Trill. Wir sind Angehörige der Sternenflotte. Aber das ist unwichtig. Bitte verlassen Sie diesen Ort so schnell wie möglich. In Ihrem eigenen Interesse!“
Die Unbekannte rührte sich nicht. Ihre blauen Augen fixierten Dax. „Diese Frau ist krank, ein Parasit hat sie befallen.“
„Ein Parasit?“, echote Bashir verständnislos. Dann begriff er, was sie meinte. „Aber nein, Jadzia ist eine Trill. Verstehen Sie, sie lebt freiwillig mit einem Symbionten in ihrem Körper. In einer von beiden Seiten gewünschten und gewinnbringenden Verbindung.“ Wie war es nur möglich, dass diese Bajoranerin Jadzias Symbionten durch einen bloßen Blick bemerkt hatte?
„Dann ist sie gesund?“
Irrte er sich, oder schwang in der Stimme der Unbekannten ein leiser Hauch Enttäuschung mit. Das konnte doch nicht sein ... Er musste sich irren.
„Vollkommen“, bestätigte Bashir und unterdrückte sein aufsteigendes Unbehagen. „Genau wie ich auch. Allerdings haben wir eine Bajoranerin bei uns, die an einer äußerst ansteckenden Krankheit leidet. Einer tödlichen Krankheit. Daher bitte ich Sie noch einmal inständig, diesen Ort zu verlassen!“
„Sie und die andere Frau sind nicht infiziert?“
„Nein, die Erreger befallen nur bajoranische DNA, deshalb ...“
„Machen Sie sich keine Sorgen.“ Die Unbekannte lächelte leicht. „Wir sind nicht in Gefahr.“
„Doch, das sind Sie, wenn ...“ Bashir brach ab, als ihm aufging, dass sie wir gesagt hatte. Waren hier etwa noch mehr Bajoraner? Aber Ashan war doch Sperrgebiet. Verdammt, er hätte Kira und Dax nicht nachgeben dürfen. Übelkeit kroch in ihm hoch bei dem Gedanken, dadurch, dass er Jadzia dabei geholfen hatte, Kira hierher zu bringen, vielleicht ungewollt zum Mitauslöser einer Epidemie zu werden. Wie sollte, wie könnte er das jemals vor seinem Gewissen verantworten?
„Wen bitte, meinen Sie mit wir?“, fragte er tonlos.
Das Lächeln der blonden Bajoranerin vertiefte sich, gewann an Wärme. „Nun, mich und ...“, sie hob ihre Arme in einer umfassenden Geste, „... meine Schwestern.“
Als hätten sie auf dieses Zeichen gewartet, traten mehrere junge Bajoranerin aus den Schatten der Felsen. Sie mussten schon die ganze Zeit dort gestanden haben, ohne dass er sie bemerkt hatte. Bashir zählte zwölf Bajoranerinnen. Sie alle trugen dunkle Gewänder, die dem der blonden Bajoranerin glichen. Sie alle hatten zarte blasse Haut und sehr langes Haar unterschiedlicher Farben und Schattierungen, das ebenfalls mit Spangen zusammengehalten wurde. Und sie alle waren jung. Sehr jung sogar. Der Arzt fühlte, wie sich Panik ihn ihm breitmachte.
„Bitte, Sie können, Sie dürfen nicht hierbleiben! - Diese Frau hat eine ansteckende Krankheit, begreifen Sie das denn nicht? - Und außerdem ist dieses Gebiet hier vermint! Ein Sperrgebiet! Sie dürften sich hier überhaupt nicht aufhalten. Jeden Moment könnten Sie oder eine der anderen auf eine Mine treten und mit ihr in die Luft fliegen!“
Die erste Bajoranerin, die offenbar die Führerin dieser seltsamen Gruppe war, machte eine beschwichtigende Handbewegung. „Fürchten Sie sich nicht, Julian. Das war doch Ihr Name?“
Bashir nickte mechanisch. „Und wer sind Sie?“
„Rhowen“, erwiderte sie zögernd. „Taras Rhowen.“ Sie ließ ihn nicht aus den Augen, schien auf irgendeine Reaktion zu warten und wirkte sichtlich erleichtert, als ausblieb, womit auch immer sie bei der Nennung ihres Namens gerechnet hatte.
