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Mit der Stimme eines Engels

von Gabi

Kapitel 1

 

 


 

Ezri Dax konnte gerade noch so das Gleichgewicht halten, als eine Hand sie am Oberarm packte und zur Seite zog.

 

„Ich brauch deine Hilfe, Ezri. Komm mal mit.“

 

„Peter!“ Die junge Trill brachte das Bein, welches durch die plötzliche Bewegungsänderung mitten im Schritt in der Luft hing, überkreuz wieder auf den Boden. Damit stand sie für einen Moment recht verknotet da, jedoch sie stand. „Geht das auch weniger stürmisch?“

 

„Es ist wichtig!“ Gaheris zog sie aufgeregt hinter sich her zu seinem Quartier.

 

Wie sie den wissenschaftlichen Leiter von DS9 und ihren besten Freund mittlerweile kannte, würde es gleich um ein Thema gehen, das ein Außenstehender keineswegs als lebensnotwendig eingestuft hätte, und bei dem sie sich sehr zusammenreißen musste um eine ernste Miene zu bewahren. Es wäre nicht das erste Mal.

 

Sie wurde nicht enttäuscht.

 

In seinem Quartier angekommen, drückte Gaheris sie in einen Sessel, aktivierte eine Audiodatei und ließ ein Chorstück ablaufen. Er nahm sich ein mit Noten übersätes Blatt Papier zur Hand. Dax glaubte zu erkennen, dass es Bajoranisch war. Der Universalübersetzer war so eingestellt, dass er ohne entsprechende Anweisung keine gesungene Sprache übersetzte, doch die für ihr Ohr leicht schrägen Harmonien kamen ihr bekannt vor. Das lag daran, wie Gaheris ihr einmal in einem Anfall von Mitteilsamkeit von Dingen, die sie gar nicht wissen wollte, erklärt hatte, dass bajoranische Musik Vierteltöne verwendete, was sich für die Ohren mancher Spezies leicht schräg anhörte.

 

„Ich habe hier eine Koloratur“, erklärte er, so als ob das die gesamte Situation erklären würde. Er ließ die Choraufnahme ein wenig vorspulen, dann wieder zurück, weil er zu weit hatte spulen lassen.

 

Dax versuchte krampfhaft, ein Grinsen zu unterdrücken. Der Mann wirkte so aufgeregt wie vor der Abschlussrede auf der Akademie und sie konnte sich beim besten Willen noch nicht ausmalen, warum.

 

Offensichtlich hatte er nun die richtige Stelle gefunden, denn plötzlich wurde Gaheris ganz still, stellte sich breitbeinig hin, faltete die Hände vor dem Körper und schloss die Augen. Dax beobachtete fasziniert die Veränderung und fragte sich, warum er denn die Noten in der Hand hielt, wenn er sie doch nicht ansah. Noch größer jedoch wurde ihre Verblüffung, als Gaheris ansetzte zu singen. Mit der Sprache konnte sie immer noch nichts anfangen, doch es schien ohnehin vor allem um den Klang der Vokale zu gehen. Er setzte so tief an, wie sie ihm das nicht zugetraut hätte. Gaheris besaß beim Sprechen ein helles Timbre ohne die Schwingungen im Brustbereich, die bei manchen Männern so sexy klangen. Langsam und harmonisch zur Melodie des Chors schraubte er sich in die Höhe. Bei jedem neuen Ton erwartete Dax, dass sich die Stimme nun überschlagen müsse, doch sie blieb klar, bis er die Koloratur beendet hatte.

 

Dann öffnete er die Augen wieder und blickte sie an, so als ob es lediglich um die Fortführung eines Gesprächs ging und sie nicht mit offenem Mund vor ihm saß.

 

„Ich weiß nicht, ob ich piano oder forte singen soll,  oder sollte ich variieren, mezzoforte im Mittelteil und dann zu fortissimo steigern … oder die ganz hohen Töne doch piano, dann wirken sie nicht so gepresst, aber ich weiß nicht ob sie dann weit genug tragen … was meinst du?“

 

Dax klappte den Mund wieder zu. „Ich meine, dass ich froh bin, dass die Joran-Erinnerungen bei mir wieder frei gegeben wurden, sonst hätte ich keine Ahnung, von was du sprichst.“

 

„Ich dachte, Jadzia hat sich für klingonische Opern interessiert?“, blickte er sie verwundert an.

 

„Nur um die mit zu grölen.“ Sie sah ihn verwundert an. „So was steht in meiner öffentlich zugänglichen Personalakte?“

 

„Nein, das hat Julian mir einmal erzählt.“

 

„Ihr sprecht über mich, wenn ich nicht dabei bin?“

 

„Welch besseres Thema gibt es denn dann?“ Er grinste. „Jetzt aber nochmal: wie sollte ich die Passage am besten angehen?“

 

„Ich … ich weiß es nicht …“ Sie lächelte ihn bewundernd an. „Ich bin immer noch total platt, dass du singen kannst.“

 

„Hab ich das nie erwähnt?“ Er schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. „Ich war im Akademie-Chor und habe die sechs Jahre während der Ausbildung auch Gesangsunterricht genommen. Aber auf Schiffen hat es nur selten Gelegenheit, diesem Hobby nachzugehen.“

 

„Du hast eine sehr schöne Stimme, wenn ich das mal so als kompletter Laie sagen darf. Und wenn es nicht zu unhöflich klingt: … das hätte ich dir gar nicht zugetraut.“

 

Gaheris hob die Augenbrauen, lächelte jedoch dabei, dann lehnte er sich zu ihr vor und erlaubte sich einen kurzen Anflug von Arroganz. „Dieser Part ist für Chorstimmen geschrieben. Den ersten Teil übernimmt der Bass, ab etwa einem Drittel harmonisiert diese Stimme und Tenor und  Sopran übernehmen. Ich darf alles singen, weil ich einen Tonumfang vom großen Cis bis zum zweigestrichenen H beherrsche.“ Seine Nase befand sich dicht vor der ihren. Sie konnte am Funkeln seiner Augen erkennen, wie stolz er darauf war. Sie musste ihn einfach aufziehen.

 

„Und das soll mich jetzt beeindrucken?“

 

„Besser wäre es.“

 

Sie starrten sich noch einen Moment in die Augen, dann mussten beide loslachen.

 

„Na, dann könntest du doch …“ Dax stockte, ein Wort, das er geäußert hatte, sickerte langsam in ihrer Aufmerksamkeit durch. „Was heißt, du darfst es singen?“

 

„Ich …“ Gaheris hielt ebenfalls inne. Ihm ging auf, dass er Dax in die Mitte gerissen hatte ohne sich die Mühe zu machen, am Anfang zu beginnen. „Oh … entschuldige … ich.“ Er grinste verlegen. „Haz hat mich unter der Dusche singen hören und mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, den Klosterchor zu unterstützen.“ Er hob die Schultern. „Regelmäßige Proben sind natürlich nicht drin, weil meine Arbeitszeiten und die Entfernung nicht passen. Aber ich war bei ein paar Proben dabei. Ich mag die Leute, Kenan begleitet am Belaklavion und Vedek Estireel, die den Chor leitet, ist zwar eine strenge alte Dame, doch anfällig für meinen Charme.“ Er zwinkerte Dax zu. „Von ihr kam der Vorschlag, hier einen Solo-Part draus zu machen, damit ich auch alleine üben kann.“ Er hielt Dax die Partitur vor die Nase, mit der die Trill noch weniger anfangen konnte als mit seiner bisherigen Erzählung, weil sie der bajoranischen Notation nicht mächtig war.

 

„Na, na“, konnte sie es nicht unterlassen ihn aufzuziehen. „Meinst du nicht, das liegt daran, dass du der Liebhaber des Kai bist? Da kommt Sonderbehandlung inklusive.“

 

„Quatsch!“ Seine Stirn legte sich jedoch in nachdenkliche Falten. „Meinst du echt?“ Er betrachtete die Partitur, so als ob darin eine Antwort zu finden sei. Dann schüttelte er vehement den Kopf. „Nein, aus Gefälligkeit würde Vedek Estireel sicherlich nicht so weit gehen. Sie ist sehr ehrgeizig, was ihren Chor betrifft. Und da würde sie nicht die Messe gefährden … nein …“