„Miss Taras ... Rhowen, bitte, Sie und Ihre ... Schwestern sind hier in großer Gefahr! - Bitte, verlassen Sie Ashan auf dem schnellsten Weg und ... nein, bleiben Sie stehen, tun Sie das nicht!“, rief Bashir erschrocken, als Rhowen ungeachtet seiner Worte zu Kiras regloser Gestalt ging.
Ehe der Arzt es verhindern konnte, war die Bajoranerin neben der ohnmächtigen Major niedergekniet und strich ihr sanft über das von Schwielen entstellte Gesicht.
„Machen Sie sich keine Sorgen, Julian“, sagte Rhowen, ohne den vor Entsetzen erstarrten Arzt anzusehen. „Wir kennen diese Krankheit. Wir haben sie schon früher mit Erfolg bekämpft. Mit der Hilfe der Propheten wird es uns wieder gelingen. Glauben Sie mir, Kira Nerys ist bei uns in guten Händen.“
Bashir schluckte. Woher wusste diese Frau, wie Kira hieß? All das ergab keinen Sinn. Es sei denn, dass ... „Sie waren es! - Sie haben die Nebel geschickt!“, entfuhr es ihm spontan, ohne darüber nachzudenken, dass ein Naturphänomen nicht beherrschbar war. Natürlich, auf den meisten Planeten der Föderation gab es Klimakontrollen, mit denen man jedes Wetter künstlich erzeugen konnte. Aber hier auf Bajor gab es so etwas nicht. Trotzdem war er sich seiner Sache sicher.
„Zu dieser Jahreszeit gibt es auf Bajor keinen Nebel“, erwiderte Rhowen so gelassen, dass Bashir sich plötzlich wie ein kindischer Idiot vorkam. Auf einen Wink von ihr traten vier der übrigen Bajoranerinnen, die sie schweigend umringten, zu Kira. Rhowen stand auf und die vier jungen Frauen hoben die bewusstlose Major auf.
Sie verhielten sich dabei so ruhig, so sicher, dass das „Nein!“ in Bashirs Kehle erstarb. Weder Rhowen, noch diese vier Mädchen oder eine der anderen Bajoranerinnen hier schien sich zu fürchten Rhowen hatte gesagt, dass sie und ihre Gefährtinnen diese Krankheit kannten. Mehr noch, dass sie sie bereits mit Erfolg behandelt hatten. Konnte es vielleicht sein, dass diese Frauen durch eine Gnade der Natur immun gegen den Erreger waren? Sobald das hier vorbei war, würde er sie bitten, nach DS9 zu kommen, damit er sie dort untersuchen konnte. Vielleicht würde es ihm gelingen, mit ihrer Hilfe einen Impfstoff zu entwickeln. Aber das musste bis nach Kiras Genesung warten. Die Bajoranerinnen bewegten sich so ungezwungen, als wäre dieses Gebiet hier nicht vermint. War es möglich, dass Rhowen und ihre Schwestern wussten wo die Minen lagen? aber wie konnte das sein? So viele offene Fragen, deren Antworten er nicht kannte ...
Plötzlich wurde dem Arzt bewusst, dass die Bajoranerinnen keine Anstalten machten, sich um Dax zu kümmern - und ihn auch nicht aufgefordert hatten, sie zu begleiten. Die vier Mädchen waren wortlos mit ihrer Last losgegangen, und Rhowen und die anderen waren ihnen gefolgt. Während seine Gedanken sich um die Möglichkeit der Entwicklung eines Impfstoffes gedreht hatten, waren diese seltsamen Frauen drauf und dran, einfach mit Kira zu verschwinden und ihn und Jadzia hier zurückzulassen.