 

Dax erhob sich, ging zu Gaheris hinüber und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Es tut mir leid, Peter, ich wollte dich nur necken“, entschuldigte sie sich, als sie merkte, in welche Selbstzweifel ihre Bemerkung ihn zu stürzen im Begriff war. „Deine Stimme ist sehr schön, das habe ich vorhin ja schon gesagt …“ Sie stockte kurzzeitig. „Was für eine Messe?“

 

Er blickte von der Partitur auf. Seine Augen leuchteten aufgeregt. „Die Modranhit-Messe in Ashalla, ich darf dort singen.“

 

„Die Messe, die über das Newsnet übertragen wird?“

 

Er nickte eifrig.

 

Dax‘ Mund formte sich zu einem runden „Oh“. Modranhit war das bajoranische Mitwinter-Fest, in dieser Nacht waren überall auf dem Planeten die Plätze und Tempel mit beerenbehangenen Rinboreen-Ästen geschmückt, Kräuter wurden verbrannt, Feuerschalen erhellten die Nacht, um die Wiederkehr der längeren Tage zu feiern. In den Tempeln und Schreinen wurden Messen gehalten, den Propheten gedankt, dass sie in der längsten Nacht zu ihrem Volk hielten. Die größte Feierlichkeit war diejenige im Hauptkloster in Ashalla, die der Kai selbst zelebrierte. Da die Plätze im Andachtsraum beschränkt waren, wurde die Zeremonie auf Bildschirmen auf den Vorplatz übertragen und zeitgleich von den Nachrichtensendern über das planetenweite Informationsnetzwerk.

 

Als all diese Bilder durch die Vorstellung der Trill gezogen waren, wandelte sich die Form ihrer Lippen von Erstaunen zu einem leichten Grinsen. „Und die Medien werden sich drauf stürzen, dass der Liebhaber des Kai einen Solopart bekommen hat – ich wette als erster Ausländer in der gesamten bajoranischen Geschichte.“

 

Gaheris schnitt ihr eine Grimasse. „Die Bajoraner nehmen ihre Religion zu ernst, um in Klatsch und Tratsch zu verfallen.“

 

Sie warf ihm einen Luftkuss zu. „Die Bajoraner, die ich kennengelernt habe, nehmen auch ihren Klatsch und Tratsch sehr ernst.“ Als sie merkte, dass sie erneut an Gaheris Grenzen geriet, ließ sie das Thema fallen. Stattdessen lächelte sie ihn aufmunternd an. „Was wirst du denn tragen? Hast du dann auch so einen Ohrring?“

 

Er erwiderte das Lächeln dankbar. „Darüber haben wir natürlich gesprochen. Der Chor trägt die üblichen Roben mit einem festlichen Überwurf. Ich kann jetzt aber nicht einfach hingehen und mir eine Prylar-Robe anziehen, das wäre respektlos. Ich habe daher einen leichten Mantel geschneidert bekommen, der die gleiche Farbe hat und ähnlich aussieht, ohne dass ich mir unangebracht eine geistliche Gewandung aneigne. Den Überwurf darf ich tragen. Da war Vedek Estireel der Meinung, dass das nicht Teil der klösterlichen Kleidung ist und auch von einem Ungläubigen wie mir getragen werden darf. Das Ohrgehänge steht aus gleichen Gründen außer Frage. Es ist das öffentliche Zeichen eines jeden Bajoraners, dass er sich zu den Propheten bekennt. Das dürfte ich nur tragen, wenn ich dem bajoranischen Glauben beitrete.“

 

Sie legte den Kopf schief. „Und, hast du das vor?“

 

Er betrachtete sie ernst. Bei dem lebenslustigen Wissenschaftler ein seltener Anblick. Dax realisierte einmal mehr, welch schöne Augen Gaheris besaß: wasserhell, umrahmt von für einen Mann unverschämt langen, dunklen Wimpern. Er würde sich grandios in der Messe machen.

 

„Ich weiß es nicht.“ Er legte die Partitur beiseite und setzte sich neben sie auf das Sofa. „Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt. Es wäre für Haznar besser. Dass der Kai einem Mann seine Liebe schenkt ist problemlos angenommen worden, dass der Kai einem Ausländer seine Liebe schenkt, wurde ebenfalls allgemein akzeptiert. Aber dass ich bislang nicht konvertiert bin, sorgt hinter vorgehaltener Hand doch zumindest für leichten Unmut. Man nimmt von einem Mann, der das direkte Bindeglied der Propheten auf Erden ist, an, dass er imstande sein sollte, einen kleinen Ausländer auf den richtigen Weg zu bringen.“

 

Dax betrachtete ihn nachdenklich. „Du würdest dich zu irgendwelchen Göttern bekennen, damit Sarius Haznar nicht sein Gesicht verliert?“, fasste sie akkurat zusammen. „Was ist dabei mit dir?“

 

„Du kannst nicht dein Leben mit einem Mann verbringen, der so felsenfest in seinem Glauben ist, dass die Realität dagegen wie ein Nebenprodukt erscheint, ohne das eine oder andere Mal nachdenklich zu werden. Das färbt ab. Ezri“, er legte seine Hand auf die ihre auf ihrem Oberschenkel, „mir war von Anfang an klar, dass diese Beziehung keine gleichberechtigte wird. Haz‘ Ansehen, seine Autorität, sein Status, all das geht in jedem Fall vor. Der frühere Premierminister Shakaar ist über seine Beziehung mit einer Ausländerin gestürzt, ich werde nicht zulassen, dass Haz dasselbe passiert. Er wird Kai bleiben, bis die Propheten ihn zu sich rufen, und ich werde absolut alles dafür tun, damit das funktioniert.“ Er blickte sie direkt mit diesen ernsten, wunderschönen Augen an. „Kannst du das verstehen, Ezri?“

 

Sie betrachtete ihn einen Moment lang, bevor sie antwortete. Dann drehte sie ihre Hand unter der seinen um, so dass sie ihre Finger ineinander flechten konnten. „Ich denke, ich kann es verstehen, auch wenn ich so nicht handeln könnte.“

 

„Das ist Liebe“, bemerkte er mit Schulterzucken.

 

Sie lehnte sich zu ihm hinüber, um ihm einen Kuss auf die Wange zu hauchen. „Das ist Unterordnung, Peter“, flüsterte sie in sein Ohr. „Aber ich habe den Eindruck, dass es bei euch beiden ganz okay so ist.“

 

„Na, wenn die Psychologin das sagt.“ Er schien ihr den Kommentar nicht übel zu nehmen. Einen Moment lang hingen beide ihren Gedanken nach, dann nahm Gaheris die Partitur wieder auf. „Was aber immer noch nicht mein ursprüngliches Problem löst.“ Er wedelte mit dem Blatt vor Dax‘ Gesicht herum. „Wie soll ich die Koloratur jetzt anlegen …?“

 

 

* * *

 

 

 

Dax hatte sich darauf eingerichtet, die Übertragung der Messe auf den Holos zu verfolgen, als Bashir nebenbei erwähnte, dass er vom Kai eine Einladung nach Bajor erhalten habe, aber nicht wüsste, ob er Zeit und Lust hätte. Sie hatte ihn den Satz nicht einmal beenden lassen, bevor sie ihm das Schreiben aus der Hand genommen und es jubilierend in der Luft geschwenkt hatte.

 

„Und ob wir dorthin gehen, Julian!“ Durch das ganze Hin und Her mit Gaheris‘ Liebesleben, vergaß sie immer wieder, dass Bashir sich mit Sarius bereits angefreundet hatte, als dieser noch den Rang eines Vedeks bekleidet hatte. Daher erhielt der Arzt immer wieder besondere Einladungen des Kai zu Veranstaltungen, für die andere Schlange stehen mussten. „Was ziehe ich da am besten an? Wie kleidet man sich denn zur einer Modranhit-Feier?“

 

Bashir betrachtete seine Freundin amüsiert. „Woher die plötzliche Begeisterung, Ezri? Das ist kein fröhliches Zusammenkommen mit Snack und Getränk, sondern ein Gottesdienst.“

 