Bashir kniff die Augen zusammen. Diese Bajoranerinnen mussten sich mit einer ungeheuren Geschwindigkeit bewegen. Mit Ausnahme von Rhowen, die am Ende der Gruppe ging, waren sie bereits so weit entfernt, dass sie für seinen Blick eins zu werden schienen mit der Erde und den grauen Felsen. Entschlossen rannte der Arzt ihnen nach. Offenbar waren sie doch nicht so schnell gewesen, wie er gedacht hatte. Bereits nach wenigen Schritten hatte er Rhowen erreicht und packte ihren Arm.
„Einen Moment! Ich will wissen, wo Sie Major Kira hinbringen!“
Für den Bruchteil einer Sekunde hatte es den Anschein, als wolle Rhowen sich losreißen.
Bashir schrak vor der unerwarteten Wildheit in ihrem Blick zurück. Plötzlich hatte er das Gefühl, keine junge Frau, sondern ein reißendes Tier festzuhalten.
Die anderen Bajoranerinnen waren stehengeblieben und musterten ihn. Obwohl ihre Mienen ausdruckslos waren, spürte Bashir die Spannung, die Gefahr, die von einem Moment auf den anderen fast greifbar in der Luft lag. Der Arzt unterdrückte den Impuls, Rhowen sofort loszulassen. Was immer hier auch passierte, er würde nicht zulassen, dass diese Frauen Kira einfach mit sich nahmen. Rhowens rechte Hand zuckte zum Gürtel, machte jedoch auf halbem Weg halt. Unter seinen Fingern fühlte Bashir, wie sie sich entspannte. Langsam senkte sie ihre Lider, und als sie sich wieder hoben, war ihr Blick wieder sanft und beherrscht.
„Wir bringen Nerys an einen geheiligten Ort. Sie können uns nicht begleiten!“
„Und was ist mit Jadzia? Wollen Sie sie einfach so liegen lassen? Sie müssen ihr helfen!“
„Sie ist nicht krank!“
„Aber bewusstlos, ohne dass es dafür einen Grund gibt. Und was Major Kira betrifft ... Ich bin ihr behandelnder Arzt und damit für ihr Leben verantwortlich. Ganz gleich, wohin Sie sie bringen, ich werde mich nicht von ihr trennen. - Und von Dax ebenfalls nicht!“
Bashirs Blick hielt Rhowens stand. Am liebsten hätte er Jadzia und Kira genommen und sie beide auf dem schnellsten Weg zurück nach DS9 gebracht. Diese Rhowen und ihre Schwestern waren ihm unheimlich. Andererseits, sie schienen so sicher, Kira retten zu können. - Hatte er das Recht, die einzige Chance, die Nerys hatte, zu verschenken? Wenn er wenigstens Dax hier lassen könnte. Aber in ihrem Zustand konnte sie hier nicht einfach liegenbleiben. Nein, so sehr sein Inneres sich dagegen sträubte. Er hatte keine andere Wahl, als Kiras und Jadzias - und auch sein eigenes Leben dieser Rhowen anzuvertrauen, sie zu zwingen, Dax und ihn mitzunehmen, in der Hoffnung, damit keinen Fehler zu begehen, den er später bereuen würde.
In den Tiefen von Rhowens Augen flackerte es. „Also schön.“ Sie senkte ihren Blick als erste und gab den anderen Bajoranerinnen ein Zeichen, worauf vier weitere von ihnen zurück zu Jadzia gingen und sie aufhoben. „Sie können mich wieder loslassen.“
Zögernd gab Bashir ihren Arm frei. Halb erwartete er, dass die Bajoranerinnen Dax fallen lassen und mit Rhowen, den anderen und Kira in ihrer Mitte verschwinden würden. Doch nichts dergleichen geschah. Stumm nahmen die Bajoranerinnen, die Jadzia trugen, ihren Platz in der Gruppe wieder ein, die sich nun erneut in Bewegung setzte.