Sie wandte sich von ihrem Kleiderschrank ab, den sie bereits in freudiger Erwartung geöffnet hatte. „Ja, aber du weißt nicht, wer da singen wird!“

 

 

Bashir hatte sich von Dax‘ erwartungsvollem Gezappel anstecken lassen, auch wenn er nicht wusste, um was genau es ging, da sie ein Geheimnis daraus machte. Als die beiden sich am Modranhit-Abend kniend inmitten gläubiger Bajoraner wiederfanden, kamen sie sich jedoch schon ein wenig seltsam vor. Keiner von beiden hatte jemals eine bajoranische Messe besucht und war mit möglichen Ritualen vertraut. Sie betrachteten ihre Umgebung aus den Augenwinkeln heraus, um die nötigen Hinweise zu erhalten.

 

Die große Andachtshalle roch köstlich nach den verbrannten Kräutern. Herbe und blumige Aromen mischten sich zu einem angenehmen Sinneserlebnis, das visuell und akustisch von den riesigen, knisternden Feuerschalen unterstützt wurde, die überall im Raum verteilt waren. Zwei von ihnen flankierten den Altarbereich, in welchem Vedeks ihre zeremoniellen Arbeiten verrichteten. Der Kai trat zwischen die beiden Schalen, die ihm in der Höhe bis zur Schulter reichten. Die Flammen flackerten weit über die Köpfe der Geistlichen hinaus. Im Altar-Hintergrund, dort, wo das Licht nicht mehr hin reichte, war schemenhaft der Chor auszumachen.

 

Dax bewegte den Oberkörper ein wenig hin und her in dem Versuch einzelne Gestalten zu erkennen, doch es blieb zu ihrer Enttäuschung bei den Silhouetten. Bashir legte ihr die Hand auf den Oberschenkel, um sie zur Ruhe zu rufen.

 

Der Kai begann zu sprechen. Die Akustik in der Andachtshalle war so gut, dass er dies ohne Verstärkung tun konnte. Seine Stimme war zwar ruhig, doch sie trug bis in die hintersten Reihen. Er begrüßte die Gläubigen, sprach über die Bedeutung von Modranhit über die Zeit der wechselvollen Geschichte Bajors hinweg. Es folgten Litaneien im Wechselgespräch mit der Gemeinde, die Bashir und Dax schweigend verfolgten, eine Zeremonie, bei der sich die nebeneinander knieenden die Unterarme reichten, was die beiden Offiziere mitmachten und dafür mit freundlichem Nicken ihrer jeweiligen Nachbarn bedacht wurden.

 

Nachdem der Kai ausgesuchte Passagen aus den Prophezeiungen verlesen und interpretiert hatte, kam endlich der Moment, auf den Dax gewartet hatte. Der mächtigste Mann Bajors trat zur Seite, bis er direkt neben einer der Feuerschalen stand und wies mit dem Arm in den Altarhintergrund. Unter leisem Rascheln der Gewänder trat der Chor nun nach vorne ins Licht. Eine ältere, streng wirkende Dame, die Dax als Vedek Estireel identifizierte, nahm nun den Platz zwischen den Feuern ein, den der Kai bis eben innegehabt hatte, stellte sich mit dem Rücken zur Gemeinde und scheuchte ihre Schäfchen, bis die Chormitglieder so standen, wie sie sich das vorstellte.

 

Bashir machte große Augen. „Ist das Peter da vorne in der Mitte?“, zischte er zu Dax hinüber.

 

Die grinste von einem Ohr zum anderen. „Deswegen wollte ich unbedingt dabei sein.“

 

Hinter ihnen ertönte vereinzeltes „Shh!“, aber sie konnten auch hören, wie sich der Kommentar „Das ist doch der Terraner“ leise unter den Gläubigen ausbreitete. Die Blicke, die bislang dem Kai gefolgt waren, hefteten sich nun alle auf den Chor, genauer gesagt auf ein einzelnes Chormitglied.

 

Gaheris seinerseits fixierte Vedek Estireel, um die Einsätze nicht zu verpassen. Dax war froh darum, denn wenn der Wissenschaftler bemerkt hätte, dass ihn alle neugierig anstarrten, hätte ihn das sicherlich noch nervöser gemacht als er ohnehin schon sein musste.