„Sie haben gewonnen, Julian“, sagte Rhowen so ruhig als hätte es zwischen ihnen überhaupt keine Meinungsverschiedenheit gegeben. „Begleiten Sie uns. Aber vergessen Sie niemals, dass es Ihre eigene Entscheidung gewesen ist.“

***

Uralte Bäume überschatteten die wenigen unbefestigten Wege, die sich durch die üppige Vegetation schlängelten. Die milde Luft war von den Düften zahlloser Blumen, blühender Büsche und Sträucher geschwängert. Tekelis und andere bunte Insekten umschwirrten die schweren Blüten. Die verschiedensten farbenprächtigsten Vögel kreisten über den Wegen oder saßen in den Ästen. Ihr Gesang mischte sich mit dem Rauschen eines kleinen Wasserfalles. Er entsprang mitten aus dem Berg und ergoss sich in ein natürliches Felsbecken, wo er sich in mehrere klare Bäche teilte, die das Land wie zarte blaue Adern durchzogen.
Julian Bashir saß auf einem der vielen kleinen Felsen, die hier und da verstreut in der Landschaft lagen. Er konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor einen so schönen, so friedlichen Ort gesehen zu haben. Auf einer kleinen Lichtung standen ein offenbar schon sehr alter, bereits verwitterter Tempel und einige kleine Nebengebäude. Ansonsten gab es hier nichts, das darauf hindeutete, dass hier eine Gruppe bajoranischer Frauen offenbar schon seit Jahren von der Außenwelt völlig abgeschnitten lebte. Keine Beete, kein Vieh. Offenbar ernährten Rhowen und die anderen sich ausschließlich von Früchten.
Unglaublich, dass eine solche Oase hier mitten in diesem unwirtlichen Gebirge existierte. Beinahe noch unglaublicher, dass niemand auf Bajor etwas von diesem Paradies wusste. Konnte es denn wirklich möglich sein, dass diese Frauen hier schon zu Zeiten der Besatzung gelebt hatten, ohne dass die Cardassianer es bemerkt hatten? Welche andere Erklärung konnte es dafür geben, dass es hier anscheinend keine Minen gab? Sollten die Cardassianer ausgerechnet diesen Ort übersehen haben?
Er hatte Rhowen diese Fragen gestellt, nachdem Kira und Dax in einem der Nebengebäude untergebracht worden waren. Jedoch ohne darauf eine Antwort erhalten zu haben. Es hatte nicht einmal den Anschein gehabt, als ob Rhowen oder eine ihrer Schwestern sich für die Belange ihrer Heimat außerhalb ihrer eigenen kleinen Welt interessierten. Es hatte fast den Eindruck gehabt, dass sie nicht einmal wussten, dass Bajor ein halbes Jahrhundert unter einer grausamen Fremdherrschaft gelitten hatte, die Cardassianer vor über fünf Jahren abgezogen waren und die Föderation auf Wunsch der bajoranischen Regierung DS9 übernommen hatte. Rhowen hatte seinen diesbezüglichen Bericht ohne jede Regung zur Kenntnis genommen. Auf sein Drängen hatte sie lediglich geäußert, dass die Mitglieder ihres Ordens sehr zurückgezogen leben würden und einen feierlichen Eid abgelegt hätten, von sich aus keinen Kontakt mit anderen aufzunehmen.
Ihr Orden ...
Bashir hatte bereits vermutet, dass es sich hier um ein Kloster handelte. Aber er hatte noch niemals etwas davon gehört, dass es auf Bajor derart streng religiöse Gemeinschaften gab. Kai Winn und die Vedeks, denen er in den vergangenen Jahren begegnet war, waren alle trotz ihrer tiefen Religiosität sehr an weltlichen Dingen interessiert. Nicht umsonst war die Kai als Oberhaupt des Glaubens eine wichtige Säule des bajoranischen Staatswesen. Genau wie die Vedekversammlung, zu deren Aufgaben es unter anderem auch gehörte, als beratendes Gremium des Premierministers und seiner Regierung zu fungieren.
Da Rhowen all seinen Fragen auswich, hatte er es bei ihren Schwestern versucht. Mit noch weniger Erfolg. Entweder hatte er gar keine, oder nur solche Antworten erhalten, mit denen er nichts anfangen konnte. Am Ende hatte er aufgegeben. Diese Frauen hier hatten das Recht, zu schweigen. Letztlich war Rhowens Versprechen, Kiras Leben zu retten das einzig Wichtige. Allerdings war ihm nicht klar, wie sie das bewerkstelligen wollte. Je mehr Zeit verstrich, desto unruhiger wurde er.
Auf Rhowens Befehl hatte man ihm und Dax ein Quartier in einem kleinen Nebengebäude zugewiesen, das unmittelbar neben dem lag, in dem Kira untergebracht war. Jadzia war immer noch ohne Bewusstsein, was weder Rhowen noch eine ihrer Schwestern sonderlich zu beunruhigen schien. Eine Bajoranerin war mit der Kiras Pflege beauftragt worden. Sie kühlte die Stirn der Kranken und rieb ihren Körper in regelmäßigen Abständen mit klarem Wasser ab. Aus dem gleichen Krug, den sie ihr von Zeit zu Zeit an die spröden aufgesprungenen Lippen setzte. Mehr geschah nicht. Keine Kräutertränke, kein Tee, keine Salben oder Umschläge. Nichts, das auch nur im Entferntesten nach einer, wie auch immer gearteten, Behandlung aussah.
Schließlich hielt Bashir dieses Warten nicht mehr aus. Rhowen hatte sich mit der Erklärung zurückgezogen, gemeinsam mit ihren Schwestern beten und meditieren zu wollen. Aber Gebete allein würden Kira nicht retten. Er musste mit Rhowen sprechen. Jetzt sofort. Er hatte nicht gesehen, wohin sie und ihre Schwestern gegangen waren. Aber wenn sie beteten, dann würden sie das vermutlich im Tempel tun. Der Arzt stand auf. Rhowen hatte ihm ausdrücklich verboten, den Tempel zu betreten. Doch das hieß nicht, dass er nicht die Tür öffnen und sich durch Rufe bemerkbar machen durfte. Nun ja, zumindest nicht bei einer großzügigen Auslegung des Verbots, und er hatte nicht die Absicht, in diesem Punkt kleinlich zu sein. Zuviel stand auf dem Spiel.
Das eiserne Tor war von Grünspan bedeckt. Ebenso die Klinke, die nicht so aussah, als wäre sie kürzlich erst bewegt worden. Es musste irgendwo einen Seiteneingang geben. Aber er hatte weder die Zeit, noch die Muße, danach zu suchen. Vorsichtig drückte Bashir die Klinke herunter. Fast befürchtete er, die Tür könne verriegelt sein, was jedoch nicht der Fall war. Die rostigen Angeln gaben ein unangenehm knirschendes Geräusch von sich, als das Tor aufschwang.
Ein Schwall modriger Luft schwappte Julian entgegen. Unwillkürlich hielt er den Atem an. Da drinnen roch es wie in einer alten Gruft, die zum ersten Mal seit langer Zeit geöffnet wurde. Ein kalter Schauer ließ Bashir frösteln. Alles in ihm sträubte sich dagegen, das Innere des Tempels zu betreten. Aber irgendwo da hinten im Halbdunkel glaubte er, Gesang zu vernehmen. Er musste sich überwinden und weitergehen, trotz Rhowens Verbot, trotz seiner undefinierbaren Furcht. Das war er Kira schuldig. Bashir bückte sich, hob einen fingerdicken Ast auf, der von einem der Bäume gefallen war, und klemmte damit die Tür fest. Eine kindische Aktion. Doch irgendwie fühlte er sich bei dem Gedanken besser, dass das Tor nun hinter ihm nicht mehr einfach so zufallen konnte. Zumindest nicht von allein ...