 

Es folgten zwei Stücke, deren Harmonien nach einiger Zeit auch Dax mitnahmen. Wenn man es sich eine Weile anhörte, dann klangen die Vierteltöne gar nicht mehr so ungewöhnlich, sondern ausgesprochen harmonisch. Die Chorstimmen waren durch die Reihe weg hervorragend und die Stücke wirkten in der perfekten Akustik der Andachtshalle ausgesprochen bombastisch, wie es sich für eine Huldigung der Götter gehörte.

 

Dann begann ein neues Stück, dessen Melodie Dax bekannt vorkam. Es war dasjenige, das Gaheris ihr in seinem Quartier vorgespielt hatte. Sie griff hinüber nach Bashirs Hand und ertappte sich dabei, dass sie vor Aufregung fast die Luft anhielt. Der Arzt blickte sie verwundert an, doch sie fuchtelte nur mit der freien Hand nach vorne. Dort trat nun Vedek Estireel an die andere Feuerschale zurück und machte den Platz in der Mitte frei für den Terraner in dem karmesinroten Überwurf. Während die Stimmen des Chors in ein Mezzopiano übergingen schritt Gaheris nach vorne. Er wandte sich dem Kai zu und neigte den Kopf vor ihm. Sarius lächelte ihm aufmunternd zu. Kaum vernehmbares Flüstern setzte in der Andachtshalle ein. Schließlich stand er, der Ausländer, der Ungläubige, der Liebhaber des Kai alleine zwischen den Feuerschalen, die Wangen nicht nur durch die Wärme der Flammen gerötet.

 

Doch alle Nervosität schien von ihm abzufallen, als sein Einsatz kam. Da der Chor die Lautstärke zurückgenommen hatte, erklang seine Stimme kraftvoll und klar. Es war ein ganz anderes Erlebnis als die kurze Kostprobe, die er Dax in seinem Quartier gegeben hatte. Die Akustik trug und verstärkte seine Stimme, die mühelos über die Oktaven hinweg tanzte. Sämtliches Tuscheln erstarb und machte ehrfurchtsvollem Staunen Platz. Selbst Dax und Bashir ertappten sich dabei, dass ihnen der Mund offen stand. Nicht nur, dass Gaheris‘  Stimme von wunderbarer Weichheit und Klarheit war, er interpretierte seinen Part auch mit einer solchen Inbrunst, dass jeder Anwesende tatsächlich das Gefühl erhielt, dass der Terraner an das glaubte, was er da sang.

 

Dann verstummte der Chor und Gaheris setzte zu der Koloratur an, die er Dax vorgestellt hatte. In der riesigen Halle erklang nichts außer einer einzelnen Stimme – und nichts außer ihr war nötig. Klang und Raum schienen für diesen wunderbaren Moment wie füreinander geschaffen. Er schraubte sich aus den vibrierenden Tiefen des Basses hinauf in die Höhen des Soprans. Bei jedem Ton lag die Erwartung in der Luft, dass es nicht mehr weiter hinauf gehen konnte, und jedem Ton folgte ein weiterer – immer sanfter, immer leiser. Bis der letzte Ton fast nur noch als Hauch in die flammengeschwängerte Luft aufstieg, klar und leicht.

 

Er hatte sich für pianissimo entschieden und Dax musste feststellen, dass es perfekt war.

 

Als der letzte Ton verklungen war, herrschte für zwei Herzschläge die absolute Stille wie zu Beginn des Universums.

 

Dann setzte der Chor wieder ein und der gesamte Raum ließ den angehaltenen Atem entströmen. Es war nicht angebracht in einer bajoranischen Messe zu klatschen, doch die Versuchung lag spürbar in der Luft.

 

Gaheris senkte langsam den Blick, den er während des Soloparts gen Decke gerichtet hatte, so als ob er den Höhen seiner Stimme folgen wollte, und trat rückwärts in den Chor zurück. Dax betrachtete sein beseeltes Gesicht und ihre Bedenken aufgrund seiner Unterordnung lösten sich in Luft auf: Wenn Gaheris konvertierte, würde das aus vollster Überzeugung geschehen.

 

 

Ende

 

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