Langsam trat Bashir ein. Das Echo seiner Schritte hallte von den hohen Wänden wider. Nachdem seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, starrte Julian überrascht auf das Bild, das sich seinen Blicken bot. Er wusste nur wenig von der bajoranischen Religion. Aber das Wenige genügte, um festzustellen, dass dieser Tempel nicht dafür geschaffen worden war, die Propheten zu verehren. Eine dicke Staubschicht bedeckte den Mosaikboden und den mit eigenartigen Symbolen verzierten steinernen Altar. Das einzige, was sich in dem ansonsten völlig leeren Raum befand. Abgesehen von einer großen Statue, die eingehüllt in ein dunkles Tuch hinter dem Altar aufragte. Am Altar und der verhüllten Statue, hingen, wie auch überall an den Wänden und den Kreuzen der verschmutzten Fenster, dicke Spinnweben. Offenbar war diese Halle schon seit langer Zeit nicht mehr benutzt worden. Seit sehr langer Zeit.
Von Rhowen und ihren Schwestern war keine Spur zu entdecken. Es gab keinen vernünftigen Grund, sich hier noch weiter aufzuhalten. Aber auf unerklärliche Weise fühlte Bashir sich von dem Tuch angezogen, das die Statue verhüllte. Wie mochte wohl die Göttin oder der Gott aussehen, der hier früher einmal angebetet worden war? Sämtliche Instinkte warnten ihn. Doch seine angeborene Neugier war stärker. Ein kleiner Blick nur. Wem könnte das schon schaden? Er hatte sich ohnehin bereits über Rhowens Verbot hinweggesetzt. Da machte es sicher nicht mehr viel aus, wenn er dieses Tuch da ein wenig lüftete.
Der Stoff war hauchdünn und schillerte trotz des Schmutzes, von dem er starrte. Auch wenn er nicht Garaks Kenntnisse auf diesem Gebiet besaß, wusste Julian sofort, dass es sich um ein edles Material handelte. Viel zu kostbar, um als Abdeckung benutzt zu werden. Ein zartes dunkelblaues Gewebe, das mit golddurchwirkten Stickereien verziert war, die alle dasselbe Symbol darstellten. Einen schmalen Frauenarm, um den sich eine farbenprächtige Schlange ringelte.
Ein Altartuch, durchzuckte es Bashir, als er das Tuch berührte. Vor seinem geistigen Auge entstand das Bild eines mit Blumen und Kerzen in kunstvollen Haltern geschmückten Altars. Sein Blick streifte die steinerne Platte zu seiner Linken.
Kein gewöhnlicher Stein, ergänzte er in Gedanken. Der Altar bestand aus glattpoliertem schwarzen Marmor. Oberhalb der Platte ruhte ein Dolch in einer Halterung. In der Mitte der Platte befand sich in Gold eingelegt, jedoch ungleich größer, das gleiche Symbol wie auf dem Tuch. Bashirs Blick glitt flüchtig darüber. - Um an einigen hässlichen dunkelbraunen Flecken hängenzubleiben, die die ansonsten makellos glänzende Oberfläche des Symbols verunzierten.
Himmel, das sieht ja fast wie getrocknetes Blut aus ...
Der Arzt wünschte sich gerade, sein Trikorder würde funktionieren, damit er seinen Verdacht überprüfen konnte, als das leise spöttische Lachen einer Frau in unzähligen Echos verklingend durch den Tempel hallte.
Erschrocken sprang Bashir einige Schritte zurück, wobei er vergaß, das Ende des Tuchs loszulassen, das er immer noch in der Hand hielt. Geräuschlos glitt der Stoff herab und enthüllte die mannshohe Nachbildung eines zur Decke des Tempels gerichteten Frauenarms, um den sich eine Schlange wand, deren Kopf in der geöffneten Handfläche ruhte und sich in Richtung des Altars neigte. Die schmalen aus roten Edelsteinen bestehenden Augenschlitze, die trotz des Dämmerlichts in der Halle funkelten, schienen ihn anzusehen ...
Ein Blick, dem Bashir sich nicht entziehen konnte. So sehr er es auch versuchte ...
Das Lachen war verklungen. Stattdessen glaubte Julian nun andere Klänge zu vernehmen, die nach und nach den Tempel erfüllten. Musik, Gesänge. Die Schlangenaugen glühten so intensiv, als würden sie von innen heraus leuchten. Es war, als würden sie Strahlen aussenden, die ganz allmählich den Boden und die Wände des Tempels mit einem rötlichen Schein umgaben. Ebenso den Altar und schließlich auch Bashir, der reglos dastand. Gebannt von der seltsamen Faszination, die von dieser Statue und ganz besonders den schimmernden Augen der Schlange ausging.
Seltsame Gefühle durchströmten Julian. Gefühle, die ihm fremd waren, und doch irgendwie so vertraut. So unendlich vertraut ...
Macht ... Hass ... Grausamkeit ... der Wunsch zu verletzen ... zu töten ...
Starke negative Emotionen, die er noch niemals zuvor überhaupt empfunden hatte.
Dennoch begrüßte sein Bewusstsein sie so freudig wie einen alten, lang vermissten Freund, wie eine begehrte Geliebte, nach der sein Herz sich in Sehnsucht verzehrte. Lodernden Flammen gleich brannten sie jene Wälle seiner Seele nieder, hinter denen eine nie gekannte, nie geahnte und nie erwartete Dunkelheit so lange im Verborgenen geschlummert hatte. Befreit von allen Fesseln bäumte sie sich auf, breitete sich aus und ergriff Besitz von allem, was so unerreichbar schien, um ihr nun, da sämtliche Mauern zum ersten Mal gefallen waren, ausgeliefert zu sein.
Nach so langer Zeit des Wartens, endlich ...
„Julian!“
Der gellende Schrei störte ihn, beeinträchtigte das Auskosten dieser neuen berauschenden Gefühle. Aber er konnte ihn nicht ignorieren. Langsam drehte Bashir sich um.
In der offenen Tür des Tempels stand Rhowen. Ihr gelöstes Haar umrahmte ihr Gesicht wie eine Flut goldener Wellen. Sie vermied es, den Altar und die Statue dahinter anzusehen. Ihr Blick war auf Bashir gerichtet. Der Ausdruck ihrer Augen war undefinierbar.
„Julian, kommen Sie her zu mir!“, befahl sie.
„Warum sollte ich?“ Das Blut brandete wie flüssige Lava durch seine Adern. Bashir fühlte sich stark und mächtig. Weshalb sollte er diesen Ort verlassen, an dem er sich so ungeheuer wohlfühlte, so voller Kraft wie noch nie zuvor in seinem Leben?
„Es wäre besser, wenn Sie gehorchen würden, Julian! Zwingen Sie mich nicht, Sie zu holen!“
„Versuch mich zu holen, Rhowen! - Wenn du dich traust!“ Bashir lachte laut. Was für eine närrische Drohung von diesem schwachen zerbrechlichen Geschöpf.
Hinter Rhowen entdeckte er einige der anderen Bajoranerinnen. Sie packten Rhowens Arme und redeten aufgeregt auf sie ein. Also konnten sie doch mehr als nur schweigen.
Rhowen schüttelte die Hände, die sie festhielten, ab und betrat den Tempel. Langsam und so vorsichtig, als würde sie sich auf dünnem Eis bewegen, näherte die Bajoranerin sich dem Terraner.
Bashir wartete, bis Rhowen ihn fast erreicht hatte. Das unwirkliche Dämmerlicht unterstrich ihre Schönheit, machte sie unwiderstehlich. Von einem plötzlichen Verlangen überwältigt sprang Julian vor, schlang seine Arme um sie und zog sie an sich. Durch den dünnen Stoff ihres Gewandes spürte er, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte.
Er musste sie besitzen ... er würde sie nehmen ... bevor er sie tötete ...
Geliebte oder Opfer. Er wusste nicht, welche Vorstellung ihn mehr erregte. Aber das war auch nicht wichtig. Er würde beides genießen. Unendlich genießen ...
„Eine Göttin für einen Gott“, murmelte er in ihr weiches Haar.
Für einen winzigen Moment standen sie unbeweglich da, eingehüllt in den roten Schein, der die ganze Halle füllte. Dann riss Rhowen sich mit einem Ruck los. Ihre Augen flackerten.
„Wie kannst du es wagen!“ Sie holte aus und schlug Bashir mit aller Kraft ins Gesicht. „Für diesen Frevel stirbst du!“ Ihre Hand zuckte zum Altar, packte den Griff des Dolches.
In letzter Sekunde gelang es Julian, dem tödlichen Hieb auszuweichen. Er empfand keine Furcht. Nur Zorn. Unbändige Wut. Grenzenlosen Hass. Die ungezügelte Lust, sie zu zerstören, sie zu vernichten. Seine Faust schnellte vor, seine Finger bekamen ihr Haar zu fassen, krallten sich in die blonden Locken. Brutal zerrte er ihren Kopf nach hinten. Die Erregung, die er dabei fühlte war besser, gewaltiger als jede Empfindung, die er je zuvor gehabt hatte. Er entwand ihr den Dolch. Aber ehe er ihn ihr in den Leib rammen konnte, tauchte sie unter der Klinge weg und versetzte ihm einen harten Tritt in den Unterleib. Bashir krümmte sich vor Schmerz, wobei er die Waffe fallen ließ. Seine Finger lösten sich aus Rhowens Haar. Die Bajoranerin nutzte ihre auf diese Weise wiedergewonnene Bewegungsfreiheit, um zum Altar zurückzuweichen.
Rhowens Augen sprühten Blitze. In Julians glomm ein ähnliches loderndes Feuer. Für einige Sekunden musterten sie einander wie wilde Tiere, die sich belauerten, darauf warteten, dass der andere eine Blöße zeigte. Dann griff Rhowen wieder an und der Kampf begann aufs Neue. Einige Minuten rangen sie miteinander, ohne dass einer von ihnen erkennbar im Vorteil war. Schließlich bekam der Terraner den Hals seiner Gegnerin zu fassen. Rhowen wehrte sich heftig. Für eine Frau war sie ungewöhnlich stark. Aber gegen Bashirs Kraft, die mit jedem Atemzug zu wachsen schien, vermochte sie nichts auszurichten. Die Hände des Arztes schlossen sich wie eiserne Klammern um ihre Kehle. Mit weit aufgerissenen Augen, in denen jedoch keine Furcht lag, schnappte Rhowen verzweifelt nach Luft. Dann verlor sie das Bewusstsein. Bashir spürte, wie sie in seinem Griff erschlaffte.
Solange er unter seinen Fingern noch ihren Puls fühlte, würde er nicht aufhören. Sie musste sterben, nur das allein war im Moment wichtig ...
Julian achtete nicht auf seine Umgebung, auf das Heulen des Windes, der an den Fenstern rüttelte, bis das Glas unter dem Druck zerbarst. Dunkle Nebel krochen durch die zerbrochenen Scheiben über die Wände und den Boden, hüllten den Altar und die Statue ein - und auch den Mann und die Frau, die er in seiner tödlichen Umklammerung hielt ...
… Macht ... Angst ... Hass ... Schmerz ... Grausamkeit ... Trauer ... der Wille zu verletzen ... Verzweiflung ... der Wunsch zu töten ... Reue ...
Widersprüchliche Gefühle durchströmten Bashir. Ein Strudel gegensätzlicher Emotionen, der sein Bewusstsein mit sich riss, bis es schließlich in den schwarzen Nebeln versank.
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